Carl Maria von Weber in seiner Zeit. Christoph Schwandt

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Carl Maria von Weber in seiner Zeit - Christoph  Schwandt


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und artikuliert sich vokal wie Mozarts Osmin, was auch in Webers Orchester durchklingt. Graf Rudolph hingegen ist eine elegante melancholisch-heroische Gesangspartie mit hohen Ansprüchen, die auf die besondere Begabung von Johann Baptist Krebs hinweist, für den sie gedacht war. Rudolph verliebt sich in das stumme Waldmädchen und leidet nun, weil er gegen seinen Willen einer anderen versprochen ist. Sie heißt Mechtilde, ist eine Grafentochter und ihrerseits in einen erklärten Feind ihres Vaters verliebt, Albert von Cleeburg. Der erscheint am Ende des zweiten Akts mit heruntergeklapptem Visier zum Turnier auf des Vaters Burg, siegt, öffnet das Visier und bittet um ihre Hand. Der Vater lässt Albert trotz Mechtildes und sogar Rudolphs Flehen einkerkern. Mit diesem Akt-Finale, das eine Viertelstunde dauert, ist Weber aus seinen singspielhaften Versuchen herausgewachsen und zum Opernkomponisten geworden. Mechtilde, eine Partie, die Weber für Margarethe Lang vorgesehen hatte, bekommt am Ende ihren Albert dennoch, denn es stellt sich heraus, wer Silvana in Wirklichkeit ist: »Ottilie, oh Gott, meine Ottilie«, entfährt es Graf Adelhart, als er erkennt, dass Silvana, die umgebracht werden soll, weil sie Rudolph verzaubert habe, seine eigene, einst verstoßene Tochter ist; und die bislang sich stumm Stellende hat kurz vor dem Ende der Oper doch noch einige Sätze zu sprechen.

      Das Libretto hat Schwächen, schafft aber dankbare Situationen für Webers musikalischen Instinkt. »Für einen Dichter in des Wortes höherem Sinn hat sich wohl Hiemer selbst nicht gehalten«113, meinte 1906 der Autor des einzigen ausführlichen biografischen Versuchs über ihn. Auch ist zu bedenken, dass Hiemer vielleicht stellenweise neuen Text auf bestehende Musik zu schreiben hatte, weil Weber Vorhandenes verwenden wollte. Eine eindrucksvolle Unwetter-Musik mit Chor zu Beginn des dritten Akts kam wiederum durch Hiemers bildlich-romantische Vorgabe zustande. Endet die Oper auch mit einem nach spätklassischem Vorbild konventionell angelegten Chor, so sind der davor eingelegte schmissige »Fackeltanz« und ein anmutiges Ballett der Edelknaben Konzessionen an den aktuellen Geschmack »à la française«. »Wenn die Silvana in literarischer Hinsicht tatsächlich eine Umarbeitung des Steinsberg-Textes des Waldmädchens darstellt,« meint die russische Musikwissenschaftlerin Natalja Gubkina, der allein der Vergleich mit dem Sankt Petersburger Originalmaterial bisher möglich war, »so ist sie nach musikalischen Gesichtspunkten ein vollkommen eigenständiges, sich selbst genügendes Werk, das sich von seiner Vorlage unterscheidet.«114 Denn auch dieses letzte Finale seiner Oper wäre dem Weber der Freiberger Zeit nicht zuzutrauen gewesen. Gerade in diesem Zusammenhang fällt auf, dass die Silvana-Ouvertüre weniger inspiriert daherkommt und vielleicht tatsächlich im Wesentlichen vom Waldmädchen stammt.

      Silvana ist ein bemerkenswerter Beitrag, dem »Mangel an deutschen Originalopern abzuhelfen«, den Weber in seinem Stuttgart-Text für Mahlmanns Zeitung für die elegante Welt Ende 1809 konstatiert hatte. Danzi war für ihn in dieser Hinsicht ein Hoffnungsträger. Er erwähnt in dem Artikel alles, was in der württembergischen Hauptstadt Rang und Namen hat, auch Abeille und Peter und Ännchen, natürlich auch Hiemer, dem er attestiert, dass sein »Dialog fließend und natürlich« sei und »seine Verse sehr musikalisch und doch nicht (wie manche wähnen, es müsse sein) ohne poetischen Wert.« Da sein Text ohne Autorenangabe erschien, nutzte er unverfroren die Gelegenheit zu ergänzen: »Er bearbeitet jetzt die Oper ›Silvana‹, welche das hier Gesagte vollkommen beweisen wird.«115 Lehr, Haug und Reinbeck kommen auch vor – und die Vasenentwürfe der bekannten Scherenschnittkünstlerin Luise Duttenhofer. Am wichtigsten ist aber sein Urteil über das Stuttgarter Publikum, das sich nur amüsieren wolle und dabei vollkommen undifferenziert sei »(und zwar meistens über ein und dasselbe Kunstwerk) in den beiden Extremen: Das Stück ist schlecht oder – vortrefflich.«116 Kurz nach dem Erscheinen des Artikels im Frühjahr 1810 komponierte er Mahlmanns Schäferstunde zu einem lebendigen Salon-Chanson mit Gitarrenbegleitung, aber da war er schon nicht mehr in Stuttgart.

      Mit der Abreise von dort begann Carl Maria von Weber, 23 Jahre alt, ein Tagebuch zu führen und tat dies bis kurz vor seinem Tod. Es ist ein oft nur mit einzelnen Namen und Worten skizziertes Lebensprotokoll, ganze Sätze sind selten, viele Notate werden möglicherweise für immer rätselhaft bleiben. An eine literarische Verwertung hatte er ganz bestimmt nicht gedacht, vielleicht sollte es dereinst eine Gedankenstütze für einen großen Rückblick sein. Vor allem aber wurde es ein, zumindest für den Außenstehenden, sehr akkurates Kassenbuch, was nur der Stuttgarter Lebenserfahrung geschuldet sein konnte. Wie arm ein tatenreiches Leben ausgehen konnte, zeigte schließlich das Schicksal seines Vaters, der nun irgendwo sein vermutlich letztes Domizil finden musste und auf Zuwendungen auch seines jüngsten Sohns angewiesen war.

      Nach einer Übernachtung in Heilbronn waren sie am Abend des 27. Februar 1810 in Mannheim angekommen. Noch rechtzeitig, um in die Vorstellung von Bretzners beliebtem Lustspiel Das Räuschchen zu gehen. Die ehedem kurpfälzische Residenz, einst auch kulturelles Zentrum, war nun eine Stadt am nordwestlichen Rand Badens, regiert wurde in Karlsruhe. Dort gab es ein großherzoglich badisches Hoftheater, in Mannheim weiterhin ein »Nationaltheater«. Das bedeutete, eine Bühne mit Aufführungen in deutscher Sprache für alle, die Deutsch verstanden. Ein Anspruch, der nicht zuletzt von dem bedeutenden Mannheimer Intendanten Wolfgang Heribert von Dalberg im Sinne bürgerlicher Volksbildung ausgelegt worden war. Dieses frühe deutsche Nationaltheater darf man nicht mit den ostmitteleuropäischen Nationaltheatern des späteren 19. Jahrhunderts verwechseln, die sich von den Fremdsprachen, die die Herrscher sprachen, abgrenzten. Dem hochbetagten Karl Friedrich, der nach Jahrzehnten als Markgraf und Kurfürst nun zwar nicht König, aber doch Großherzog eines Rheinbund-Staats geworden war, in seiner Karlsruher Residenz lag aber weder das Konzept noch die Stadt Mannheim besonders am Herzen. Er hatte Dalberg 1803 zum Minister befördert, der zwar noch seinen Schwiegersohn Friedrich Anton von Venningen zum neuen Nationaltheater-Intendanten machen, nicht aber den Niedergang der Mannheimer Bühne aufhalten konnte. Der ehedem bayerisch-kurpfälzische Glanz war sowieso dahin. Wieder einmal waren die Webers an einem Ort, an dem die besseren Zeiten vorbei waren.

      Sie waren fürs Erste in einem Gasthof abgestiegen, aber für längere Zeit war das nicht zu bezahlen. Hilfe kam von der Theaterfamilie Frank. Georg Frank war Schauspieler, seine noch unverheiratete Tochter Luise hatte als Sängerin bei den Stuttgarter Marie von Montalban-Aufführungen mitgewirkt. Zu ihrem aktuellen Repertoire zählte die auch hierzulande beliebte Himmelsche Fanchon. Carl Maria konnte bei den Franks wohnen, für den Vater fand man ein anderes Quartier. In den nächsten Wochen versuchte Weber mit Intendant von Venningen ins Gespräch zu kommen. Er schrieb ihm, ersuchte um Konzerttermine und hoffte auf eine Anstellung. Am 23. März 1810 bietet er ihm Silvana an, »die sich des ausgezeichneten Beyfalls eines Voglers, Danzi etc. erfreute«, wobei Vogler die Oper überhaupt noch nicht kannte. Sie habe »den Vorzug, mit großem Pomp und doch ohne Kosten aufgeführt werden zu können. Das Sujet ist anziehend und wird gewiß die Oper zu einem Kaßen Stüke machen. Das Verlangen, meine geringe Arbeit von dem hiesigen vortrefflichen Personale aufgeführt zu wißen … bestimmt mich, von dem gewöhnlichen Preise abzugehen und sie Ew: Exellenz für den sehr mäßigen von 8 Carolin anzubieten.«117 Das entsprach einem bescheidenen Breslauer Monatssalär. In seiner Stuttgarter Schlussbilanz hatte er das Werk, seinen Gläubigern zum Trost, mit kühnen 1400 Gulden auf der Habenseite verbucht.118 Aber Venningen nahm die Oper nicht an, und es gab auch keine freie Stelle für ihn.

      Dabei hatte sich Carl Maria von Weber als konzertierender Künstler schnell und gut in Mannheim eingeführt und schon in einer Hofmusikakademie am 2. März ein eigenes Klavierwerk vorgetragen, höchstwahrscheinlich die Dorina bella-Variationen. Genau eine Woche später durfte er eine eigene Akademie ausrichten, bei der er auch dirigierte und stärker an den Einnahmen beteiligt wurde. Es gab seine erste Sinfonie und das erste Finale von Silvana, das nur von einem Tenorsolisten und Chor zu bestreiten war, aber auch bei weitem nicht so effektvoll daherkam wie das zweite. Pomp ohne Kosten gab es eben doch nicht. Aber Intendant von Venningen war ohnehin nicht zugegen. Außerdem spielte Weber wieder ein Klavierkonzert von Eberl. Am 28. März konzertierte er schon wieder. Er brachte erneut etwas aus Silvana und ein Klavierkonzert von Beethoven.


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<p>113</p>

Rudolf Krauß: Aus F. K. Hiemers Nachlaß, in: Württembergische Vierteljahrshefte, Neue Folge, Jg. 15 (1906), S. 593.

<p>114</p>

Natalja Gubkina: Das Waldmädchen von C. M. v. W. – Notizen zum Petersburger Aufführungsmaterial, in: Weberiana 11 (2001), S. 44.

<p>115</p>

Zeitung für die elegante Welt, Nr. 53 vom 15. März 1810, Sp. 421.

<p>116</p>

Ebd., Sp. 419.

<p>117</p>

Brief, 23. März 1810.

<p>118</p>

Brief, 12. Februar 1810.