Carl Maria von Weber in seiner Zeit. Christoph Schwandt

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Carl Maria von Weber in seiner Zeit - Christoph  Schwandt


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des Theaters kamen die Bürger ganz allein auf. Der König hatte ihnen dazu das Privileg erteilt – so kam sein Wappen auf die Theaterzettel. Er regierte seit sieben Jahren und hatte zwar großen Sinn für die Künste, aber, anders als sein Vater, auch für realistisches Wirtschaften, was in diesen Zeiten Sparsamkeit bedeutete.

      Die Breslauer Bühne war nicht an einen Künstler-Unternehmer verpachtet, der das wirtschaftliche Risiko, das ein künstlerisch anspruchsvolles Angebot immer bedeutete, allein zu tragen gehabt hätte. Es spielte keine fahrende Truppe; die Künstler, die auftraten, waren in der Stadt zuhause, jedenfalls für die Zeit ihres Engagements. Im Zuschauerraum hatte nur gut ein Drittel so viel Publikum Platz wie im Theater an der Wien. Der bisherige Musikdirektor, Heinrich Carl Ebell, hatte es vorgezogen, als Beamter an die »Kriegs- und Domänenkammer« zu gehen, wie sich die preußische Provinzialverwaltung nannte, denn auch sein Gehalt war nicht sehr hoch gewesen. Der Dienstvertrag, den Weber unterzeichnete, trug die Unterschrift von Friedrich Bothe, der sich als Dramaturg hauptberuflich um die künstlerische Leitung der Bühne kümmerte, sowie die der Honoratioren des Theaterdirektoriums, Zuckerraffinerie-Direktor Ferdinand Schiller und Tuchkaufmann Carl Christian Hayn. Den Namen Weber im Theaterzusammenhang kannte Bothe möglicherweise aus Hamburg, wo er als er Hauslehrer eines Kaufmanns tätig gewesen war und mit Direktor Schröder Kontakt hatte, vielleicht auch Jeanette auf der Bühne sah. Später war er längere Zeit in England gewesen und hatte dann zuhause seine Eindrücke von den maschinellen Webstühlen in den Textilfabriken von Manchester publiziert. Bei Webers Ankunft war Bothe allerdings wieder in den preußischen Staatsdienst zurückgekehrt. Seine Aufgaben hatte Johann Gottlieb Rhode übernommen, ein Publizist und homme de lettres, nicht Musiker, Schauspieler oder Sänger.

      Nach Musikdirektor Ebell war auch der wesentliche Leistungsträger des Breslauer Theaterorchesters ausgeschieden: Konzertmeister Joseph Ignaz Schnabel. Schnabel hatte auch oft dirigiert, Schauspielmusiken komponiert, und sicherlich das Zeug, selbst Musikdirektor zu werden. Ein weiterer Konzertmeister, der sogar schon einmal Breslauer Musikdirektor gewesen war und nun in der zweiten Reihe agierte, blieb am Haus: Johann Janetzek, wie Schnabel zwei Jahrzehnte älter als Weber. Er stammte aus Oberschlesien und schrieb seinen Namen auch polnisch Jan Janeczek; ins zweite Glied war er zurückgetreten, als 1800 mit dem Tschechen Tomáš Václav Tuček, der sich in Breslau Vinzenz Tuczek nannte, für kurze Zeit ein relativ namhafter Komponist und Kapellmeister (und Sänger, Tänzer und Cembalist) den Posten des Musikdirektors übernahm. Der Austausch mit den beiden slawischen Nachbarkulturen war in Breslau alltäglich.

      Der erst 17-jährige neue Musikdirektor, den man auch für noch jünger halten konnte, durfte sich nur mit einem Pausenfüller vorstellen. Das Wiener Hofschauspielerpaar Roose war zu Gast und trat am Dienstag, dem 17. Juli, in Das Schloß Limburg auf, der deutschen Version einer zweiaktigen Komödie des enorm produktiven Benoit J. Marsollier de Vivetières, Librettist der Dalayracschen Nina. Danach gaben Betty und Friedrich Roose noch Der Perückenstock, eine »dramatische Bagatelle« des Münchner Schauspielers Cäsar Maximilian Heigel. Zwischen den Piècen konnte sich »der Herr Musikdirektor von Weber auf dem Piano=Forte hören laßen.«56 Ein solches Entrée als brillanter Pianist, ohne ein Kompromisse forderndes Bühnenensemble und Orchester, bot allerdings die Möglichkeit, das eigene künstlerische Niveau und damit Ansprüche an die künftigen Kollegen und das Publikum zu markieren. Am Klavier war Carl Maria von Weber ein erfahrener Vortragskünstler, als Operndirigent dagegen noch ohne jegliche Praxis! Vom musikalischen Leiter einer Opernaufführung, wenn es nicht der Komponist persönlich war, erwartete man damals aber auch noch keinen individuellen künstlerischen Beitrag, er hatte bloß alles zusammenzuhalten. Spektakel und Gesang standen im Vordergrund. Doch das sollte sich ändern. Das hatte der junge Weber vor.

      Schon am 1. August 1804 wollte er Mozarts La clemenza di Tito – natürlich auf Deutsch als »Titus« – herausbringen. Er hatte die Oper im März am Theater an der Wien als »Titus der Gütige« in der Fassung von Joseph Ritter von Seyfried erlebt. Einem – allerdings erst Ende des 19. Jahrhunderts verfassten – Bericht57 zufolge soll die Stammbesetzung des Theaterorchesters, also die Zahl der fest angestellten Musiker, bei kaum mehr als einem Dutzend Instrumentalisten gelegen haben: je sieben Streicher und Bläser. Für die musikalischen Einlagen in Lustspielen und bei kleineren Singspielen genügte das, aber für Mozarts Partitur hätten schon einmal sechs Bläserstimmen ganz gefehlt. Sicher holte man Aushilfen, unter denen auch Laien gewesen sein mögen. 13 Bläserpulte wiederum bedeuteten, dass es die sieben Streicher ohne deutliche Verstärkung schwer haben würden.

      Angesichts dieser »bläserlastigen« Situation war die neue Sitzordnung, die er eingeführt haben soll, die aber nicht durch zeitgenössische Quellen belegt ist, die logische Konsequenz: Statt einem blockartigen Gegenüber von Streichern und Bläsern, platzierte Weber die ersten Geigen vorn rechts. Ihnen gegenüber, also links vom Dirigenten, die zweiten Geigen. Blech und Schlagwerk ganz hinten. Kontrabaß und Cello (jeweils einfach besetzt) waren auch rechts, alles andere im Halbrund hinter den Violingruppen angeordnet. So kam ein homogenerer Klang zustande, und von den wenigen zweiten Geigen und Bratschen – zusammen werden es bei Opernaufführungen höchstens fünf gewesen sein – war auf diese Weise etwas mehr zu vernehmen als gewohnt. Nicht alle Breslauer Musiker und Musikfreunde waren damit zufrieden.

      Weber brachte eine achtbare Aufführung zustande. »Chor und Orchester bewiesen, wie viel unsere Oper durch die Anstellung des Herrn Musikdirektor von Weber gewonnen hat, welcher seinem wichtigen Posten mit eben so viel Eifer als Sachkentniß vorsteht; und den wohl nur ein einziger kleiner Vorwurf nicht mit Unrecht trift, dieser nemlich, hier und da die Tempi ein wenig zu sehr zu übereilen.«58 So stand es lobend in den Schlesischen Provinzialblättern, und was der Kritiker tadelt, dürfte die reflexartige Flucht des Theaterkapellmeisters in zügiges Tempo gewesen sein, um bis an ihre Grenzen geforderte Sängerinnen oder Sänger über die Runden zu bringen. Mozarts Prager Krönungsoper zur Krönung Leopolds II. zum König von Böhmen ist stellenweise gesanglich wesentlich anspruchsvoller als Figaro oder Don Giovanni.

      Der theaterbegeisterte 16-jährige Freiherr Joseph von Eichendorff, der in Breslau ein katholisches Gymnasium besucht hatte und nun sein Studium begann, erlebte drei dieser Titus-Aufführungen, die Weber höchstwahrscheinlich in einer Fassung mit Dialogen, ohne die nicht von Mozart selbst komponierten Secco-Rezitative darbot. Die Hosen- oder Kastratenpartien von Sextus und Annius hatte man mit Tenor und Bariton besetzen müssen. Und da beim F-Dur-Rondo der Vitellia das obligate Bassetthorn »nur aus Gefälligkeit von einem Dilettanten geblasen wurde, so ließ man bey einigen Vorstellungen das Violoncello seine Stelle vertreten«59. Neben den forschen Tempi wurde moniert, der neue Musikdirektor unterstütze »das Sing-Personale zu wenig, weil er dem Orchester zu viel Aufmerksamkeit schenkt. Letzteres kann sich leichter einverstehen, da es bei genauer Ausführung der vor sich habenden Noten nicht so leicht einem Irrthum ausgesetzt ist, als der Sänger, der nach dem Gedächtniß singen, auf Text und Melodie, auf Spiel und Dialog zugleich denken muß, und also auf eine Unterstützung des Musikdirektors den ersten Anspruch hat«60. Während der Vorstellung war da nicht viel zu machen, das hätte dieser Kritiker wissen sollen. Weber setzte ohnehin schon mehr Proben als üblich für die Bühnensolisten an und machte sich damit nicht beliebt.

      Johann Gottlieb Rhode wusste zwar, was er an dem ehrgeizigen jungen Musiker hatte, aber zwischen ihnen stellte sich ein im Theaterleben seit eh und je bekannter Konflikt ein: der zwischen Kunst und Kasse. Carl Maria von Weber wollte gute und anspruchsvolle Stücke sorgfältig vorbereitet aufführen, Rhode war seinen Theateraktionären eine anständige Bilanz schuldig und setzte deswegen lieber Ferdinand Kauers Donauweibchen an, ein Publikumsliebling der damaligen Jahrhundertwende. Don Giovanni war in jeder Hinsicht aufwendiger, brachte aber deutlich weniger Einnahmen. Dennoch: Mit insgesamt 16 Aufführungen kam Titus allein zu Webers Zeit doppelt so oft auf die Breslauer Bretter wie die Kauer-Pièce.

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      Friedrich Heinrich Himmel (1765-1814)

      Im Herbst besuchte der mit seinen Paradestücken


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<p>56</p>

Faksimile des Theaterzettels in: Weberiana 13 (2003) S. 6.

<p>57</p>

Emil Bohn: Carl Maria von Weber in Schlesien, in: Breslauer Zeitung, Jg. 67, 26. November 1886 (Morgenausgabe).

<p>58</p>

Zit. nach Maria Zduniak: Carl Maria von Weber in Schlesien, in: Weberiana 13 (2003), S. 8.

<p>59</p>

Ebd.

<p>60</p>

Ebd., S. 9.