Handbuch der Kunstgeschichte. Springer Anton
Читать онлайн книгу.vor demselben durch Treppen mit einander verbunden drei Vorhöfe; eine Sphinxallee führte von diesen an den Fluss und in gerader Richtung auf den Reichs-Tempel in Karnak. Die folgenden Dynastien bauten näher am Flusse, im Thale selbst. Wieder vom Norden nach Süden wandelnd, stossen wir zuerst auf den sogen. Tempel von Qurna (Fig. 27), von Sethos I. und dessen Sohne Ramses II. erbaut. Er unterscheidet sich auffallend von den anderen Tempelanlagen durch die offene Säulenfaçade und seine geringe Tiefe bei beträchtlicher Breite. Etwas südlicher zwischen unförmlichen Trümmerhaufen liegt dann der grosse Tempel Ramses II., nach der einstimmigen Aussage aller Reisenden den schönsten Anlagen Aegyptens beizuzählen, besser unter dem Namen des Grabmales des Osymandyas bekannt. Hinter der geschlossenen Façade ziehen sich zuerst unbedeckte, dann bedeckte und von Säulen getragene Hallen hin, durch welche man zu zahlreichen kleineren Kammern und Heiligthümern gelangt. Vom Tempel des Amenophis III., in der Nähe von Medînet-Habu, haben sich nur die beiden Kolosse erhalten, welche einst den Eingang zum Tempel bewachten. Der nördliche derselben — sie mögen wohl ursprünglich 60' gemessen haben — ist als Memnonssäule durch die Sage von dem klingenden Grusse, den Memnon allmorgendlich seiner Mutter Aurora darbringt, berühmt geworden. Den südlichen Abschluss erhält Theben an dieser Seite des Niles durch den Tempel Ramses III., dessen isolirter, thurmartiger Vorbau die Wohngemächer des Königs enthielt und den Namen des Pavillons von Medînet-Habu führt. Wir steigen jetzt zur Stadt der Todten in das Gebirge empor.
Nur wenige Gräber reichen in die Periode des alten Reiches zurück, die meisten, jenseits Qurna im Asasifthale gelegen, fallen in das neue Reich. Die meisten Könige der 19. und 20. Dynastie, ihre Verwandten und Diener haben hier ihr Grab gewählt. Als die Tiefe der Felswände keinen Raum mehr bot, musste die steinigte Ebene vor denselben den Raum zum Begräbnisse leihen. So geschah es von der 26. Dynastie (700 v. Chr.) an. Ueber die Anlage der Königsgräber, die architektonisch unbedeutend, durch die Fülle und die Schönheit ihrer Wandmalereien glänzen, belehrt die nebenstehende Zeichnung (Fig. 28). Lange, schmale Gänge, mehr oder weniger steil und winklig angelegt, oft durch Treppen mit einander verbunden, führen in einen grösseren gewölbten Pfeilersaal, in dessen Mitte der königliche Sarkophag stand. Seitenkammern wurden nach rechts und links in den Felsen gebrochen, die erwähnte Gliederung des Raumes in Corridors und Säle oft wiederholt. Die jüngeren Gräber waren nur theilweise in den Felsen gehauen und zeichneten sich durch die grössere Zahl und Ausdehnung ihrer Vorbauten aus. Die Grundfläche einzelner solcher Gräber ist auf 23,148 ⎕ Fuss, die Länge einzelner Königsgräber von 40–440 rh. Fuss berechnet worden.
§. 26.
Jenseits Theben setzt sich die Monumentenreihe ununterbrochen fort. An Hermonthis und Esneh vorüber berühren wir Edfu mit dem prachtvollen Tempel des Horus und der Hathor, und an den Katarakten die Monumente von Philae und Elephantine. Sie stammen aus junger Zeit, wie die meisten nubischen Monumente; nur sind die letzteren von den Ptolemäern und römischen Kaisern nicht neu gebaut, sondern auf Grundlage alter pharaonischer Reste wieder hergestellt worden. In Gerf Hussên (fälschlich Girscheh genannt) beginnt ein von der gewöhnlichen Weise abweichender Tempelbau. Es ist der Tempel theilweise in den Felsen gehauen und nur der Vorbau aus Werkstücken gearbeitet. Den Pfeilern, welche die Decke der inneren Hallen tragen, treten, Karyatiden verwandt, mehr durch ihre Grösse als durch ihre Schönheit bedeutende Statuen vor. Eine gleiche Anordnung zeigt der Tempel zu Sebua, gleich dem oben genannten vom grossen Ramses gegründet. Vollständige Grottenbauten sind nebst dem Tempel zu Derri die zwei 1816 von Belzoni entdeckten Tempel von Abu Simbel, an den Katarakten von Wadi Halfa, nach ihrem Gründer auch Ramessopolis genannt. Die Façade des grösseren Tempels, durch einen schrägen Rahmen von dem Felsen geschieden, wird durch vier sitzende Kolosse ausgefüllt. Aehnliche Kolosse stehen auch mit gekreuzten Armen vor den Pfeilern in der Vorhalle, hinter welcher noch vierzehn Kammern in gerader und schräger Richtung in den Felsen getrieben sind. Von den Pyramiden und Tempelbauten auf dem Boden des alten Meroe (Assur, Naga, Merawe) wurde schon oben bemerkt, dass sie nicht der ältesten, sondern der jüngsten Zeit des ägyptischen Reiches angehören und wie der vermeintlichen geschichtlichen, so auch der kunsthistorischen Bedeutung entbehren. Aegyptens Macht hat sich bekanntlich zeitweise auch nach Asien erstreckt. Es lag im Charakter der ägyptischen Eroberer, ihre Züge durch Monumente zu verherrlichen. Doch sind die bis jetzt auf asiatischem Boden entdeckten Gedächtnissmale meist nur durch ihre Inschriften dem Forscher merkwürdig. Artistische Bedeutung besitzen unter denselben die Basreliefs, die Ramses-Sesostris bei Lycus in den Felsen eingraben liess.
§. 27.
Bei der Erwähnung der Pyramiden wurde bereits das eigenthümliche Bauprinzip der Aegypter: das krystallinische Wachsen der Bauten durch den Ansatz gleichartiger Theile, berührt. Um die erste Pyramidenschale, welche die Grabkammer barg, legte der König, je nach der Länge seiner Regierung, neue Steinschichten herum, so dass gewissermassen die Zahl der Steinmäntel Jahresringe vertritt. Ganz die gleiche Bauweise kommt auch bei den Felsengräbern vor. Je länger der Inhaber des Grabes lebte, desto mehr häufte sich die Zahl der Korridore und Pfeilersäle. Es ist zwar kein Mantelbau, wie bei den Pyramiden, vorhanden, aber dennoch die Erweiterung auch durch die Reproduktion der ursprünglichen Anlage gewonnen. Ein ähnliches Verhältniss findet schliesslich auch bei den Tempelbauten statt. Wir haben keine Baueinheit, kein geschlossenes Tempelhaus vor uns, bei welchem die einzelnen Theile nur als organische Glieder eines Leibes an ihm und nicht neben ihm auftreten, sondern ein System von Nebenbauten, gleichgültig aneinander gerückt und zu jeder beliebigen Erweiterung gefügig. Dazu kommt noch, dass das eigentliche Heiligthum, die Cella, vor der Grösse und Pracht ihrer Umgebung nahezu verschwindet, und ähnlich dem Kultus selbst, in ein dunkles Geheimniss sich hüllt. Rings um die Cella lagern sich zahlreiche Kammern, ihr voran gehen bedeckte und unbedeckte Hallen, und je weiter vom Heiligthume entfernt, desto gewaltiger und umfangreicher werden die Bauten. Keine geringe Belehrung gewährt in dieser Hinsicht die von Lepsius entzifferte Baugeschichte des Reichs-Tempels zu Theben. Der eine König umgab die Cella mit Kammern und legte ihr einen Hof vor, der andere vergrösserte diesen Bau durch die Anfügung einer Säulenhalle und neuer Kammern. Ein dritter (Sethos I.) setzte die riesige Säulenhalle an die bereits vorhandenen Vorbauten an, und diesem Hypostylos wurde nochmals ein offener von Säulen eingeschlossener Raum wieder vorgelegt. Konnten die Neubauten nicht mehr in der Achse der Cella angeschoben werden, so wurde die Fläche zwischen dem Tempel und den äusseren Umfassungsmauern mit architektonischen Anlagen erfüllt. Diese Vergrösserung der ägyptischen Tempel nach aussen, im Gegensatz zu der allmähligen Vertiefung der Gräber nach innen, wird bei der Mehrzahl derselben angetroffen.
Die Erklärung dieser unorganischen Bauweise muss man in dem ägyptischen Gottesdienste aufsuchen. Schon das Wenige, was wir von dem letzteren wissen, verhilft zum besseren Verständniss einzelner Bautheile. Auf die Prozession waren die endlosen, von Sphinxen begrenzten und von Thurmbauten — Triumphpforten vergleichbar — unterbrochenen Tempelstrassen berechnet, ebenso wie der majestätische Vorbau mit seinem farbigen Flaggenschmucke und instruktivem Bilderreichthume. Ja selbst noch in den Vorhallen setzt sich die Andeutung der Tempelstrasse fort. Die mittleren Säulen (Fig. 26, c) sind häufig erhöht und bei den vielsäuligen Räumen, die zu einer Reihe gehörigen Säulen stets mit gleichem Schmucke bedacht.
Die besondere Anordnung einer ägyptischen Tempelanlage war in der Regel folgende: Hatte man die äussere gepflasterte Tempelstrasse durchschritten, so kam man zu dem Pylonenbau (Fig. 26, a und Fig. 29). Zwei im Grundrisse rechteckig, im Aufrisse als gestutzte Pyramiden