Handbuch der Kunstgeschichte. Springer Anton
Читать онлайн книгу.freilich besitzen dieselben nur stofflichen Werth, wie die Geschenke des Krösus und die nach Olympia geweihte Jupiterstatue aus Gold des Kypselos; aber schon die Lade desselben Kypselos mit eingelegten Gold- und Elfenbeinbildern nimmt auch künstlerischen Werth für sich in Anspruch. Als dann nebst den Göttern auch die Heroen zur Darstellung kommen, die öffentlichen Spiele nicht allein den plastischen Sinn anregen, sondern auch in den Bildsäulen der Sieger (spätestens seit der 59. Olym.) dem Künstler zahlreiche Stoffe darbieten, musste die Unförmlichkeit der alten Werke rasch verlassen werden. Im Kreise der Tempelkunst allein behielt dieselbe eine längere Dauer; selbst als die Künstler es schon besser verstanden, scheuten sie sich, die traditionellen Typen zu verletzen, und die Verehrung des Volkes galt stets mehr dem durch das Alterthum Ehrwürdigen, als dem vollendeten Formenideale.
Wir stossen im Anfange nur auf vereinzelte Künstler und Künstlergruppen, ohne ihren Zusammenhang mit der früheren und späteren Kunstbildung zu erkennen. Bloss bei den als Marmorbildnern berühmten Dipönos und Skyllis auf Kreta werden wir auf Dädalus als ihren Kunstahnen verwiesen und erfahren von ihren zahlreichen Schülern in Sparta. Sonst werden noch Künstler in Theben, Korinth, Elis, auf Paros angeführt; wir kennen auch die Namen von Smilis auf Aegina, dessen Gestalten noch eingeschlossene Beine besassen, von Melas, Bupalos, dem Caricaturenbildner, dessen Werke noch im kaiserlichen Rom geachtet waren, auf Chios, von Rhökos, Theodoros, Telekles auf Samos, und besitzen auch die Namen ihrer Werke und von jenem des Magnesiers Bathykles, dem Apollothrone zu Amyklä eine nähere Beschreibung des Inhaltes, aus welchem auf die Lebenszeit des Künstlers in der 50. Olymp. geschlossen wird; doch fehlen uns alle genaueren Merkmale über den künstlerischen Charakter der Arbeiten dieser Männer. Unsere Kenntniss desselben müssen wir aus den namenlosen Werken holen, welche mit dem Gepräge des höchsten Alters ausgestattet, mit Fug und Recht in diese erste Periode der griechischen Kunst versetzt werden. Es sind dies die Reste von etwa 60 Statuen an der heiligen Strasse von Milet, mehrere Apolloköpfe, das Fragment eines Basreliefs aus Samothrake: Agamemnon (Fig. 42, a) mit zwei Heroen (aus der 70. Olymp.) ein Basrelief: Apollon (Fig. 42, b) mit Herkules um den Dreifuss kämpfend, ein Basrelief einer Brunneneinfassung von Korinth: die Versöhnung des Herkules, der dreiseitige Zwölfgötteraltar im Louvre, mehrere Nachbildungen alter Schnitzbilder in Marmor (Minervastatue in Dresden, eine andere aus Herkulanum), die Reliefs am Harpyengrabe zu Xanthos u. a. Diese Werke vertreten einen langen Zeitraum, sind keineswegs alle in gleicher Weise gebildet, besitzen aber doch der gemeinsamen Merkmale so viele, dass sie zur Charakteristik einer und derselben Kunstperiode zusammengefasst werden können.
Wir finden in einzelnen Fällen eine ganz unbestimmte Zeichnung, charakterlose Köpfe, anliegende Beine, eine schwere künstliche Haarbildung. Bei den besseren und vielleicht späteren Werken tritt an die Stelle der säulenartigen Steifheit eine heftig ausschreitende Bewegung oder ein zierlicher Tanzschritt; die Gewänder sind steif und geradlinig gefältelt, die Verhältnisse gedrungen, die Muskeln übertrieben, die Umrisse hart. Die Künstlichkeit in der Haarbildung dauert fort. Mit Recht erblickt man in diesen Merkmalen, sowie in der Unfähigkeit, die allgemeinen, nur durch äussere Kennzeichen unterschiedenen Typen zu idealen Charakteren fortzuführen, die Nachwirkungen des alten Tempelstyles, und begreift die Kunst der ganzen Periode unter dem Namen der hieratischen um so mehr, als es auch an äusseren Anklängen an Kultusgebräuche, z. B. in der Haltung der Finger, nicht fehlt. Das Ruhenlassen des ersten Fingers auf dem Daumen ist eine Nachahmung der Adorationsgeberde.
§. 43.
Noch im hieratischen Style, aber durch einen mannigfachen Lokalcharakter bereits verschieden gefärbt, erscheinen die Werke der ältesten Kunstschulen, auf welche wir nach der 60. Olymp. stossen.
Aegina. Glaukias, der Athletenbildner, Anaxagoras, dessen Kolossalstatue des Jupiter in Erz gegossen, Herodot und Pausanias erwähnen, Kallon, dessen Lebenszeit in Folge verworrener Nachrichten bald in die 60., bald in die 70. Olymp. gesetzt wird, und vor allen Onatas (78. Olymp.) in vielseitiger Thätigkeit glänzend (der eherne Apoll in Pergamus, eine Gruppe der griechischen Helden vor Troja, eine Kriegergruppe, beides Weihgeschenke in Delphi, ein Viergespann u. s. w.), in Epigrammen wegen der Göttlichkeit seiner Gebilde gefeiert, füllen den Rahmen der äginetischen Schule aus. Den Schulcharakter der Aegineten zu erkennen, bieten die in München bewahrten Giebelskulpturen vom Minervatempel auf Aegina (u. 78. Olymp.) die trefflichste Gelegenheit. Die minder gut erhaltene Gruppe des Ostgiebels stellt Laomedons Tödtung durch den von Herakles begleiteten Telamon, die westliche Giebelgruppe den Kampf der Trojaner und Achäer um Patrokles Leichnam vor. Verwundete Krieger füllen die Giebelecken aus, die linke Seite des Giebels zeigt Ajax, des Oileus Sohn (Fig. 43), Teuker den Bogenschützen und den vorkämpfenden Ajax, den Telamoniden mit geschwungenem Speere und vorgehaltenem Spiesse; durch die Kolossalfigur der Minerva in der Mitte des Giebels und den zu ihren Füssen zum Tode hinsinkenden Patrokles getrennt, stürmen in der rechten Giebelseite Hektor, Paris u. A. einher, jede einzelne Gestalt der einen Seite mit der entsprechenden der anderen Seite in strenger Uebereinstimmung gedacht. Eine zurücktretende Stirn, künstlicher Haarschmuck, hinaufgezogene Mundwinkel, ein kräftiges Knie, kurzer Leib, stark vortretende Brustknorpel, spitzes Knie, in der Muskelbildung, wie überhaupt in der ganzen Anlage des Leibes die sorgfältigste Naturwahrheit sind die Merkmale dieser äginetischen Giebelgruppe. Bemerkenswerth ist die viel grössere Vollendung und Individualität der Körper im Verhältniss zu den typischen Köpfen, und der Naturalismus in den einzelnen Helden im Vergleich zu der im strengen Tempelstyle gebildeten Göttin.
Athen. Schon die Alten führen die attische Schule im Gegensatze zur äginetischen an. Welche unterscheidenden Merkmale der einen und der anderen eigen sind, lässt sich nicht mit Genauigkeit angeben; da aber der schärfste Naturalismus in der Bildung der einzelnen Körperformen bei einer gewissen schwerfälligen Härte in der Composition die Aegineten besonders auszeichnet, so dürfte wohl ein minder scharfer Naturalismus, dagegen ein feineres Stylgefühl den Charakter der attischen Schule bezeichnen. Von den altattischen Künstlern werden namentlich angeführt: Antenor (67. Olymp.), der Verfertiger der Statuen der Tyrannenmörder; Endoeus, von welchem sich vielleicht ein Athenebild in Athen erhalten hat; Hegias (oder Hegesias), Kritios, Nesiotes, beide gemeinschaftlich wirkend, und Aristokles, dessen Grabstele eines marathonischen Kriegers im flachen Relief, eines der wenigen erhaltenen altattischen Monumente bildet. Die Gestalt des Kriegers steht hinsichtlich der Naturwahrheit nicht unter den Aegineten, namentlich wird die Behandlung des Panzers und der Schienen, die kräftige Zeichnung der Muskeln gerühmt, sie übertrifft aber dieselben in der Freiheit der Bewegung, in dem Rhythmus der Composition.
Sikyon. Der erste und grösste Künstler dieser Schule, Kanachus der Aeltere (u. 67. Olymp.), ist trotz des Ruhmes, den Sikyon im Erzgusse geniesst, auch über das übrige Material der Skulptur, Holz, Elfenbein, Marmor (?) Herr. Von seinem milesischen Apollon mit dem Hirschkalbe auf der Hand, hat sich ein Nachbild (brittisches Museum) erhalten. Der Bruder des Genannten, Aristokles, setzt die Schule fort, die bis zur 100. Olymp. (Sostratos, Pantias) ihren Zusammenhang und Lokalcharakter bewahrt, ohne dass wir Näheres über den letzteren anzugeben im Stande sind.
Argos. Mit Eutelidas und Chrysothemis (65. Olymp.) beginnt die stetige argivische Schule, deren letztes Glied, Ageladas, (70–81. Olymp.) allein eine allgemeinere Bedeutung in Anspruch nimmt. Diese Bedeutung stützt sich für uns, die wir seine Werke (Zeus als Knabe, unbärtiger Herakles, Muse mit dem Barbiton — nicht das Original der sogen. barberinischen Muse in München — Reiter, Viergespann u. s. w.) nicht kennen, vorzugsweise auf sein