Handbuch der Kunstgeschichte. Springer Anton
Читать онлайн книгу.ein. Den Mangel an architektonischem Schmucke (nur die Ecken sind mit Stäbchen eingefasst) ersetzt das farbige Bildwerk, womit die Mauern bis zum Gesimse bedeckt sind. Obelisken und Kolosse stehen vor den Pylonen, Flaggenstangen waren an denselben befestigt. Dem Pylonenbaue folgen zuerst unbedeckte, von einem Säulengange umschlossene (Fig. 26, b), dann bedeckte vielsäulige Räume. Die Hallen verengen und verkleinern sich, bis man zu dem kleinen unbeleuchteten Heiligthume (d) gelangt, welches in einzelnen Fällen aus dem Felsen gehauen ist. Neben und hinter der Cella setzen sich die Nebenräume fort. Nur spätere und kleinere Tempel weichen von dieser reich zusammengesetzten Anordnung ab, so z. B. die sogen. Typhonien oder Mammisi, die Geburtsstätten der Götter bei Elephantine, Philae, Edfu, Tentyrah u. s. w. Sie sind von Säulen umschlossen und ohne alle Böschung oder Abschrägung erbaut. Dadurch, dass die Säulen durch Zwischenmauern verbunden sind und an den Ecken Mauerpfeiler vortreten, geht der Eindruck des von Säulen getragenen Hauses wieder verloren.
§. 28.
Von den einzelnen Baugliedern verdient die Säule die ausführlichste Betrachtung. Ihr Gebrauch in Aegypten ist ebenso ausgedehnt, als ihre Formen mannigfach. Gewöhnlich ist die Säule durch eine kreisrunde Scheibe mit dem Boden verknüpft. Der cylindrische, bereits an der Basis geschwellte Stamm ist bald glatt, bald gefurcht (Fig. 30, c) und mit horizontalen Bändern versehen. In der Regel bedecken ihn auch Hieroglyphen und Bildwerk. Noch mannigfacher als der Schmuck des Stammes ist die Form des Kapitäls. Bald ruht auf dem Stamme eine einfache viereckige Platte (Beni Hassan), bald steigt das Kapitäl als weit ausladender Blumenkelch (Fig. 30, a) aus dem Stamme empor. Eine minder organische Form zeigt Fig. 30, b, wo das unten ausladende Kapitäl nach oben wieder eingezogen erscheint. Eine vierte Variation bildet das Maskenkapitäl. Die vier Seiten eines Würfels sind zu Köpfen ausgearbeitet, über welchen sich noch eine kleine Tempelarchitektur erhebt (Tentyrah). Wenn auch Einzelnheiten an den Säulen, wie z. B. die Kannelirung des Schaftes (c), an griechische Formen erinnert, so liegt dennoch kein Grund zur Annahme einer unmittelbaren Ableitung der letzteren aus den ägyptischen Säulen vor. Die Motive für die Form und die Dekoration sind einheimischen Pflanzen entlehnt, ob der vielgenannten Lotosblume, haben neuere Forschungen wieder fraglich gemacht. Den grössten Schmuck erhielten die Säulen durch ihre Bemalung. Für die Blätter wurde wie natürlich die blaue und grüne, für die dazwischen gestellten Hieroglyphenschilder und den Grund die rothe und gelbe Farbe gewählt. Nächst den Säulen kommen auch viereckige und polygone (Fig. 30, d) Pfeiler, selbstständig und mit vortretenden, aber nicht stützenden Statuen verbunden, vor. Ein schmaler Würfel lagert auf den Kapitälen und verbindet die Säule mit den deckenden Steinbalken. Als Regel kann man wohl die flache Bedeckung der ägyptischen Bauwerke annehmen, doch war auch die Wölbekunst den Aegyptern nicht unbekannt. Die sogen. pelasgische Wölbung, dadurch gebildet, dass die Steine der vertikalen Mauern nach oben immer mehr vortreten, bis sie durch einen einzigen Block geschlossen werden konnten, kommt nicht selten vor; auf eine seltenere Form des Scheingewölbes stösst man im Tempel zu Abydus. Der Steinbalken reicht wie bei der flachen Decke von Pfeiler zu Pfeiler; er liegt aber mit seiner Schmalseite auf und ist in seiner unteren Hälfte zu einem Rundbogen ausgehauen. Solche Scheinwölbungen haben nichts besonderes an sich; wichtiger sind die Entdeckungen eines nach dem Keilschnitte gearbeiteten Ziegel- und Steingewölbes. Das letztere, in den Pyramidengräbern gefunden, reicht in das 6. Jahrhundert v. Chr., die Ziegelbogen aber in der Nekropole zu Theben gehen sogar bis in das Jahr 1540 v. Chr. zurück. Auch das 12' weit gespannte Tonnengewölbe der Nebenhallen am sogen. Grabe des Osymandyas stammt aus der Zeit des grossen Ramses. Man kann immerhin diesen frühen Gebrauch des Bogens und der Wölbung zugeben, nur darf man nicht aus der Erinnerung lassen, dass sich in späteren Zeitaltern auf den Bogen der ganze Baustyl gründet, während diese ägyptischen Bogen auf das Prinzip der heimischen Architektur nicht den geringsten Einfluss genommen haben. Bei Felsbauten lag übrigens die gewölbeartige Rundung der Decke sehr nahe. Auch wo die Felsdecke nicht wie bei dem Grabe in Saqâra mit Steinplatten belegt, durch das Steingewölbe gestützt ist, wird jene häufig in der Form eines flachen Kreissegmentes geführt (Beni Hassan).
§. 29.
Alle Flächen an den ägyptischen Baudenkmalen waren mit Bildern bedeckt, die meisten architektonischen Glieder und die Reliefs farbig dargestellt. Die Rechtfertigung der Polychromie ist gegeben, sobald man den nordischen Luftton und die nordischen Vorurtheile vergisst, und die plastische Technik der Aegypter berücksichtigt. Die tief geschnittenen, nicht scharf sich abhebenden Reliefs verlangten eine Nachhülfe durch die Farbe; diese aber konnte in einem Lande, wo die Luft selbst in Farbengluth strahlt, schon reich und kräftig genug aufgetragen werden, ohne Gefahr, in schreiende Misstöne zu verfallen. Rückten durch die consequente Bemalung der Skulpturen die beiden Gattungen der bildenden Kunst bereits einander nahe, so wird diese Verwandtschaft durch den technischen Vorgang bei der Bildnerei noch erhöht. Nachdem der Künstler die Reliefs in rother Farbe skizzirt hatte, wurden vom Zeichner die Umrisse mit schwarzer Farbe nachgezogen, dann erst kam der eigentliche Bildhauer an die Arbeit. Ein eigenthümlicher plastischer Styl, im Gegensatze zu dem in der Malerei üblichen, hatte kein Dasein.
Gleich den assyrischen Bildtafeln, mit welchen sie auch sonst eine mannigfache Verwandtschaft haben, ziehen die ägyptischen Basreliefs die nächste Aufmerksamkeit durch ihren Inhalt auf sich. Wir lernen in dieser ausführlichsten Chronik der Welt das öffentliche und Privatleben des Volkes kennen, wir begleiten in den Skulpturen zu Karnak das ägyptische Heer nach Asien, wohnen zahlreichen Schlachten, Belagerungen und Einzelkämpfen bei; wir machen an der südlichen Aussenwand des Tempels den Zug des kriegerischen Scheschonk gegen Jerusalem mit, und lernen die Grösse der Pharaonen im Felde, die Pracht ihrer Triumphzüge kennen. Noch mannigfacher ist der Inhalt der Skulpturen und Malereien in den Felsengräbern, bei welchen auch die Form weniger beengt, der individuellen Phantasie ein grösserer Spielraum gegönnt erscheint, als bei den Tempelbildern. Nächst der Schilderung der Zustände nach dem Tode und biographischer Züge aus dem Leben des Verstorbenen haben die Künstler auch allgemein gültige Lebensbilder hier entworfen, und weder Fleiss in der Ausführung noch Laune in den Motiven gespart. Der Glaube an die mürrische Verschlossenheit der alten geknechteten Aegypter weicht im Angesichte der frischen Genrebilder, an welchen besonders die Gräber zu Theben einen grossen Reichthum zeigen. Hier wohnen wir einem leckeren Gastmahle bei und sehen die Wirkungen des reichlich genossenen Weines; dort belauschen wir die Damen in ihrem Gespräche über Kleider und Juwelen. Selbst bei der Darstellung eines Leichenzuges konnte der Künstler den Kitzel sarkastischer Schilderung nicht vermeiden. Bei der Fahrt über den Todtenfluss muss gerade das mit Speisen beladene Boot umschlagen und uns in Ungewissheit lassen, ob die kreischende Klage des Gefolges dem Tode des Freundes oder dem Verluste des Leichenschmauses gilt u. s. w. Die Quelle aller unserer Kenntnisse über die Sitten und Gebräuche der alten Aegypter sind jene Bildwerke, und ihre Darstellung ist so treu, ihre Schilderung so genau und ausführlich, dass wir kaum die Gelegenheit erhalten, den Verlust der übrigen historischen Quellen zu beklagen.
Nicht im Stofflichen allein liegt jedoch das Verdienst der ägyptischen Kunst. Für die hohe Ausbildung des Formensinnes sprechen namentlich die Ornamente. Die Verzierungen der Decke in den Grabkammern, die Formen ihrer Meubel und namentlich der Vasen lassen an Reinheit der Linien, an geschmackvoller Zierlichkeit nichts zu wünschen übrig. Vieles, was wir als ein Eigenthum des griechischen Kunstsinnes zu betrachten gewohnt sind, ist ägyptischen Ursprunges, hier wenigstens viel früher im Gebrauche gewesen, als in Griechenland. Die Führung des Ornamentes in farbigen unter einem rechten Winkel gebrochenen Linien, in Wellen- und Zickzackform, weiter die sinnige Verwendung thierischer Gestalten zur Dekoration der Vasen, als Henkel und Deckel, sind in der ägyptischen Kunst ganz gewöhnlich. Die technische Geschicklichkeit und handwerkmässige