Carl Maria von Weber in seiner Zeit. Christoph Schwandt

Читать онлайн книгу.

Carl Maria von Weber in seiner Zeit - Christoph  Schwandt


Скачать книгу
mit Freunden und Bekannten gespielt haben. Möglicherweise war genau das der Grund: Der komponierende Pianist lässt dem anderen Instrument viel Raum und gelegentlich den Vortritt, sich selbst aber die virtuosen Höhepunkte. Die »norwegische« Melodie hatte er als »grönländische Weise« in einem Sammelband »nazional-karakteristischer« Stücke Voglers101 gefunden, der sie gewiss nicht auf der arktischen Insel, sondern eher in Kopenhagen aufgezeichnet hatte. Ein echtes »Eskimo-Lied« wird es auch kaum gewesen sein. Überhaupt: »nationale« Musik, wie sie bald vor allem im östlichen Mitteleuropa gefunden oder komponiert wurde, gab es noch nicht. Die Unterschiede waren regional oder ethnisch, weshalb in diesen Zeiten eine böhmische Weise von tschechischer wie von deutscher Herkunft sein konnte.

      Das einzige, was Weber für das württembergische Hoftheater tun durfte, muss ein Freundschaftsdienst für Franz Danzi gewesen sein, der nicht nur für Opern zuständig war, sondern sich als Hofkapellmeister auch um die musikalische Ausgestaltung der Schauspielaufführungen zu kümmern hatte, die in dem prächtigen Renaissancebau gegeben wurden, der als »Neues Lusthaus« Ende des 16. Jahrhunderts an der Stelle des heutigen »Kunstgebäudes« erbaut und nach und nach als Theater eingerichtet worden war. Für ein Stück, das dies unbedingt verlangte, war im Spätsommer 1809 wohl keine der schon geschriebenen Bühnenmusiken zur Hand. Danzi selbst hatte keine Zeit, und Konzertmeister Ludwig Abeille war mit einem eigenen neuen Werk beschäftigt, sodass ziemlich kurzfristig Weber beauftragt wurde. Nach seinen Vermerken waren die sechs Musiknummern erst am 12. September fertig. »Die Ouvertüre und Märsche sind von Herrn Carl Marie Freiherrn von Weber nach einer ächt orientalischen Melodie bearbeitet«102, hieß es am 20. September auf dem Theaterzettel zu Schillers Nachdichtung von Carlo Gozzis Turandot. Weber setzte die üblichen Zusatzinstrumente Piccoloflöte, Triangel, Becken und »türkische Trommel« ein, die exotische Schauplätze signalisierten, ob in Indien, China oder Ägypten. Für das Präludium verwendete er die Breslauer Overtura Chinesa, deren ursprüngliches Manuskript er nicht aufbewahrte. Und hier gelingt Carl Maria von Weber mit Hilfe eines bei Jean-Jacques Rousseau gefundenen original-chinesischen Themas103 das, was später so typisch für ihn wurde und seinen Erfolg begründete: mit einem phantasievollen Orchestervorspiel das Publikum dorthin zu führen, wo es von der Bühnenhandlung erwartet wird. Bei Peter Schmoll hatte er das noch nicht gekonnt. So gut dieses Vorspiel gearbeitet ist, es könnte doch vor jedem beliebigen heiteren italienisch-französisch-deutschen Musiktheater stehen, wo auch immer dieses spielt.

image

      Franz Carl Hiemer (1768-1822), Porträt von Johann Baptist Seele

      Im Zirkel von »Faust’s Höllenfahrt« hatte Weber einen Pfarrerssohn aus dem südwürttembergischen, an der Donau gelegenen Örtchen Rottenacker kennengelernt. Franz Carl »Reimwolf« Hiemer war im Hauptberuf Sekretär im königlichen Generalfinanzdirektorium, 40 Jahre alt, und hatte sich einen Namen als Librettist von einigen Singspielen gemacht, die in Stuttgart aufgeführt worden waren. Und als Übersetzer und Bearbeiter französischer Opern, die auch hier das Repertoire dominierten. Schauspieler war er ebenso eine Zeit lang gewesen und hatte sich desgleichen als Maler und Zeichner hervorgetan. 1792 schuf Hiemer in Tübingen ein Pastellporträt des jungen Friedrich Hölderlin, das später das prägende »Hölderlin-Bild« werden sollte. Weber, zu dieser Zeit noch im Besitz der Noten des Waldmädchens, beabsichtigte, dem unreifen, nun fast zehn Jahre alten Jugendwerk eine neue Form zu geben. Hiemer sollte ihm das Steinsbergsche Textbuch überarbeiten, was er auch recht gründlich tat und sich dabei viel Zeit ließ, sodass Weber, der gleichzeitig komponierte und revidierte, ihn zum Arbeiten anhalten musste. Schon am 19. Juni 1809 hatte er in einem launig gereimten Brief geschrieben, dass er »Kein Mädchen küssen/In’s Bette p – – /Klavier nicht spielen/Stets Hunger fühlen« wolle, bis er mit diesem »poetischen Ochsenziemer« seinen säumigen Textdichter bezwungen habe. Hiemer hatte auch noch Aufträge für andere Komponisten auszuführen; er war, sich an ein französisches Vorbild anlehnend, der Librettist von Abeilles Peter und Ännchen-Singspiel, das Ende September in Ludwigsburg über die Bühne ging.

      Ein paar Tage vor diesem Theaterabend muss die neueste Ausgabe der AMZ aus Leipzig in Württemberg angekommen sein, die dieses Mal von manchen Musikern und Musikinteressierten bei Hofe mit Schmunzeln und Genugtuung gelesen wurde, andere vermutlich recht wütend auf Weber werden ließ, sofern sie wussten, dass der sich hinter dem Autoren-Kürzel »M.« verbarg. »M.« rezensierte ausführlich ein gerade erschienenes Buch des Stuttgarter Hofmusikers Johann Baptist Schaul, der in Briefen über den Geschmack in der Musik104 alte italienische Meister wie Jommelli und Boccherini in relativ schlichter Polemik über den seines Erachtens überschätzten Mozart stellte. Der 50-jährige Schaul stand mit diesem Urteil, das man nicht viel später reaktionär genannt hätte, nicht allein da. In Wilhelm Heinses Roman Hildegard von Hohenthal war ein ähnlicher Standpunkt, aber doch wesentlich differenzierter und diplomatischer, beschrieben worden, vor allem, ohne Mozart gegen die verdienstvollen Italiener auszuspielen. Weber bringt es gleich im ersten Absatz auf den Punkt: »ein ziemlich engbrüstiger, auf einen kleinen Wirkungskreis beschränkter Mann in mißvergnügter Stimmung« schreibe da »mit einer ordentlichen Portion Anmaßung über große Männer und deren Werke«105. Und er endet süffisant: »Gerne wollte der Rezensent nach so manchem Tadel Herrn Sch. nun auch loben. Da derselbe dies aber in den Briefen hinlänglich selbst getan hat … so werden die wißbegierigen Leser … lieber auf das Werk selbst verwiesen.«

      Auf diese Weise konnte man sich in Kollegenkreisen gehörig in die Nesseln setzen, aber es war üblich übereinander zu schreiben, und Carl Maria hatte Talent, sich auch mit Worten auszudrücken, und Selbstbewusstsein genug, kritisch Stellung zu beziehen. Auch ein Künstlerroman, natürlich über einen Musiker, ging ihm im Kopf herum. Er begann, ihn niederzuschreiben, und gewann das Morgenblatt106 dafür, einen ersten Teil zu veröffentlichen. Das Fragment aus einer musikalischen Reise, die vielleicht erscheinen wird, ist der Traum eines jungen Musikers, aus dem er erwacht, als eine Saite seiner Gitarre reißt: Wird er ein »großer Komponist im neuen Genre oder – ein Narr«? Die Instrumente des Orchesters beginnen zu erzählen, wie schwer sie sich mit den neuesten Hervorbringungen tun, bevor der Orchesterdiener sie zur nächsten Probe einsammelt: »›Wartet,‹ rief er, ›rebelliert ihr schon wieder? Wartet gleich wird die Sinfonia Eroica von Beethoven aufgelegt werden, und wer dann noch ein Glied oder eine Klappe rühren kann, der melde sich.‹ ›Ach, nur das nicht!‹ baten alle. ›Lieber eine italienische Oper, da kann man doch zuweilen dabei nicken.‹ meinte die Bratsche.«

      Hinsichtlich seiner Opernpläne war Weber klar geworden, dass es nicht genügte, irgendeinen Text so gut wie möglich zu vertonen. Der Text musste schon von sich aus die Qualität haben, eine noch bessere Musik zu legitimieren. Auch eine Weiterarbeit an Rübezahl hatte er erwogen. Als Louis Spohr aus Gotha zu Besuch war, spielte ihm Weber aus den vorhandenen Nummern vor, und Spohr schrieb später: »Ich erinnere mich noch sehr gut, damals als Muster von Webers Arbeiten einige Nummern aus der Oper ›der Beherrscher der Geister‹ bei ihm gehört zu haben. Diese kamen mir, da ich gewohnt war, bei dramatischen Arbeiten stets Mozart als Maßstab anzulegen, aber so unbedeutend und dilettantenmäßig vor, daß ich nicht im entferntesten ahnte, es werde Weber einst gelingen, mit irgendeiner Oper Aufsehen zu erregen!«107 Spohr, zweieinhalb Jahre älter als Weber, hatte selbst noch nichts für die Bühne geschrieben.

      So sehr König Friedrich I. von Württemberg auch einige nette junge Männer in seiner Nähe geschätzt und gefördert haben mag, so sehr war ihm auch daran gelegen, andere als Soldaten zu rekrutieren und für Napoleons Unternehmungen in den ziemlich sicheren Tod zu schicken. Der französische Kaiser hatte Ende 1808 – die Comèdie française gab zu diesem Anlass dort sogar Gastspiele – in Erfurt der deutschen Kultur die Ehre gegeben und Christoph Martin Wieland und Goethe mit dem Kreuz der Ehrenlegion ausgezeichnet. In Nord-, Mittel- und Südwestdeutschland war alles einigermaßen geordnet und friedlich, doch seit April 1809 stand der Rheinbundstaat Bayern im Krieg mit Österreich,


Скачать книгу

<p>101</p>

Georg Joseph Vogler: Polymelos, ein nazional-karakteristisches Orgel-Konzert, in zwei Theilen, zu 16 verschiedenen Original-Stücken, aufgeführt … zu München, den 29. und 31sten März 1806; für’s Fortepiano, mit willkürlicher Begleitung einer Violine und Violonzell gesetzt, varirt und Ihro Majestät der regierenden Königin b. Baiern … zugeeignet

<p>102</p>

Zit. nach WGA III/Band 10a, S. 145.

<p>103</p>

Jean-Jacques Rousseau: Dictionnaire de musique, 1768, Band 2.

<p>104</p>

Karlsruhe (Macklots Hofbuchhandlung) 1809.

<p>105</p>

AMZ, Jg. 11, Nr. 50 (13. September 1809) Sp. 793-798.

<p>106</p>

Morgenblatt für gebildete Stände, Jg. 3, Nr. 309 (27. Dezember 1809), S. 1233-1234.

<p>107</p>

Louis Spohr: Lebenserinnerungen, hg. von Folker Göthel, Tutzing 1968, Band 1, S. 109.