Handbuch der Kunstgeschichte. Springer Anton
Читать онлайн книгу.ägyptische Kunst ist weder fertig entstanden, noch in ihrem ursprünglichen Zustande unversehrt bewahrt worden. In Bezug auf ihren Ursprung muss man wieder zur Annahme einer selbstständigen inneren Entwicklung zurückgreifen, nachdem die früher beliebte Hypothese: die Kultur sei mit dem Nile von dem uralten Priesterstaate Meroe nordwärts nach Aegypten gewandert, in den vorhandenen Denkmälern nichts weniger als ihre Bestätigung gefunden hat. Die äthiopische Kunst ist ein spätes Nebenreis der ägyptischen, nicht über das 7. Jahrhundert v. Chr. hinausreichend. Als ein solches Nebenreis wird von Vielen auch die griechische Kunst betrachtet, oder wenigstens die Vererbung wichtiger Bautheile an die Griechen behauptet. In dem enggezogenen Kreise der Denkmälerkunde kann man aber diesen Zusammenhang nicht beweisen. Den angeblichen Vorbildern der griechischen Architektur, z. B. der sogen. protodorischen Säule Champollions, fehlen entweder wesentliche Theile, oder sie können nur durch gewaltsame Willkür auf die griechische Form gebracht werden. Durch die Abweisung der Meroehypothese ist allerdings für die Erkenntniss des positiven Ursprunges nicht viel gewonnen. Beinahe viertausend Jahre v. Chr. reichen unsere Nachrichten zurück, am Anfange dieser Periode, in welchen auch die Erbauung der früher erwähnten Pyramiden fällt, sind aber schon die meisten Architekturtheile ausgebildet, die Bildnerei und Malerei erfolgreich gepflegt. Für die folgenden Zeitalter bis zur Ptolemäerherrschaft lassen sich dann mannigfache Veränderungen im Kunststyle nachweisen. Sie werden oft durch äussere Veranlassungen hervorgerufen, so z. B. wenn die Frauen in der Kunst des alten Reiches einen gelblichen, seit der 18. Dynastie aber einen röthlichen, den Aethiopern eigenen Fleischton erhalten. Dieser Farbenwechsel hat seinen Grund in der Raçenmischung zur Zeit der fünfhundertjährigen Hyksosherrschaft. Innere, im Wesen der ägyptischen Kunst gelegene Gründe veranlassten dagegen die dreimalige Aenderung des Kanons der Körperverhältnisse in der Skulptur. Auch die Technik der letzteren Kunstgattung blieb sich nicht stets gleich. Während die ältesten Skulpturen im flachen, bemalten Relief dargestellt sind, kommt seit Ramses II. (19. Dynastie) ein vertieftes Relief, so dass selbst die höchsten Contouren noch innerhalb der Wandflächen zu liegen kommen, auf, bis dann wieder seit der 26. Dynastie das flache Relief in den Vordergrund tritt. An die 26. Dynastie, die letzte vor dem persischen Einfalle, knüpft sich überhaupt der Beginn des Kunstverfalles. Es schwindet die freiere Zeichnung, die einfache aber kräftige Wirkung der Skulpturen; das dekorative Element entfaltet zwar gegen früher einen grösseren Reichthum, ohne aber die gesteigerte Einförmigkeit der Darstellung zu verhindern. Dem an der Skulptur und Malerei bemerkten Zuge nach Veränderung folgte gewiss auch die Architektur. Viele halten die Grottenbauten, besonders Nubiens, für älter, als die freien Tempelanlagen, in welchen sie die ersteren nachgebildet und weiter entwickelt gewahren. Gegen diese Annahme wurden aber so gewichtige Gründe vorgebracht, dass sie schon gegenwärtig als veraltet zur Seite gelegt werden kann, zumal häufig Eigenthümlichkeiten des Kultus dafür einzustehen haben, was in unserer Unkenntniss als Stylentwicklung genommen wird. Im Wechsel der Bauverhältnisse, entsprechend den Veränderungen im plastischen Kanon, in der gesteigerten oder geschwächten Wirkung einzelner Bauglieder wird hier wie überall die hauptsächlichste Entwicklung zu suchen sein. Leider fehlen darüber zur Zeit noch genauere Untersuchungen.
§. 24.
Vom Nildelta bis tief nach Nubien erstrecken sich in beinahe ununterbrochener Folge, bald hart an den Nilstrom gerückt, bald weiter von demselben entfernt, die ägyptischen Denkmäler.[14] Jene von Unterägypten haben sich aber in viel schlechterem Zustande erhalten als die südlicheren, so dass unsere Denkmälerkunde thatsächlich auf Oberägypten beschränkt ist. Nach Heliopolis (On) richtet sich gewöhnlich der erste Ausflug der Reisenden, um den ältesten uns erhaltenen Obelisk (2300 v. Chr.) zu bewundern. Es folgen dann am linken Nilufer die Pyramidenfelder, und gegenüber der zweiten Pyramide (Chafra oder Chephren) der berühmte Riesensphinx. Eine Backsteinmauer schloss ihn ein, er selbst ist ein natürlicher Felsen, von kunstfertiger Hand zum Königsbilde umgeschaffen. Wo der Meissel nicht ausreichte, half man mit Mauerwerk nach, um die Löcher des Felsens zu schliessen und die Körperformen schärfer wiederzugeben. Zwischen seinen Tatzen stand ein kleiner Tempel, dessen Hinterwand eine elf Fuss hohe Granitstele aus der Zeit Thutmosis IV. (18. Dynastie) bildete. Den wichtigsten kunstgeschichtlichen Fund macht die Todtenstadt am Fusse der Pyramiden aus, von welcher Lepsius 82 Gräber verzeichnet und 45 nach ihren Inhabern bestimmt hat. Sie sind den Pyramiden gleichzeitig und gehören den Verwandten und Dienern der Pyramidenbauer an, so z. B. ein 70' langes, 45' breites und 15' hohes Grabgebäude, aus massiven Quadern mit schrägen Mauerflächen aufgeführt, mit ausgesparter Grabkammer und 60' tiefen Felsenschachten, einem Sohne des Cheops: Merhet, dem Intendanten aller Bauten des Königs.
Vom uralten Memphis am Eingange in das engere Nilthal haben sich mit Ausnahme des halbverschütteten Kolosses Ramses-Sesostris nur formlose Trümmer erhalten; dagegen konnte der Grundriss des Labyrinthes bei Arsinoe von der preussischen Commission mit grosser Deutlichkeit aufgedeckt werden. Drei mächtige Gebäudemassen umschliessen einen viereckigen Raum, an dessen vierte Seite sich eine Pyramide anlegt. Zur Zeit des alten Reiches angelegt, erfuhr das Labyrinth unter der 26. Dynastie einen durchgreifenden Umbau, auf dessen Beschaffenheit sich die im Ganzen wichtige Beschreibung Herodots bezieht.
Mittelägypten ist durch die reiche Fülle von Denkmälern aus dem alten Reiche (vor der Hyksoszeit) berühmt. In die 6. Dynastie führen uns die Felsengräber von Zaouiet el-Meïtin, 19 an der Zahl, und jene bei Siut; der Blüthezeit des alten Reiches, der 12. Dynastie, gehören die grossartigen Grotten bei Beni Hassan, die Todtenstadt des nun von der Erde verschwundenen Nus, andere bei Berscheh, hinter Siut u. s. w. an. Alle Tempel- und Stadtruinen, die sich hier zu beiden Seiten des Nil vorfinden, anzuführen, wäre zu weitläufig, und verweisen wir desshalb auf den Ruinenkatalog bei Wilkinson. Bloss Abydus mit dem sogen. Memnonpalaste und dem Osiristempel aus der Zeit Ramses II. und Denderah mit dem zwar jungen, aber nächst dem Tempel zu Edfu besterhaltenen Hathortempel heben wir aus der Reihe der mittelägyptischen Monumente hervor.
§. 25.
Bei Theben, dem Hauptsitze der ägyptischen Kunstbildung, besonders aus der Zeit der 18. und 19. Dynastie, erweitert sich das Nilthal, auf der Ostseite Raum gewährend zu einer mächtigen Stadtanlage. Hier breitete sich die eigentliche Stadt Theben aus, das linke Ufer, viel enger vom libyschen Gebirge begrenzt, diente vorzugsweise als Todtenstadt. Wie bereits zu Strabo's Zeiten sind an die Stelle der hundertthorigen Stadt vier isolirte Dörfer getreten, nach deren Namen die Monumente gewöhnlich bestimmt werden. Es sind dies: Karnak und Luqsor am rechten, und Qurna und Medînet-Habu am linken Nilufer. In Karnak zieht zuerst der dem Ammon-Ra geweihte Reichs-Tempel die Aufmerksamkeit auf sich. Im dritten Jahrtausend v. Chr. gegründet, nach der Wiederkehr heimischer Herrschaft im 17. Jahrhundert erneuert und von allen folgenden Herrschern glänzend bedacht, verdankt derselbe seinen Hauptruhm der riesigen Säulenhalle, welche Sethos I. dem Tempel vorbaute. Hundertvierunddreissig Säulen, die mittleren 36' im Umfange, 66' in der Höhe, die übrigen 27' im Umfange und 40' Höhe messend, stützen das steinerne Dach, welches einen Raum von 164' Tiefe und 320' Breite, also etwa den gleichen Raum, wie ihn nur die grössten Dome des Mittelalters aufweisen, bedeckt. Die ganze Tempelanlage, alle Nebenbauten mitgerechnet — und ein ägyptischer Tempel besteht eigentlich nur aus einem Nebeneinanderbau — mag sich wohl über eine Fläche von 2000' im Gevierte erstrecken. Viel kleiner in den Dimensionen, aber in seiner Anordnung ein gutes Bild ägyptischer Tempelbauten gewährend, ist der südlicher gelegene Tempel des Chensu aus dem 15. Jahrhundert (Fig. 26). Durch Sphinxreihen und Kolonnaden stand das Heiligthum in Karnak mit den Tempelbauten zu Luqsor in Verbindung, welche gleichfalls der 18. Dynastie ihren Ursprung verdanken.
Das linke Nilufer besitzt vor der Nekropole noch eine Stadt der Lebendigen, welche sowohl an Zahl der Bauten, wie in der Pracht der Anlage mit dem gegenüberliegenden Stadttheile wetteifert. Gleich aus dem Beginne