Carl Maria von Weber in seiner Zeit. Christoph Schwandt
Читать онлайн книгу.Stückeschreiben, was er nach dem Tod des Vaters auch ausschließlich tat und nicht ganz ohne Erfolg. Für die Aufführung seines schon zu Schulzeiten entstandenen Lustspiels Die Mädchenkenner waren ein Manuskript und herausgeschriebene Rollenbücher ausreichend gewesen. Das Schauspiel Mathilde von Altenstein oder Die Bärenhöhle ließ er 1793 in München für teures Geld drucken. Gut möglich, dass die Webers es kannten. Denn in jenem Jahr und dem folgenden war Aloys Senefelder mit wandernden Theatergesellschaften unterwegs, vielleicht sogar zeitweise mit Franz Anton und den Seinen in Nürnberg und Erlangen. Nun hatte er sich in München aus ureigenem Interesse intensiv mit günstigeren Vervielfältigungsmethoden von Texten beschäftigt – und den lithografischen Steindruck erfunden. Das Geld für seine Experimente hatte er zum Teil von dem Musiker Franz Gleissner bekommen, der daran interessiert war, seine Kompositionen unter die Leute zu bringen. Mit Senefelders Erfindung kostete das nur noch ein Fünftel von dem, was man für Kupferstichplatten ausgeben musste. Franz Anton war beeindruckt, auch ihm war daran gelegen, mit vertretbarem finanziellen Aufwand weitere Werke Carl Marias zu verbreiten. Der sollte Ende 1799, 13-jährig, in der Druckerei »A. Senefelder, Fr. Gleissner & Co.« sogar selbst entsprechende Fähigkeiten erwerben und gab später an, versucht zu haben »dem damals von Sennefelder neu erfundenen Steindrucke den Rang abzulaufen« und zwar »mit einer zweckmäßigeren Maschine«22. Dass es diese bessere Maschine tatsächlich gegeben hat, ist allerdings nicht zu belegen. Carl Maria schrieb da wohl »Weber-Latein« wie der Vater. Aloys Senefelder besaß das kurfürstliche Privileg, in Bayern Lithografien herzustellen und zu vertreiben. Das Unternehmen rechnete sich aber nicht, und er ging zusammen mit Gleissner nach Offenbach zu Johann Anton André, der Mozarts Werke verlegte. In der aufstrebenden Industriestadt vor den Toren Frankfurts stellte sich der erhoffte kaufmännische Erfolg ein. In München machten Aloys’ Brüder Theobald und Georg mit Mutter Senefelder auf eigene Rechnung weiter.
Die meisten Kompositionen, die Carl Maria bis dahin geschrieben hatte, sollen als Originalmanuskripte ohne Abschrift einer Feuersbrunst im Hause Kalchers, der sie aufbewahrte, zum Opfer gefallen sein. Man hantierte damals viel mit offenem Feuer, und Schäden und Verluste durch rasch sich ausbreitende Brände gehörten zum Alltag einer Stadt, wo die Häuser nahe beieinanderstanden. Nicht wenige unterstellten jedoch, dass Weber, der die von niemandem sonst bezeugte Brandgeschichte in die Welt setzte, seine »Jugendsünden« eines Tages selbst und absichtsvoll vernichtet habe. Selbst wenn die Handschrift verbrannt sein mag, die VI Variationen über ein Originalthema, das explizite »opus 2«, kamen auf die Nachwelt, denn sie wurden gedruckt: Bei Theobald Senefelder, womöglich unter tatkräftiger lithografischer Mitwirkung des jungen Komponisten, der es Lehrer Kalcher widmete. Auch der 16 Jahre ältere Ludwig van Beethoven, der nun in Wien lebte, hatte eine ganze Reihe solcher Variationen geschrieben, meist auf bekannte Themen von Grétry, Paisiello oder Wranitzky. Auch er hatte als musizierendes Wunderkind angefangen, war kompositorisch aber eher ein Spätentwickler, verglichen mit Mozart. Er war schon 25 Jahre alt, als er eine Joseph Haydn gewidmete Klaviersonate zum »opus 2« machte, seine Variationen ließ Beethoven als »Werke ohne Opuszahl« außen vor.
Dass Carl Maria von Weber nicht mit einer fremden, aber populären Opernmelodie ein ungleich sichereres Geschäft machen wollte, zeugt von Ehrgeiz. Und der Vergleich mit opus 1 beweist seinen beachtlichen Fortschritt. Das C-Dur-amoroso-Thema im Dreivierteltakt, obwohl wenig markant, wird so variiert, wie man es von den unzähligen beliebten Variationswerken dieser Zeit, etwa von Josef Jelínek, gewohnt war. Der knapp 14-jährige kannte sein Instrument, und es fällt auf, dass er sich am Ende der letzten Variation zu keiner großen Schlussgeste aufschwingt. Härtel kündigte die Variationen des jungen Weber in seiner neuen Allgemeinen Musikalische Zeitung an, und das sogar, obwohl das lithografierte Notenbild nicht besonders war. Ansonsten fand der Redakteur des Blattes, Friedrich Rochlitz, sie »gar nicht übel«. Er hatte auch schon die Salzburger Fughetten lobend erwähnt. Es war gut, dass Rochlitz den Namen Carl Maria von Weber nun kannte. Dass das in opus 2 variierte Thema aus der verbrannten ersten Weber-Oper Die Macht der Liebe und des Weins stammt, wird nur in einer Festschrift des Hauses Breitkopf & Härtel erwähnt23. Franz Anton soll es seinerzeit behauptet haben, als er dem Verlag vergebens lithografische Dienstleistungen anbot. Der erste Versuch, für die Bühne zu komponieren, wobei der komponierende Knabe die behandelten sinnlichen Sujets wohl kaum adäquat zu gestalten vermochte, war möglicherweise auch bloß eine Übung für Kalcher.
In einem Brief an Kirms nach Weimar taugte sie aber dem Vater, Carl Maria als »Talent Gottlob! der ersten Gattung …, daß man Ihn hier nicht anderst als der kleine Mozardt heißt«24 anzupreisen. Im Dezember 180025 versuchten Vater und Sohn, auch dem Wiener Verlag Artaria die lithografische Technik als eigene Erfindung und geheimnisvolles »Arcanum« anzudienen – selbstverständlich nebst Kompositionen von Weber junior. Das Wiener Privileg fiel jedoch an Aloys Senefelder, und auch für die Noten hatte sich Artaria nicht interessieren mögen. Franz Antons aus der Not geborener Geschäftssinn hatte sie und die Tante da auch schon wieder aus Bayern fortgeführt.
Im September war man zunächst nach Leipzig aufgebrochen. Die Allgemeine Musikalische Zeitung meldete am 1. Oktober, dass »unter den Virtuosen«, die zur Michaelismesse auftraten, der »in dieser Zeitung schon mehrmal erwähnte, dreyzehnjährige Komponist und Klavierspieler, Maria von Weber aus München«26 gewesen sei. Man beachte, dass hier das Alter richtig angegeben ist! Dann war es hundert Kilometer weiter nach Freiberg gegangen. Die schon 1784 von dem Reiseschriftsteller Johann Kaspar Riesbeck27 verzeichnete Einwohnerzahl von 25 000, das war mehr als die Hälfte der Münchner Bevölkerung, belegt die damalige Urbanität der mittelsächsischen Stadt, in der heute kaum ein Dreißigstel der Einwohner Münchens gezählt werden. Sie war für Franz Anton attraktiv, weil dort nicht nur seit Jahrhunderten Silberbergbau betrieben wurde und dieser Tage Fachleute von weither kamen, um das hochmoderne Amalgamierwerk zu besichtigen. Um die Bergakademie herum wuchs eine Boomtown, in der auch die Künste gut gediehen. Alles nötige für einen Weberschen Lithografenbetrieb und ein Markt für dessen Produkte würde sich hier möglicherweise gut finden lassen. Familienbande hatten natürlich auch wieder eine Rolle gespielt: Schon im Frühjahr 1799 hatte Vater Weber zusammen mit seinem Jüngsten mögliche neue Standorte auch in Böhmen und Sachsen erkundet und damals in Freiberg Edmund besucht, der als Mitglied der Theatergesellschaft von Karl Friedrich Krüger zusammen mit seiner Frau dort engagiert war.
Die Stadt am nördlichen Auslauf des Erzgebirges hatte seit 1790 auch ein modernes Stadttheater, das den Bürgern gehörte. Das örtliche Schloss Freudenstein war lange schon nur noch Militärmagazin, hier hielt niemand Hof. Die Bühne wurde von reisenden Künstlern bespielt. Karl Friedrich Krüger war im Sommer weitergezogen, und Edmund und Louise von Weber hatten sich einer anderen Truppe angeschlossen. Neuer Freiberger Prinzipal war Karl (Franz Guolfinger) Ritter von Steinsberg, ein Sänger und Schauspieler aus Böhmen, der selbstredend auch schrieb. Mit Bonaparte in Ägypten28, denn dorthin war der junge General inzwischen vorgedrungen, hatte er den Freibergern gerade ein Zeitstück geliefert. Jetzt hatte Steinsberg auch noch einen Operntext gedichtet und kam auf die öffentlichkeitswirksame Idee, ihn von dem begabten jungen Weber vertonen zu lassen. Womöglich war er dem Knaben und seinem ehrgeizigen Vater schon im Jahr zuvor begegnet, als er in Karlsbad spielte.
Der Obermarkt zu Freiberg in Sachsen
Tatsächlich erlebte Das Waldmädchen am 24. November 1800 im Freiberger Stadttheater seine Uraufführung. Carl Maria von Weber hatte das Werk in wenigen Wochen und ohne kundige Anleitung zu Papier gebracht, eine »Romantisch Komische Oper in 2 Aufzügen von Ritter von Steinsberg, in Musik gesetzt und ihrer kurfürstl. Durchlaucht Maria Amalia Auguste, regierende Kurfürstin von Sachsen, in tiefster Ehrfurcht gewidmet, von Carl Maria Baron von Weber; 13 Jahr alt, einem Zöglinge Haydns.29 « Dass der kleine Baron keiner war und außerdem auch schon 14, wusste ja niemand, und »Haydn-Zögling« war ja nicht falsch, wenn auch in
22
Ebd.
23
Oskar von Hase:
24
17. Januar 1799.
25
9. Dezember 1800.
26
27
28
Vgl. Bama Lutes Deal:
29
Max Maria von Weber: