Carl Maria von Weber in seiner Zeit. Christoph Schwandt
Читать онлайн книгу.mehr mächtig: O Gott! wie herrlich, wie unendlich schön ist deine Natur!«136 Der Heidelberger Professor und Reisebuch-Autor Alois Wilhelm Schreiber fand damals den Blick auf die Stadt »von keinem andern Standpunkte so herrlich« wie aus genau entgegengesetzter Richtung flussabwärtskommend vom Stift Neuburg. Der Weg nach Stift Neuburg sei »einer der schönsten in der Umgebung von Heidelberg. Er führt längs dem Flusse, an einer mahlerischen Bergreihe hin, wo kühne Felsmassen aus dem freundlichen Waldgrün hervortreten und durch wildverwachsene Schluchten der Bergquell herabstürzt.«137 Diesen Weg war auch Carl Maria von Weber mit Alexander von Dusch eines Tages, wieder einmal in einem gut einstündigen Spaziergang am rechten Ufer zum Gut des Regierungskommissars Hout und seiner Familie gelaufen. Frau Antonie Hout war eine Schwester Gottfried Webers. Ihr Mann hielt landwirtschaftliche Vorlesungen und bewirtschaftete Land und Gärten der im Mittelalter begründeten Benediktinerabtei, die zeitweise evangelisches Damenstift gewesen war, weshalb man heute noch vom »Stift« Neuburg spricht. Er hatte den enteigneten jesuitischen Besitz von der badischen Kirchenkommission138 gekauft. Im 20. Jahrhundert sollte das Gut Neuburg dann wieder ein Kloster werden. Philipp Ludwig Hout und seine Frau waren Musikfreunde, sodass Neuburg zu einem Künstler-Salon in besonders stimmungsvoller Umgebung geworden war.
Stift Neuburg über dem Neckar
Genaues weiß man nicht, aber Alexander von Dusch stellte es ein halbes Jahrhundert später so dar: In einem Moment, als man nicht musizierte, sich nicht miteinander unterhielt und auch nicht speiste und trank, griffen die Freunde zu einem gerade erschienenen Buch. Es war das Gespensterbuch, das August Apel und Friedrich Laun im Leipziger Verlag Göschen herausgegeben hatten (und dem wegen des großen Erfolgs noch sechs weitere folgen sollten). Es fand sich darin eine schaurige Geschichte, die eigentlich aus dem Böhmischen stammte, bei Apel und Laun aber in dem Örtchen Lindenhayn nördlich von Leipzig angesiedelt wird: Förster Bertram hat eine Tochter Käthchen, die in einen Wilhelm verliebt ist. Leider ist Wilhelm nur Amtsschreiber, kein Jäger, weswegen er Käthchen nicht heiraten kann. Denn ihr Zukünftiger soll die Försterei erben. Also wird Wilhelm Jäger und macht seine Sache zunächst ganz gut. Doch je näher der Tag des traditionellen »Probeschusses« rückt, den der künftige Schwiegersohn des Försters bestehen muss, desto schlechter schießt er. Ein eifersüchtiger Jäger-Kumpan beredet ihn, sich »Freikugeln« zu beschaffen. Das gelingt Wilhelm mit Hilfe eines holzbeinigen Veteranen, und er begegnet dabei auch dem »Schwarzen Jäger«, also dem Teufel. Als der Probeschuss ansteht, bittet Käthchen ihn, nicht zu schießen, weil sie einen schlechten Traum gehabt habe. Wilhelm schießt dennoch und trifft Käthchen tödlich. Die Eltern sterben bald danach und auch Wilhelm – im Irrenhaus. Aus dieser Geschichte, meinten Dusch und Weber, sollte sich doch eine gute Oper machen lassen.
Als sich im Dezember 1810 abzeichnete, dass Weber sich über kurz oder lang von den badischen Freunden verabschieden würde, um sein Glück anderswo zu suchen, schrieb Alexander von Dusch ein kleines Gedicht, und Weber komponierte es: Künstlers Abschied. Jähns nahm das Lied ein halbes, von Schubert und anderen geprägtes, Jahrhundert später nur widerwillig in sein Verzeichnis auf, da es zu den wenigen Werken Webers gehöre, die »an und für sich nicht geeignet gewesen sein würden, seinen Namen weiter zu tragen«139. Dem mag man 200 Jahre später so nicht mehr folgen, handelt es sich bei dem textlich wie musikalisch aus einer Heidelberg-Mannheimer Studentenlaune heraus geschriebenen, geistreichen Lob auf Freundschaft und Gesang – mit dem pathetisch, aber zutreffend formulierten Satz: »Und die heilige Natur/sprech ich aus in Tönen« – doch um ein originelles Liedermacher-Stück mit besonderem biografischen Reiz, wenngleich es auch noch lange dauern sollte, bis Weber tatsächlich auf die darin beschworene »stürm’sche See« hinausgehen würde. Mit dem melancholisch unruhigen Gitarrenlied Die Zeit – »Es sitzt die Zeit im weissen Kleid/…/Sie sitzt am offenen Grab …« –, das etwa um die gleiche Zeit auf einen Text des Napoleonverehrers Joseph Ludwig Stoll entstand, zeigt sich Weber, trotz der simplen Begleitung, freilich näher an der Schwelle zum deutschen Kunstlied der späteren Romantik.
Bei Voß traf er an einem dieser Winterabende den Eutiner Jurastudenten Ernst Ludwig Hellwag, der Weber »einen jungen Eutiner« und »sehr geschickten Musikus«140 nennt, der von einem geplanten Besuch in der Geburtsstadt und in Kopenhagen erzählt habe. Hellwag berichtet, dass auch Jens Baggesen an diesem Abend bei Voß gewesen sei, was Weber aber nicht in seinem Tagebuch verzeichnete. Zunächst ging es auch nur aufs Neue nach Karlsruhe, wo Weber nach einwöchigem Warten und Antichambrieren bei Hofe ein Konzert drei Tage vor Weihnachten im dortigen Museum ermöglicht wird, das ihm nach Abzug seiner Auslagen immerhin 100 Gulden einbringt. Das Morgenblatt für die gebildeten Stände – war der anonyme Autor am Ende einer vom Harmonischen Verein? – fand: »Die Ouvertüre zu seiner Oper Silvana zeugt von seiner hohen Genialität. Man darf sich noch viel versprechen von diesem jungen Manne.«141 Weber hatte sich von dem Besuch in der badischen Hauptstadt auch eine Audienz bei der Königin von Bayern versprochen, die gerade dort weilte. Mütterlicherseits aus Hessen-Darmstadt stammend, war sie badische Prinzessin und Karlsruherin von Geburt. Er traf die königliche Hoheit nicht, sie ließ aber bestellen, dass sie sich auf Webers geplanten Besuch in München freue. Den dritten Adventssonntag verbrachte er noch in der Residenz und sah eine Vorstellung von Maria Stuart, um dann um Mitternacht eine Extrapost nach Mannheim zu nehmen, wo er am Heiligen Abend morgens um neun ankam. Das Tagebuch für dieses Jahr schließt Weber mit einer »Moralischen Übersicht des Jahres« und den Worten ab: »Ich kann … sagen, daß ich diese 10 Monate über beßer geworden bin, meine traurigen Erfahrungen haben mich gewizzigt. ich bin ordentlich in meinen Geschäften, anhaltend fleißig gewesen.«142 Das stimmte im großen Ganzen, war aber nicht die ganze Wahrheit. Im Sommer hatte er dem Verleger Cotta trotz aller musikalischen Arbeit zugesagt, ihm im Dezember das Manuskript seines Romans »Künstlers Leben« zu übergeben. Da hatte er gegenüber dem wahrscheinlich bedeutendsten deutschen Verleger dieser Zeit den Mund zu voll genommen. Sicherlich akkurat ist der Vermerk über 166 geschriebene gegenüber 143 erhaltenen Briefen im abgelaufenen Jahr.
Königin Karoline von Bayern (1776-1841)
Am Dreikönigstag 1811 schlug er seine Zelte wieder in Darmstadt auf, wo er wenig später die orientalische Oper auf den Hiemer-Text fertigstellt. Großherzog Ludewig hatte unterdessen sein Hoftheater nach enorm vielen Proben mit Mozarts Titus eröffnet. Weber war beeindruckt. Später sollte es Voglers Samori geben und dessen neues Singspiel Der Admiral. Den Text fand Weber »hundsschlecht«143. Allerdings hatte den wohl Ludewig von Hessen höchstpersönlich verfasst und Vogler um Vertonung gebeten. Weber durfte sich ein wenig Geld verdienen, indem er den Admiral-Klavierauszug herstellte. Mit Beer fuhr er kurz nach Frankfurt, zu einer Vorstellung von Isouards Cendrillon in seiner deutschen Fassung als Aschenbrödel, wo Caroline Brandt in der Titelpartie viel Applaus bekam. Die »opéra féerie« aus Frankreich hatte Weber Weihnachten auch schon in Mannheim gesehen; über Stück und Sängerin kam nichts ins Tagebuch.
Die Theaterleidenschaft des Großherzogs ging auf Kosten des Darmstädter Konzertlebens. Wenn Hoheit proben ließ, gab es keine Akademien. So dauerte es noch bis zum 6. Februar 1811, ehe das Konzert Webers, wegen dem er im April vergangenen Jahres gekommen war, endlich stattfand. In das Programm nahm er ein neukomponiertes Duett für zwei tiefe Frauenstimmen – in italienischem Stil, auf den Text »Se il mio ben« – auf, was der Pflege lokaler Beziehungen diente: die eine Sängerin war Charlotte Mangold, die 17-jährige Tochter des Konzertmeisters der Hofkapelle und gelegentlich Webers Schülerin. Die andere war eine prominente Künstlerin, die eine so tiefe Stimme hatte, dass sie auch in Tenorpartien wie dem Belmonte in der Entführung oder als Händels Ariodante auftrat: Marianne Schönberger-Marconi. Sie und ihr Mann, der Wiener Landschafts- und Bühnenmaler Lorenz Schönberger, waren mit Vogler bekannt. Die Schönberger hatte zwar einen weit zurückliegenden
136
137
A. W. Schreiber:
138
Vgl.
139
Friedrich Wilhelm Jähns:
140
Zit. nach Henry A. Smith (Hg.):
141
142
31. Dezember 1810.
143
Brief an Gottfried Weber, 30. Januar 1811.