Carl Maria von Weber in seiner Zeit. Christoph Schwandt
Читать онлайн книгу.zahlen. Auch kann bis heute nur darüber spekuliert werden, wer dieser Türk war: Möglicherweise der im Salzburger Hofkalender von 178933 genannte Hofkanzlist im erzbischöflichen Medizinalwesen namens Joseph Türke. Er dürfte jedenfalls froh gewesen sein, unter den aktuellen Bedingungen in Salzburg einen so jungen Komponisten gefunden zu haben, der seinen Text komponierte. Carl Marias drittes Bühnenwerk war also eine Oper zu einem Bestseller mit tagesaktuellem Bezug.
Der Titelheld ist ein holländischer Kaufmann, der vor den Franzosen, die 1795 aus den Niederlanden die Batavische Republik, einen Einheitsstaat mit Zentralregierung nach französischem Vorbild, gemacht haben, über die Grenze nach Osten geflohen ist und mit Tochter und Diener auf einem Schloss lebt, das wir irgendwo zwischen dem preußischen Ostfriesland und dem Niederrhein annehmen können, etwa im Bistum Münster oder in der Grafschaft Bentheim. (So präzise steht der historisch-politische Hintergrund freilich nur im Roman.) Schmoll vermisst seine beiden alten Freunde, den Kompagnon Helmers und den Abbé Saurin. Er singt: »Das sind die schönen Früchte der Revoluzion/das ist die Mordgeschichte der Frankennation./Da sitz ich nun verborgen, kein Frank verfolget mich./Doch bin ich nicht zufrieden, weil mir die Freyheit fehlt.« Der kauzige Kaufmann zieht sich immer mehr zurück, während seine behütete Tochter Minette sich auch außerhalb des Schlosses umsieht und dort auf einen jungen Mann namens Carl trifft, dem sie väterliches Geld zukommen lässt. Carl, Oberbereiter im Dienst eines Gutsherrn, will damit einen anderen Emigranten unterstützen. Mit einem kleinen Fernrohr wird Schmolls Interesse an der Welt langsam wieder hergestellt, und man bringt ihn dazu, eine Kutschfahrt in die Kirche des Nachbarorts zu unternehmen. Da packt ihn mitten im Wald die Furcht und er kollabiert. Ein zufällig anwesender Eremit rettet ihn und entpuppt sich als der vermisste Abbé Saurin. Weiter stellt sich heraus, dass Carl der Sohn von Kompagnon Helmers ist, der wiederum der arme Emigrant (in der Oper der »Greis«) ist, den Schmoll unwissenderweise unterstützt hat. Minette und Carl heiraten, ganz so, wie es die drei Freunde noch in Holland vorgesehen hatten. Die alten Bande halten also auch im revolutionären Durcheinander und fern der Heimat!
Die Arien und Arietten der »Oper in zwei Aufzügen« sind geschickt dem anverwandelt, was der 15-jährige Carl Maria von Weber bisher auf der Bühne gehört hat. Die D-Dur-Arie der Minette »Du fröhlicher Jüngling mit Flaumen um’s Kinn« ist hörbar Mozartschem Vorbild verpflichtet, der zweiten Despina-Arie aus Così fan tutte, und die Arie »Ein Lügner ist ein großer Mann« dem Papageno-Auftrittslied. Hans Bast singt sie, ein volkstümlicher Bassbuffo. Auch Anklänge an die Singspiele – denn eine rechte Oper ist Peter Schmoll dann doch nicht – von Dittersdorf oder Johann Baptist Schenk finden sich. Aber es ist auch eigener Anspruch des sich erprobenden Komponisten zu hören. Wo es sich anbietet, führt er quasi-konzertierende Blasinstrumente ein, sogar Blockflöten und Bassetthörner. Bei der erwähnten Bast-Arie ist es eine Oboe, die Minette-Arie umspielt girlandenartig ein Fagott. Klarinetten- und Hornsoli gibt es auch, unerwarteter sind die Posaunen als Kontrast zu Pikkoloflöten in der großen Arie des greisen Emigranten.
Wohl ebenfalls 1801 in Salzburg entstanden auch sechs kleine und leichte Klavierstücke zu vier Händen, keine anspruchsvolle Vortragsmusik, sondern potenzielle Hausmusik-Handelsware. Marsch und Menuett sind dabei, auch ein Variationssatz fehlt nicht, und das Rondo am Ende nimmt einem witzigen Anlauf auf einen Schluss, der dann gar keiner ist. Wie bei den beiden letzten, ebenfalls vierhändigen Deutschen Tänzen, also schnellen Dreivierteltakt-Sätzen, erkennt man vor allem an den emotionalen Kontrasten, dass sich hier ein Heranwachsender artikuliert.
Es fiel Franz Anton von Weber schwer, zu akzeptieren, dass ausgerechnet in Salzburg, von wo seinerzeit der 15-jährige Mozart für die Serenata teatrale Ascanio in Alba in kaiserlichem Auftrag nach Mailand geholt worden war, für seinen Sohn nicht mehr zu holen sein sollte. »Hochwürdigster Reichsfürst! Gnädiger Fürst und Herr! Euer Hochfürstl. Gnaden geruhen als großer Beschützer und Einsichtvoller Kenner Schöner Wißenschaften beykomende Meße … von meiner geringen Arbeit gnädigst anzunehmen«34, lässt er Carl Maria im Mai 1802 schreiben. Sich an Ernst Joseph Johann Nepomuk von Schwarzenberg zu wenden, lag nahe. Er war Domherr in Köln und Lüttich gewesen, bis die Franzosen kamen, und lebte nun als nicht geweihter Theologe und Domkapitular von seinen Salzburger Pfründen. Der 28-jährige war als Musikfreund und -förderer wie als Komponist und Sänger bekannt und galt als umgänglicher und großzügiger Zeitgenosse.
Die Wahrscheinlichkeit, dass es in diesen Tagen in Salzburg zu einer Aufführung der Messe eines Jungtalents für vier Solostimmen, gemischten Chor, Orchester und Orgel kommen würde, war dennoch gering. Wahrscheinlicher war, dass Schwarzenberg das gediegen gebundene Partiturexemplar lediglich in seinen Notenschrank stellen würde, und so kam es auch. Viele Jahre später gelangten die Noten ins Schwarzenbergsche Archiv im böhmischen Krumau/Český Krumlov, wo sie Ende des 20. Jahrhunderts wiederentdeckt wurden, wodurch die Spekulationen um Carl Maria von Webers »Jugendmesse« zumindest in einigen wesentlichen Punkten ein Ende fanden: Es war tatsächlich nur eine »geringe Arbeit« gewesen, die er aufgewendet hatte. Vielleicht hatte er wirklich bloß die Widmung geschrieben. Der Rest, also die Messe, stammt, da ist sich die Musikwissenschaft heute sicher, kaum von Carl Maria von Weber. So ist »ein Incertum durch die Quellenlage zum Certum« geworden, das »aber dennoch ›Fälschung‹ bleibt«, wie Joachim Veit urteilt35, »oder doch zumindest ›Machwerk‹ eines Großen der Musikgeschichte.« Carl Maria von Weber selbst hatte eine verwirrende Spur gelegt, als er mitteilte, dass durch den Brand bei Kalcher auch »eine große Messe« eingeäschert worden sei. Vielleicht wollte er damit den Salzburger Schwindel vertuschen? Eine nach Webers Tod in Salzburg angefertigte Abschrift des »Originals«, das man für diese »Jugendmesse« halten wollte, diente 1926 als Grundlage für eine – wie man heute weiß, irrtümliche – Edition in der in ihren Anfängen stecken gebliebenen ersten Weber-Werkausgabe. Herausgeber Constantin Schneider meinte zudem, dass »trotz der kalligraphisch schönen Schrift … einige Hundert z. T. schwerwiegende Fehler stehen geblieben sind, die unverbessert eine Aufführung geradezu unmöglich gemacht haben dürften.«36 Sollte Fürst Schwarzenberg spendabel gewesen sein, wurde das Geld für eine Reise verwendet, von der man nicht nach Salzburg zurückkommen wollte, und auf der Franz Anton auffallender Weise keine Reklame für die Messe seines Sohnes machte. Vielleicht war er aus schlechtem Gewissen vorsichtig, vielleicht lag es aber auch nur daran, dass man in protestantische Regionen aufbrach.
Mit einer von Michael Haydn erbetenen Beurteilung des Peter Schmoll – »nach den wahren Regeln des Kontrapunkts bearbeitet, mit vielem Feuer und mit Delikatesse, und dem Texte ganz angemessen von ihm komponiert«37 – plante Franz Anton einen Vorstoß in Hamburg. Die Hansestadt war in diesen Tagen nach Wien die führende Theater- und Musikstadt. In der Leipziger Zeitung für die elegante Welt, ein Blatt, das man heute wohl Lifestyle-Magazin nennen würde, lancierte er, dass die Oper der »ansehnlichen Kaufmannschaft in Hamburg zu dedizieren«38 geplant sei. Nördlicher Endpunkt der Weberschen Tournee war Schleswig, wo auf Schloss Gottorf der landgräfliche Taufpate Carl Marias nach wie vor residierte. Dann waren sie umgekehrt und Mitte Oktober zwei Wochen in Eutin geblieben, wo sie bei Kanzleirat Johann Otto Stricker wohnten. Es gab Hauskonzerte nicht nur bei ihm.
Die »Aufmunterung und Theilnahme« für das »emporstrebende Genie«39, die Franz Anton reklamierte, wollte sich in Hamburg dann aber in Grenzen halten. Dass seine Art, Werke und Auftritte seines Sohns zu propagieren, von feudalen Rahmenbedingungen ausging und im hanseatischen Bürger- und Kaufmannsmilieu genauso wenig ankam wie in Freiberg, schien er nicht einsehen zu wollen. Peter Schmoll wurde nicht aufgeführt. Immerhin kam es nach mühevollen Vorbereitungen und geduldigem Warten, weil Auftritte von Josephine und Karl Cannabich vom Münchner Hoftheater Vorrang hatten, zu einem Konzert: am Samstagabend des 30. Oktober 1802 im Theater am Gänsemarkt. Vater Weber hatte wieder einmal dick aufgetragen und bei der Ankündigung in der Zeitung die empfehlenden Worte zu Peter Schmoll als »Zeugnis Haydns« ausgegeben, wobei die Hamburger natürlich an den berühmteren Joseph denken sollten. »Der alte Herr erschien des Abends in einer Art Uniform, bestiefelt und
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Faksimile des Widmungsblatts der »Jugendmesse« (Staatsarchiv Třebon, Abteilung Český Krumlov) in: Joachim Veit:
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Ebd., S. 105.
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Constantin Schneider im Vorwort zur Partitur von
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Zit. nach
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Zit. nach Frank Ziegler:
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Ebd.