Carl Maria von Weber in seiner Zeit. Christoph Schwandt

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Carl Maria von Weber in seiner Zeit - Christoph  Schwandt


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besuchte noch zwei weitere Vorstellungen.

      Franz Anton von Weber, der sich auch aus eigenem Interesse Gedanken um die Zukunft seines Sohns machte, musste in Breslau ganz anders agieren als in Hildburghausen oder Salzburg, wo sich Künstlermilieu und höfische oder klerikale Kreise überschnitten. Das Breslauer Theater war ein bürgerliches, und die adligen preußischen Offiziere rümpften wohl die Nase über einen »Baron von Weber«, der sich bei den »Komödianten« produzierte. Die Mehrzahl der ernsthaften Kunstfreunde waren Bürger oder schlesische Aristokraten, die nicht in Breslau residierten, sondern ihren Stammsitz auf ländlichen Gütern hatten, in Dobrau oder Dambrau, Rogau oder Reisewitz, in Krappitz, Koppitz oder wie die Eichendorffs in Lubowitz. Sie waren nur den Winter über in der Stadt, weil man da komfortabler lebte. Es gab durchaus herrschaftliche Adelssitze in der schlesischen Provinz. Beethoven wurde im September des Jahres nach Oberglogau zum Grafen Oppersdorff eingeladen, der ein veritables Hausorchester vorzuweisen hatte. Der Besuch führte zur Widmung Beethovens Vierter an den Gastgeber.

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      Schloss Carlsruhe (Oberschlesien, heute Pokój)

      Auch Eugen Friedrich Heinrich von Württemberg kam oft nach Breslau, und es spricht viel dafür, dass Franz Anton sich um seine Unterstützung bemühte, zumal er mit dem Vater des Herzogs seinerzeit den Theatervertrag in Bayreuth geschlossen hatte. Später hieß es, dass eine Breslauer Klavierschülerin Carl Marias, ein Fräulein von Belonde74, die eine Hofdame der Herzogin gewesen sei, den Kontakt hergestellt habe. Das ist aber wohl eine Verwechslung, denn ein Fräulein dieses Namens war bis 1807 bei einer Schwägerin der Herzogin in Stuttgart in Diensten und nicht in Schlesien. Franz Anton und sein Sohn baten den Herzog erfolgreich um die Verleihung eines Titels. Carl Maria wollte nämlich als »Musick-Intendant« eines Hofs künftig besser vorankommen. Dass er nun aber doch erst einmal mit Vater und Tante zum Herzog aufs Land ging, war eine sehr vernünftige Entscheidung. Dort brauchte man zwar keinen Intendanten, es gab auch kein Geld, aber anständige Kost und in Anbetracht der politischen Lage relativ sicheres Logis für einen »composer in residence«.

      Fährt man heute von Namysłów, dem früheren Namslau, auf der Wojewodschaftsstraße 454 nach Süden in Richtung Oppeln, erreicht man nach 23 Kilometern Pokój, wie das polnische Wort nicht nur für »Zimmer«, sondern auch für »Frieden«. Man gelangt auf ein kreiselartiges Rondell, auf dem erkennbar einst mehrere Alleen zusammentrafen. Genau dort stand 200 Jahre lang das Schloss Carlsruhe. In den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs wurde es von sowjetischen Soldaten gesprengt75. Das Herzogtum Oels (die heutige polnische Stadt heißt Oleśnica und liegt 30 Kilometer nordöstlich von Breslau) war seit Mitte des 17. Jahrhunderts im Besitz der Württemberger gewesen und 1792 durch die Heirat der letzten Vertreterin der Linie Württemberg-Oels mit einem braunschweigischen Prinzen an dessen Haus gefallen. Allerdings war ein württembergischer Cousin mit Carlsruhe und dem dazugehörigen Land belehnt worden: ebenjener Herzog Eugen Friedrich Heinrich. Er war mit einer verwitweten Herzogin von Sachsen-Meiningen verheiratet. Das Paar nahm ständigen Wohnsitz auf Carlsruhe und lebte dort mit drei Kindern. Der älteste Sohn, Eugen Friedrich Karl, war zwei Jahre jünger als Carl Maria von Weber und spielte Cello in der kleinen Hofkapelle, der Vater Oboe – und er war Freimaurer.

      Für Carlsruhe, in dessen Umgebung sich bereits deutsche und polnische Siedlungen mischten, hatte das barocke badische Karlsruhe als Anregung gedient. Seit Mitte des 18. Jahrhunderts gehörte zu dem ursprünglichen Jagdschloss ein Tiergarten. Die dichten Wälder in den Auen des Stober, der bei Brieg in die Oder mündet, waren ein vorzügliches Jagdrevier. Im urbanen Breslau hieß es, von Carlsruhe aus könne man bis nach Russland laufen, ohne auf irgendwelche Zivilisation zu treffen. Eugen Friedrich Heinrich hatte vor gut zehn Jahren das kleine Theater in einem Kavalierhaus ausbauen lassen, und es waren dort, vornehmlich von reisenden Ensembles, erstaunliche Opern-, Singspiel- und Schauspielaufführungen gegeben worden. Nahe dem Schloss stand die evangelische Sophienkirche, denn die Württemberger waren protestantisch.

      Derzeit lebten die Herzogin und die Kinder allein. Denn im Hauptberuf war ihr Gemahl preußischer Offizier und auswärts im Dienst. Mitte des Jahres 1806 manövrierte Frankreichs Europapolitik ihn in eine verzwickte Konstellation. Napoleon hatte es fertiggebracht, dass sich unter französischem Protektorat 16 deutsche Staaten zum Rheinbund zusammenschlossen, darunter neben Baden und Bayern das Königreich Württemberg. Außerdem schien es, als wollte er Hannover an die britische Krone zurückgeben, nachdem er im Frühjahr der Besetzung durch Preußen zugestimmt hatte, die wiederum zu einer Kriegserklärung Englands gegen Preußen führte. Im August stellte Preußen ein Ultimatum, die Franzosen sollten sich auf die Westseite des Rheins zurückziehen; Napoleon ließ es verstreichen. Es gab Krieg, und der württembergische Herzog zog als preußischer General gegen die mit den Franzosen kämpfenden württembergischen Truppen ins Feld. Der württembergische König war sein Bruder! Einen Kaiser, der hätte verhindern können, dass Preußen auf Württemberger oder Bayern schossen oder auch auf die 85 Soldaten, die das winzige Hessen-Homburg für Bonaparte stellte, gab es nun auch de jure nicht mehr. Franz II. legte am 6. August die römisch-deutsche Kaiserkrone nieder und war nur noch Franz I. von Österreich.

      Schon am 10. Oktober erfuhr Preußen mit seinen wenigen mitteldeutschen Verbündeten bei Saalfeld eine demütigende erste Niederlage. Das preußische Kavalleriekorps des württembergischen Herzogs zählte etwa 16 000 Mann, von denen mehr als 5000 ihr Leben ließen, als sie nicht nur in den Schlachten bei Jena und Auerstedt, sondern endgültig bei Halle geschlagen wurden. Leipzig, Berlin und Hamburg wurden besetzt, und am 27. Oktober 1806 ritt Napoleon höchstpersönlich in der Hauptstadt Preußens ein. Dann kam der Krieg auch nach Schlesien. Anfang Dezember fiel die Festung Glogau, deren Gouverneur Eugen Friedrich Heinrich gewesen war, dann Breslau und am 16. Januar 1807 Brieg, nur gut 30 Kilometer von Carlsruhe entfernt. Das war eine Kriegstat des bayerischen Rheinbund-Generals von Deroy, der 1800 in Hohenlinden noch gegen die Franzosen gekämpft hatte.

      Jetzt erst kehrte der Herzog, der alle Schlachten heil überstanden hatte, nach Carlsruhe zurück. Im Februar erlebte Franz Anton von Weber, der sich an der Violine nützlich gemacht hatte, zum zweiten Mal nach Eutin mit, dass »abgewickelt« werden musste: Eugen Friedrich konnte sich Kapelle und Theater nicht mehr leisten. Die Bühne, auf der es lange keine größeren Aufführungen mehr gegeben hatte, war schon geschlossen, das Orchester wurde drastisch verkleinert.

      Immer noch unermüdlich, kümmerte sich Vater Weber auch in dieser Lage um das Fortkommen seines Sohns, den er in einem Brief an Ambrosius Kühnel großspurig als »der hiesige herzogl. HofIntendant«76 tituliert. Franz Anton hatte die Carlsruher Muße genutzt, um ein ebenso kurioses wie akribisches Dossier als Stammbaum seines Sohns anzulegen, das allerdings auch der Wohlgesonnenste, dem es unter die Augen gekommen wäre, als eine aufschneiderische Unverschämtheit hätte entlarven müssen. Da erfindet er für seinen fiktiven Weber-Clan eine irische »Lady Eva von Sklarenberg« und macht seine zweite Schwiegermutter Victoria Brenner, geborene Hindelang zur »Freiin Louise von Hornstein«, als seien diese »zeitgenössischen Opernlibretti entsprungen« (Frank Ziegler)77.

      In dem Carlsruher Kavaliershäuschen, das sein Quartier war, konnte Carl Maria von Weber wieder komponieren. Selbst wenn er gleich nach dem Abschied vom Breslauer Theater nach Carlsruhe gekommen sein sollte, wofür es keinen Beleg gibt, und nicht erst im Oktober 1806, als er mit Sicherheit dort war, so ist das kreative Ergebnis doch beachtlich, und der knapp 20-jährige zeigt dem kleinen, aber kundigen Publikum, was er in Breslau dazugelernt hat. Dort wird er nicht oft aus dem städtischen Ambiente herausgekommen sein, vielleicht in den Garten des einen oder anderen wohlhabenden Bürgerhauses. Hier taugt nun alles um ihn herum zur schöpferischen Idylle. Beim Schloss gab es neben dem eigentlichen kleinen Schlosspark, dem alten Tiergarten und den Teichen auch noch einen Englischen Garten mit zahlreichen pseudorustikalen Kunstbauten wie einer Meierei mit echten Kühen und Milchausschank. Fünf Feldherrenbüsten soll es darin gegeben haben, ebenso eine Statue Friedrichs des Großen, der ein Großonkel des württembergischen Herrn auf Carlsruhe war, und eine Büste Friedrich Wilhelms II., dem Vater des aktuellen Preußenkönigs. Dann waren da noch ein Leuchtturm, ein Irrgarten, die üblichen griechischen Tempelchen,


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<p>74</p>

Max Maria von Weber: Carl Maria von Weber, Leipzig 1864-1866, Band 1, S. 106.

<p>75</p>

Ryszard Emmerling: Schlesische Schlösser und Paläste, Opole 1999, S. 71.

<p>76</p>

7. Februar 1807.

<p>77</p>

Frank Ziegler: Carl Maria von Webers Familie und ihr »Adel« – zur Entstehung einer Legende, in: Jahrbuch für Heimatkunde, Eutin 2012, S. 69.