Carl Maria von Weber in seiner Zeit. Christoph Schwandt

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Carl Maria von Weber in seiner Zeit - Christoph  Schwandt


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soll eine, in dieser Form leider verschollene, »Overtura chinesa« gehört haben.

      Aber auch der freien Natur war Weber wohl noch nie so nahe gewesen wie hier. Nach ein paar Minuten des Wegs war man auf dem Feld, im Wald und auf Wiesen. Nicht auszuschließen, dass er auf einem seiner Spaziergänge Landvolk begegnete und das Lied vom Fisch, der mit dem Krebs, und von der Zwiebel, die mit der Pasternake tanzt, singen hörte – und sich die Melodie notierte: »Tańcowała ryba z rakiem, a cebula z pasternakiem«. Es ging ihm auf dem Schlösschen fernab vom Krieg gut, wenn man einem späten Zeugnis des Carlsruher Bratschers Barnetzky glauben darf: »kein lockerer, aber doch ein heiterer, gemüthlicher Mann … Sein Aussehen war gesund und munter; er hatte ein hübsches Gesicht, einen etwas starken Kopf und war er auch ein tüchtiger Fechtmeister.«78 Hier muss man bedenken, dass locker damals zügellos bedeutete und gemütlich eher angenehm als bequem. Der »starke Kopf« Carl Maria von Webers war in der Tat imposanter als seine sonstige, eher schmächtige Erscheinung.

      Die Notiz zu dem polnischen Lied wanderte zunächst in die Schublade, aber er beschäftigte sich mit dem österreichischen Volkslied »A Schüsserl und a Reinderl«. Womöglich hatte er es in Wien gehört, wo es unter anderem von Schikaneder in dessen Lustspiel Die Kaufmannsbude verwendet wurde. Vielleicht war jener Johann Barnetzky derjenige Bratscher, dessen Qualität aus dem übrigen wohl 15-köpfigen Ensemble der Carlsruher Kapelle so deutlich herausragte, dass Weber orchesterbegleitete Viola-Variationen dieser Melodie schrieb. Für den Carlsruher Hornisten Josef Dautreveaux komponierte er ein Concertino, das in dieser ersten Gestalt aber verloren ging. »Seiner Kuriosität und Kürze wegen« wird im ersten Weber-Werkverzeichnis von Friedrich Wilhelm Jähns auch der viertaktige Tusch für 20 Trompeten »vollständig wiedergegeben.« Weber datierte ihn später auf dem 15. Oktober, vermutlich war er aber für den 42. Geburtstag der Herzogin am 13. Oktober 1806 gedacht gewesen. Erstaunlich, dass sich in diesen schwierigen Zeiten so viele Trompeter auftreiben ließen.

      Die Gedichte von Friedrich Matthisson waren schon in etlichen Auflagen erschienen, auch die Webers besaßen vielleicht einen solchen Band. Beethoven hatte dort das Gedicht Adelaide gefunden und vertont. Der Erstdruck dieses Lieds von 1795 war recht weit verbreitet, und Weber dürfte es gekannt haben. Matthisson lebte als Vorleser am Dessau-Anhaltinischen Hof in Wörlitz und war auch persona grata am württembergischen Hof, an den man ihn später holte und adelte. In der Carlsruher Schlossbibliothek könnten seine Gedichte also auch gestanden haben. Weber vertonte Matthissons Andenken: »Ich denke dein, wenn durch den Hain der Nachtigallen Accorde schallen.« Im Gegensatz zu dem Salzburger Wiedersehn ist das Lied eher manieriert, ohne Klaviervor- oder Nachspiel, dafür mit vordergründig opernhaften Melismen. Ein sentimentales Liebeslied, vielleicht vom Komponisten selbst an Ort und Stelle vorgetragen und vielleicht an eine anwesende junge Dame gerichtet; eine Widmung trägt es aber nicht. Beethoven vertonte Andenken wenig später auch. Ganz anders zeigt Weber sich dieser Tage in einem überraschend reifen und formal sehr originellen Adagio für Klavierquartett – mit einem auffällig ausgearbeiteten Bratschenpart.

      Zwischen dem dritten Adventssonntag und Ende Januar 1807 schreibt Weber in Carlsruhe seine beiden Sinfonien, seine einzigen Sinfonien. Der 20-jährige kennt die Dritte Beethovens und auch die letzten von Josef Haydn womöglich gar nicht; im Unterricht bei Vogler hatte diese musikalische Form keine besondere Rolle gespielt, in seiner bisherigen Praxis als Orchesterleiter kaum. In der oberschlesischen Abgelegenheit probiert er sich aus und kann mit den Musikern vor Ort unmittelbar die Ergebnisse überprüfen und seine Lehren daraus ziehen.

      Ein auffallend singspielhaftes h-Moll-Staccato-Seitenthema hebt sich reizvoll von der Grundtonart C-Dur des ersten Satzes von »Webers Erster« ab. Der zweite Satz, in romantisch abgedunkeltem c-Moll von den Bläsern eingeleitet, zeigt am ehesten Individualität. Nicht nur das eigentliche Scherzo, sondern auch das heiter-bewegte Finale kommen humorvoll daher und leben von charakteristisch eleganter, bisweilen auch vehementer Motorik, die auch Webers künftige Orchestersätze kennzeichnen wird. Dass keine Klarinetten Verwendung finden, mag Webers freie Entscheidung gewesen sein. Spieler, die allerdings auch an anderen Instrumenten einsetzbar waren, hätte es jedenfalls auf Carlsruhe gegeben79. Die kantablen Oboensoli werden eine Reverenz an den Schlossherrn gewesen sein, der mitspielen konnte. Am zweiten Tag des neuen Jahres war die Partitur fertig, und eigenartigerweise beginnt der junge Komponist knapp drei Wochen später gleich eine weitere Sinfonie in der gleichen Tonart. Darin stellt er seinen Fortschritt in der Orchesterbehandlung noch deutlicher unter Beweis. Der Kopfsatz dauert gut zehn Minuten, wobei die klassische Sonatenhauptsatzform auch hier nicht die bestimmende Rolle spielt. Konzertierende Bläserpassagen sind wieder ein wesentliches Merkmal, auch solche für Horn und Fagott. Im zweiten Satz bekommt auch der gute Bratscher von Carlsruhe wieder eine reizvolle solistische Aufgabe, hier ist die Subdominante F-Dur Grundtonart. Gedämpfteres c-Moll ist diesmal dem Menuett vorbehalten. Dauert der zweite Satz wenigstens noch vier bis fünf Minuten, so sind auf überraschend disproportionale Weise dieser dritte und der Finalsatz von marginaler Kürze. Es scheint, »als habe der Komponist die Lust an dem sinfonischen Unternehmen verloren.« (Alfred Beaujean80) Ganz am Ende des die »Zweite« beschließenden Scherzo/Presto steht sogar eine sich beiläufig verlierende Floskel. Aber es war ja auch eine Zeit, in der man auf dem Sprung sein musste.

      Herzog Eugen Friedrich war zwar zuhause und nahm seinen Abschied vom Militär, der Krieg aber ging weiter. Die Franzosen waren bis nach Ostpreußen vorgedrungen und kämpften dort gegen Truppen des Zaren. Auch der junge Herzog Eugen Friedrich Karl von Württemberg trug nun wieder den Waffenrock – und zwar einen russischen! Als Zehnjährigen hatte ihn der damalige Zar zum Generalmajor ernannt. Jetzt war Alexander I. auf dem Thron. Er und Eugen Friedrich Karl hatten kurioserweise einen gemeinsamen Onkel auf der anderen Seite: Alexanders Mutter war nämlich eine Schwester von Vater Eugen Friedrich und dem König von Württemberg, der schon 6500 Soldaten für Napoleon gestellt hatte.

      Mitte Februar 1807 stand jedoch, soweit man es von Carlsruhe aus mit den guten herzoglichen Verbindungen beurteilen konnte, einer Weiterreise Carl Maria von Webers nicht mehr viel entgegen. Eugen Friedrich senior gab ihm Empfehlungsschreiben nach Stuttgart mit, wo man nach Lage der Dinge nun auf der günstigeren Seite war. Was hier, im südöstlichen Zipfel der Provinz Schlesien des wankenden preußischen Königreichs, werden würde, war nicht abzusehen. Der Herzog stellte ihm auch einen improvisierten Pass aus, weil »der Herr Reichsfreyherr Carl Marie von Weber von hier eine Reise über Breßlau, Leipzig und Dresden nach München und Stuttgard zu machen gesonnen ist81 «. Es war nicht allzu riskant, der Weberschen Hochstapelei Vorschub zu leisten. Zwar hätte man in deutschen Landen auf jedem Amt feststellen können, dass der 20-jährige Reisende kein echter Reichsfreiherr mit Territorium war, aber ob er nicht ein »briefadliger« Freiherr war, würde so bald wohl niemand überprüfen. Eugen Friedrich selbst war skeptisch gewesen, was den Weberschen Adel betraf, und hatte in seinem »Musick-Intendanten«-Ernennungsschreiben betont: »daß sowohl meine Gemahlin Liebden, als auch ich, Ihren Kunst-Talenten volle Gerechtigkeit widerfahren lassen. sehen Sie es ferner als ein Merkmal an, daß wir Ihren persönlichen Charakter und guten Eigenschaften schätzen, und nur diese, keineswegs aber Ihre Familien Verhältnisse, auf die hierbei keine Rücksicht genommen ist, Uns hiezu bewogen haben.«82 Rücksicht auf den alten Vater und die noch ältere Tante nahm er aber doch, sie konnten in Carlsruhe bleiben.

      In Breslau, wo er noch am gleichen Tage ankam, besorgte sich Carl Maria auf dem »Policey-Directorium« einen richtigen Pass. Der freiherrliche Titel wurde anstandslos übernommen. Zusammen mit dem herzoglichen Schreiben, das dieser als Fürstliche Hoheit aus dem »Königl: Hauße Württemberg« gezeichnet hatte, also als sichtbarer »Franzosenfreund« und nicht als preußischer General a. D., der er ja auch war, hatte Weber nun für jede Situation ein günstiges Papier. Er freute sich, Breslauer Freunde wiederzutreffen; weniger erfreulich war die Begegnung mit denen, die ihm Geld geliehen und es immer noch nicht zurückbekommen hatten. Die Breslauer Schulden sollten ihn noch einige Jahre begleiten. Sein Ziel Stuttgart konnte er freilich nur erreichen, indem er neue Schulden machte, wenn er nicht durch Konzerte zu Geld kommen konnte. Schon für den 25. Februar findet sich in seinen


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<p>78</p>

Zit. nach Maria Zduniak: Carl Maria von Weber in Schlesien, in: Weberiana 13 (2003), S. 36.

<p>79</p>

Vgl. Frank Ziegler: Spurensuche in Schlesien – Weber und Carlsruhe (Pokój), in: Weberiana 13 (2003), S. 77.

<p>80</p>

Harenberg Konzertführer, Dortmund 1996, S. 931.

<p>81</p>

Zit. nach Frank Ziegler: Spurensuche in Schlesien – Weber und Carlsruhe (Pokój), in: Weberiana 13 (2003), S. 42.

<p>82</p>

Ebd., S. 29.