Praxis der Selbstmotivierung. Jens-Uwe Martens
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Im Märchen von Frau Holle geht es um ein Mädchen, das von ihrer Stiefmutter schlecht behandelt und ausgenutzt wird, da diese ihre leibliche Tochter bevorzugt. Dieses Mädchen lässt versehentlich ihre Spindel in einen Brunnen fallen. Auf Weisung ihrer Stiefmutter muss sie der Spindel hinterherspringen und landet so in der Brunnenwelt. Hier erledigt sie gewissenhaft verschiedene Aufgaben und tritt schließlich in die Dienste von Frau Holle. Bei ihr muss sie die Betten gründlich ausschütteln, damit es auf der Erde schön schneit und andere Aufgaben im Haushalt erledigen. Sie macht das sehr gern, sie ist Arbeit gewohnt und freut sich daran, wie die Federn fliegen, wenn sie die Betten ausschüttelt.
Nachdem das Mädchen lange Zeit ihre Aufgaben gewissenhaft und mit Begeisterung erfüllt hat, bittet sie Frau Holle, heimkehren zu dürfen. Da das Mädchen so gut gearbeitet hat, belohnt Frau Holle es mit einem Goldregen. Zu Hause angekommen beneiden ihre Stiefmutter und deren leibliche Tochter sie um den Goldschatz und auch ihre Stiefschwester springt in den Brunnen, um die Belohnung zu bekommen. Auch sie wird von Frau Holle in Dienst genommen, aber sie hat keine Freude an der Arbeit und denkt immer nur an die Belohnung, die sie hoffentlich bald bekommen wird. Sie macht daher ihre Arbeit auch nicht so gut wie ihre Schwester und wird zum Lohn statt mit Gold mit Pech überschüttet. „Das Pech aber blieb an ihr hängen, solange sie lebte.“
Die Botschaft des Märchens
Märchen erzählen uns oft allgemeingültige Wahrheiten und das gilt wohl auch für dieses Märchen. Es macht deutlich, wann man mit Gold und wann man mit Pech belohnt wird. Etwas übertrieben könnte man die Botschaft so formulieren: Wenn man das, was man tut, deshalb tut, weil man Freude daran hat (also intrinsisch motiviert ist), wird man reichlich belohnt. Wenn man es aber nur tut, weil man auf eine Belohnung schielt (also extrinsisch motiviert ist), dann wird man das Pech nicht mehr los.
Was versteht man unter intrinsischer Motivation?
Intrinsisch sind wir motiviert, wenn wir etwas tun, weil uns die Tätigkeit selbst gefällt, weil wir gern tun, was wir tun. Ein Schriftsteller, der Romane schreibt, obwohl sie nie veröffentlicht werden, ist sicher intrinsisch motiviert. Das Gegenteil wären extrinsisch motivierte Personen, die eine Tätigkeit, nur deshalb ausüben, weil sie etwas anderes damit erreichen wollen. Wenn ein Mitarbeiter sich besonders anstrengt, um eine Prämie zu bekommen oder um von seinem Chef gelobt zu werden, dann ist er extrinsisch motiviert.
Wie schon das Märchen zu verstehen gibt, ist eine intrinsische Motivation der extrinsischen überlegen. Viele Untersuchungen haben gezeigt, dass intrinsisch Motivierte mehr Kreativität in ihre Tätigkeit integrieren, dass sie sich anstrengen, ohne dass ihnen die Anstrengung bewusst wird und dass sie ihre Tätigkeit mit mehr Energie ausüben. Das Selbstsystem ist an der Handlung in einem großen Maß beteiligt, das verfolgte Ziel ist selbstkongruent, es stimmt mit den persönlichen, tief empfundenen Werten überein. Menschen, die ihre Ziele mit einem hohen Grad an subjektiv eingeschätzter Selbstbestimmung, Selbstverpflichtung und damit intrinsischer Motivation verfolgen, geben ein deutlich höheres Ausmaß an Lebenszufriedenheit und subjektivem Wohlbefin-den an, als Menschen mit fremdkontrollierten Zielen.[16]
Nach der PSI-Theorie von Julius Kuhl sind wir dann intrinsisch motiviert, wenn wir Zugang zu unserem Selbstsystem, also zu unserem Extensionsgedächtnis haben. Das gelingt vor allem dann, wenn wir in guter Stimmung sind. Die Fähigkeit, selbstreguliert – also von äußeren Bedingungen weitgehend unabhängig – einen positiven Affekt herstellen zu können, betrachtet Kuhl als eine entscheidende Voraussetzung für Selbstbestimmung und damit auch für intrinsische Motivation.[17] Wenn diese Fähigkeit nicht vorliegt, ist der Betreffende darauf angewiesen, dass er seine Motivation aus anderen Quellen bezieht.
Wenn man intrinsisch motiviert ist, kommt es auf das Tun als solches an, auf den Prozess, nicht auf das Resultat. In unserer Kultur ist die Orientierung im Allgemeinen genau entgegengesetzt. Wir haben das Gefühl, alle materiellen und sogar die immateriellen Dinge kaufen zu können und so glauben wir, dass die Dinge zu unserem Eigentum werden, unabhängig davon, ob wir uns auf schöpferische Weise um sie bemüht haben. Die folgende Szene macht das sehr deutlich:
Der Reiche zeigt stolz auf seinen Garten und sagt zu seinem Gast: „Das ist mein Garten!“ Der Gärtner hört es und lächelt.
Wenn man die Realität von der Seite der persönlichen Befriedigung her betrachtet, dann sieht es ganz anders aus: Nur das gehört uns wirklich, auf das wir durch unser schöpferisches Tun unmittelbar bezogen sind, ob es sich nun um einen Menschen oder einen unbelebten Gegenstand z. B. einen Garten handelt.[18]
Mihaly Csikszentmihalyi hat ein besonderes Glücksgefühl beschrieben, das er bei Menschen beobachtete, die intrinsisch motiviert einer Tätigkeit nachgingen und hat dieses Gefühl „Flow“ genannt.[19] Die Person, die ein solches „Flow-Erleben“ hat, verliert sich in der Tätigkeit, die sie gerade ausübt. Kuhl geht davon aus, dass bei diesem Erleben ein deutlicher Selbstbezug eine Rolle spielt. „Die Beteiligung des Selbstsystems ist nicht so sehr aus der Selbstreflexion, sondern eher aus der ausgedehnten Zeitcharakteristik des Flusserlebens (im Flow-Erleben „vergessen“ wir die Zeit) indirekt erschließbar.“[20] Ohne Beteiligung des Selbstsystems an der Handlungssteuerung wäre mit einer Abhängigkeit des positiven Affekts von der Erreichung konkreter Ziele zu rechnen, wohingegen ein Charakteristikum des Flow-Erlebens darin besteht, dass man in die Tätigkeit vertieft ist, ohne an das Erreichen eines Ziels zu denken.
Behindern von intrinsischer Motivation
Das Korrumpierungsphänomen
Man kann die intrinsische Motivation untergraben, indem man jemanden für das belohnt, was er sowieso gern tut. Man nennt das „das Korrumpierungsphänomen“. Viele Untersuchungen zeigten, dass die intrinsische Motivation, d. h. die aus der Ausführung einer interessanten Tätigkeit erwachsende Freude, reduziert wird, sobald die Person für die Ausführung der Tätigkeit belohnt wird.
Kuhl[21] zitiert eine Untersuchung von Nepper, Green und Nisbet (1973), die man mit Kindergartenkindern durchgeführt hat. Die Kinder malten in einer freien Spielsituation spontan und mit sichtlicher Freude an einem Maltisch. Sie verloren die Lust am Malen, als man sie bat, für eine kleine Belohnung der Versuchsleiterin ein Bild zu malen: Eine Woche nach dieser Intervention tauchten die belohnten Kinder seltener am Maltisch auf als die Kinder einer Kontrollgruppe, die nicht belohnt wurden.
Die PSI-Theorie von Kuhl bietet eine Erklärung dafür, warum die intrinsische Motivation durch materielle Anreize zerstört wird. Wenn ein Verhalten fast nur durch äußere Anreize (Anweisungen, Belohnung) gesteuert wird, sinkt die innere Beteiligung. Dadurch wird die Selbstmotivierungsfunktion, die dafür sorgt, dass die Freude aus der Tätigkeit selbst entspringt (Flow), außer Kraft gesetzt. Die intrinsische Motivation wird aus dem Selbstsystem (aktivierte Selbstrepräsentation) gespeist, aus ihm kommen die reibungslos ablaufenden, intuitiven Verhaltensprogramme. Dieses Selbstsystem löst die positiven Gefühle aus. Wenn man eine Person belohnt, aktiviert man das Intentionsgedächtnis dieser Person und hemmt damit das Extensionsgedächtnis und die damit verbundenen positiven Gefühle. Vereinfacht ausgedrückt kann man sagen: Die intrinsische Motivation aktiviert das kreative Selbst. Sobald Belohnung im Spiel ist, fühlt man sich verpflichtet und handelt nicht mehr aus sich heraus.
Konsequenzen für die Selbstmotivation
Ideal wäre es, wenn wir bei allem was wir tun, intrinsisch motiviert wären. Wir würden dann die Anstrengungen um das Erreichen unserer Ziele gar nicht mehr als Mühe empfinden, sondern wir wären glücklich und zufrieden bei dem, was wir tun. Wir würden ein Optimum leisten. Das ist selbstverständlich unrealistisch. Die gescheiterten pädagogischen Versuche unter dem Schlagwort „antiautoritäre Erziehung“ in den 1960er Jahren haben gezeigt, dass unsere Welt dafür nicht geeignet ist. Wir können aber die oben dargestellten Überlegungen und empirischen Ergebnisse nutzen,
16
vgl. Blais et al., 1990; Brunstein, Dangelmayer & Schultheiß, 1960; nach Kuhl 2001, S. 223.
17
Kuhl, 2001, S. 177.
18
s. a. Fromm, 2009.
19
Csikszentmihalyi, 1992.
20
Kuhl, 2001, S. 595.
21
Kuhl, 2001, S. 98.