Praxis der Selbstmotivierung. Jens-Uwe Martens
Читать онлайн книгу.die mit „Herausforderung“ und mit „Chance zur Bewährung“ assoziiert sind. Ein wichtiger Punkt dabei ist, dass das Ziel, das wir anstreben, von uns als „schwierig zu erreichen“ klassifiziert wird. Allerdings darf es natürlich nicht so schwer zu erreichen sein, dass wir es uns nicht zutrauen.
Ziele dürfen also nicht zu schwierig und vor allem nicht zu komplex sein. Komplexe, langfristige Ziele zerlegen wir am besten in Teilziele, deren Erreichen sofort überprüfbar ist und uns zum Weitermachen motiviert. Durch das Zerlegen komplexer Ziele in Teilziele reduziert man meist auch den subjektiven Schwierigkeitsgrad. Frayne und Latham[10] konnten in einem Selbstmanagementtraining nachweisen, dass auch die mentale Zerlegung der Fernziele in schrittweise abzuarbeitende Nahziele eine positive Wirkung hatte. Die Beteiligten machten schon früh im Prozess der langfristigen Zielverfolgung die Erfahrung, dass sie eigene Absichten erfolgreich in Handeln umsetzen können.
Durch das Zerlegen von umfangreichen Zielen in konkrete Teilziele wird das Ziel auch spezifischer. DeShon und Alexander[11] weisen darauf hin, dass spezifische Ziele die Identifizierung und Differenzierung von leistungsförderlichen und -beeinträchtigenden Strategien verbessern.
Wie macht man ein Ziel attraktiv?
In der Regel werden wir von den vielen Tätigkeiten, die in einer bestimmten Situation zur Wahl stehen, die attraktivste auswählen. Das ist die Tätigkeit, die am wenigsten Mühe macht und bei der im Tun schon die Belohnung liegt, oder die uns zu dem attraktivsten Ziel führt. Ist eine gute Note im Examen oder die Vorstellung, mit der Kommilitonin eng befreundet zu sein, attraktiver – vorausgesetzt wir erwarten, dass beide Ziele mit der etwa gleichen Wahrscheinlichkeit erreicht werden können? Wenn das wirklich die Entscheidungskriterien sind, wird man die Wahl später auch nicht bereuen. Allerdings entscheiden wir uns oft einfach nur für die näherliegende Alternative, die leichter zu erreichen ist, die weniger Mühe erfordert oder deren Erreichen mit weniger Risiko verbunden ist. Aber auch in diesem Fall spielt die Attraktivität eines Zieles eine entscheidende Rolle. Wenn unser Ziel wirklich wünschenswert ist, wenn wir viele positive Erwartungen mit ihm verbinden, dann wird es sich auch gegenüber naheliegenden, angenehmen Alternativen durchsetzen können.
Ob ein Ziel attraktiv ist, können wir selbst beeinflussen, bis zu einem gewissen Grad sogar entscheiden. Wir können ein Ziel attraktiv oder weniger attraktiv machen, es kommt nur darauf an, ob und wie viele positive Attribute wir mit dem Ziel verbinden. Wenn wir uns ausmalen, wie schön es wäre, ein gutes Examen zu machen, wenn wir daran denken, welche Türen uns damit geöffnet werden, mit welchen Belobigungen wir rechnen können usw., dann wird dieses Ziel immer mehr Anziehungskraft gewinnen. Wir können uns natürlich auch ausmalen, wie schön es wäre, mit der für uns so attraktiven Kommilitonin zusammen zu sein, wie schön es wäre, in einer Partnerschaft mit ihr zu leben usw. Wir werden uns mit großer Wahrscheinlichkeit dem Ziel zuwenden, das für uns im Moment attraktiver erscheint, und die Attraktivität können wir dadurch beeinflussen, indem wir das entsprechende Ziel mit positiven Vorstellungen verbinden.
Das gilt nicht nur für die Situation, in der mehrere Ziele in uns um ihre Realisierung wetteifern. Auch wenn wir nur ein Ziel vor Augen haben, können wir dieses Ziel attraktiver machen, indem wir uns ausmalen, welche positiven Konsequenzen das Erreichen des Ziels hätte. Von großem Vorteil ist es dabei, wenn man die eigene Wertehierarchie kennt, wenn man weiß, welche grundlegenden Werte einem besonders wichtig sind. Denn es ist ein Unterschied, ob einem die eigene Familie, die Karriere oder vielleicht sogar die eigene Sicherheit besonders wichtig ist. Entsprechend sollte das Ziel, das Sie für sich attraktiv gestalten möchten, mit Vorstellungen in Verbindung gebracht werden, die mit den Werten zusammenhängen, deren Bedeutung für Sie im Vordergrund stehen.
Der dritte Maurer hat sein Ziel, die Mauer hochzuziehen, dadurch wertvoll gemacht, dass er es als Teil eines großen Ganzen gesehen hat. Er hat eine Vision entwickelt. Auch das ist ein Weg, der uns sehr oft offen steht. Wir können z. B. das Examen als Teil einer beruflichen Karriere sehen, die uns am Ende unseres Berufslebens stolz auf das Erreichte zurückblicken lässt.
Routine und Langeweile vermeiden
Sich für ein Ziel zu motivieren und dafür zu sorgen, dass man es auch längerfristig nicht aus den Augen verliert, bedeutet auch, den Weg zum Ziel in die Überlegungen und Vorbereitungen mit einzubeziehen und ihn so angenehm wie möglich zu machen. Wenn die Tätigkeiten, die zum Erreichen des Ziels notwendig sind, zur Routine werden und sich unter Umständen Langeweile und damit Abneigung entwickeln könnte, müssen wir dafür sorgen, dass dieser Weg an sich attraktiv wird. Das kann uns gelingen, indem wir besonderen Wert auf die Begleitumstände legen, die mit dem Weg verbunden sind. Wenn wir uns z. B. vorgenommen haben, eine neue Sprache zu lernen, kann man das – für viele eher langweilige – Vokabellernen dadurch attraktiver gestalten, indem man sich für dieses Vorhaben eine ganz bestimmte Tageszeit reserviert, zu der man ungestört ist. Um der Tätigkeit des Lernens einen einladenden Charakter zu verleihen, könnte man sich selbst z. B. seinen Lieblingstee oder Kaffee in einem besonders schönen Service mit ein paar Keksen dazu servieren. Wir können uns auch einen sehr attraktiven Lehrer, bzw. eine sehr attraktive Lehrerin suchen.
Die Bewertung der Ziele in unserem Gehirn
Die Steuerungszentrale unseres komplexen Verhaltens ist unser Gehirn. Eine wesentliche Rolle für die Selbstmotivierung spielt ein Teil des Gehirns, das das limbische System genannt wird. Es liegt unterhalb der Hirnrinde, dem Cortex. Der Cortex wird für das bewusste Überlegen verantwortlich gemacht, während im limbischen System die Gefühle eines Menschen verortet sind. Das limbische System bewertet alle Informationen, die das Bewusstsein erreichen, nach den Kriterien wichtig/unwichtig, wünschenswert/nicht wünschenswert, angenehm/unangenehm.
Das gilt nicht nur für die Wahrnehmungen, die uns von außen erreichen, sondern in gleichem Maße für die Ideen und Vorstellungen, die wir selbst in unserem Gehirn entwickeln. Auch diese werden sofort beispielsweise mit dem Attribut wünschenswert/nicht wünschenswert versehen. Ziele, die längerfristig in unserem Bewusstsein präsent sein sollen, nach denen wir uns orientieren wollen, müssen eine positive Bewertung erfahren, sonst werden wir sie früher oder später fallen lassen. Wir können solche Bewusstseinsinhalte in ihrer Bewertung beeinflussen, indem wir sie mit anderen Bewusstseinsinhalten, die von uns positiv beurteilt werden, in Verbindung bringen. Darin liegt die Freiheit des Menschen: Wenn wir die Möglichkeit dazu haben, werden immer nur das tun, was wir gern tun. Was wir aber gern tun, ist davon abhängig, ob wir die Tätigkeit bzw. das Ziel mit positiven Gefühlen verbinden. Darüber aber können wir frei entscheiden, indem wir unsere Ziele mit Vorstellungen assoziieren, die positive Gefühle auslösen.
Dies ist das Prinzip, nach dem die Werbung verfährt. Die umworbenen Produkte werden z. B. auf Plakaten mit sympathisch wirkenden Persönlichkeiten oder mit angenehmen Situationen in Verbindung gebracht und damit strahlt die positive Bewertung, die wir dieser Persönlichkeit oder der Situation gegenüber empfinden, auf das Produkt aus. Das geschieht – weitgehend unbewusst – im limbischen System und hat mit dem Cortex, der Gehirnrinde wenig zu tun. Wir können diesen Effekt sogar mit Hilfe unseres Cortexes weitgehend neutralisieren, wenn wir uns klarmachen, dass die Person mit dem Produkt, mit dem sie gemeinsam dargestellt ist, nichts zu tun hat und nur deshalb zusammen mit ihm auf dem Plakat zu sehen ist, weil sie Geld dafür bekommt. Aber wir hätten viel zu tun, wenn wir jedes Plakat, das wir im Laufe eines Tages sehen, analysieren wollten. Wir können jedoch von diesen Techniken der Beeinflussung lernen, sie auf uns selbst anwenden und uns auf diese Weise selbst motivieren. Ein Beispiel dafür finden Sie am Ende dieses Abschnitts.
Ziele sollten uns vertraut sein
Es gibt noch eine andere Technik, die in der Werbung häufig genutzt wird und die wir für die Selbstmotivierung nutzen können. Phänomene und damit auch Ziele werden für uns attraktiver, wenn wir eine gewisse Vertrautheit mit ihnen entwickeln. Dabei reicht es, dass wir das Phänomen, oder unser Ziel, oft „vor Augen haben“. Je häufiger ein zunächst unbekannter Reiz dargeboten wir, desto positivere Reaktionen löst er aus.[12] Wir sollten uns also viel mit dem gesetzten Ziel beschäftigen, im Internet über das Ziel recherchieren, Bücher oder Fachzeitschriften
10
Frayne & Latham, 1987 in Schmidt & Kleinbeck, 2004, S. 930ff.
11
DeShon & Alexander, 1996, in Schmidt & Kleinbeck, 2004, S. 923.
12
vgl. Zajonc, 1968.