Handbuch der Kunstgeschichte. Springer Anton

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Handbuch der Kunstgeschichte - Springer Anton


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Von eigentlicher malerischer Wirkung kann bei schattenlosen Silhouetten nicht die Rede sein; die Regel, zuerst den nackten Körper zu zeichnen und darüber erst das Gewand anzulegen, hinderte nothwendig die Entwicklung des Gewandstyles. Dann sind auch die Grenzen des Reliefstyles enge abgesteckt. Er kennt keine Perspektive, und auf seinen ersten Stufen auch keine Gruppen. Wir sehen Reihen neben und hinter einander. Ueber die Vortrefflichkeit der Thierbilder herrscht seit Mad. Staël nur ein Lob, desto fühlbarer sind die Mängel in der Darstellung menschlicher Figuren. Während die Beine in der Profilstellung vorschreiten, ist der Oberkörper in Vollsicht genommen; auch für die Köpfe ist stets das Profil gewählt, nur die Augen davon ausgenommen. An den sitzenden Kolossalstatuen sind gleichfalls die flachen und breiten Füsse, ohne Andeutung einer Artikulation, die hochgestellten Ohren, die anliegenden Arme u. a. auffällig. Weitere Schranken der Kunstentwicklung lagen in der kindischen Anschauung der Herrschergrösse, die auch körperlich ihre Umgebung überragen musste, und in den religiösen Begriffen des Volkes (Fig. 31). Das Ideal menschlicher Schönheit war nicht in den Göttern verkörpert, diese vielmehr durch thierische Symbole charakterisirt, der künstlerischen Darstellung vielfach unfähig.

       Fig. 31.

      Hier ist auch der Ort, den ägyptischen Kanon der Verhältnisse andeutend vorzuführen. Der Kanon im alten und neuen Reiche nahm den menschlichen Fuss zur Einheit. Die sechsmalige Wiederholung der Einheit gab die Höhe bis zur Stirn, die Mitte der Höhe fällt unter die Scham, die Stellung der übrigen Theile wird durch 18 Verhältnissfelder bestimmt. Vorzugsweise durch die Kürze des Kniees unterscheiden sich nach Lepsius Forschungen der erste vom zweiten Kanon. Der dritte ptolemäische Kanon legt eine andere Eintheilung — 23 Theile bis zur Scheitelhöhe — zu Grunde und bildet den Kopf grösser, die Brust länger, den Nabel höher. Dieser letzte Kanon ist keineswegs ein Fortschritt gegen die frühere Gesetzmässigkeit, und schafft auch nicht richtigere oder schönere Gestalten. Er gab die nationale Grundlage auf, welche offenbar die alten Verhältnissregeln mitbestimmt hat, und setzt an die Stelle des einfach strengen, aber wirksamen Styles, übertriebene und unklare Formen.

      In Bezug auf die Farbengebung ist ein ähnlicher Kanon nicht bekannt. Doch gilt auch bei der ägyptischen Malerei, wie bei den ältesten Stufen dieser Kunstgattung überhaupt, der Vorzug der primären Farben (blau, roth, gelb) vor den sekundären.

      4. Die Kunst in Vorderasien.

      §. 30.

      Indem wir die vorderasiatischen Küstenländer von der Mündung des Wadi el Arisch bis an den Pontus Euxinus hinab durchwandern, nähern wir uns merklich dem Schauplatze fast aller späteren Kunstthätigkeit. Es theilen zwar diese Gebiete mit Aegypten die Begrenzung durch das Mittelmeer, doch während das letztere für Aegypten in Wahrheit eine blosse Grenze bleibt, über welche hinaus der ägyptische Einfluss seine Wirksamkeit verliert — die ägyptischen Einflüsse auf die griechische Bildung besitzen keineswegs die ihnen früher eingeräumte Wichtigkeit — sind die vorderasiatischen Länder mit ihrem Dasein auf das Mittelmeer angewiesen. Weit entfernt, ihnen fremd zu stehen, bildet dasselbe vielfach den Boden für ihre Thätigkeit, es wird von ihnen bis an seine westlichen Grenzsteine, die Säulen des Herkules, beschifft, an seiner nördlichen wie südlichen Küste von Vorderasien aus kolonisirt, und hier überall der Keim zu dauernder Civilisation gelegt. Der Name der Phöniker reicht hin, die gegebenen Andeutungen im Geiste zu einem reichen, anschaulichen Bilde zu ergänzen. Die mannigfache Regsamkeit und weitausgreifende Thätigkeit der Anwohner Vorderasiens erschwert aber in bedeutendem Grade die Erkenntniss ihrer Kunstbildung. Als ein wahres Uebergangsvolk, welches Lokalkulturen vermittelt, im mächtigen Handelsverkehre die orientalische Abgeschlossenheit glücklich durchbricht und häufig wechselnder Herrschaft unterworfen ist, überschreitet es auch in seinem Kunstleben die unmittelbaren Landesgrenzen und offenbart eine nicht geringe Geschmeidigkeit der Kunstformen. So lange nicht der Entdeckungseifer unserer Tage den heimisch-phönikischen Boden blossgelegt hat, bilden Bautrümmer im westlichen Becken des Mittelmeeres die wichtigste Quelle unserer Anschauungen von der phönikischen Kunst; ägyptische und assyrische Anklänge sind aus der geographischen Lage und der politischen Stellung Vorderasiens zu den ältesten weltherrschenden Stämmen leicht erklärlich; wir stossen dann auf eine mannigfache Verwandtschaft mit der alten griechischen Kultur, die ja gleichfalls, nur im höheren Sinne, Orientalisches und Occidentales vermittelt, müssen nicht ein blosses Nebeneinandergehen der vorderasiatischen und altgriechischen Anschauungsweise, sondern eine theilweise Verwebung derselben annehmen und finden schliesslich die ausgebildete antike Kunst auf die nächstgelegenen asiatischen Gestade rückwirkend. In den späteren Zeitaltern ist namentlich die kleinasiatische Kunst ein integrirendes Glied der griechischen, sowie Syrien derjenige Punkt, auf welchem die klassische Phantasie ihre letzten Athemzüge aushaucht. Die vielbehandelte Frage über das nichthellenische Element in der griechischen Bildung führte auch eingeschränkt auf die Untersuchung eines möglichen phönikischen Einflusses bis jetzt zu keinem ergiebigen Resultate.

      §. 31.

      Im Gegensatze zu der früher giltigen Meinung von der ausgedehnten künstlerischen Wirksamkeit der Phöniker,[15] auf welche man altgriechische Vasenbilder, Thonfiguren u. s. w. bereitwillig zurückführte, gilt gegenwärtig die Ansicht, dass die vorwiegende praktische Thätigkeit und industrielle Betriebsamkeit dieses weitblickenden Volkes einen fein entwickelten Kunstsinn nicht zuliess. Es scheint die Natur des herrschenden religiösen Kultus die freie bildnerische Kraft, die von der Anerkennung der Schönheit der reinen Menschengestalt ausgeht, gelähmt und gerade die gerühmte technische Fertigkeit der Phöniker im Giessen, Schmelzen und Wirken es bedingt zu haben, dass die ausgebildetere phönikische Baukunst nicht den Weg einer organischen Entwicklung nahm, sondern in den Dienst einer höher gestellten Kultur gerufen, die ursprüngliche Formlosigkeit durch eine glänzende Dekoration: Erzplatten, Teppiche u. s. w. verhüllte. Die Betrachtung einzelner Baudenkmäler, welchen man gegenwärtig, wenn auch nicht ohne Widerspruch, einen phönikischen Ursprung zuschreibt, bringt uns auf die einfachsten Anfänge der Kunstthätigkeit zurück. Hierher gehören die zahlreichen kegelförmig verjüngten Rundthürme, etwa 40' hoch, mit scheingewölbten Kammern im Innern versehen und mit einer Plattform geschlossen auf Sardinien und den Balearen, dort Nuraghen, hier Talayots genannt, und für Feuertempel ausgegeben. Verwandter Natur sind die Thürme zu Marathos im phönikischen Heimathlande, monolithe oben zugerundete oder spitz auslaufende Kegel, phallusähnlich, welche auf einem abgestuften Untersatze ruhen und über unterirdischen Grabkammern sich erheben. Auch die Gigantengräber in Sardinien und den keltischen Dolmen entsprechende Anlagen in Nordafrika, auf ehemals karthagischem Gebiete, haben die ursprüngliche Formlosigkeit nicht überwunden. Bei späteren Grabdenkmälern auf Rhodus, Cypern, in Algerien und auf karthagischem Gebiete (Grab des Thugga) zeigt sich der griechische Einfluss vorherrschend wirksam. Die Tempelreste auf der Insel Gozzo (Gaulos) und Malta werden ebenfalls auf die Phöniker zurückgeführt. Die sogen. Giganteia auf Gozzo umfasst zwei dicht aneinander stossende Anlagen, von cyclopischem Mauerwerke eingeschlossen, und jeden einzelnen Tempel wieder in mehrere Haupträume gegliedert. Eine elliptische Thürschwelle führt bei dem der Astarte wahrscheinlich geweihten Tempel in den vorderen Hofraum, welcher elliptisch wie die Schwelle gestaltet, durch einen schmalen Durchgang mit dem hinteren gleichförmigen nur grösseren Hofe verbunden ist. Im Hintergrunde, in der Axenrichtung des Tempels, bemerkt man wieder einen im Halbkreise gezeichneten erhöhten Raum, so dass die ganze Anlage einem Doppelkreuze mit zugerundeten Armen ähnlich erscheint. Durch Stufen, Gitter und Schranken werden die in die Seitenrundungen verlegten Heiligthümer von dem Durchgangsraume abgesondert, Trümmer von Altären, Opfertischen, Taubenbehältern u. s. w. deuten auf einen reichen, ausgebildeten Gottesdienst hin, doch bleibt auch hier die architektonische Gliederung ärmlich, der künstlerische Schmuck auf die spiralförmigen Ornamente an einzelnen Steinen beschränkt. Der nächstgelegene, viel kleinere Tempel, auch darin von dem Astartetempel unterschieden, dass hier der hintere Hofraum dem vorderen an Grösse weit nachsteht, sowie der Hadjar-Chem auf Malta haben eine verwandte Beschaffenheit, und bilden ebenfalls eine Summe elliptischer, rundlicher Räume. Vom paphischen Tempel auf


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