Carl Maria von Weber in seiner Zeit. Christoph Schwandt

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Carl Maria von Weber in seiner Zeit - Christoph  Schwandt


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Ton präsentierte er nur vier Tage später, am 2. April. Es war ein besonderes Publikum, das sich da zu einem »Museumskonzert« zusammengefunden hatte, nämlich der Verein »Harmonie«: Damen und Herren der besseren Gesellschaft, die im oberen Geschoss eines Kaffeehauses im Mannheimer Planquadrat D 2,6 das »Museum Karl-Stephanie« installiert hatten, einen nicht nur musikalischen Kulturverein. Weil ihm, anders als seinem Vorgänger »Casino«, nicht nur Männer angehörten, fand sich im Namen nicht nur der Vorname des Erbprinzen Karl, sondern auch der seiner jungen Frau Stéphanie de Beauharnais, der Adoptivtochter Napoleons. Der Begriff »Museum« war damals noch nicht auf das Ausstellen eher älterer Schauobjekte verengt, sondern bezeichnete ganz einfach einen Ort der Musen. Es gab dort auch einen Lesesaal mit Bibliothek; das war ein Indiz für ein günstiges intellektuelles Klima, denn in Wien waren solche »Lesekabinette« inzwischen verboten. In ihrem Reiseführer für Heidelberg und Umgebung schrieb Helmina von Chézy, man sei dort »sehr liberal … Fremde, welche sich einige Monate hier aufhalten, können die Erlaubniß bekommen, gegen einen kleinen Beytrag, solange sie hier sind, diese Anstalt zu frequentiren.«119 Die Chézy war eine Enkelin der von Zeitgenossen als »deutsche Sappho« apostrophierten Anna Luise Karsch und die Tochter der ebenfalls schriftstellernden Louise von Klencke. Sie lebte nach der Scheidung von einem Franzosen zur Zeit mit ihren zwei Söhnen in Heidelberg und sollte bald einen dritten zur Welt bringen, bei dem die Vaterschaft unklar war. In Weimar hatte sie, noch unter ihrem ersten Ehenamen »von Hastfer«, 1805 ihr bewunderndes Feuilleton-Sammelsurium Leben und Kunst in Paris seit Napoleon dem Ersten publiziert, worin viel von Bildender Kunst zu lesen war, auch von beachtlichen 16 Pariser Bühnen, aber gar nicht von Musik.

      In Heidelberg lernte Weber Johann Heinrich Voß endlich persönlich kennen, der sein Eutiner Amt schon 1802 aufgegeben hatte, erst nach Jena und dann an den Neckar gezogen war; er war durch sein aufklärerisches idyll Luise nun weithin bekannt. Carl Maria traf auch Anton Friedrich Justus Thibaut, den musikliebenden Juristen, der dieser Tage froh war, nicht Rektor der Heidelberger Universität zu sein, was er gewesen war und auch noch einmal werden sollte. Die studentische Landsmannschaft der baltischen Kurländer war mit denen aus Westfalen in argen Streit geraten. Es kam zu einem Duell mit Todesfolge, Militär musste anrücken, um zu schlichten, was ein vorübergehendes Verbot aller studentischer Verbindungen zur Folge hatte.

      Anfang April zog Carl Maria von den Franks zu dem Opernsänger Ludwig Berger und Franz Anton von Weber in eine eigene Wohnung. Der Sohn brauchte nichts auf Dauer, denn es war klar, dass er auch in Zukunft weiter auf Reisen gehen würde. Zunächst nach Darmstadt. Dort wirkte seit dem Sommer 1807 Georg Joseph Vogler als »geheimer geistlicher Rath«. Der Abbé hatte offensichtlich ein Gespür für die kulturelle Konjunkturlage und seine langjährigen Verbindungen zum Hof aufleben lassen, denn in Darmstadt wurde großzügig Geld in die Kunst gesteckt. Die bisherige Liebhaber- und Gastspielbühne wurde sogar zum Hoftheater! Landgraf Ludwig X. von Hessen-Darmstadt, 1806 von Napoleons Gnaden zu Großherzog Ludewig I. avanciert, war ein großer Musikfreund. Als protestantischer Rheinbund-Regent war er an sichtbarer religiöser Gleichstellung (auch der Juden) interessiert, weshalb der prominente katholische Musiker eine Zier für seinen Hof war. Vogler war aber nicht als Komponist oder Kapellmeister verpflichtet, sondern als Inspektor für die akustische Beschaffenheit solcher Gebäude, in denen gepredigt, vorgelesen, gelehrt oder musiziert wurde, und als Orgelexperte für das Großherzogtum Hessen. Damit hatte er ein ziemlich disparates Gebiet zu betreuen, zu dem außer dem alten Hessen-Darmstadt auch Gießen und Oberhessen gehörten, das aber durch Frankfurter Gebiet vom Rest abgetrennt war. Noch weiter weg lag das Darmstadt zugeschlagene Arnsberger »Herzogtum Westfalen«, westlich des gleichnamigen Königreichs. Im Westen von Ludewigs Land war schon Frankreich: Mainz, Speyer und Kaiserslautern lagen im »Département du Mont-Tonnerre«, benannt nach dem Pfälzer Donnersberg.

      Vogler wollte Weber ein Konzert vermitteln, das aber verschoben werden musste, weil Großherzogin Luise in der Karwoche solche nicht besuchte. Also musste Weber umdisponieren und fuhr nach Aschaffenburg, was eine bequeme halbe Tagesreise war, um dort eine Akademie zu geben. Die kleine Stadt hatte bisher allenfalls im Sommer eine gewisse überregionale Bedeutung gehabt, weil da im Schloss Johannisburg, einem prächtigen Renaissancebau, der politisch hochwichtige Mainzer Kurfürst-Erzbischof residierte.

      Die Straße von Darmstadt dorthin führte durch einen großzügigen Landschaftspark, den dessen Vorgänger angelegt hatten. Seit dem 19. Februar 1810 wurde von hier eine besondere Kuriosität der napoleonischen Zeit regiert: Das Großherzogtum Frankfurt, an dessen Spitze Karl Theodor von Dalberg stand, der möglicherweise bei einer der Erfurter Zauberflöten-Vorstellungen, bei denen Webers Mutter die Königin der Nacht gesungen hatte, im Publikum gewesen war. Jetzt war »Großherzog Karl«, ein Mann der Aufklärung und nach wie vor ein Freund der Künste, aber nicht nur weltlicher Herrscher dieses neuen Kleinstaats, sondern als Fürstprimas auch eine Art »Erzbischof des Rheinbunds«. Der 1806 verstorbene Mannheimer Intendant war sein jüngerer Bruder gewesen, und sein jüngster Bruder Johann Friedrich Hugo war Bildungspolitiker von geistlichem Stand und zugleich ein angesehener Musiker: »Er spielt nicht nur das Klavier vortrefflich und besitzt sonderlich viel Stärke im extemporellen Fantasieren … Seine Klaviersonaten sind sehr schwer und voll Tiefsinn … Klopstock ist sein Lieblingsdichter, daher setzte er vieles von ihm in Musik, und es gelang ihm meist vortrefflich«, meinte Schubart.120 Er war noch keine fünfzig, aber schwer krank und lebte deshalb mit seiner ledigen Schwester seit einiger Zeit im Aschaffenburger Schloss. Auch »Fritz«, wie der dritte Dalberg genannt wurde, hatte bei Vogler studiert und gehörte seitdem zu dessen »Netzwerk«, das nun für Carl Maria von Weber aufs Neue von Vorteil war. Fritz Dalberg empfing Weber zum Tee, der tief enttäuscht war, weil alle anderen Persönlichkeiten, die er in Aschaffenburg hatte sehen wollen, krank oder verreist waren. Auch Johann Franz Xaver Sterkel, der berühmte Pianist und Komponist nicht nur des Veilchens, der schon seit Mainzer Zeiten in Karl Theodor von Dalbergs Diensten stand und ein Schwager Righinis war. So musste er vor allem mit der Gesellschaft im Hause des ebenfalls schwer kranken Darmstädter Hofrats Philipp von Hertling vorlieb nehmen, an den er empfohlen war, weil er sich gerade bei seinem Schwiegervater, dem früheren Kurmainzer Staatsrat von Deel, in Aschaffenburg aufhielt. Wenigstens konnte Weber am 15. April 1810 im Saal des Gasthofs »Zum Römischen Kaiser« in Aschaffenburg konzertieren; das Eintrittsgeld betrug einen Gulden. Mit 88 Gästen hätte das so viel eingebracht wie der Mannheimer Silvana-Sonderpreis, denn ein Karolin entsprach elf Gulden. Bei solchen selbst organisierten Auftritten musste er natürlich auch alle Nebenkosten für Ankündigungen, Saalmiete, Beleuchtung, Heizung, Einlass und erforderlichenfalls Instrumententransport übernehmen.

      Eigentlich wollte Weber weiter nach Amorbach, wo Emich Carl Fürst von Leiningen residierte, aber nicht mehr regierte, denn sein 1803 nach seiner Vertreibung durch die Franzosen aus der heimatlichen Pfalz geschaffenes Fürstentum war 1806 schon wieder aufgelöst worden. Weber hatte ihn in Mannheim kennengelernt und hätte nun gern auch bei ihm ein Konzert gegeben. Aber der Fürst ließ, gerade noch rechtzeitig, mitteilen, dass er nicht zuhause war. Da es mit der Rückkehr nach Darmstadt nicht eilig war, fuhr Weber nach Offenbach und hatte wieder Pech, denn André war auch nicht da, sodass es gleich nach Frankfurt am Main weiterging, wo ihm Aschaffenburger Empfehlungen die Türen zu den Häusern der kunstsinnigen Patrizier Anton Ulrich von Holzhausen, dem letzten Bürgermeister der Freien Reichsstadt, Bankier Jakob Philipp Leerse und Kaufmann Friedrich Alexander Bernus öffneten. Er traf auch Johann Jakob Ihlée vom Frankfurter Theater, um Silvana zu empfehlen.

      Am Gründonnerstag war er zurück in seinem Darmstädter Wirtshauszimmer, das aber auf längere Sicht zu teuer war, sodass er sich freute, Johann Gänsbacher wiederzutreffen, der bei einem Metzger in der Ochsengasse Quartier genommen hatte und ihn bei sich aufnahm. Gänsbacher war inzwischen weit herumgekommen, hatte eine erfolgreiche Messe komponiert und wollte sich bei Vogler weiterbilden. Er hatte auch nicht viel Geld, sodass sie beschlossen, jeden Tag das Frühstück ausfallen zu lassen. Solche Sorgen hatten die vier jungen Männer, die gerade aus Berlin ankamen, nicht. Der 19-jährige Meyer Beer war mit seinem drei Jahre jüngeren Bruder Heinrich, dem Hauslehrer Aron Wolfssohn und einem Diener angereist. Bernhard Anselm Weber, der Wette-Komponist, hatte den hochbegabten Sohn aus wohlhabendem Hause unterrichtet und zur weiteren Ausbildung an seinen alten Lehrer Vogler empfohlen.

      Das


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<p>119</p>

Wilhelmine Christiane von Chézy: Gemälde von Heidelberg, Mannheim, Schwetzingen, dem Odenwalde und Neckarthale, Heidelberg 1816, S. 50.

<p>120</p>

Christian Friedrich Daniel Schubart: Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst, Leipzig 1977, S. 185.