Carl Maria von Weber in seiner Zeit. Christoph Schwandt
Читать онлайн книгу.des Kapellmeisters und des Verliebten Schusters begleiteten. Beide Intermezzi wurden als eigene Schöpfungen des kurfürstlich bayerischen Kammersängers ausgegeben, waren aber wohl Arrangements gleichnamiger oder ähnlich betitelter Werke von Antonio Bianchi, Cimarosa oder Paer. Fanchon, das Leyermädchen war am 9. November 1804 Webers zweite Neueinstudierung: ein Singspiel des königlich preußischen Kapellmeisters Friedrich Heinrich Himmel, das im Mai in Berlin herausgekommen und somit ein Muss für die zweite Stadt in Preußen war. Eichendorffs Mutter kam eigens vom Schloss der Familie in Lubowitz bei Ratibor angereist, weil ihr Sohn Fanchon eine »sehr schöne Oper«61 nannte, verpasste aber leider die letzte von sage und schreibe fast 40 Vorstellungen62. Der Text nach französischem Vorbild war von August von Kotzebue, der nach seinem wechselvollen zweiten Aufenthalt in Russland nun wieder in Deutschland war und in Berlin die Zeitschrift Der Freimüthige herausgab. Das Blatt schrieb gegen das aufkommende Romantische in der deutschen Kunst und den national-deutschen Patriotismus, der sich durch die napoleonischen Erfolge ermutigt fühlte.
Am 12. März 1805 brachte Der Freimüthige einen Bericht über Peter Winters Marie von Montalban, die Carl Maria von Weber im Februar zur Breslauer Erstaufführung gebracht hatte: »Die Musik … wirklich brav exekutirt durch den Fleiß unseres Musikdirektors von Weber, ist so gelehrt und prächtig, daß das Stück erst zweimal aufgeführt werden konnte … Ueber das Stück selbst – mag ich auch nichts sagen; die Urtheile über den Ungeschmack unserer Zeit fallen doch meist nur in den Sand; eine solche Komposition und ein solcher Stoff, Götter der Kunst, wo wirket ihr?!«63 Schauplatz war Indien, die Musik nicht so entspannt zu genießen wie im üblichen deutschen Singspiel. Ein Singspiel war die deutsche »Große Oper in vier Aufzügen« ohnehin nicht, wenn auch in Breslau vielleicht eine Fassung mit Dialogen anstelle des durchkomponierten Originals aufgeführt worden war, was nicht mehr nachweisbar ist. Winter suchte nach einem neuen Weg für originär deutsch gesungenes Musiktheater, das mit den Werken aus Frankreich und Italien konkurrieren konnte. Viele erhofften sich von ihm das, was sie sich unter einer »deutschen Oper« vorstellten, die nicht wie die französische vom optischen Effekt geprägt war oder wie die italienische vom Gesangssolisten lebte. Johann Gottfried Herder hatte schon vor Jahren seine Wünsche an eine Oper deutscher Sprache formuliert: »Sprechen, wo man spricht: singen, wo man singt! Oder nein! statt sprechen, ganze Auftritte durch nur Pantomime, und dann singen, wo man empfindet …«. Dem Tanz, der allzu oft dramaturgisch unmotivierter, aber unverzichtbarer Bestandteil der französischen Oper war, wollte Herder sein Recht lassen, aber: »Getanzt muß nur werden, wenn getanzt werden soll«, weil es die Handlung fordert.64
Selbstverständlich gab man in auch Breslau schon bald nach dem Berliner Premierenerfolg vom Januar 1805 das Singspiel Die Wette, das der Mannheimer Vogler-Schüler und königlich-preußische Kapellmeister Bernhard Anselm Weber auf einen ebenfalls aus dem Französischen adaptierten Text komponiert hatte. Im Repertoire waren auch Entführung, Zauberflöte und Figaro65 und mit Orlando Paladino eine Haydn-Oper. Vom Publikum gefragt waren aber auch in Breslau französische Titel von Dalayrac und anderen.
Im Frühjahr 1805 kam es bei der Vorbereitung von Méhuls einaktiger Opéra comique Der Tollkopf (L’irato ou l’emporté) zu erheblichen Schwierigkeiten zwischen Carl Maria von Weber und dem Ensemble. Die Sängerinnen und Sänger gaben ihre Rollenbücher zurück und weigerten sich, zu probieren. Zwischen Mitte März und Anfang Mai standen nämlich noch sieben weitere Werke auf dem Spielplan, zu denen Auffrischungsproben nötig waren. Dazu kamen Webers Benefizvorstellung am Gründonnerstag, drei arbeitsfreie Feiertage und der Abschied vom Ehepaar Marianne und Friedrich Veltheim, Sängerin und Schauspieler, das nach Danzig ging. Auf Anordnung Rhodes wurden die Tollkopf-Proben schließlich doch aufgenommen, die verspätete Premiere war aber nur ein matter Erfolg. Rhode artikulierte seine Kritik an Webers Arbeit auch schriftlich, was Weber zu einer ausführlichen Entgegnung veranlasste, in der er seine Leistungen für diese Problem-Produktion akribisch datiert darlegt und sich rechtfertigt. Der Vater führte ihm natürlich nicht mehr die Feder, gleichwohl war Franz Anton im Hintergrund stetig bemüht, die Karriere des Sohns zu befördern und korrespondierte von Breslau aus empfehlend und sich in Carl Marias Namen bewerbend unter anderem mit dem Mannheimer Intendanten.
Im Theater und in der barock-prächtigen Aula Leopoldina der Universität war Carl Maria von Weber schon im Vorjahr zweimal als Pianist in großem Rahmen aufgetreten. In kleinerem Rahmen sicher noch viel öfter, da es auch in Breslau etliche Veranstalter von durchaus beachtlichen Hauskonzerten gab, die meistens als jour fixe stattfanden und nicht öffentlich kundgemacht wurden, weshalb wenig Genaues dokumentiert ist. In den beiden Konzerten, die er 1805 unter Mitwirkung von Orchester und Chor im Theater gab, brachte er Ausschnitte aus Voglers Samori und eine Nummer aus Peter Schmoll, spielte ein Mozart-Klavierkonzert und phantasierte frei über ein Samori-Thema.
In Schlesien wartete man aus vorläufig sicherer Distanz ab, was sich auf der europäischen Landkarte änderte. Preußen war neutral geblieben, als sich deutsche Staaten wie Baden, Bayern und Württemberg mit Frankreich gegen jene antinapoleonische Koalition zusammengetan hatten, in der Österreich und Russland den schon Krieg führenden Briten auf dem Kontinent beistand. Franz hatte außerhalb von Wien Truppen für eine entscheidende Schlacht gesammelt, in der er an der Seite von Alexander I. von Russland in Austerlitz bei Brünn dem Kaiser der Franzosen unterlag. Am 13. November war Napoleon in Wien einmarschiert. In der Stadt war man neugierig auf den Sieger der Dreikaiserschlacht, und das Leben ging seinen Gang. Am Burgtheater spielte man an diesem Abend eine neue deutsche Fassung von Goldonis Le donne curiose, am Theater an der Wien wurde die rustikale Pasticcio-Posse Liebe macht kurzen Prozeß gegeben und man probierte Beethovens Fidelio, der eine Woche später Uraufführung haben sollte.
Als Kaiser von Österreich musste Franz im Frieden von Pressburg, der am Stephanstag unterzeichnet wurde, zwar beträchtliche Territorien in Italien hergeben, bekam aber trotz seines Unterliegens Salzburg. Augsburg wurde Bayern zugesprochen und das nördlich des Rheins gelegene habsburgische Territorium zwischen Baden und Württemberg aufgeteilt, womit die Webersche Heimat Zell im Wiesental nicht mehr in Österreich lag. In Stuttgart und München sollten jetzt Könige statt Kurfürsten regieren, und das Heilige Römische Reich deutscher Nation war de facto am Ende. Die Franzosen köpften nicht nur Könige, sie waren auch Königsmacher, wenn man geschickt mit ihnen paktierte.
Der Theaterdienst ließ Weber wenig Zeit fürs Komponieren. Zum Heiligen Abend 1805 widmete er dem Kaufmann Conrad Jacob Zahn, der Flöte spielte, eine kurze Romanza siciliana in g-Moll und charakteristischem Sechsachteltakt. Er hatte bei Vogler gelernt, wie man mit fremdländischen Melodien umging oder solche nach dem Geschmack der Zeit erfand. Im Hause Zahn verkehrte auch der 25-jährige Friedrich Wilhelm Berner, Organist der evangelischen Elisabethkirche. In früheren Jahren hatte er auch Klarinette im Breslauer Theaterorchester gespielt. Mit ihm schloss Weber Freundschaft. Er ließ sich von dem Schlesier bei seiner Rübezahl-Oper beraten, weswegen Berner ihn eines Abends zuhause aufsuchte: »Aber wie erschrickt B., als er in das Zimmer tritt und seinen Freund Weber besinnungslos auf dem Fußboden liegend findet! – B. schreit gleich nach Hilfe und schickt schnell nach einem Arzte, während er die möglichen Vorkehrungen schon traf … Eine Stunde später und es war um ihn geschehen! Die Sache klärte sich nachher gehörig auf und zwar auf folgende Art. W. hatte, ehe er an seine Arbeit gegangen war, ein Glas Wein trinken wollen, statt der Weinflasche aber eine Flasche ergriffen, worin sich ein mit Vitriol=Säure gemischtes Medikament befand, das sein Vater gebrauchen wollte oder sollte. Welch’ ein glücklicher Zufall, daß Berner noch sobald dazukam!«66 Diese Schilderung führte dazu, dass noch in der Weber-Biografik des späten 20. Jahrhunderts, etwa bei Michael Leinert, mit lakonischer Bestimmtheit behauptet wurde: »1806 Verlust der Singstimme«67. Doch darauf, dass Weber wegen eines solchen oder ähnlichen Unfalls nicht mehr singen konnte, gibt es weder in seinem späteren Leben Hinweise, noch ist davon in dieser ursprünglichen Quelle die Rede – wie auch von keiner auch nur vorübergehenden
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Vortrag von Frank Ziegler, Würzburg (Kulturwerk Schlesien), 9. Juni 2012, Publikation in Vorbereitung.
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Zit. nach Till Gerrit Waidelich:
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Johann Gottfried Hientzsch:
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Michael Leinert: