Carl Maria von Weber in seiner Zeit. Christoph Schwandt

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Carl Maria von Weber in seiner Zeit - Christoph  Schwandt


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katholische Gegenden gehörten, einen an französischem Vorbild orientierten Staat. Er liebte die Jagd und hatte gern einfache, aber gutaussehende junge Männer um sich, was zu mancher Mutmaßung führte. Keiner von den Günstlingen Friedrichs konnte allerdings wesentlichen Einfluss auf die Staatsgeschäfte erlangen. Biograf Paul Sauer nannte ihn einen »schwäbischen Zaren«, auch, weil Friedrich lange in russischen Diensten gestanden hatte und Charakterzüge zeigte, die überhaupt nicht mit der rechtschaffen protestantischen Landesmentalität harmonierten. Er war aber auch eine Weile am Hofe Friedrichs des Großen gewesen und hatte erst spät seinen Lebensmittelpunkt in das Stammland seiner Familie verlegt. Geboren war er im pommerschen Treptow an der Rega, heute das polnische Trzebiatów. Er fühlte sich als großer europäischer Monarch, der Napoleon auf Augenhöhe begegnete. (Napoleon war zwei Köpfe kleiner als Friedrich – ein dankbares Karikaturmotiv.) Aus Russland war er seinerzeit als alleinerziehender Vater dreier Kinder zurückgekehrt, nachdem Katharina die Große Mitleid mit seiner jungen Ehefrau, die unter der desaströsen Ehe litt, gezeigt hatte. Die Zarin warf Friedrich aus dem Land, der später, wohl eher aus politischer Neigung, eine Tochter des britischen Königs heiratete. Seine eigene Tochter aus erster Ehe – mit Namen Katharina – war Napoleons Bruder Jérôme versprochen, der nach dem Frieden von Tilsit die Krone eines »Königreichs Westphalen« bekommen sollte. Dieser Bonaparte regierte dann zwar nur kleine Teile Westfalens, ansonsten aber doch ein großes Territorium, zu dem auch Osnabrück und Magdeburg gehörten, weil Preußen alles Gebiet westlich der Elbe hatte hergeben müssen. Er residierte auch nicht im Westfälischen, sondern in Kassel. Ihm widmete Carl Maria von Weber, nachdem er sich am württembergischen Rheinbund-Hof akklimatisiert hatte, die Konzertfassung der Peter Schmoll-Ouvertüre als Grande Ouverture à plusieurs instruments. Das hatte insofern besondere Delikatesse, als der Empfänger dieser Widmung Webers vorigem Carlsruher Herrn gerade noch als aktiver Kriegsgegner in Schlesien siegreich gegenübergestanden hatte. Als er wenig später bei Gombart Stimmen drucken ließ, wurde da sogar vermerkt, dass er sie eigens für Jérôme komponiert habe! Eine sicherlich arglose, aber zweckmäßige Lüge, wie auch die ganze Widmung nicht Bekenntnis, sondern der vom Vater vorgelebte Opportunismus war. Als »Sa Majesté la Reine de Westphalie« bekam Jérômes Frau, die Stuttgarter Königstochter, ein wirklich neues Webersches Werk zugeeignet, das er unterwegs komponiert hatte. Diese Dedikationen waren nicht ungeschickt. Ein neuer König, der sich einen neuen Hof mit allem, was dazu gehörte, schaffen musste, brauchte gewiss auch einen Kapellmeister.

      »Dieses Werk ist der älteste Eckstein der Berühmtheit unsres Meisters« vermerkte Friedrich Wilhelm Jähns später in seinem Werkverzeichnis zu den Sept Variations sur l’air vien qua Dorina bella, die der westfälischen Königin gewidmet sind. Ohne Zweifel begegnet man darin einem nun ganz erwachsenen Komponisten. Carl Maria von Weber war 20 Jahre alt, als er diesen pianistisch anspruchsvollen und in seinem Aufbau gut ausbalancierten und in den einzelnen Sätzen homogenen kleinen Zyklus schuf. Deutlich wird hier der Weg zu einem brillanten Stil, den er aus seiner eigenen, mehr und mehr kultivierten Virtuosität am Klavier gewinnt. Die simple C-Dur-Melodie stammt von einem Lied, das unter dem Titel La smorfiosella (»Das Zimperlieschen«) publiziert und bekannt war, und als dessen Komponist der Mailänder Sänger Antonio Bianchi anzunehmen ist, der lange Zeit in Deutschland tätig war. Weber lässt das Thema reizvolle Abwandlungen erfahren, besonders in der zweiten Variation mit heftigen Akzenten der linken Hand und mit einem eleganten Perpetuum mobile in der fünften.

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      Das Neue Schloss in Stuttgart

      Erst am Sonntag nach der Ankunft machte er seinen Besuch bei Hofe, denn in Stuttgart hatte er die wichtigen Personen nicht angetroffen, weil alle in Ludwigsburg waren. Von dem zwei Kutschenstunden entfernten Schloss – einem noch keine hundert Jahre alten, repräsentativen Barockbau, der eigentlich nur als sommerliches Lustschloss gedacht gewesen war – war Württemberg zeitweise ausschließlich regiert worden, als es noch kein Königreich war. Seit 1806 war aber definitiv und allein Stuttgart Residenz, das imposante Neue Schloss war fertig. In diesen Tagen stand jedoch an beiden Orten alles im Zeichen der Hochzeit Katharinas, die, auch wenn sie in Fontainebleau stattfand, ein Grund zum Feiern war. Trotz bester Empfehlungen des Königsbruders aus Oberschlesien hatte deshalb kaum jemand Zeit für den Neuankömmling. Herzog Ludwig Friedrich Alexander, ein weiterer Bruder Seiner Majestät, war für die »Maison du Roi« zuständig, also eine Art Personalchef. Auch er war aus Russland gekommen, allerdings erst vor ganz kurzer Zeit. Ihm oblag es, sich Gedanken um die Verwendung Webers zu machen. Ein zweiter Umstand war für Weber, der sich Hoffnungen auf eine seiner musikalischen Kompetenz entsprechende Tätigkeit gemacht hatte, mindestens genauso ungünstig, wie das schlechte Timing. Justin Heinrich Knecht, im Vorjahr aus Biberach an der Riss nach Stuttgart berufen, hatte sich als Hofkapellmeister überfordert gezeigt; ein Nachfolger für ihn war aber schon ausgesucht, wenn auch noch nicht im Amt, sodass derzeit auch keine untergeordnete Position über ihn hinweg mit Weber besetzt werden konnte.

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      Franz Danzi (1763-1826)

      Er wollte seine Kunst hörbar unter Beweis stellen und bat darum, ein Konzert als Pianist wie auch mit einer seiner Sinfonien geben zu können, was man bei Hofe, wie in diesen geschäftigen Tagen nicht anders zu erwarten, abschlägig beschied. Für den 7. August bereitete man am Stuttgarter Hoftheater eine besonders festliche Opernaufführung zu Ehren der Braut vor: Winters Marie von Montalban. Die musikalische Leitung hatte ein Musiker, der am bayerischen Hof mit dem Komponisten zusammengearbeitet hatte: Franz Danzi, durch eigene Bühnenwerke wie Die Mitternachtsstunde hoch angesehen. Carl Maria hatte von den Danzis – ein weiterer Bruder war Musiker und Sänger, eine Schwester Sängerin – sicherlich schon in München gehört, wohin sie mit ihrem Vater, einem italienischen Cellisten in Karl Theodors berühmter Hofkapelle, gekommen waren. Franz Danzi, der die Musik zur Mannheimer Uraufführung von Schillers Räubern geschrieben hatte, war dort auch Schüler Voglers gewesen. Er war es, der neuer königlich württembergischer Hofkapellmeister werden wollte, da er in München als Winters Stellvertreter unzufrieden war und auch, weil er nach dem frühen Tod seiner Frau eine ernste schöpferische Krise durchmachte. Dieser andere Neu-Stuttgarter und Carl Maria von Weber hatten es nicht schwer, miteinander ins Gespräch zu kommen und sich anzufreunden.

      Herzog Louis, wie man Ludwig Friedrich Alexander nannte, sah sich gegenüber dem oberschlesischen Bruder gegenüber im Wort und stellte am 16. August 1807 Weber wenigstens als »geheimen Sekretär« ein, womit sich der auf einen Brotberuf einließ, der ihn einerseits gewiss unterforderte, für den er aber andererseits eine glatte Fehlbesetzung war. Das Adjektiv »geheim« bedeutete damals soviel wie persönlich und vertraut. Louis’ Sekretär sollte als Hauslehrer des Herzogs »sämtliche Kinder, im Schreyben, der Musique und sonstigen guten deutschen Schreybarth«87 unterweisen. Das bedeutete bei den vier Töchtern, die zwischen fünf und neun Jahre alt waren, keine große Herausforderung, und der erst zweijährige Alexander war noch nicht so weit. Die Töchter wurden von der französischen Gouvernante Alexandrine des Echerolles betreut, die durch die Revolution vom Schloss ihrer Familie am Allier südlich von Moulins vertrieben worden war. Sie beschrieb diese turbulente Zeit später in ihren Memoiren88 und auch, wie sie von einer Pariserin nach Stuttgart empfohlen wurde, wo deren Schwester Hofdame war: ein Fräulein von Belonde, das aber schon zwei Monate vor Webers Ankunft verstorben war. Möglicherweise ist dies die Keimzelle der Legende um Webers Einladung nach Oberschlesien durch eine geheimnisvolle Klavierschülerin dieses Namens. Zum anderen hatte sich der Geheimsekretär von Weber um die persönlichen Finanzen des Herzogs zu kümmern, um die es sehr schlecht stand. »Louis de Wurttemberg« war hoch verschuldet, weil er gewohnheitsmäßig über seine Verhältnisse lebte. Er war wie seine Brüder Eugen und Friedrich preußischer Offizier gewesen, dann aber in polnische Dienste getreten und hatte aus einer geschiedenen Ehe mit der schriftstellernden – und nun standesgemäßen Unterhalt fordernden – Fürstentochter Maria Anna Czartoryska einen Sohn. Prinz Adam war 15 Jahre alt und wuchs mit den Halbgeschwistern auf, deren Mutter eine Prinzessin von Nassau-Weilburg war. Er bereitete sich auf eine militärische Laufbahn vor.

      Carl Maria von Weber, glänzender Pianist, bereits erfahrener Musikdirektor und hoffnungsvoller


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<p>87</p>

Brief des Herzogs, 16. August 1807.

<p>88</p>

Alexandrine des Echerolles: Quelques années de ma vie : (– Une Famille noble sous la Terreur.), Moulins 1843 (2 Bände).