Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band). Артур Шницлер

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Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band) - Артур Шницлер


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sie Therese für den nächsten freien Sonntag zu einem Ausflug ein. Sie sei mit einem guten Freund verabredet, Einjährig-Freiwilligem bei den Dragonern, der auch seinerseits, wenn Therese mit von der Partie sein wolle, einen Kameraden mitbringen werde. Therese maß sie mit einem erstaunten, fast beleidigten Blick, der Sylvie nur lächeln machte. Es war ein schöner Frühlingstag; die beiden saßen nahe dem Teich, die Kinder, die ihrer Obhut anvertraut waren, fütterten die Schwäne, und Sylvie plauderte unbeirrt weiter. Sie hatte ihren Freund in diesem Winter auf einem Maskenball kennengelernt – ja, auf Maskenbälle ging sie auch, warum denn nicht –, er war hübsch, blond, eher klein, der lustigste Junge, den man sich denken konnte; er werde wahrscheinlich beim Militär bleiben, weil ihm das Studieren nicht viel Spaß mache; und als Sylvie ihm neulich von der wiedergetroffenen Freundin erzählt habe, sei er gleich auf den Einfall dieser kleinen Partie zu viert gekommen. Man würde auf einem Donauarm spazierenfahren, Schinakel, sie sprach es halb 241 französisch Chinaquele aus, dann irgendwo zu Abend essen, auf dem Konstantinhügel oder im dritten Kaffeehaus, man müsse ja kein Programm machen, es finde sich schon alles von selbst. Therese lehnte ab, Sylvie ließ nicht nach, und endlich verblieb man dabei, die Sache vom Wetter abhängig zu machen.

      Als Therese am Morgen des nächsten Sonntags erwachte und den Himmel mit dunklen Wolken verhängt sah, empfand sie das wie eine Enttäuschung; doch mittags heiterte es sich auf, Sylvie holte Therese am frühen Nachmittag ab, und man fuhr zum Praterstern, wo die beiden Herren am Tegetthoffmonument Zigaretten rauchend warteten. Sie begrüßten die Damen mit vollendeter Höflichkeit, sahen in ihren Uniformen recht elegant aus – vollendete Kavaliere, dachte Therese – und auf den ersten Blick gefiel ihr der blonde kleine Mensch, der Sylvies Geliebter war, viel besser als der andere. Der war ein hagerer, in seiner Figur an Kasimir Tobisch erinnernder Mensch mit einem schmalen, fahlen, etwas gelblichen Gesicht, schwarzem Schnurrbart und einem Spitzbärtchen, wie es bei österreichischen Freiwilligen und Offizieren sonst kaum üblich war, und hatte auffallend schlanke, allzu magere Hände, von denen Therese in einer sonderbaren, ihr unbegreiflichen Weise wie gebannt war. Man dankte ihr, daß sie gekommen war; Sylvie führte das Gespräch sofort in ihrer flinken und lustigen Weise, sie redeten alle französisch, der Blonde sehr geläufig, der andere etwas mühseliger, aber mit einem viel besseren, wenn auch etwas affektierten Akzent. Man ging durch die Hauptallee, aber da gab es so viele Menschen – und sie dufteten nicht besonders gut, wie der Hagere bemerkte –, und so nahm man bald 242 einen Seitenweg, der unter hohen frühlingsgrünen Bäumen in ein stilleres Revier führte. Der Blonde erzählte von seinem vorjährigen Aufenthalt in Ungarn, wohin man ihn zur Jagd geladen; Sylvie nannte die Namen einiger Aristokraten, die sie in ihrer letzten Stellung kennengelernt hatte, ihr Freund erlaubte sich freche Anspielungen, die sie lachend hinnahm und mit ähnlichen erwiderte. Der andere, mit Theresen ein wenig zurückbleibend, schlug einen ernsteren Ton an, seine Stimme war leise, klang manchmal wie absichtlich verschleiert; er hatte das Monokel aus dem Auge fallen lassen und sah mit einem blasierten Blick unter etwas geröteten Lidern vor sich hin. Er konnte nicht recht glauben, daß Therese eine Wienerin sei, eher dächte man an eine Italienerin, ja eine von den kastanienbraunen Norditalienerinnen aus der Lombardei. Sie nickte nicht ohne Stolz; ihr Vater stammte ja wirklich aus italienischer Familie und ihre Mutter aus kroatischem Adel. Richard wunderte sich, daß sie Erzieherin sei. Es gab doch so viel andere Berufe, die sicher viel besser für sie getaugt hätten; mit ihrer Erscheinung, ihren strahlenden Augen, ihrem dunklen Organ hätte sie auf der Bühne gewiß ihren Weg gemacht. Und jedenfalls blieb es völlig unbegreiflich für ihn, wie man sich freiwillig, jawohl freiwillig, denn sie hatte es gewiß nicht nötig, in eine solche Sklaverei begeben könne. Sie mußte an Kasimir Tobisch denken, der vor Jahren ganz das gleiche Wort gebraucht, und blickte ins Weite. Und Richard, immer lebhafter: Alle heilige Zeiten einmal ein paar Stunden zur freien Verfügung haben – unverständlich, wie man eine solche Existenz überhaupt zu ertragen im Stande sei. Therese spürte den Nebensinn 243 dieser Worte, wenn auch das Antlitz ihres Begleiters unbeweglich blieb.

      Auf dem Konstantinhügel trank man Kaffee und aß Kuchen. Die beiden Herren äußerten sich spöttisch über die etwas »mindere« Gesellschaft an den anderen Tischen. Therese fand die Leute gar nicht so übel, und es schien ihr, als vergäßen die beiden Kavaliere allzusehr, daß sie da mit zwei armen Geschöpfen zusammensaßen, die man wohl auch eher zur minderen Gesellschaft rechnen mußte. Am Ufer des kleinen Teiches unterhalb des Konstantinhügels mietete man ein »Schinakel«. Therese fühlte wohl, daß es den beiden jungen Herren wie ein Spaß, ja wie eine Art von Herablassung vorkam, als sie sich unter das Volk mischten und ihren Kahn zwischen anderen, in denen »mindere Leute« saßen, vorwärts und allmählich in den schmalen Flußarm ruderten, der sich zwischen grünen Ufern gegen die Donauauen hin schlängelte. Sylvie rauchte eine Zigarette, auch Therese versuchte es nach langer Zeit wieder, seit den Salzburger Abenden in der Offiziers-und Schauspielergesellschaft hatte sie es nicht getan; es schmeckte ihr so wenig wie damals, und ihr Begleiter, der es merkte, nahm ihr die Zigarette aus den Fingern und rauchte sie selbst weiter. Er legte die Ruder hin und überließ dem Blonden alle Arbeit. Dem würde es sehr gesund sein, bemerkte er, bei seiner Anlage zum Dickwerden. An den Ufern, unter hohen uralten Bäumen, lagerten Paare und Gruppen. Später wurde es stiller und einsamer. Endlich stiegen sie aus und machten den Kahn an einem der hiefür bestimmten Pflöcke fest. Dann spazierten sie weiter auf immer schmaleren Wegen durch immer dichteres Grün den Auen zu. Sie 244 gingen paarweise, eingehängt; einmal noch hatten sie eine breite Straße zu überqueren, dann schlugen sie einen Pfad ein, der sie unerwartet rasch, fast zauberhaft, in eine umwaldete Entrücktheit brachte. Sylvie ging mit ihrem blonden Freund in enger Umschlingung voraus, der andere blieb plötzlich stehen, umfaßte Therese und küßte sie lange auf den Mund. Sie wehrte sich nicht im geringsten. Er redete gleich wieder, ernst, als hätte, was eben geschehen, eigentlich nichts zu bedeuten, und dann, auf eine beiläufige Frage Theresens, begann er von sich zu erzählen. Er studierte Jus und wollte Advokat werden. Sie wunderte sich, sie hatte sich vorgestellt, daß er Berufsoffizier werden wolle wie der andere. Er schüttelte beinahe verächtlich den Kopf. Er dachte nicht daran, beim Militär zu bleiben; und selbst, wenn er wollte, dazu brauche man Geld, und er sei im Grunde ein armer Teufel. Sie müsse das nicht gerade wörtlich nehmen, aber gegen seinen blonden Kameraden sei er wirklich ein Schnorrer. Weit vor ihnen hörten sie ihn lachen. »Immer fidel,« sagte Richard – »und dabei hat er die fixe Idee, daß er ein Melancholiker ist.« Ein junges Paar begegnete ihnen. Das Mädchen, eine wohlgekleidete, hübsche Blondine, betrachtete Richard mit einem solchen Ausdruck des Wohlgefallens, daß Therese sich unwillkürlich geschmeichelt fühlte. Von dem nahen, nicht sichtbaren Fluß wehte feuchter Duft heran. Der Weg wurde immer schmäler, es war kaum ein Weg mehr; sie mußten manchmal die Äste zurückschlagen, um vorwärts zu kommen. Sylvie rief einmal zurück zu Theresen hin in ihrem hellen Französisch: »A la fin je voudrais savoir, où ces deux scélérats nous mènent.« Therese hatte jede 245 Orientierung verloren. Der Fluß schimmerte durch Schilf und Weiden, um sich gleich wieder in einer Biegung zu verlieren. Irgendwoher tönte der langgezogene Pfiff einer Lokomotive; nah und doch unsichtbar ratterte ein Bahnzug über eine Brücke. Theresen war es, als hätte sie das alles schon einmal erlebt, aber sie wußte nicht wann und wo. Sylvie und ihr Begleiter waren gänzlich verschwunden, man hörte Lachen, verklingende Worte gespielter Abwehr, Kichern, leises Schreien. Therese fühlte ihr eigenes, wie erschrockenes Gesicht. Richard lächelte, sah sie an, warf seine Zigarette zu Boden, trat das Feuer aus, nahm Therese in die Arme und küßte sie. Dann hielt er sie fest an sich gedrückt, ging tiefer mit ihr ins Schilf und zog sie mit sich nieder. Wieder hörte sie das Lachen Sylvies, zu ihrer Verwunderung ganz nah. Mit fast entsetzten Augen blickte sie zu Richard auf und schüttelte lebhaft den Kopf. Sein Antlitz erschien ihr dunkel und fremd. »Man sieht uns nicht«, sagte er, und wieder hörte sie die Stimme von Sylvie. Es war eine Frage, eine Frage an Therese, frech und schamlos. Wie darf sie sich das erlauben, dachte Therese. Und plötzlich, in den Armen Richards, hörte sie sich antworten, hörte ihre eigene Stimme, hörte Worte aus ihrem eigenen Mund, beinahe gerade so frech und ausgelassen, wie Sylvies Worte gewesen waren. Was ist mit mir? dachte sie. Richard streichelte ihr die feucht gewordenen Haare aus der Stirn und flüsterte leidenschaftlich-zärtliche Worte in ihr Ohr. Ein Wagen rollte fern, ganz fern. Der Fluß, den sie nicht sehen konnte, spiegelte sich seltsam im dunkelblauen Himmel über ihr.

      246 Als sie später durch Dickicht wieder auf einen schmalen Weg gelangten, schmiegte sie sich


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