Carl Maria von Weber in seiner Zeit. Christoph Schwandt
Читать онлайн книгу.die drei ungleichen Schüler einig: der patriotische Tiroler, der gewandte Berliner und der in Eutin geborene, recht eigentlich Heimatlose, der als Spross einer oft von der Hand in den Mund lebenden Komödiantenfamilie an Kompromiss und Improvisation notgedrungen gewohnt war. Weber zeigte Vogler Silvana und war seinerseits von dem Requiem beeindruckt, das der Lehrer komponiert hatte. Mit den »Mitschülern« löste er gemeinsame Aufgaben wie Psalmvertonungen, deren Lösungen dann verglichen und diskutiert wurden. Zusammen analysierte man »classische Werke, vorzüglich aber von Haendl«124, wie Gänsbacher festhielt. Für die fortschrittliche, undogmatische Lehr- und Lernmethode waren alle drei dankbar, sodass sie am 15. Juni 1810 zu Voglers 61. Geburtstag gemeinsam sangen: »Willkommen theurer Vater hier in deiner Kinder Reihen«. Die Musik zu dieser kleinen Kantate hatten Gänsbacher und Meyer Beer geschrieben, der Text war von Weber: »Vor dir verband sich so noch nie/das Wissen mit dem Genius,/denn Harmonie und Melodie/eint sich bei dir zu gleichem Guß …«125
Johann Gänsbacher (1778-1844)
An die Frau von Gänsbachers Förderer und Dienstherrn Graf Firmian schrieb Vogler wenig später: »Die Frucht eines 56jährigen Studiums theile ich ihnen väterlich mit, ja sie lernen oft vom 62jährigen, was der 61ger selbst noch nicht wuste; weil sie selbst mitzufinden Gelegenheit haben.«126 Das war in Zeiten, da sich Ausbildung formal immer weiter institutionalisierte, ungewöhnlich, ja suspekt. In seinem kleinen Essay »Ein Wort über Vogler«, das dieser Tage im Morgenblatt erschien, betonte Weber deshalb auch »Ein Theil staunt ihn an, weil er seinen Geist nicht zu ergründen wagt; der andere schreit und schimpft, weil er ihn nicht verstehen kann und sich durch ihn seine neuen Ansichten vom Monopol des unfehlbaren Kontrapunkts= und General=Baß=Schlendrians verdrängt und zurecht gewiesen sieht.«127 Weber wurde von Vogler sogar ermuntert, dessen Biografie zu schreiben, was er im Herbst auch in Angriff nahm, dann aber doch nicht weiterverfolgte. Er half dem verehrten Lehrer bei Hoffmeister und Kühnel in Leipzig, den Vorgängern der Edition Peters, eine Umarbeitung von zwölf Chorälen Johann Sebastian Bachs herauszubringen. Sie erschienen mit der gut gemeinten namentlichen Erwähnung des Schülers als »zergliedert von Carl Maria von Weber«. Bach war zu der Zeit nur ein Komponist der Vergangenheit, den man guten Gewissens ein wenig »verbessern« konnte.
Die drei von der »Trias« brachten bei Vogler auch manches ein, was ihnen nicht als Aufgabe gestellt worden war, sondern sie aus eigenem Interesse beschäftigte. So kam man auf Webers neuen Opernplan zu sprechen. Er arbeitete schon mit einem neuen Libretto, das Hiemer aus Stuttgart geschickt hatte. Und so kam es, dass sich auch Meyer Beer – ganz im Sinne von Voglers Methode, zwei oder drei an ein und derselben Aufgabe arbeiten zu lassen – mit einem Operntext nach Tausendundeiner Nacht beschäftigen wollte. Gänsbacher hatte allerdings keine Ambition, fürs Theater zu schreiben. Er war froh, dass ihn sein Graf nach Böhmen rief, wo Firmian in Prag Verpflichtungen hatte und seine Frau Besitzungen bei Komotau. Im Juli verließ er Darmstadt schon wieder, und Weber hätte das Zimmer beim Metzger Klein allein bezahlen müssen. Da traf es sich, dass Vogler gerade ein neues Haus bezog und ihn bei sich aufnehmen konnte.
Gänsbacher war keinesfalls aus der Welt. Vielmehr wurde er für Weber und die Darmstädter, Heidelberger und Mannheimer Gefährten ein nützlicher Brückenkopf bei einem Projekt, das auf den ersten Blick alles andere als ehrenhaft erschien. In einer Zeit, wo niemand sicher sein konnte, wie es sich mit Titeln, Namen oder Urheberschaften in Wahrheit verhielt, war die Gründung des »Harmonischen Vereins« – eines Kartells, um mit publizistischen Texten über Musik vor allem eigene Belange zu fördern – aber doch das Werk einer sympathisch-idealistischen Seilschaft und keiner hinterlistig-manipulativen Public-Relations-Mafia. Man wollte natürlich nicht nur gegenseitig gut übereinander schreiben, sondern der Freiheit und Fortentwicklung der musikalischen Kunst allgemein und besonders ihrer jungen Talente dienen. Mit von der Partie waren neben Carl Maria von Weber als einer Art »Vorsitzendem« der Mannheimer Namensvetter Gottfried, Alexander von Dusch, Meyer Beer und Gänsbacher. In § 1 der Satzung räumte man freimütig ein: »Die strengste Verschwiegenheit über die Existenz des Vereins ist eine Pflicht …, denn schwerlich würde das Publikum einem solchen Verein Unparteilichkeit und Wahrheit zutrauen.«128 Mitglied konnten nur solche sein, »die Komponisten und Schriftsteller zugleich sind«. Nicht-Komponisten konnten aber auch aufgenommen werden, wenn sie »der Tonkunst nützlich« sein konnten. Es wurden allerdings später überhaupt nur zwei weitere Mitglieder aufgenommen: Webers Breslauer Freund Berner und der Heidelberger Jurastudent Carl Ludwig Roeck129, ein Nicht-Komponist, der aber auch nichts Nachweisbares publizierte. Wer den eigenen Namen nicht preisgeben wollte, sollte unter Pseudonym veröffentlichen. Neue Pseudonyme mussten dem »Zentralbureau« (das war Gottfried Weber) sofort gemeldet werden und von dort den anderen Vereinsmitgliedern. Die Welt sei, heißt es weiter, »von so viel schlechten Produkten überschwemmt«, die »oft nur durch Autoritäten und elende Rezensionen gehoben werden«. Dabei hoffte man in § 15, dass »aller gewöhnlicher Rezensententon vermieden werde. – § 16 Nächst diesem ist die Verbreitung und Würdigung der Arbeiten der Brüder eine angenehme Pflicht.« Carl Maria von Weber sollte als »Dirigens« jeweils das neue Werk eines Vereinsmitglieds einem anderen zur Rezension in einem bestimmten Blatt zuweisen. Die Artikel wurden aber auch umgearbeitet in weiteren Zeitungen lanciert. Wie in dieser Hinsicht mit Webers eigenen Kompositionen verfahren werden sollte, regelte die Satzung nicht. Aber die Sache funktionierte über zwei Jahre erstaunlich gut, auch schon bevor die Satzung Ende des Jahres 1810 zu Papier gebracht wurde. Weber hatte ja bereits erprobte Beziehungen zu Redaktionen in Stuttgart und Leipzig; auch bei Verlegerkontakten und Aufführungsmöglichkeiten wollte man sich gegenseitig helfen. Die Texte schrieben vor allem die beiden Weber, weniger von Dusch, noch weniger Gänsbacher und kaum zur Feder griff Meyer Beer. Sie erschienen nicht nur in der überregionalen AMZ, dem Morgenblatt, der Zeitung für die elegante Welt, sondern auch im Badischen Magazin und der Prager Oberpostamtszeitung. Weber, der schon seinen Stuttgart-Bericht mit »M.« gezeichnet hatte, nannte sich »Melos«, »Niemand« oder »Simon Knaster«, Alexander von Dusch »The unknown Man«, und Gottfried Weber zeichnete, wenn nicht als »Giusto«, dann als »Seraphine von Bloksberg«.
Karl Theodor von Dalbergs oberster Frankfurter Beamter war Jakob Guiollett. Ihn suchte Weber am 11. Juli 1810 auf, um zu erfahren, dass der Weg für seine Silvana auf die Bühne frei war. Frankfurt war eine Stadt im Umbruch. Die mittelalterlichen Befestigungen verschwanden, man schuf Grünanlagen, Frankfurt wuchs über seine alten Mauern hinaus und begann sich zu öffnen. Das war die Hauptaufgabe des »Maire«, wie Guiolett sich nannte. Es war keine enge, um einen Fürstensitz zusammengewachsene Stadt wie Salzburg oder Stuttgart, sondern – wie noch heute – ein prunkloser Ort des Handels und des Geldes, weshalb »Großherzog Karl« sich auch lieber in seinem stattlichen Renaissanceschloss 40 Kilometer mainaufwärts in Aschaffenburg aufhielt. In Frankfurt nutzte er das Palais Thurn und Taxis, das als Hauptverwaltung der Kaiserlichen Post ausgedient hatte. Dalberg, der katholische Geistliche von altem deutschem Adel, hatte auch durchgesetzt, dass in Frankfurt bei öffentlichen Ämtern die Konfession keine Rolle mehr spielte. Deshalb konnte einer wie Ludwig Börne, der jetzt noch Juda Löb Baruch hieß, im Frankfurter Getto zur Welt gekommen und genauso alt wie Carl Maria von Weber war, hier bald Polizeiaktuar werden. Viele hielten Frankfurt für ein Modell für deutsche Staaten der Zukunft im napoleonischen Sinne. Bei aller aufgeklärten Gesinnung verstand es Großherzog von Dalberg aber auch immer noch, familiäre Fäden politisch geschickt zu ziehen. Da er als geweihter Priester keine Kinder hatte, sollte ihn sein Neffe Emmerich Joseph beerben. Der Sohn des früheren Mannheimer Intendanten war sogar Franzose geworden und hatte Anfang 1810 die zweite Ehe Napoleons mit Marie Louise, der ältesten Tochter von Kaiser Franz, eingefädelt.
Das Frankfurter Theater am Rossmarkt
Auch in Frankfurt, wo es nie ein Hoftheater gegeben hatte, stand am Roßmarkt ein »Nationaltheater«. Friedrich Ludwig Aemilius Kunzen war hier, bevor er erst nach
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Zit. nach Joachim Veit/Frank Ziegler:
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Kantate
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WEGA (Briefe, 18. Juli 1810).
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Zit. nach
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Geb. 1790, gest. 1869. Später Bürgermeister von Lübeck.