Handbuch der Kunstgeschichte. Springer Anton
Читать онлайн книгу.unbelastete Sima dienen aufgerichtete Blatt-Fächer als Ornament, die Profilirung ist Gefässformen entlehnt. Das »schwebende« Dach geht an den Schmalseiten des Tempels in die Form des Giebels über, welcher den reichsten bildnerischen Schmuck aufnimmt, ein eigenes Geison (l) besitzt und am Firste wie an den Dachecken mit Blattfächern oder Akroterien bekrönt ist. Noch bleibt die Form der Decke im Pronaos und Cella zu erwähnen. Die kreuzweis über die Epistylien gespannten Balken werden von rechteckigen vertieften Tafeln (Kalymmatien) ausgefüllt, welche wieder in Felder getheilt und mit Säumen, Perlenstäben und Sternen verziert werden.
§. 38.
Das ionische Tempelhaus besass schon ursprünglich die Form eines Peripteros und hob den Zusammenhang auf, welcher im Parastadentempel zwischen der Cella und dem Säulenbaue besteht. Dieses Streben nach Trennung der einzelnen Glieder und freier individueller Bewegung lässt sich noch weiter verfolgen. Der Säulenstamm verwächst nicht mit der Tempelsohle, sondern ruht auf einer selbständigen Basis (spira ionica). Auf einer viereckigen Platte oder Plinthe erheben sich eine oder zwei in entgegengesetzter Richtung sich bewegende Einziehungen (trochilus), welche zu oberst mit einem starken Pfühle verknüpft werden (Fig. 37). Der Säulenstamm unterscheidet sich von dem dorischen durch eine geringere Verjüngung, eine grössere Schlankheit und tiefere, aber durch Stege getrennte Kanneluren, am schärfsten und auffälligsten jedoch durch die Bildung des Kapitäls. Dem kräftig skulptirten Kymation setzt sich an die Stelle des viereckigen Abakus ein elastisches Band oder Polster, zu beiden Seiten des Kymations in schneckenförmigen Windungen (Voluten) zusammengerollt, auf, wodurch gleichzeitig der Begriff der Belastung ausgedrückt und die Säule selbständiger gedacht wird (Fig. 38). Die Belastung der Säule ist aber lange nicht so stark, als im dorischen Style. Das Epistylion zerfällt daher in mehrere leichte Platten (Fig. 39, a); an die Stelle des Triglyphen- und Metopenwechsels tritt, weil der leichter gestaltete Bau keiner Concentration der Kraft bedarf, ein stetiges Band, der Fries (Zophoros, Thrinkos) mit Skulpturen geschmückt (Fig. 39, b), und ebenso verliert das Geison seine Unterschneidung. Auch wurden zur Erleichterung des vorspringenden Theiles an der unteren Hälfte des Geison tiefe Ausschnitte gemacht und gleichsam nur einzelne Zähne (Zahnschnitt) zurückgelassen (Geisipodes) (Fig. 39, c). Bezeichnend für den Charakter des ionischen Styles ist es, dass nicht allein die Kapitäle der Ecksäulen von jenen der Mittelsäulen verschieden gebildet sind, sondern auch an den letzteren die Frontseiten des Abakus von den Nebenseiten abweichen.
§. 39.
Eine Milderung des ionischen Styles und theilweise Annäherung an die dorische Weise ging in Attika vor sich, wodurch der attisch-ionische Styl, besonders charakterisirt durch das Wegfallen der Plinthe und das Zwischenlegen eines Trochilus zwischen zwei Pfühle (Fig. 40) an der Säulenbasis, in das Dasein gerufen wurde. Auch die korinthische Säulenordnung, deren künstliches Wesen schon durch die Anekdote ihres Ursprunges angedeutet wird, ist nichts weiter als eine Mischung dorischer und ionischer Elemente. Sie duldet Triglyphen über dem Architrav, nimmt beliebig Tropfen oder den Zahnschnitt an und kehrt durch die Gleichheit aller Fronten ihres Kapitäls wieder zur dorischen Weise zurück. Die ursprüngliche Form des üppigen korinthischen Kapitäls ist ein korbähnlicher Blätterkelch, bei welchem die Blätter weniger belastet, also nur wenig überfallend erscheinen. Neben dieser einfachsten Form kommen noch drei andere Kapitälformen vor: das Kapitäl mit doppeltem Blätterkelche (Windethurm in Athen), jenes mit einem Blätterkelche, welchem aber vier unter den Ecken des Abakus überfallende und zu Voluten gekrümmte Blätter entwachsen und schliesslich das gewöhnliche korinthische Kapitäl (Fig. 41) mit volutenförmigen Ranken (helices) an den Ecken und kleineren blumentragenden Voluten in der Mitte des Abakus. Der Eklekticismus, der sich in dieser Mannigfaltigkeit der Kapitälbildung kundgibt, zeigt sich auch in dem Auftreten der korinthischen Säulengattung neben und mit den anderen Bauweisen, z.B. am Tempel der Athena Alea zu Tegea, wo das äussere Peripteros in ionischer Weise gebildet war, im Innern der Cella aber auf dem dorischen Portikus korinthische Säulen aufsetzten.
§. 40.
Hatten die Kelle und der Meissel ihre Arbeit am griechischen Tempel vollendet, so kam schliesslich der Pinsel zur Ergänzung des dekorativen Theiles hinzu. Ueber das Maass der an griechischen Bauwerken angewendeten Färbung, denn die Thatsache einer solchen steht zweifellos fest, herrscht seit Jahren ein bitterer Streit,[22] dessen Resultate in Folgendem sich zusammenfassen. Die Polychromie wurde in der älteren Zeit fleissiger gebraucht, als später, sie trat dort, wo die Ornamente skulptirt waren, in den Hintergrund, fand den grössten Raum in der dorischen Architektur und richtete sich nach der Güte des Materiales. Der Marmor, dessen glatte schimmernde Fläche keines Verputzes bedurfte, zog natürlich dadurch auch der Polychromie engere Grenzen. Eine Bemalung auch des architektonischen Knochengerüstes kann nur ausnahmsweise gelten; dagegen war für die kleineren dekorativen Glieder der polychromatische Schmuck die gewöhnliche Regel. Dem dorischen Kapitäl waren die überfallenden Blätter in rother und grüner Farbe aufgemalt, korinthische Kapitäle, die Voluten des ionischen wurden vergoldet, oder die Säume der Voluten blau, roth gefärbt, das innere Auge auf blauem Grunde vergoldet (auch grün in roth); den Architrav zierte ein Palmettensaum, sein Abakus zeigte sich in rother Farbe; auf blaue oder vergoldete Tropfen folgten blaue Triglyphen mit dunkleren Schlitzen, die Metopen waren blau oder braunroth, blau auch der Giebelgrund. In den Kymatien wechseln roth und gelb mit blauer und grüner Farbe ab, für den Mäander und die untere Geisonfläche wurde die rothe Färbung festgehalten. Die Beweise für diese Thatsachen wurden von den theilweise chemisch untersuchten Resten einer grossen Zahl griechischer und italischer Tempel herbeigeholt.
§. 41.
Die griechische Baugeschichte nimmt mit der dorischen Einwanderung im Peloponnes und der Festsetzung der Ionier in Asien (328 und 268 vor Ol. I.) ihren Anfang. Unsere Kenntniss des altgriechischen Baustyles ist, wie schon erwähnt, äusserst dürftig und auf wenige allgemeine Thatsachen, wie den Gebrauch kurzgedrungener, stark verjüngter Säulen, schwerfälliger Kymationprofile, die Errichtung eines hohen Dachbaues, steilen Giebels u. s. w. beschränkt. Auch jüngere, aber doch noch vor den Perserkriegen entstandene Bauten, kennen wir fast ausschliesslich nur aus schriftlichen Nachrichten, so z. B. das Heraion von Samos, den Artemistempel zu Ephesus, den älteren Parthenon und den Zeustempel zu Athen. Die Blüthezeit der griechischen Architektur, wie alles geistigen Lebens überhaupt, fällt nach den Perserkriegen in das Perikleische Zeitalter. Die Prachtbauten auf der Akropolis zu Athen sind ihr unsterbliches Zeugniss. Karg zugemessen, wie den Schwesterkünsten, blieb auch der Architektur die Dauer ihrer höchsten Blüthe; doch fehlt es selbst