Carl Maria von Weber in seiner Zeit. Christoph Schwandt
Читать онлайн книгу.freilich auch kein leuchtendes Beispiel in Finanzfragen gewesen war. Immerhin hatte der geheime Sekretär Weber in seiner neuen Funktion einen Diener! Das war ein fühlbarer sozialer Aufstieg, der nur leider nichts mit seiner künstlerischen Profession zu tun hatte. Er hatte nun zwar Kavalier-Status, wie weit unten in der höfischen Hierarchie sein Platz aber war, musste er erfahren, als er einmal die königliche Loge des Theaters betrat und dabei wohl an der Brüstung zu sehen gewesen war. Man gab Lehmann oder Der Turm von Neustadt, keine deutsche Oper, sondern eine abendfüllende Opéra comique von Dalayrac und Marsollier89. Weber musste Herzog Louis sprechen, der mit seinem zu Besuch in Stuttgart weilenden Carlsruher Bruder, der unter Webers Leitung in Oberschlesien Oboe gespielt hatte, in der Loge Platz genommen hatte. Jemand hinterbrachte dem König, dass der Sekretär an diesem höheren Ort gesichtet worden war, der daraufhin seinen Theaterintendanten anwies, dass »derlei Unverschämtheit« nicht wieder vorkommen dürfe, ansonsten seien »sehr unangenehme Folgen« zu gewärtigen90. Majestät hätte es sich einfacher machen und seinen Unmut Bruder Louis direkt mitteilen können, Weber war ja dessen persönlicher Untergebener. Aber das »über Bande spielen« traf Louis womöglich viel stärker, merkten dadurch doch auch andere, wie wenig der König von seinem verschuldeten Bruder hielt.
Parallel zu seiner Sekretär- und Hauslehrertätigkeit konnte sich Weber aber durch Danzi und andere Theaterleute in die musizierende und musikalische Gesellschaft am Ort gut einführen, die in einer königlichen Residenzstadt von Napoleons Gnaden allemal interessanter war als in Breslau. Durch den Prinzen Adam war er auch bei geselligen Gelegenheiten der Stuttgarter und Ludwigsburger Jeunesse dorée dabei. Um in diesen Kreisen mitzuhalten, reichte das eigene Geld freilich nicht, es musste auf Pump gezecht und eingekauft werden. Carl Maria von Weber hatte keine Scheu, das zu tun, aber keinen Vater wie die anderen Edelmänner, der einspringen konnte. Anfang Dezember 1807 stand – angeblich mit einer Bassgeige und zwei Schoßhunden91 – der 75-jährige Franz Anton in Stuttgart vor der Tür seines Sohns, nachdem Tante Adelheid am 22. August in Carlsruhe gestorben und dort beerdigt worden war. Der alte Mann war hinfällig geworden, und sein für damalige Verhältnisse sehr hohes Alter machte sich auch mit seelischen und geistigen Einschränkungen bemerkbar, aber nicht ständig. Dann und wann mischte er sich auch wieder ein und schrieb an Verleger und andere Adressaten, um die Karriere seines Sohns zu befördern. Überflüssig zu sagen, dass er ohne Geld kam und Fürsorge vom Sohn und dessen Dienstherrn erwartete.
Carl Maria schrieb später über seine württembergische Zeit in der Auto-biographischen Skizze: »Ich entsagte also eine Zeitlang der Kunst als ihr unmittelbarer Diener«. Tatsächlich wurden die etwas mehr als zweieinhalb Jahre, die er in Stuttgarter Diensten stehen sollte, aber nicht nur zur bisher längsten Station seines Lebenswegs, sondern auch zu einer Phase, in der das Komponieren mit reichem Ergebnis in den Mittelpunkt rücken konnte, da er nicht mehr täglich am Theater an den Werken anderer arbeiten und auch nicht konzertieren musste.
Außer den je drei schon vorliegenden Klavierkonzerten und Sinfonien Beethovens waren Carl Maria von Weber sicherlich die »Kreutzer«-und die »Waldstein«-Sonate bekannt. Seine persönliche Einschätzung des Schaffens des erfolgreichen Kollegen behielt er bei aller Mitteilsamkeit auffallenderweise für sich. Aber bei den in Stuttgart komponierten Klaviervariationen Theme original varié begegnet man im vorletzten Teil einer ganz neuen, dunklen Klangfarbe und einem entschiedenen Pathos wie im langsamen Satz von Beethovens c-moll-Klaviersonate opus 10/1. Ein Andante mit Variationen, von denen sich die galoppartige zweite durch charakteristisch federnden Rhythmus und – inzwischen Webertypische – Skalen-Eleganz auszeichnet, ist auch der dritte Satz von sechs vierhändigen Stücken, die er für seine Prinzessinnen-Schülerinnen Maria Dorothea und Amalia schrieb. Die Six pièces sind aber im Ganzen vor didaktischem Hintergrund formuliert und auf das pianistische Können der beiden zehn- und zwölfjährigen höheren Töchter abgestimmt. Das variierte Andante-Thema92 könnte von Danzi stammen und hatte schon anderweitig Verwendung gefunden. Ein Stück eindeutig für Profis ist hingegen das Momento capriccioso, das mit seinem insistierend-pochenden Rhythmus wie eine Vorwegnahme von Robert Schumanns virtuoser Toccata daherkommt.
Mit der brillanten Grande Polonaise in Es-Dur, die von einem theatralischen Largo in der entsprechenden Moll-Tonart eingeleitet wird, glänzte Weber sicherlich selbst vor der Widmungsträgerin als Pianist. Er hätte ihr auch ein Lied schreiben können, was sicherlich weniger Effekt gemacht hätte, obgleich die junge Dame Sängerin war. Sie hieß Margarethe Lang, war mit Danzi aus München gekommen und nun die geschätzte und verehrte attraktive Primadonna des württembergischen Hoftheaters. Auch Weber lag der »molligen Münchnerin«93 wohl zumindest zu Füßen. »In welchem Maße intim das Verhältnis der beiden jungen, feurigen Künstler war, ist aus den Reliquien ihre Liebesverkehrs nicht zu schließen94 «, munkelte Max Maria von Weber später, dem wohl auch nicht mehr »Reliquien« zur Verfügung standen, als ein Brief der Lang an seinen Vater, mit dem sie Carl Maria von Weber zu einem Amüsement »en travestie« einlädt: Die Stuttgarter Künstlerclique »Faust’s Höllenfahrt« wollte einen »Marc Anton« aufführen, den Margarethe – genannt »Gretchen« – spielte, Weber sollte Kleopatra sein. Ob dieser Spaß 1808 oder ein Jahr später stattfand, weiß man nicht, da der Brief nicht datiert ist. Jedenfalls war es Anfang April, denn der Namenstag von Johann Baptist Krebs, Tenor am Hoftheater, war der Anlass. Weber nannte sich im übermütigen »Höllenfahrt«-Kreis »Krautsalat«. Franz Danzi sollte Kleopatras Amme übernehmen und hieß »Rapunzel«. Man siezt sich, aber Gretchen unterschreibt ihre launigen Zeilen an Weber als »ebenso hochverehrende als tief schätzende und zärtlich liebende«95, was allerhand nahelegt, aber nicht beweist. Für sich selbst als Tenor singenden »Krautsalat« hatte er zum 45. Geburtstag Danzis am 15. Juni 1808 einen vokal exzentrischen musikalischen Jux mit Gitarrenbegleitung auf eigene Verse geschrieben, der im Übrigen ein weiteres Indiz dafür ist, dass seine Singstimme in Breslau keinen Schaden nahm. Die Andante-Melodie aus den sechs vierhändigen Prinzessinnen-Stücken taucht hier zum ersten Mal auf, und die Verwendung in diesem Zusammenhang legt den Schluss nahe, dass sie von Danzi stammt. Als Komisches musikalisches Sendschreiben JV 60 kam diese Petitesse sogar in Jähns’ Werkverzeichnis. Das vermutliche Danzi-Thema verwendet Weber mit drei Variationen noch in einem weiteren württembergischen Werk, dem Grand Pot-Pourri pour le Violoncelle, einem virtuosen Konzertstück mit Orchester für den Hofkapell-Cellisten Friedrich Wilhelm Graff. Das Thema des finalen Rondos ist definitiv von Danzi, aus der Arie der Therese »Der Schutzgeist, der Liebende stetig umschwebet« aus seinem musikalischen Lustspiel Der Quasi-Mann (München, 1789).
Zu »Faust’s Höllenfahrt« gehörte auch der neue Stuttgarter Hofbibiliothekar Friedrich Lehr, der auch selbst dichtete und Weber Verse gab, aus denen der drei Lieder machte. Seit dem in Carlsruhe vertonten Matthisson-Gedicht hatte er nur noch eines von Gottfried August Bürger (Mädel, schau mir ins Gesicht) in Musik gesetzt. Ein Liebeslied mit Gitarrenbegleitung, was auf ein während der langen Reise entstandenes Akzidenzwerkchen schließen lässt, das sich der Begegnung mit Bürgers Witwe in Leipzig verdankt. Die Gitarre war ein leicht transportables Begleitinstrument, das der Sänger selbst spielen konnte. Denn nicht überall stand ein Klavier. Darüberhinaus hat Oliver Huck gewiss recht, wenn er Webers Gitarrenlieder »einem Lebensgefühl und künstlerischen Selbstverständnis« verpflichtet sieht, »das Analogien zu den (Minne-)Sängerfiguren der romantischen Literatur aufweist«96.
Durch den fünf Jahre älteren Lehr muss Weber auch die Gedichte zweier ganz und gar gegensätzlicher Autoren in die Hand bekommen haben, die anschaulich das politische Spannungsfeld beschreiben, in dem sich der junge Komponist geschickt, aber vollkommen naiv bewegte. Da war auf der einen Seite Karl Müchler, von den Franzosen aus Berlin ausgewiesen und Urheber eines seit 1806 weit verbreiteten antinapoleonischen Pamphlets, Der Eroberer, das später als prophetisch galt, weil es darin hieß: »Wie du grausam, was bestand, zertrümmert,/stürzet in Ruinen einst dein Reich«97. Und auf der anderen
89
Vgl. Vortrag von Joachim Veit 2003 anlässlich der Mitgliederversammlung der Carl-Maria-von-Weber-Gesellschaft im Württembergischen Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Publikation in Vorbereitung.
90
Zit. nach Rudolf Krauß:
91
Max Maria von Weber:
92
Vgl. Joachim Veit:
93
Rudolf Krauss:
94
Max Maria von Weber:
95
Zit. nach ebd., S. 161.
96
Oliver Huck:
97
Karl Müchler: