Leopold von Ranke: Historiografische Werke. Leopold von Ranke
Читать онлайн книгу.Gewalt, welche die ganze Summe der Souveränität in sich schließe, und schrankenlose Gewalt, die es überhaupt nicht geben könne. Sein Sinn war weniger auf ein Herbeiziehen der Volksmasse, als auf die Nachweisung der natürlichen Grenzen der absoluten Gewalt aus dem Begriffe der übertragenen Souveränität gerichtet.
Es ist sehr erklärlich, daß diese Ansichten in dem damaligen Frankreich wenig Eingang fanden. Wie manche andre aber regten sich doch auch da, die mit dem Staate Ludwigs XIV. in nicht geringerem Widerspruch standen! Wir gedachten des geistvollen Priesters,269 der die kriegerische Monarchie, welche ihre Größe sich als vornehmsten Zweck setzte und gegen die Nachbarn um sich griff, überhaupt verwarf; ihm und seinen Anhängern stand die Idee des Menschengeschlechts höher als die der Nation, sie sahen in jenen Kriegen nichts besseres als Bürgerkriege, eine Ansicht, welche, ihrem Wesen nach religiös, eine unmittelbare Anwendung auf die kirchlichen Verhältnisse fand. Denn wenn die Nationalität in bezug auf Krieg und Politik keine unbedingte Geltung hatte, welchen Anspruch konnte sie auf eine solche im Gebiete der Kirche machen, die ihrer Natur nach alle Völker zu umfassen strebt.
Andre wünschten im Gegenteil die Einheit der Autorität in der Einheit der Gesetzgebung darzustellen, wie denn einer der großen Juristen der Epoche, Domat, unter den Auspizien des Königs den Entwurf eines allgemeinen Gesetzbuchs verfaßte, welcher so vielen späteren Versuchen zum Vorbilde gedient hat. Die weitaussehendsten Vorschläge wurden durch die zutage liegenden und immer wachsenden Unordnungen und Mißbrauche hervorgerufen.270 So oft der Vorschlag der Generalstände erscheint, hat er einen aristokratischen, fast antimonarchischen Charakter. St. Simon271 hoffte von ihnen, daß sie das Reich und den Adel von der Herrschaft der Beamten und von der unbeschränkten Macht des Königtums, aus der er zuletzt alle Übel herleitet, befreien würden.
Es ist nicht tatsächlicher Widerstand, was den Staat Ludwigs XIV. bedroht, sondern die Gedanken der Menschen reißen sich von ihm los. In jedem Zweige, der Armee, der Kirche, der Administration, dem Handel, überall stößt die Autorität des Fürsten auf die beginnende Regung freier Elemente. Kaum sollte man es glauben, aber es ist wahr: manche begrüßten die Unfälle272 als heilbringend, sie hätten fast eine noch entschiedenere Niederlage herbeigewünscht, damit das alte System vollkommen zugrunde gerichtet würde. Wie Fenelon mit der Salbung seines bischöflichen Stils es ausdrückt: »Was kann uns retten, wenn wir aus diesem Krieg ohne eine gänzliche Demütigung hervorgehen?« Das wahre Heil Frankreichs sah er in der Anwendung der Mittel, die er vorschrieb, einer gänzlichen Änderung der inneren Politik; ohne große Unglücksfälle aber schien ihm diese nicht möglich zu sein.
Drei große politische Tendenzen, auf verschiedenen Gedankenreihen beruhend, erscheinen an dieser Stelle in der französischen Welt. Die eine ist die der Monarchie selbst, die doch die äußersten Unfälle noch vermieden hat und sich durch friedliche Reform auf ihrem bisherigen Wege vollkommen wiederherzustellen gedenkt; noch hält sie die Geister großenteils durch innre Herrschaft fest. Neben ihr erhebt sich das aristokratische Verlangen, sich des von ihr auferlegten Gehorsams wieder zu entledigen, zu der alten Autonomie zurückzukehren. Dem aber setzt sich wieder eine populäre Theorie entgegen, welche diesen Gehorsam noch sehr unzureichend findet und eine bei weitem strengere Einheit der Nation zu realisieren meint. Die Bestrebungen der späteren Zeiten gehen in mannigfaltigen und abweichenden Strahlen von dieser Epoche aus.
Blüte der französischen Literatur unter Ludwig XIV. 3, 269-276. Oppositionelle Literatur des 18. Jahrhunderts 4, 402-409.
33. Karl I., König von England
Englische Geschichte II, III, Werke Bd. 15 S. 274 ff. Bd. 16 S. 116, 336 ff.
Von den Nachkommen Maria Stuarts, zugleich Nachfolgern der Königin Elisabeth, auf welche die Verbindungen beider Königinnen vererbt waren, konnte man nichts anderes erwarten, als daß sie in die religiösen Konflikte des Kontinents nur wenig eingreifen würden. Sie suchten mit beiden Parteien in gutem Vernehmen und selbst in Verbindung zu stehen. Wohl waren sie durch die pfälzische Angelegenheit273 in den großen Streit verflochten worden; Karl I. hatte sogar einmal eine Stellung an der Spitze der Protestanten eingenommen,274 aber er hatte dabei eine Niederlage erlitten; seine Verbindung mit den Protestanten war diesen selbst zum Verderben ausgeschlagen. Er überließ sie seitdem in der Hauptsache sich selbst und verfolgte nur seinen besonderen Zweck, die Herstellung seiner Neffen von der Pfalz.275
Im Streite mit den beiden großen kontinentalen Mächten276 hatte Jakob noch durchgeführt, was von Elisabeth angebahnt worden war; er hatte dazu beigetragen, die Republik der Niederlande von Spanien zu emanzipieren; das Übergewicht dieser Monarchie zu Lande und zur See war ihm selbst widerwärtig. Aber weiter wollte er nicht gehen. Ganz gegen seinen Wunsch und Willen ward er am Ende seiner Tage in Hader mit derselben verwickelt. Wie in dem religiösen Streite, so wollten die Stuarts auch in dem politischen zwischen Spanien und Frankreich nicht eigentlich Partei ergreifen. Von dieser Grundtendenz ihrer Politik wichen sie zuweilen ab, kamen aber immer wieder darauf zurück.
Genug, an diesen beiden großen Fragen, welche über die Zukunft der Welt entschieden, nahm König Karl, seitdem es mit seinem Eingreifen einmal mißlungen war, keinen nachdrücklichen selbständigen Anteil mehr. Wir sahen, wohin es ihn führte, daß er der Verbündete zugleich von Schweden wie von Spanien sein wollte. Ein bestimmtes Ziel hatte er dagegen in den inneren Angelegenheiten ins Auge gefaßt. Hier hatte seine Tendenz, wie sehr es auch eigens auf englischem Grund und Boden entsprungene Streitfragen waren, eine Analogie mit der auf dem Kontinent vorwaltenden: wie die großen katholischen Fürsten, so suchte auch er die ständische Mitwirkung in den politischen Angelegenheiten zurückzudrängen und die königliche Gewalt mit den Attributen der geistlichen zu verstärken. Nicht als hätte sich Karl I. dem Papsttum wieder zu unterwerfen gedacht; wir wissen, wie fern seine Seele davon war; nicht einmal über die Formel, in der die Katholiken ihren Gehorsam versprechen sollten, konnte er sich mit dem Papst verständigen. Es war nicht, wie bei den andern Mächten, die katholische Idee, durch welche die englische Krone verstärkt werden konnte; man stützte sich vielmehr auf die dem Papsttum abgerungene Autorität. Das königliche Supremat über die Kirche sollte durch die engste Verbindung mit den protestantischen Bischöfen zu einem die drei Reiche umspannenden Mittel der höchsten Gewalt gemacht werden. Das Bistum war in seinem Besitz und seiner Würde befestigt und durch gemeinschaftlichen Gegensatz gegen seine Widersacher, die den Stuarts von Schottland her verhaßt war, mit der Krone verbunden, deren Sache es als seine eigene verteidigte. Da die Krone Schonung der Katholiken, Unterdrückung der Puritaner in ihrem Interesse fand, so geschah das sonderbare, daß die durch die Reformation gebildete kirchliche Gewalt den Anhängern des alten Glaubens günstiger war als den eifrigen Verfechtern des neuen. Ebendas entsprach der Lage, in welcher die Stuarts ihre Krone empfangen hatten. Sie wollten Protestanten sein, aber die Feindseligkeit der Katholiken vermeiden und den Puritanismus womöglich vernichten. Ihr Verhältnis zur bischöflichen Kirche war im großen und ganzen dasselbe, welches Elisabeth begründet hatte; es unterschied sich dadurch, daß die Königin die Katholiken mit entschiedener Feindschaft verfolgt, die Presbyterianer als in diesem Streit unentbehrlich geduldet hatte, die Stuarts aber die Presbyterianer haßten, den Katholiken Duldung zu gewähren suchten.
Und da der Grund der Vereinigung von Schottland mit England und des besseren Gehorsams von Irland in dem Erbrecht der Stuarts lag, welches von beiden Religionsparteien anerkannt wurde, so konnten ihnen die Parlamente in dem Lichte