Carl Maria von Weber in seiner Zeit. Christoph Schwandt

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Carl Maria von Weber in seiner Zeit - Christoph  Schwandt


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Vornamen Immanuel trug. Baggesen hatte Gedichte von Lehr in sein bei Cotta erschienenes Taschenbuch für Liebende aufgenommen, lebte nach einigen Jahren in Paris nun wieder in Kopenhagen und pries die Französische Revolution. Im Revolutionsjahr 1789 hatte Kopenhagen Kunzens Holger Danske erlebt, eine Oper auf ein Baggesen-Libretto nach Wielands Oberon. Natürlich schrieben er und Müchler auch unverfängliche Liebeslyrik, wie sie Weber nun aus ihrer Feder vertonte, oder auch Weltschmerz-Verse wie Müchlers Klage, aus der Weber eine opernhaft bewegte kleine Szene schuf. Ich sah ein Röschen am Wege stehn ist wiederum eine ironische Replik Müchlers auf Goethes Heidenröslein: »Ich ging von dannen und ließ es stehn/Und eh’ sein Ende der Tag erreicht,/War’s von der Sonne ganz ausgebleicht./Und nun die Lehre? …/Leicht könnt ihr zeigen, daß ihr sie wisst,/Wenn ihr nun alle den Sänger küsst.« Durch Webers originelle, mit einem kurzen Klavierritornell illustrierte Strophenlied-Form gewinnen die Verse viel Charme, und das Lied verdient seine spätere Popularität. Für Lehrs eigene Gedichte wie Er an Sie oder Meine Farben findet Weber nur einen viel konventionelleren, kokett-galanten Liedtonfall.

      Am Hof des »dicken Friedrich«, wie ihn der Volksmund nannte, lebte auch, nicht ganz aus freien Stücken, der junge Graf Wilhelm von Löwenstein-Wertheim-Freudenberg98. Seine im Badischen ansässige Familie besaß Ländereien in Württemberg, die vom König beschlagnahmt worden waren. Solange niemand von der adligen Familie einen württembergischen Wohnsitz hatte, sollten die Löwensteiner auch keinen Nutzen aus ihren Gütern ziehen. Auch Graf Wilhelm schmiedete Verse, und Weber machte sein selbstironisches Meine Lieder, meine Sänge zu einem kantablen Lied mit arioser Italianità, das später sehr beliebt wurde: »Tönen meine kleinen Lieder,/Die ein fühlend Herz erschuf/Nur in einem Herzen wieder,/Dann erfüllt ist ihr Beruf.«

      Für eine Solostimme, gemischten Chor und Klavier setzte er Baggesens Die Lethe des Lebens, ein auf den ersten Blick unverfängliches Trinklied, das den Wein als Helfer in allen Lebenslagen preist. In der zweiten von fünf Strophen ist aber auch die Rede davon, dass »hagrer Bauern heisre Klagen … an der Marmorwand« verhallen und »der Baron den Tross zu jagen/Die Peitsche schwingt mit eigner Hand«. Es fällt das damals noch seltene Wort »Menschenrecht«, gegen das der Baron handelt. Zwar heißt es dann »trinkt, um zu vergessen/Was keiner noch zu bessern weiss!«, der »französische« Grundton dieses Gedichts ist aber nicht zu überhören.

      In der Cotta’schen Verlagsbuchhandlung zu Stuttgart kam das Morgenblatt für gebildete Stände heraus. Johann Christoph Friedrich Haug arbeitete dort schon lange als Redakteur, neuer Chefredakteur war eben erst der Literat und Theaterautor Georg Reinbeck geworden. Weber lernte beide kennen und erfreute sie mit Vertonungen ihrer Gedichte, die zum Teil in dem genannten Blatt publiziert wurden, wie auch Webers Baggesen-Serenade Horch! Leise horch! Geliebte! Das war strategische Öffentlichkeitsarbeit in eigener Sache, andere Komponisten machten das genauso.

      In einem Bändchen der von Matthisson herausgegebenen Lyrischen Anthologie von 1807 war Der erste Ton erschienen, ein Gedicht von Friedrich Rochlitz, das dieser zuvor bereits in der AMZ veröffentlicht hatte. Darin wird beschrieben, wie dem Mann als »Erdenfürst« sein erster Ton gelingt und er »das schöne Weib umfangend« ausruft: »Ich bin, ich bin glücklich, und bin es nicht allein!« Denn die übrige Schöpfung ist bereits hörbar: »Bäche flüstern gesprächig zu Bäumen,/Die sich befreundet zu ihnen neigen,/Und die belebten Blätter lispeln/Freundliche Antwort./Es bricht sein Schweigen/Der düstre Stier …«. Weber nahm diesen Text des einflussreichen Publizisten für eine »Musik zur Declamation«, lässt einen Sprecher vom Orchester begleiten und am Schluss einen Chor den gefundenen ersten Ton des Menschen preisen – eine »Schöpfung der Musik«. Mit markanten Streicher-unisono-Tönen c-ges-es beginnt die instrumentale Einleitung sehr unkonventionell und spannend, was im Weiteren bis auf die bewegte Überleitung zum ersten Sprechereinsatz nicht recht durchgehalten werden kann. Das Wechselspiel von Deklamator und Orchester ist in Rhythmus und Tempo sehr ungelenk. »Und es ward Licht« steht in Schöpfungs-C-Dur, gleichwohl zeigt Weber in den anderen von Haydn inspirierten Momenten durchaus eigene Haltung: bei den illustrierenden Bläsersoli und einem Cellosolo vor dem Schlusschor. Er widmete die Partitur Franz Danzi, wahrscheinlich kam es aber zu keiner Aufführung in Württemberg. Am wichtigsten war ja, den Verfasser des Texts in Leipzig baldmöglichst auf den ehrgeizigen Komponisten aufmerksam zu machen. Danzi schickte Rochlitz auch gleich eine selbstverfasste Belobigung des Ersten Tons, der unbedingt gedruckt werden müsse, und Rochlitz, der sich geschmeichelt fühlen konnte, rückte diese Zeilen in der letzten Mai-Ausgabe 1808 seines Blattes ein.

      Dann und wann durfte Weber seinen Herrn auf Reisen begleiten, so auch nach Ems, einen geschätzten und recht exklusiven Kurort, für den finanziell stets klammen Herzog aber günstig, weil er auf dem Territorium seines Schwagers lag, der über ein Herzogtum Nassau gebot, das Napoleon aus verschiedenen Kleinststaaten zusammengezwungen hatte. (Friedrich Wilhelm von Nassau-Weilburg musste allerdings noch eine ganze Weile mit seinem erbenlosen Vetter von Nassau-Usingen eine Doppelspitze bilden, bis er ihn 1816 beerbte.) Webers Begleitung beim herzoglichen Kuraufenthalt im Sommer 1809 ist durch zwei ganz unterschiedliche Begegnungen belegt: Zum einen machte er beim Arzt Dr. Karl Philipp Brückmann Schulden, zum anderen lud Louis den Bankier und Kurgast Franz Gontard ein, dem Gitarrenspiel und Gesang seines Sekretärs zuzuhören. Carl Maria von Weber »holte darauf sein Instrument, spielte vortrefflich«, sang – ein weiterer Beweis für den Nicht-Verlust der Singstimme – »mit kleiner, aber höchst wohlklingender Stimme«99 vermutlich eigene Lieder und musste, wie sich die Tochter des Bankiers erinnerte, »An ein Veilchen« sogar wiederholen. Dabei wird es sich um das beliebte Lied von Johann Franz Xaver Sterkel gehandelt haben. Maria Belli-Gontard brachte ihre Erinnerungen erst Jahrzehnte später zu Papier und vertat sich dabei im Jahr, aber die Kurliste von 1809100 bestätigt die Anwesenheit aller Beteiligten für den August dieses Jahres.

      Fridolin von Weber, mittlerweile 48 Jahre alt, war einige Zeit mit der Truppe von Edmund unterwegs gewesen und seit dem Herbst 1809 mit der Gesellschaft von Georg Dengler in Südwestdeutschland, im Badischen und auch in der Schweiz. Von Freiburg aus bat Fritz darum, dass er seine Bratsche vom Vater wiederbekäme. Er muss auf diesem Instrument ein sehr begabter Spieler gewesen sein, denn der Halbbruder widmete ihm in Ludwigsburg im Oktober 1809 orchesterbegleitete Variationen für dieses Instrument. Das Thema war das polnische Volkslied von Fisch, Krebs, Zwiebel und Pastinake. Vielleicht erinnerte sich Carl Maria nicht mehr an den Text, und mit den nationalen Zuordnungen nahm man es damals ohnehin nicht so genau. Das hübsche Werk bekam jedenfalls den Titel Andante e Rondo ungarese! Das in Oberschlesien entstandene Nocturno-artige Adagio für Klavierquartett fand nun seinen Platz als zweiter Satz eines Grand Quatuor in B-Dur, das merkwürdigerweise keine Opuszahl bekam, obgleich sogar die allemal weniger gewichtigen Prinzessinnen-Piècen (opus 10) mit einer solchen bedacht wurden. Die drei neuen Sätze des Klavierquartetts sind heller formuliert. Am Anfang des ersten und letzten Satzes stehen Reverenzen an Mozart: Das Werk beginnt mit einem auch in der Tonart exakten Zitat der Einleitungstakte des Quintetts Nr. 5 aus der Zauberflöte, und das Finale wie dasjenige der Sinfonie KV 551 (»Jupiter-Sinfonie«) mit einer – bei Weber freilich nur angedeuteten – Fuge. Auf brüderliche Anfrage – vielleicht im Hinblick auf eine Aufführung, die aber nicht zustandekam – trägt Carl Maria auch zwei Nummern zu einem »alten Familienstück« bei. Franz Anton von Weber hatte das Pasticcio Der Freybrief, das unter anderem Musik von Joseph Haydn enthalten haben muss, schon in Kassel aufgeführt. Von ihm selbst war sicherlich auch das eine oder andere, später steuerte Fridolin noch etwas bei, und die Pièce wurde auch in Meiningen und anderen Orten von den Weberschen gespielt, die alle vier Hauptpartien aus der Familie besetzen konnten: Jeanette als Umworbene, ihr Mann und Fridolin in zwei Basspartien als erfolglose und Edmund als tenoraler und erfolgreicher Verehrer. Eine der neuen Nummern, die Carl Maria beisteuert, ist allerdings nur eine Übernahme aus Peter Schmoll, die andere ein Rondo für Tenor, diesmal wirklich »alla polacca«.

      Auch um skandinavischen »sound« bemüht er sich dieser Tage. Seine ebenfalls in Stuttgart oder Ludwigsburg niedergeschriebenen IX Variations sur un Air Norvégien könnten beim unbefangenen Hören allerdings auch in Südosteuropa


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<p>98</p>

Geboren 1783 als Löwenstein-Wertheim-Virneburg.

<p>99</p>

Maria Belli-Gontard: Lebens-Erinnerungen, Frankfurt 1872, S. 76.

<p>100</p>

Vgl. »… die Hoffnung muß das Beste thun.« – Die Emser Briefe Carl Maria von Webers an seine Frau, hg. von Joachim Veit, Eveline Bartlitz und Dagmar Beck, München 2003, S. 14f.