Praxis der Selbstmotivierung. Jens-Uwe Martens
Читать онлайн книгу.Ihnen das schon erwähnte Buch Die Kunst der Selbstmotivierung, das ich gemeinsam mit Kuhl geschrieben habe, oder – wenn Sie gründlich in die Persönlichkeitstheorie von Kuhl einsteigen wollen – das umfangreiche Werk von Julius Kuhl Motivation und Persönlichkeit (2001).
Kuhl unterscheidet aufgrund seiner Experimente und theoretischen Überlegungen vier „Makrosysteme“ unseres Gehirns, deren Zusammenspiel unsere Persönlichkeit, aber auch das Zustandekommen von Handlungen ausmachen.
Diese vier Makrosysteme, die bei der Entstehung einer Handlung eine Rolle spielen, sind nach Kuhl folgende:
1. Das Intentionsgedächtnis , häufig nennt Kuhl es auch Absichtsgedächtnis, das man braucht, wenn man eine schwierige oder unangenehme Handlung nicht sofort ausführen kann, aber nicht vergessen darf oder nicht vergessen möchte. „Das Intentionsgedächtnis ist mit dem analytischen Denken eng vernetzt und speichert schwierige Absichten, d. h. allgemeine (noch nicht voll spezifizierte) Handlungsvorhaben, in einem expliziten Format. Es ist vom Erleben und von der Steuerung emotionaler Prozesse weitgehend abgekoppelt und wird durch eine Aufmerksamkeitsform unterstützt, die Informationen verstärkt, die möglichst genau zu dem passen, was für das aktuell bewusste Ziel oder den aktuellen Handlungsplan relevant ist“ (Kuhl, 2001, S. 131). In diesem Absichtsgedächtnis werden also die Ziele gespeichert, für die wir uns motivieren wollen.
2. Das Ausführungssystem, das dem Überlegen und Abwägen ein Ende macht und spontan verfügbare Handlungsprogramme zur Verfügung stellt. Kuhl nennt es auch das „intuitive Verhaltenssteuerungsprogramm“. Es arbeitet ganzheitlich (holistisch). Man braucht es, wenn ein guter Zeitpunkt für die Ausführung gekommen ist und man ein geeignetes Verhaltensprogramm (d. h. eine Handlungsmöglichkeit) gefunden hat. Dieses Ausführungssystem wird auch aktiviert, wenn aufgrund einer Wahrnehmung spontane, nicht bewusst geplante Handlungen erfolgen. Dieses Ausführungssystem hält also die Programme bereit, die wir für die Realisierung unserer Ziele brauchen, für die wir uns motivieren.
3. Das Extensionsgedächtnis, das den umfassendsten Gedächtnisspeicher darstellt. Kuhl nennt es „Extensions-Gedächtnis“, weil der Speicher, auf den sich dieses Gedächtnis bezieht, sehr ausgedehnt ist (Extension = Ausdehnung). Diesen Speicher braucht man, wenn es darum geht, aus der Gesamtheit aller gespeicherten Lebenserfahrungen eine Lösung auszuwählen und man gleichzeitig darauf achten muss, dass alle – oder möglichst viele – eigene Bedürfnisse und Werte berücksichtigt werden – und nach Möglichkeit auch die Erwartungen und Wünsche anderer nicht unberücksichtigt bleiben. Auch dieses System arbeitet – wie das vorhergehende Ausführungssystem – ganzheitlich und vor allem parallel, d. h. es kann mehrere Aspekte gleichzeitig berücksichtigen. Es liefert einen zusammenfassenden Überblick über die wichtigsten Erfahrungen, die wir gemacht haben, wobei auch unsere Motive und das Bewusstsein von uns selbst, das „integrierte Selbst“ dazu gehören. Dieses Extensionsgedächtnis ist Grundlage unseres „intelligenten Fühlens“, unserer Intuition („ich spüre, hier stimmt etwas nicht“). „Das Fühlen kann durch assoziative Netzwerke impliziten Wissens beschrieben werden, die auch sehr entfernte, selten auftretende Assoziationen enthalten“ (Kuhl & Völker, 1998, S. 215).
Dieses Extensionsgedächtnis verhilft uns, dass die Ziele, für die wir uns motivieren wollen, tatsächlich unseren eigenen Bedürfnissen und Werten entsprechen, dass es wirklich „unsere eigenen Ziele“ sind, und es unterstützt uns dabei, auf kreative Ideen zu kommen, indem es unsere Ziele mit den bereits gemachten relevanten Erfahrungen in Verbindung bringt.
4. Das Objekterkennungssystem, das man braucht, „wenn einzelne Risiko- und Gefahrenquellen aus dem Gesamtkontext herausgelöst oder Fehler und Problempunkte erkannt werden müssen“ (Martens & Kuhl, 2011, S. 77). Es arbeitet nicht ganzheitlich, sondern ist sequentiell-analytisch angeordnet. Das Objekterkennungssystem brauchen wir, um beim Erreichen der selbst gesetzten Ziele möglichst frühzeitig Probleme und Fehler zu entdecken, die das Erreichen des Zieles infrage stellen oder verhindern könnten.
Man hat entdeckt, dass unsere beiden Hirnhälften unterschiedlich arbeiten. Mit unserem „linken Hirn“ erledigen wir alle bewusst planerischen Aufgaben, mit ihm „rechnen“ wir uns aus, was sich ereignen wird. Mit unserem „rechten Hirn“ fühlen wir, was passieren sollte und was passieren wird. Hier ist die Intuition beheimatet. Auch Kuhl übernimmt diese Entdeckung und ordnet das Intentionsgedächtnis und das Objekterkennungssystem dem „linken Hirn“ zu, während er das Ausführungssystem und das Extensionsgedächtnis im „rechten Hirn“ beheimatet sieht.
Die Aktivierung dieser Systeme sowie die Interaktion der Systeme untereinander werden durch unsere Affekte, unsere Gefühlszustände und Stimmungen gesteuert. Mit Hilfe von Experimenten und den daraus abgeleiteten Erkenntnissen entdeckte Kuhl, dass wir z. B. nur in einer positiven Stimmung Zugang zu unserem Extensionsgedächtnis haben und damit zu unserem Erfahrungsreservoir, in dem die Erkenntnisse unseres ganzen bisherigen Lebens gespeichert sind. Diese Erkenntnisse brauchen wir gerade dann, wenn wir in Schwierigkeiten geraten und wir durch eben diese Schwierigkeiten in keiner guten Stimmung sind. Darin liegt auch die Begründung, dass wir nur dann auf gute Ideen kommen und erfolgreich sind, wenn wir uns gut fühlen und wir zufrieden und glücklich sind. Denn wie Albert Schweitzer sagt: „Erfolg ist nicht der Schlüssel zum Glücklichsein. Glücklichsein ist der Schlüssel zum Erfolg. Wenn du das, was du tust liebst, wirst du erfolgreich sein“. Wir müssen also lernen, unseren „Gefühlshaushalt“ zu beeinflussen.
Andererseits kommen wir in gute Stimmung, wenn wir das Extensionsgedächtnis und damit unser Selbst aktivieren. Das gelingt uns besonders gut, wenn die gesetzten Ziele tatsächlich Teil unseres Selbst sind, wenn sie „aus unserem tiefen Inneren“ stammen. Man spricht in diesem Zusammenhang von intrinsischen (aus einem selbst kommenden) gegenüber extrinsischen (von anderen auferlegten) Zielen. „Lebensfreude stärkt die Schaffenskraft. Und Schaffenskraft erhöht die Lebensfreude“, sagte Else Pannek. Die Beziehung zwischen den Gefühlen und der Aktivierung der einzelnen Systeme ist also wechselseitig. Viele der im Folgenden dargestellten Regeln haben mit dieser Beziehung zu tun.
Das Rubikon-Modell
Wenn man die einzelnen Phasen untersucht, die einer Handlung zugrunde liegen, dann kann man zwei grundsätzlich unterschiedliche Zeitpunkte beobachten: In einer ersten Phase des Abwägens, bevor man endgültig zu einer Entscheidung kommt, ist man nach allen Seiten offen und sucht nach Informationen, wobei diese ohne Selektion aufgenommen werden. Ist dann eine Entscheidung getroffen, kann man eine Abschirmung gegen Informationen beobachten, die diese Entscheidung infrage stellen könnte. Durch die selektive Nichtbeachtung und Abwertung absichtsgefährdender Informationen wird die einmal getroffene Entscheidung stabilisiert.[1]
Diese imaginäre Grenze zwischen Informationssuche und Entscheidung hat man als Rubikon bezeichnet und die Theorie, die sich darauf beruft, als Rubikon-Theorie genannt, in Anlehnung an den Angriff Cäsars auf Rom zu Zeiten des Bürgerkrieges: Als er mit seinem Heer den Fluss Rubikon überschritten hatte, gab es kein Zurück mehr, das war allen Soldaten klar: „Alea iacta est“ „Der Würfel ist gefallen.“ Die unterschiedliche Bewusstseinslage vor und nach dem Überschreiten des Rubikon stand im Mittelpunkt des Interesses an diesem Modell.[2] Es ließ sich zeigen, dass vor der Entscheidung mehr entscheidungsrelevante Informationen beachtet werden, während nach der Entscheidung mehr umsetzungsrelevante Informationen im Mittelpunkt des Bewusstseins standen.[3]
Das Rubikon-Modell der Handlungsphasen von Heinz Heckhausen teilt den Handlungsstrom in folgende vier Phasen ein:
1. Abwägen
2. Entscheidung (Planen)
3. Zielverfolgung (Handeln)
4. Abschluss (Bewerten)
Die folgenden Regeln der Selbstmotivierung werde ich nach diesen vier Phasen gliedern.
Die vier Phasen der Entstehung einer Handlung
Der Weg von der Wahl eines Handlungsziels bis zur Zielrealisation,[4] bzw.
1
vgl. Heckhausen & Kuhl, 1985; Kuhl, 1983
2
vgl. Heckhausen, 1989, S. 203ff.
3
Gollwitzer, Heckhausen & Steller, 1987. Es zeigte sich allerdings in einem Experiment von Beckmann und Kuhl (1984) auch, dass es hinsichtlich dieses Rubikon-Modells individuelle Unterschiede gibt (nur handlungsorientierte Gestalter zeigten die einseitige Beachtung der Informationen), auf die ich später eingehen werde.
4
Schmidt & Kleinbeck, 2004, S. 899ff