Carl Maria von Weber in seiner Zeit. Christoph Schwandt

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Carl Maria von Weber in seiner Zeit - Christoph  Schwandt


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eine – leider verloren gegangene – kleine italienische Canzonette auf einen Text aus Metastasios Siroe.

      In Schaffhausen wurde Weber Ehrenmitglied der dortigen Musikgesellschaft und fand »den ächt Republikanischen Geist und die Einigkeit zu sehen die da herrschte … sehr intereßant.«162 Vor allem auf dem Land hatte aber auch in der Schweiz der Adel das Sagen, aber in den Städten war man auf dem Weg zu einer bürgerlichen Gesellschaft durchaus weiter als im »alten Reich«, von dem man sich hier schon lange getrennt hatte. Dennoch hatte Högger, anders als es Weber von zuhause gewohnt war, nicht viele Möglichkeiten, ihm beim Auftun von Konzertgelegenheiten zu helfen.

      Beim Schaffhauser Festival spielte und sang man in großer ad-hoc-Besetzung, freilich mit wenig Proben, unter anderem ein Programm mit Beethovens Erster, Teilen von Haydns Jahreszeiten, sowie Ausschnitten aus oratorischen Werken von Vogler und Himmel. Vor allem aber traf Weber dort seinen »liebsten Bruder« Meyer Beer und dessen Eltern, die auf der Durchreise waren. Jacob Herz Beer und seine Frau Amalie fanden Gefallen an dem Freund ihres Sohnes und luden ihn nach Berlin ein, was sich als viel wichtiger erweisen sollte, als die neuen Bekanntschaften mit schweizerischen Kollegen und Musikfreunden. Der 6. Elul nach jüdischem Kalender war Meyers 20. Geburtstag, und nachdem sie nicht so viel Zeit füreinander gehabt hatten, wie sie eigentlich wollten, trafen sich die beiden Freunde an diesem 26. August noch einmal um fünf Uhr morgens, ehe die Beers um sieben weiterreisten. Immerhin lernt Weber in Schaffhausen ein Streichquartett des gleichaltrigen Schweizer Komponisten Franz Xaver Schnyder von Wartensee aus Luzern kennen und findet es gut. Neu – und uninteressant – ist für ihn ansonsten nur eine Ouvertüre des in Schaffhausen und Winterthur tätigen Samuel Gottlob Auberlen aus Fellbach bei Stuttgart.

      In Winterthur kam es wenig später zu einem nicht nur finanziell, sondern auch musikalisch enttäuschenden Konzert. Er muss sein Klavierkonzert auf einem schlechten Instrument und mit auf ein Quartett reduziertemOrchesterspielen. Saal und Beleuchtung sind dafür gratis. Die Musiker sind Laien, aber die beiden tonangebenden Winterthurer Mäzene, die Fabrikanten Jacob Ziegler und Johann Jacob Sulzer, empfangen Weber sehr freundlich und zeigen ihm ihre eindrucksvollen Betriebsanlagen und Besitzungen. In Zürich besucht Weber den Verleger Nägeli und dessen Nachfolger Hug. Hans Georg Nägeli, der überdies nicht nur Komponist, sondern der Initiator einer schweizerischen Chorbewegung ist, nimmt den Gast mit zu einer Probe. Weber ist enttäuscht, ja befremdet: »Die Leute singen wohl, aber wie? wie das Volk in allen luth: Kirchen«163. Am 3. September gibt er ein Konzert im Casino, das zwar künstlerisch befriedigender ist als das in Winterthur, aber kaum Geld einbringt. Dafür kann er auf einem Érard-Flügel aus Paris spielen.

      Mit dem aus Hildesheim stammenden Musiker Anton Liste geht er trotz seiner Gehbehinderung und der anhaltenden lästigen Verdauungsprobleme die 50 Kilometer nach Weggis zu Fuß. Schon von Schloss Wolfsberg aus hatte Carl Maria von Weber den spätsommerlichen Blick auf den Bodensee, freilich nur auf den kleineren Untersee, genossen. Ein solches Naturerlebnis ist neu für ihn. In der Schweiz lernt er auch die Alpen, die zwischen Salzburg und Wien oder vom Starhemberger See aus nur Panorama sind, aus der unmittelbaren Nähe kennen. Kuh- und Ziegenmilch auf der Alm und der Besuch legendärer und historischer Orte im Gedenken an Tell und Zwingli kommen dazu. In Weggis verabschiedet sich Liste, und Weber reist auf einem Boot weiter nach Luzern. Schnell ist klar, dass in der Stadt kein Konzert zustande kommen wird, worauf er sich »entschloß den anderen Tag abzureisen. ich besah die Orgel die 33 Schuh hohe zinnerne Pfeiffen hat, pp gieng dann ins Bad wo man wie in einem Sautrog sitzt und bezahlte dafür 8 B(atzen): der bedienenden Französin zum erstenmal in meinem Leben«164 ! Wofür genau, lässt er im Tagebuch offen. Dann gelangt er über Jegenstorf, wohin er auch eine Empfehlung hat, aber erst einmal nur kurz verweilt, nach Solothurn. Dort bemüht er sich vier Tage lang darum, konzertieren zu können. Aber es ist gerade Tagsatzung, das heißt, Versammlung der Abgeordneten aller Kantone, da braucht man keine künstlerische Zerstreuung im Beiprogramm wie bei Fürstentreffen oder Kaiserkrönungen. Am 14. September kommt er nach Bern, wo den Leuten der Sinn auch nicht nach Konzerten steht: Es ist Weinlesezeit und Freischießen, also Schützenfest mit Großem Preis! »Das Reisen kostet ungeheures Geld in der Schweiz«165, schreibt er an Gottfried Weber. In Anbetracht der bei seinesgleichen üblichen Kassenlage bringt ihn das auf die Idee zu einem »Noth und Hülfsbüchleins für reisende Tonkünstler«. Um Porto zu sparen, kommt auch ein kurzer Brief an den Vater mit in den Umschlag nach Mannheim, in dem er Franz Anton knapp über seine jüngsten Erlebnisse unterrichtet.

      Es gibt schon andere »Noth und Hülfsbüchlein«, praktische Ratgeberliteratur für »Passagiere zu Pferde«166 oder das ebenso weitverbreitete wie bei der Obrigkeit unbeliebte »für Bauersleute« von Rudolph Zacharias Becker167. Der aufklärerische Publizist, der in Gotha eine Buchhandlung betrieb, sollte Ende des Jahres von den Franzosen verhaftet werden. Und das, obwohl er – ganz im Sinne der Revolution – nur die Ideen der Aufklärung in der Gesellschaft von unten nach oben verbreiten wollte. Webers Absicht ist es, Kollegen zu helfen, an fremden Orten Aufführungsräume ausfindig zu machen und erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben. Dazu sollen sie eine Liste der örtlichen Zeitungen und Publikationsorgane bekommen und erfahren, wie vor Ort üblicherweise Karten verkauft werden, via Subskription oder an der Abendkasse. Die personelle Situation (Dirigenten, Orchester, Sänger usw.) soll in Qualität und Quantität beschrieben werden, wie auch die örtlichen Vorlieben für musikalische Gattungen und natürlich, wo gute Klaviere stehen. Aufgeführt werden soll, welche Wochentage sich gut für Konzerte eignen und welche nicht, und wann gegebenenfalls die Theater spielen. Ferner, wie hoch die allfälligen Lebenshaltungskosten sind, mit denen ein reisender Künstler zu rechnen hat. Dazu die lokalen Musikliebhaber, die möglicherweise Hauskonzerte geben, und eine Liste von Musikern, die an den jeweiligen Orten schon zu Gast waren, bei denen man sich also erkundigen kann. Aber wie das Lexikon, das er mit Thaddäus Susan projektiert hatte, kam auch dieser »musikalische Baedeker«, wie man später sagte, nicht zustande, so hilfreich er für viele reisende Tonkünstler auch gewesen wäre. Der Zürcher Verleger Johann Heinrich Füßli hatte zwar Interesse angedeutet, aber es blieb die Frage, ob sich die Sache rechnete. Für regelmäßig aktualisierte Auflagen war die Zielgruppe sicher zu klein.

      Gern wäre Carl Maria von Weber auch noch nach Genf und Yverdon gereist, aber dafür reichte das Geld wirklich nicht mehr. Er fühlt sich jedoch wieder gesund und guter Dinge und macht noch einen ausgedehnten Ausflug in die Berner Alpen. Er bewundert Eiger, Mönch und Jungfrau aus der Ferne und Nähe, erlebt Lawinenabgänge; und auf einer Alm am Mättenberg, der auch über 3000 Meter hoch ist, genießt er fetten Alpenrahm, was ihm unvermeidlich auf den empfindlichen Magen schlägt. Dann kehrt er nach Jegenstorf nördlich von Bern zurück. Sein Gastgeber dort ist der bayerische Gesandte für die Schweiz, Franz Anton von Olry, bei dem er wohnen kann, ohne dafür zu bezahlen. Hier ist er nicht nur vor protestantischem Chorgesang sicher, denn der strengst-katholische Junggeselle Olry ist »der für diese Zeit nicht seltene Typus des politischen Fanatikers, ein unerbittlicher und ganz und gar intoleranter Anhänger der alten, vorrevolutionären Zustände«168. Gleichwohl lebt eine Frau Peyermann oder Beyermann auf dem Olryschen Anwesen, die Weber schon bei seinem ersten Kurzbesuch in Jegenstorf kennengelernt hat. Sie kann singen, und das wohl recht gut, und er freut sich, sie wiederzusehen. Er reimt sogar ein keckes Gedicht mit dem Titel Künstlers Liebesfoderung (sic), wo es heißt: »Mädel, ich schaue an dir/herrliche Gotteszier; frisch und entschlossen sprich:/Junge, ich liebe dich!«, und setzt es auch gleich in Musik, denn abends ist er mit »Mad: B« allein, weil Olry noch unterwegs ist. Die Noten des Liedchens blieben vermutlich im Besitz der Besungenen und verloren sich mit ihr. Bis heute weiß man nicht, wer sie war. Jedenfalls blieb es nicht bei diesem kleinen Gesangsstück. Weber komponierte für sie noch eine große Szene (»Misera me«) und eine Arie (»Ho spavento«) auf italienische Art. Neun Tage bleibt er in Jegenstorf und findet Zeit, ein Klarinettenquintett für Baermann zu beginnen, an dem er aber noch lange arbeiten wird.

      Zwölf Stunden geht er zu Fuß nach Aarau, um dort, was Herrn von Olry sicherlich nicht amüsierte, den


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<p>162</p>

Brief an Gottfried Weber, 30. August 1811.

<p>163</p>

Brief an Gottfried Weber, 14./15. September 1811.

<p>164</p>

Tagebuch, 7. September 1811.

<p>165</p>

14./15. September 1811.

<p>166</p>

Vgl. Solveig Schreiter: Dornröschen in der falschen Hecke. Neues über Webers musikalischen Baedeker, in: Weberiana 16 (2006), S. 63-68.

<p>167</p>

Das Noth- und Hülfsbüchlein für Bauersleute oder lehrreiche Freuden- und Trauer-Geschichte des Dorfs Mildheim, Gotha/Leipzig 1788.

<p>168</p>

Josef Inauen: Brennpunkt Schweiz. Die süddeutschen Staaten Baden, Württemberg und Bayern und die Eidgenossenschaft 1815-1840, Fribourg 2009, S. 82.