Handbuch der Kunstgeschichte. Springer Anton
Читать онлайн книгу.§. 44.
Auf den mannigfachsten Punkten Griechenlands regte sich gleichzeitig die bildnerische Thätigkeit; zuerst mochten wohl die Pfade der einzelnen Schulen nebeneinander laufen, später aber verschlingen sie sich (Argos und Athen, Sikyon und Aegina) und bilden Knotenpunkte. Den wichtigsten derselben erkennen wir in Athen, unter Perikles Führung dem Vororte Griechenlands im politischen wie im künstlerischen Kreise. Die äusseren Bedingungen, welche Athen die Herrschaft in der Kunstwelt brachten, der belebende Einfluss des öffentlichen Lebens, der Poesie u. s. w. auf die bildenden Künste sind bekannt genug. Der höchsten Kunstblüthe im Perikleischen Zeitalter sind die letzten Meister der eben betrachteten Zeit nahe gerückt. Zur unmittelbaren Vorbereitung diente das Abstreifen der alten Typen, der Fortschritt von der äusseren Naturwahrheit zum innerlich wahren, unbeschränkten Realismus, der nicht bloss Leben scheint, sondern Leben ist.
Diese Tendenz verfolgen nebst dem Pythagoras aus Rhegium (73–87. Olymp.), (von dem Plinius rühmt, er habe zuerst Nerven (Sehnen) und Adern ausgedrückt, und die Haare sorgfältiger, d. h. in freieren Partien und auf Licht und Schatten berechnet, behandelt, sowie Diogenes Laertius den Rhythmus und die Symmetrie seiner Gestalten lobend anführt, dessen Hauptwerke Apollon als Kitharöde und Schlangentödter, ein geflügelter Perseus, der schmerzdurchwühlte Philoktet und Athletenbilder bilden) zwei Zeitgenossen des Phidias, die in Athen thätigen Kalamis (80. Olymp.) und Myron.
Kalamis übersah das ganze äussere Gebiet der Bildnerei, und durfte sich der grössten Vielseitigkeit seines technischen Talentes rühmen; die grösste Vollendung aber nahmen seine Rossegestalten in Anspruch.
Beschränkter in der Wahl des Materiales, meist nur als Erzbildner (äginetische Mischung) erscheint Myron, desto mannigfacher in der Wahl der Gegenstände: Götterbilder, Heroen (Perseus, Erechtheus), Athleten (unter diesen der Läufer Ladas und der Diskuswerfer), Genrebilder, wie eine betrunkene Alte aus Marmor, und schliesslich Thierbilder, keines berühmter, als die durch 36 Epigramme verherrlichte Kuh, stammen von seiner Hand. In allen diesen Werken wird der vollendete Realismus, der scharfe Auffassungssinn des Künstlers und seine Geschicklichkeit, flüchtige Momente festzuhalten und den Ausdruck derselben jedem einzelnen Körpergliede zur höchsten Harmonie einzuverleiben, gerühmt. Auch konnte ohne eine lebensvolle Naturwahrheit die Schilderung z. B. des Schnellläufers oder des Diskobols[24] gar nicht versucht werden.
§. 45.
Nachdem das äussere Formengerüste der Plastik vollendet, die Ausdrucksmittel für die bildende Phantasie reich vermehrt waren, konnte wieder die auf der unmittelbar vorhergehenden Stufe nicht so deutlich vortretende Ideenfülle in die Gestalten verkörpert und der erhabene Idealismus, in der älteren Zeit auf Kosten der Formenwahrheit ausgebildet, nun auf Grundlage formeller Vollendung neu geschaffen werden. Darin liegt des grössten griechischen Künstlers — Phidias Bedeutung. Für seine umfassende Thätigkeit bürgt die Zahl der Künstler und Handwerker, die seiner Leitung anvertraut waren: Holz-, Metall- und Marmorarbeiter, Maler, Buntweber, Ciselirer, und seine ordnende Theilnahme an den Bauten des Perikles; auch seine technische Meisterschaft kann nicht in Zweifel gezogen werden, charakteristisch jedoch für seine Stellung in der Kunstgeschichte bleibt, dass seine Phantasie von der religiösen Substanz des Volkslebens sich nährte und er die religiösen Ideale in seinen Gebilden nicht allein mit innerer Wahrheit wiedergab, sondern auch schöpferisch weiter bildete.
Phidias, des Charmides Sohn, mag etwa 70. Olymp. geboren sein, sein Tod (im Gefängnisse) fällt in Olymp. 87, 1, etwa in sein siebenzigstes Lebensjahr. An der Spitze seiner Werke, nicht der Zeit, aber der Grösse nach, steht der thronende Zeus im Tempel zu Olympia,[25] aus Gold und Elfenbein über einem Holzkerne (als Chryselephantine) gebildet, auf dem Haupte einen Kranz aus Oelzweigen, in der Rechten die Nike, in der Linken das Scepter haltend, den Oberleib unverhüllt, vom Schosse herab in ein faltenreiches Goldgewand gekleidet, so erschien der wieder lebendig gewordene Göttervater.[26] Von besonderer Wirkung waren bekanntlich die Augenbraunen und das Haar. Gold, Ebenholz und Elfenbein bildeten den Stoff des Thrones, an dessen Füssen vier Viktorien standen, wie an der Rücklehne die Grazien und Horen; auch die Querleisten, welche die Füsse des Thrones verbanden, Schemel und Basis, waren mit reichem Bildwerke verziert, das Ganze von einer Brustwehr, daran Gemälde des Panänus, umgeben. Nur einmal schuf Phidias den Jupiter, siebenmal dagegen Pallas Athene; hier wie dort blieb seine Auffassung des Gottes für die Folgezeit maassgebend. Die berühmtesten unter den Minervabildern waren: Athene Parthenos auf der Akropolis, eine Chryselephantine, die Athene Promachos ebendort aus Erz in kolossalen Verhältnissen, und die zarter gehaltene Lemnische Minerva, von den Lemniern auf die Akropolis geweiht.[27] Ausserdem werden als Werke des Phidias eine Aphrodite Urania, aus Elfenbein und Gold, eine andere aus Marmor, Hermes in Theben, Apollon aus Erz auf der Akropolis, eine auf den Speer sich stützende Amazone, die Statue des Miltiades u. a. angeführt. Bekanntlich wird auch der eine Koloss auf Monte Cavallo zu Rom, in der Kaiserzeit verfertigt, durch die nachträgliche Unterschrift und von der Tradition auf Phidias zurückgeführt.
Weder von Phidias, noch von seinen namhaften Schülern: Agorakritos (Nemesis zu Rhamnus), Alkamenes (Olymp. 84–94), von welchen zahlreiche Götterbilder (Aphrodite, Ares, Hephaistos) und eine Giebelgruppe am Zeustempel zu Olympia herrühren, und Kolotes sind Werke auf uns gekommen. Doch besitzen wir in den Skulpturen am Parthenon, Theseustempel und zu Phigalia ausreichende Zeugnisse von der Höhe der Kunst im Zeitalter und in der Schule des Phidias.
Die Parthenonskulpturen, zum grössten Theile unter dem Namen der Elgin-marbles im brittischen Museum verwahrt, zerfallen in die beiden Giebelgruppen — Ostgiebel: die Erscheinung der Athene im Götterkreise; Westgiebel: der Streit Poseidons mit Athene — in 92 Metopentafeln, Kampfscenen geweiht und in das 528' lange, 3 ⅕' hohe Friesrelief, welches an der Cellawand herumlief und den Festzug der Panathenäen nach der Akropolis zum Gegenstande hatte. Der Zustand der Giebelgruppen ist leider der schlechteste, und dieselben uns nur fragmentarisch erhalten. Doch reichen diese Fragmente (vom östlichen Giebel: das mit den Köpfen aus dem Ozean emportauchende Gespann des Helios, der ruhende Theseus, zwei sitzende Göttinnen (Fig. 44), die eilende Iris, und von der anderen Giebelhälfte drei ruhende Göttinnen und der weltberühmte Pferdekopf zum niedertauchenden Gespann der Nacht gehörig; vom westlichen Giebel mehrere Torsos und die Statue des Ilyssus) vollkommen hin, die technische Vollendung, die Schönheit und Wahrheit der einzelnen Gestalten, die poetische Fülle der Gedanken und die Unübertrefflichkeit des Styles, d. h. die meisterhafte Verbindung der Skulpturen unter sich und mit dem architektonischen Hintergrunde bewundern zu lassen. Den gleichen Ruhm der Vollendung nimmt auch der Fries für sich in Anspruch. Auf blauem Hintergrund in flachem Relief dargestellt, die Köpfe aller Figuren gleich hoch, mögen sie Reitern, Fussgängern oder Sitzenden angehören, in scharfen Umrissen vom Grunde sich abtrennend, bilden sie für den reinen Reliefstyl mustergiltige Beispiele.
Die Friesbilder des Theseustempels stellen den Kampf des Theseus mit den Pallantiden, und jenen der Centauren mit den Lapithen, der innere Fries im Apollotempel zu Bassae bei Phigalia die Schlacht der Griechen gegen die Amazonen und wieder den Kampf der Lapithen und Centauren dar. Es bedarf keines Beweises, wie vortrefflich diese Motive zur plastischen Verkörperung sich eignen, und wie meisterhaft dieselbe den athenischen Künstlern gelang. Vom Zeustempel zu Olympia haben sich nur wenige Metopenbilder erhalten; die Giebelgruppen des Alkamenes und Päonius aus den Trümmern wieder zu gewinnen, ist noch immer die Hoffnung nicht verschwunden. Schliesslich müssen noch die Karyatiden am Erechtheum als Werke aus dem Zeitalter des Phidias erwähnt werden. Von dem reichen Künstlerkreise, der sich an Phidias anschloss und gleichzeitig mit ihm oder bald nach ihm in Athen wirkte, haben sich nur die Namen (Kallimachus, Demetrius, Lykios u. A.) erhalten.
§. 46.
Mit Phidias theilt den Lehrer, theilt weiter