Handbuch der Kunstgeschichte. Springer Anton
Читать онлайн книгу.Lysippischen Herakles das Walten eines bestimmten Gesetzes, und in der übermenschlich mächtigen Körperlichkeit des letzteren den natürlichen Schluss der Götterbildungen zu erkennen.
An jeden der genannten Meister schliesst sich ein zahlreicher Künstlerkreis an.
Um Skopas gruppiren sich Leochares (Ganymed), Bryaxis (Olymp. 117) (Serapis), um Praxiteles dessen Söhne: Kephisodot und Timarchos; andere athenische Künstler dieses Zeitalters sind der Autodidakt Silanion (sterbende Jokaste), Apollodor u. A.
Der sikyon-argivischen Schule werden eingefügt: der Maler Euphranor, zwischen dem alten und neuen schlankeren Kanon der Verhältnisse schwankend und Subtilitäten im Ausdrucke (Paris, in dessen Gesicht der Liebhaber, der Held und der Schönheitsrichter gleichmässig zum Vorschein kam) zugeneigt; Lysistratos auf äussere Naturwahrheit bis zum Extreme bedacht (Erfinder der Gypsmasken), Daippos, Boedas und Euthykrates des Lysipp Söhne, Eutychides (Tyche von Antiochia), dessen Schüler Chares (Koloss des Sonnengottes zu Rhodus) u. A.
Einen theilweisen Ersatz für den Verlust fast aller Originalwerke dieser Periode, obgleich in der Plastik die Kluft zwischen der Kopie und dem Original minder schroff ist, als in der Malerei, besitzen wir in dem reizenden Friese am Monumente des Lysikrates: Dionysos sich an den tyrrhenischen Seeräubern rächend, und in den Reliefs am Harpagosdenkmale zu Xanthus. Wiewohl namenlos, besitzen diese Werke den Vorzug untrüglicher Originalarbeit aus dem vierten Jahrhundert.
§. 48.
Alexanders des Grossen Siege verbreiteten den griechischen Ruhm und die griechische Bildung in den weitesten Kreisen. Die Begründung neuer Reiche durch seine Nachfolger führte auch der Kunst neue Thätigkeitssphären zu. An Mangel an Beschäftigung durften die bildenden Künste so wenig klagen, als die Architektur, wohl aber bleibt die Vergeudung der Kräfte für Eintagszwecke bei Gelegenheit von Todtenfeiern, Festzügen u. s. w. zu bedauern. Das eigentliche Griechenland, die bisher herrschenden Kunstschulen treten in den Hintergrund, die griechischen Grenzländer werden der Mittelpunkt wie der politischen Macht, so auch der künstlerischen Thätigkeit.
Die wichtigste Stelle nimmt die Kunstschule von Pergamos ein, vertreten durch Isigonos, Phyromachos (Olymp. 120), Stratonikos und Antigonos. Gegenstand ihrer Werke waren die Schlachten des Attalos und Eumenes gegen die Gallier. Fragmente dieser Gruppenbilder haben sich in dem sterbenden Fechter (kapitol. Museum) und der Gruppe des sogen. Paetus und Arria (Villa Ludovisi) erhalten. Kunstgeschichtliche Bedeutung gewinnt diese Richtung durch das tiefe Erfassen und überaus wirkungsreiche Wiedergeben der Situation, dann aber durch das Eingehen auf die Mannigfaltigkeit der Körperbildung bei den verschiedenen Stämmen. Die allgemeine Idealität der Körperbildung hat ihre Geltung verloren, gegenüber gewaltiger realer Charakterschilderung.
Eine zweite Kunstschule breitet sich auf Rhodus aus. Wir kennen mehr als 20 Künstlernamen und haben auch sonst Nachricht von dem ausgedehnten Kunstbetriebe auf der üppig blühenden, handelsreichen Insel. Wir besitzen aber nur zwei Werke, welche uns über die Richtung der rhodischen Schule aufklären, und auch von diesen ist das berühmtere, die Laokoongruppe im Vatikan, von Agesandros, Polydoros und Athenodoros aus Rhodus gefertigt, noch immer in Bezug auf seine Entstehungszeit, ob in der Periode der Diadochen, oder in der römischen Kaiserzeit geschaffen, einzelnen Zweifeln unterworfen. Das andere Werk, von Tauriskos und Apollonios gearbeitet, und Dirkes Schleifung durch den Stier mit Zethos, Amphion und Antiope als Theilnehmer vorstellend, wird unter dem Namen des farnesischen Stieres in Neapel verwahrt. Die meisterhafte Bewältigung des Materiales, die überall durchdringende anatomische Kenntniss, der ruhige Aufbau der Gruppe und daneben die grossartige Bewegung in den Einzelgestalten stellen den Laokoon in die erste Reihe der Antiken, obzwar dies Werk schon nahe an der Grenze des Plastischen liegt und eine gewisse Berechnung in der Composition nicht verbirgt.
Ueber das Schlussschicksal der griechischen Bildnerei nach der Zerstörung von Korinth sind wir auf wenige lückenhafte Nachrichten angewiesen. Eine Unterbrechung der Kunstthätigkeit ist keineswegs anzunehmen, ihr Hauptschauplatz aber allerdings in Rom und Italien zu suchen. Die athenische Geburtsstätte der meisten namhaften Künstler macht die ununterbrochene Fortübung der Bildnerei in Athen sehr wahrscheinlich. Während wir für die früheren Perioden entweder die blossen Künstlernamen oder namenlose Werke besitzen, ist in diesem Zeitalter die Inschrift des Künstlers auf seinem Werke nicht selten. Wir kennen den vielbewunderten Heraklestorso im Vatikan als das Werk des Apollonius; der sogen. farnesische Herkules zu Neapel aus der ersten Kaiserzeit wurde von Glykon, die mediceische Venus von Kleomenes, die sogen. Germanikusstatue (Hermes) im Louvre von einem anderen Kleomenes, die Karyatiden am Pantheon des Agrippa von Diogenes, sämmtlich Athenern, gefertigt. Neben Athen bleibt Kleinasien die Heimath zahlreicher Künstler, wie Ephesus, woher Agasias der Schöpfer des borghesischen Fechters im Louvre, Priene, woher Archelaos (die Apotheose des Homer, Relief im brittischen Museum) stammt, ebenso Aphrodisias u. s. w.
§. 49.
Einseitige ästhetische Lehrmeinungen haben den Glauben an die Farblosigkeit der griechischen Kunst, an die untergeordnete Bedeutung der Malerei aufgebracht. Es galt als ein Frevel an dem idealen Formensinn der Hellenen, die zureichende Kraft der blossen Linie ohne eine belebende Nachhülfe durch die Farbe zu bezweifeln; es erschien der plastischen Natur dieses Volksstammes widersprechend, dass es auch eine reiche malerische Phantasie entwickle. Unbestreitbaren Thatsachen gegenüber sind beide Ansichten unhaltbar geworden; es muss nicht allein der Malerei eine ausgedehnte Pflege und hohe Blüthe im griechischen Alterthum zugeschrieben werden, auch die Skulptur hat zweifellos die Mitwirkung der Farbe nicht verschmäht, gleich der Architektur die Anwendung der Polychromie gestattet. Ein strenges System der Polychromie der griechischen Skulptur lässt sich bei dem mannigfachen Grade und der vielfachen Abstufung der üblichen Bemalung nicht füglich aufstellen. Es gehört zur Polychromie bereits der Gebrauch eines verschiedenen Materiales für die nackten Theile und die Gewandung, sei es nun eines grobkörnigen Steines für die Gewandung (und männliche Gestalten), eines feinkörnigen für die Fleischtheile, wie in Selinunt, oder Holz und Marmor, Elfenbein und Goldblech, ebenso wie die Bemalung der Kleidersäume, die Vergoldung der Haare und Waffen, und die angebliche vollständige Uebermalung, für welche einzelne Archäologen den Beleg in der Erzählung des Plinius von der »circumlitio« praxitelischer Marmorbilder durch den Maler Nicias finden wollen, obgleich wahrscheinlich dieses Wort nur die farbige Einfassung der Gewandränder, Haare (oder einen enkaustischen Wachsüberzug?) bedeutet. Farbenreste sind an den erhaltenen Monumenten, sowohl an den Tempelskulpturen, wie an freistehenden Statuen in so grosser Zahl nachgewiesen worden, von den äginetischen und lycischen Skulpturen bis zur mediceischen Venus herab, dass die allgemeine Sitte der Polychromie kaum bezweifelt werden kann; nur ging dieselbe nicht so weit, dass sie den plastischen Werken einen bunten Ausdruck verlieh, oder eine auch im Kleinen und Besonderen durchgeführte Naturwahrheit anstrebte. Namentlich Marmorwerke traten dem Beschauer in wesentlich weisser Erscheinung entgegen. Wir finden den Augenstern durch Farbe bezeichnet, und damit die Richtung des Blickes bestimmt oder aus edlem Materiale eingesetzt, die Haare vergoldet, die Lippen bemalt (Aegineten), die Gewandsäume mit farbigen Zierathen bedeckt, auch wohl das ganze Gewand mit Farbe angestrichen (vatikanische Amazone), die Attribute, Waffen, Pferdegeschirre von Metall angesetzt u. s. w. Im Allgemeinen ist also die Farbe nur als belebender Schmuck verwendet, das zufällige äussere Zugehör ungleich reicher und ausführlicher bemalt, als die organischen Glieder, das Nackte bei den Erz- wie bei den Marmorbildern in der natürlichen Farbe des Materiales belassen, kurz die gleichen Grundsätze hier festgehalten, welche an der Polychromie der Architektur wahrgenommen werden. Auch dort dient die Farbe dekorativen Zwecken, oder zur schärferen Abhebung und Trennung der einzelnen Glieder, die grösseren Massen jedoch bleiben von derselben befreit.
Bleibt trotz aller Zugeständnisse an die Polychromie das Wesen der Plastik unberührt, und uns vergönnt, an einfachen ungefärbten Gypsabgüssen die eigenthümliche Schönheit des griechischen Formensinnes zu studiren: so können wir auch ohne Bedenken