Handbuch der Kunstgeschichte. Springer Anton
Читать онлайн книгу.ist noch lange nicht in seiner vollen Ausdehnung bekannt. Wie gross muss nicht die Summe der plastischen Thätigkeit überhaupt gewesen sein! Mit diesem quantitativen Reichthume steht auch die Fülle der dargestellten Gegenstände in vollkommener Uebereinstimmung. Keine Seite des assyrischen Lebens ist übergangen, kein Kreis menschlicher Thätigkeit vergessen. Wir begegnen den Symbolen und Verkörperungen des assyrischen Glaubens. Vieles bleibt uns freilich noch unverständlich; doch erkennen wir den Fischgott, den phönikischen Dagon, menschlich gebildet, der Fisch nur als Zierde von der Mitra herabhängend oder sinnreich als das Gewand des Gottes behandelt, oder das böse Prinzip, aus einem Löwen, Adler und einem anderen Vogel zusammengesetzt und von den Blitzstrahlen eines geflügelten Helden verfolgt. Auch die Fervers, die Wahrzeichen des arischen Glaubens, geflügelte beinlose Gestalten, in der Luft schwebend und von einem Kreise oder Nimbus eingeschlossen, treffen wir zahlreich auf den Monumenten an. An den Riesenlöwen und Riesenstieren (Fig. 20), welche gewöhnlich den Eingang bewachen, erfreut uns die Tüchtigkeit der Technik und die Gesundheit der Anlage. Die menschlichen Köpfe erscheinen dem thierischen Rumpfe nicht angefügt, sondern wie mit Notwendigkeit herausgewachsen. Viel weniger organisch gestaltet sich das Bild Nisrochs (?) mit dem Adlerkopfe auf dem geflügelten menschlichen Leibe, eine Figur, welche theils in Prozession wandelnd, theils in der Verehrung des heiligen Baumes begriffen, ebenso häufig in Niniveh vorkommt, als die einfachen geflügelten Gestalten, die Mitra auf dem Kopfe und ein Körbchen, eine Zapfenfrucht, Getreideähren, Waldthiere u. s. w. in der Hand.
Auf weltliche Darstellungen übergehend, finden wir den König als den vorzugsweisen Gegenstand der Darstellung. Wir begleiten ihn auf seinen Kriegszügen. Der Kampfplatz sind bald Marschen, bald bewaldetes Hügelland. Der König, von seinem Wagenlenker und Waffenträger umgeben, schleudert vom Streitwagen Pfeile auf den Feind, der theils die Flucht ergreift, theils von den dahin stürmenden Rossen zertreten wird. Aehnlich wie im offenen Felde wird derselbe auch in seinen festen Plätzen besiegt, und diese mit Anwendung von Kriegsmaschinen eingenommen. Im Triumphe, voran taktschlagende Sänger, Harfenspieler und Flötenbläser, in weiterer Folge dann die verzweifelnden Gefangenen, die Träger der Trophäen (darunter die Köpfe der erschlagenen Feinde) und die Leibwache des Königs (Fig. 21), kehrt der letztere in seine Residenz zurück. In anderen Kammern sind andere Scenen abgebildet; hier eine Jagd, dort die Huldigung zinspflichtiger Völker, deren Vertreter mit den Landesprodukten, mit Wild, Früchten, Blumen u. s. w. beladen, dem prachtvoll geschmückten Königsthrone nahen. Oder es wird, wie in der langen Gallerie zu Kuyundschik (Fig. 15, c) der Palastbau, die Aufstellung der Riesenthiere zur Darstellung gebracht. Der Steinblock wird aus dem Flusse an das Land gezogen, hier schon am Ufer fertig gemeisselt und in der gleichen Weise, welche auch Layard nach mehr als 20 Jahrhunderten die passendste erschien, in den Palast transportirt. Es haben überhaupt die meisten Schilderungen der Sitten, Gewohnheiten und Fertigkeiten auf den Ninivehdenkmälern bis auf den heutigen Tag bei den Anwohnern ihre volle Wahrheit behalten, und mögen nicht allein dem Geschichtsschreiber, sondern auch dem Ethnographen zu Illustrationen dienen.
§. 16.
Im Gegensatze zu dem gewöhnlichen Vorurtheile eines unbedingten Stillstandes der orientalischen Phantasie zeigt die genaue Betrachtung der Ninivehmonumente mehrfache Entwicklungsstufen des Kunstgeistes, einen Beginn, die höchste Blüthe und auch wieder den sichtlichen Verfall der plastischen Thätigkeit. Es wurden bereits die alterthümlichen Bildwerke in Arban angeführt. An Rohheit der Form werden dieselben von zahlreichen gravirten Steincylindern übertroffen. Doch mag hier vielleicht der streng religiöse Charakter des Inhaltes die archaistische Form mitbedingt haben. Die Nimruder Reliefs zeigen dann einen weiteren Fortschritt, ohne jedoch die kräftig bewegte Zeichnung zu besitzen und in jene Detailmalerei sich einzulassen, welche die Skulpturen von Kuyundschik auszeichnet. Es vertreten die erstgenannten gewissermassen den strengen Styl, während die Reliefs zu Khorsabad und Kuyundschik mehr durch äusseren Reichthum und die schärfere Naturnachahmung glänzen. Diesen Gegensatz zum älteren, gemessenen, ernsten Styl sollen namentlich die erst in der jüngsten Zeit durch Hormuzd Rassam neu entdeckten Basreliefs mit grosser Bestimmtheit offenbaren. In Kuyundschik selbst entdeckt man wieder in einzelnen Kammern die Spuren der verfallenden Kunst. Das Material wird mit geringerer Sorgfalt ausgewählt, die Umrisse sind minder scharf, die Zeichnung der Pferde und der Thiere überhaupt entschieden nachlässig. Aus dem Gesagten ergibt sich das allmälige Fortschreiten der assyrischen Kunst von einer idealisirenden Schilderungsweise zum ausgebildeten Naturalismus, von einer ernsten, gebundenen Grossheit der Darstellung zu einer zierlichen, für das treue Wiedergeben aller Einzelnheiten besorgten und zuletzt flachen Eleganz; es ergibt sich weiter eine doppelte Blüthezeit, eine ältere und jüngere Schule, die eine im Zeitalter Aschurak-pal's (um 900 v. Chr.), die andere im Zeitalter Sennacherib's (um 700 v. Chr.) thätig.
Nicht immer geben die grossen monumentalen Werke den sichersten Prüfstein der künstlerischen Entwicklung eines Volkes ab. Deutlicher als an den Portalfiguren und Relieftafeln gewahrt man den reichen Formensinn und die ausgebildete Technik der Assyrer an den kleinen Thonsiegeln, welche in Kuyundschik gefunden, offenbar einst Urkunden angehängt waren und bezüglich ihrer Schönheit den griechischen Intaglio's wenig nachstehen. So sind es auch nicht die riesigen Thorwächter oder die symbolischen Göttergestalten, welche die Naturwahrheit und die technische Tüchtigkeit der assyrischen Bildhauer in das hellste Licht setzen, sondern die einfachen Thierfiguren (Fig. 22). Es kommt bei den thierischen Darstellungen namentlich auch der Ausdruck der besonderen Situation, die Hast und Kampflust z. B. der Streitrosse, der Grimm verwundeter Löwen u. s. w. deutlich zum Vorscheine. Ist nun auch die energische Naturwahrheit die durchgreifende Grundlage der assyrischen Bildnerei, wie sich aus der starken Betonung der Muskeltheile des Körpers, aus der sorgfältigen Behandlung der Haupt- und Barthaare, aus der überaus fleissigen Ausführung der Waffen, des Schmuckes, der Kleider und der Geräthschaften überhaupt ergibt, so stossen wir doch auch nicht selten auf grelle Uebertretungen ihrer Gesetze, sei es, dass die künstlerischen Mittel nicht ausreichen, sei es, dass ästhetische Bedenken dies folgerichtige Wiedergeben der äusseren Wirklichkeit abrathen, sei es endlich, dass der allzu grosse Eifer nach naturwahrer Schilderung gegen dieselbe verstossen liess. Das letztere ist z. B. bei den fünffüssigen Mannlöwen und Mannstieren an den Palastportalen der Fall. Sie sollten ebensowohl in der Vorderansicht, wie von der Seite betrachtet, ganz erscheinen, und es wurde demnach der eine Vorderfuss doppelt gezeichnet (Fig. 20). Die Stellung dieser Skulpturen rechtfertigt einigermassen diesen Fehler, der übrigens erst bei ihrer Aufstellung in unseren Museen und nicht an Ort und Stelle auffiel. Die Abweichung von der Naturwirklichkeit aus ästhetischen Bedenken gewahrt man z. B. bei den Bogenschützen. Sie spannen die Sehne gegen alle Regel, so dass sie die Hand bis hinter den Kopf zurückziehen; oder wenn jene auch in eine richtigere Lage gebracht wird, so wird, damit die Sehne nicht den Kopf durchschneide (denn aus diesem Bedenken ging die oben erwähnte Anordnung hervor), die obere Hälfte der Sehne als auf der anderen Seite des Kopfes befindlich, also unsichtbar dargestellt. Auch bei den Kampfscenen, in der Art und Weise, z. B. wie die Rosse über die Leiber der Verwundeten einherjagen, kann man die Abneigung der assyrischen Künstler gegen alle durchschneidenden Linien, gegen das Ineinanderschieben der Gestalten beobachten. Für viele derartige Anomalien ist der Reliefstyl, der alle Gestalten nur im Profile darstellt, und dann das Unvermögen perspektivischer Anordnung verantwortlich. Das Aufmarschiren aller Figuren in Reihen, anstatt dass sie sich zu