Carl Maria von Weber in seiner Zeit. Christoph Schwandt
Читать онлайн книгу.er 1787 für München geschrieben hatte, zweimal konzertant oder, wie man damals sagte, »als Oratorium« im Burgtheater aufführen. Es muss eine aufwendige Sache gewesen sein: »Das Orchester bestand zu Folge des Anschlagzettels aus mehr denn 200 Tonkünstlern.«52
Zu Jahresbeginn 1804 verkaufte Bartholomäus Zitterbart das Theater an der Wien an den Hoftheaterpächter Peter Freiherr von Braun, der schon lange ein Auge auf die modernste Bühne der Kaiserstadt gehabt hatte. Unter ihm wurde der Spielplan französischer, was die Provenienz der Werke betraf, die natürlich in deutschen Bearbeitungen gegeben wurden: Ariodant von Ètienne-Nicolas Méhul, Der türkische Arzt von Nicolas Isouard oder François-Adrien Boieldieus Tante Aurora, über welche Carl Maria von Weber an Susan schrieb: »Der Inhalt platt und fade, und die Musik seiner würdig«53. Samori wurde nun verschoben.
Die Melodie eines Tanzes der »glücklichen Schatten« (ballo patetico dell’ombre felici) aus Castore e Polluce wurde in diesen Tagen zum Thema von Klavier-Variationen, die Carl Maria von Weber im Unterricht komponierte. Diese ersten »Vogler-Variationen« sind ein hörbarer Schritt hin zum erwachsenen Komponisten. Sein Formgefühl ist reifer und ausgeglichener, es sind persönliche Stilmerkmale erkennbar: eine elegante Motorik und markante elastische Rhythmen wie in der achten Variation mit mazurkahafter Synkopierung. Das verändernde Spiel mit der schlichten F-Dur-Skalenmelodie Voglers ist geschmackvoll und pianistisch moderat. Mit Voglers und seines Vaters Ratschlag wird er überlegt haben, wem er den gut zehnminütigen Zyklus widmen könnte. Man kam auf Maria Theresia aus dem Hause beider Sizilien, die Gattin von Franz II.
Als die Huit Variations sur l’air de ballet de Castor et Pollux par Mr. l’Abbé Vogler bei Joseph Eder in Wien erschienen, hatte sich Franz II. gerade einen zweiten Kaisertitel zugelegt: Franz I., Kaiser von Österreich. Napoleon hatte sich im Mai 1804 zum Kaiser von Frankreich ernannt. Ihm gegenüber wollte der Habsburger seine Position stärken, denn er fürchtete, mit den deutschen Territorien im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation würde keine kraftvolle gemeinsame Sache zu machen sein. Das Kurfürstentum Hannover, weil dynastisch mit England verbunden, das mit Napoleon Krieg führte, war seit einem Jahr französisch besetzt. Auch würde mit dem »Kaiserthum Oesterreich«, einem Vielvölkerstaat, in dem die Deutschsprachigen nur eine von mehreren großen nationalen Gruppen waren, schwerlich ein großes Land der Deutschen zustande kommen, wie es sich viele wünschten. Weber sah den Kaiser, als er in der Hofburg das Widmungsexemplar übergab.
Bereits am Ostermontag hatte Carl Maria einen langen Brief an Susan geschrieben, in dem es hieß, dass er Wien wohl schon im Sommer wieder verlassen werde. Er berichtet darin von einem Besuch mit Vogler bei Joseph Haydn, der für ihn nicht besonders interessant gewesen sei, weil »die beyden alten Herren«54 sich über kunstferne Dinge unterhielten. Haydn war 72, zwei Jahre älter als Webers Vater, Vogler allerdings erst 54. Die wichtigste Neuigkeit aber war natürlich das Angebot, Musikdirektor in Breslau zu werden – mit nicht einmal 18 Jahren! »Was soll ich thun? der Antrag ist ehrenvoll«, schreibt er. Ehrenvoll ganz gewiss, allerdings hatten die Breslauer auch keine Chance, einen arrivierten Künstler für die Position zu gewinnen. »600 Thaler fixum« per annum bedeutete nach dem Silbergegenwert ein Monatsgehalt von umgerechnet 500 Euro. Beileibe keine große Gage, vor allem, wenn man bedachte, dass Vater und Tante Adelheid mitkommen würden. Es war nicht nur eine Frage des Generationenvertrags, dass Carl Maria für den 70-jährigen sorgte; er war noch minderjährig und konnte in wesentlichen Dingen des Lebens nicht ohne den Vater handeln. Wäre Franz Anton gestorben, hätte Bruder Fridolin, der mittlerweile wieder mit reisenden Truppen nicht nur in Süddeutschland unterwegs war, die Vormundschaft übernommen.
In Breslau war 1802 Voglers Singspiel Der Koppengeist auf Reisen oder Rübezahl gespielt worden. Auch als Organist und Kirchenkomponist hatte Webers Lehrer dort großen Eindruck hinterlassen. Also lag es nahe, dass sich Friedrich Bothe vom Breslauer Theaterdirektorium an Vogler wandte und um einen Personalvorschlag für die vakante Musikdirektorenstelle bat. Dass Vogler zunächst seinen Schüler Johann Gänsbacher empfahl, der schon 25 Jahre alt war, wurde später oft erzählt, ist aber nicht belegt. Der gebürtige Südtiroler, inzwischen mit Carl Maria gut befreundet, nahm eine Hauslehrerstelle bei Karl Maria Graf von Firmian, seines Zeichens k. k. Geheimer Rat und Wirklicher Kämmerer, an.
»Hier und da findet man wol auch ein ganz verfehltes Stück; z. B. in der Arie der Naga: Woher mag das nur kommen, Mir fehlt die Essenslust!!! … Doch gefiel die Oper im Ganzen«55, schrieb die Leipziger AMZ anlässlich der Uraufführung von Voglers Samori im Mai 1804 in Wien. Just über das Thema dieser Arie war Weber im Begriff, ein weiteres Variationswerk zu schreiben; er war, wie die meisten, nicht der Meinung des Kritikers. Zum Klavier kamen ad libitum Violine und Violoncello. Ein Unterrichtswerk einerseits, andererseits, mit Blick auf eine eventuelle Veröffentlichung, ein Werbemittel für das Werk des Lehrers. Im Vergleich zu den ersten Vogler-Variationen zeigt sich Weber selbstbewusster und mutiger im Umgang mit dem zu verändernden Material, bisweilen verspielter; es gibt aber auch einen düsteren Trauermarsch. Ein wenig verhalten sich diese als opus 5 und opus 6 ausgewiesenen Kompositionen zueinander wie Pflicht und Kür.
Carl Maria von Weber (nach einer Zeichnung von Joseph Lange)
Am Wochenende nach der Samori-Premiere war Pfingsten. Carl Maria von Weber brach Richtung Augsburg auf; sein Vater war dorthin zurückgekehrt. Unterwegs machte er Station bei Susan in Salzburg. Dort regierte mittlerweile ein weltlicher Herrscher: Ferdinand I. aus dem Hause Habsburg-Lothringen, der zuvor als Ferdinand III. als Großherzog der Toskana in Florenz residiert hatte, war nun Kurfürst von Salzburg. Sein italienisches Territorium hatte er durch den Frieden von Luneville verloren und war mit dem Ländchen zwischen Bayern und Österreich entschädigt worden.
Weber hatte Susan ein kleines frivoles Lied mitgebracht, das er auf Worte eines Herrn Swoboda komponiert hatte. Neben den Variationen und trotz des angeblichen Voglerschen Gebots. Susan sollte es sogar an die AMZ schicken. Doch entweder unterließ oder vergaß er dies, oder Rochlitz fand es zu unschicklich, dass da eine betende Schöne aufgefordert wurde, einen Kuss zu gewähren und zur Sünderin zu werden: Ich sah sie hingesunken wurde trotz seiner erkennbaren kompositorischen Qualitäten und der für eine Zeitschrift geeigneten Kürze nicht veröffentlicht.
Beim Etappenaufenthalt in der Salzachstadt, die dreimal sein vorübergehendes Zuhause gewesen war, war Zeit genug, auch noch einen weiteren Text zu vertonen. Das Gedicht Wiedersehn eines gewissen Wallner, wohl ein Bekannter von Susan, ist keine hohe Verskunst, aber ein dichtes frühromantisch-düsteres Bild. Da klagt einer am Grab der Geliebten: »Marie! Marie! auf ewig dahin«, und der Schatten der Verblichenen erscheint und verheißt ein Wiedersehen im Jenseits. Von der Grundtonart As-Dur aus wird manche überraschende Modulation versucht, die Enden der individuell-kontrastierend gestalteten Strophen sind opernhaft akzentuiert, in der zweiten emanzipiert sich die linke Hand des begleitenden Klaviers. Vogler war der richtige Lehrer zur rechten Zeit gewesen.
Vor seiner Abreise aus Wien hatte Joseph Lange, der Trauzeuge seiner Eltern, der auch ein talentierter Maler und Zeichner war, dem wir das berühmte unvollendete Mozart-Bild verdanken, das erste Weber-Porträt gefertigt, auf dem er seinen jungen Verwandten als Künstler mit Feder, Papier und aufmerksam kritischem Blick – noch ohne Brille – darstellt. Langes Frau, Cousine Aloisia, lebte längst von ihm getrennt in Frankfurt am Main.
Das Theater »Zur Kalten Asche« in Breslau
Vogler ließ die Samori-Variationen seines Schülers in Wien drucken und vermerken, dass sie ihm selbst gewidmet seien »par son élève, Charles Marie de Weber, Directeur de la musique du théatre royal de Breslau«. Das Theater »Zur Kalten Asche«, diese umgangssprachliche Bezeichnung stammte von der kleinen Seitengasse, an der es lag, war ein Entwurf des Breslauer Architekten Carl Gotthard Langhans, der auch das Brandenburger Tor und das (alte) Schauspielhaus am Gendarmenmarkt in Berlin baute, aber ein »königliches Theater« war es natürlich nicht. Friedrich
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10. April 1804.
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2. April 1804.
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