Carl Maria von Weber in seiner Zeit. Christoph Schwandt

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Carl Maria von Weber in seiner Zeit - Christoph  Schwandt


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mögen nicht gefehlt haben, und Weber hätte auch die Bekanntschaft von Helmina von Chézy machen können. Sie übersiedelte von Heidelberg nach Aschaffenburg, wo noch in diesem Jahr ihr jüngster Sohn ganz jung verstarb, und sie mit Eginhard und Emma an Dalbergs neuem Theater 1812 ihren ersten und für mehr als ein Jahrzehnt einzigen dramatischen Versuch unternahm: ein »Schauspiel mit Gesang« zu dem Emmerich Joseph Freiherr von Hettersdorf, ein geistlicher Beamter am Hofe Dalbergs, die Musik geschrieben hatte.

      Weber fuhr weiter durch jenen »Spessarterwald«, in den man in Wien sein Waldmädchen verpflanzt hatte. Auf der alten Handelsstraße von Frankfurt nach Nürnberg kam man, wenn man eine großes Waldgebiet hinter sich gelassen und bei Marktheidenfeld den Main überquert hatte, in den Rheinbundstaat des Großherzogs von Würzburg. Der war kein anderer, als der habsburgisch-toskanische Ferdinand, ehedem Kurfürst von Salzburg. Weber lernte Franz Joseph Fröhlich kennen, den er als Korrespondenten für den Harmonischen Verein werben wollte. Der 29-jährige Kollege war Hofmusiker gewesen und lehrte nun an der Universität, wo er ein Collegium musicum leitete, das man als eine frühe Musikhochschule bezeichnen kann. Weber hört ihn mit den jungen Leuten eine eigene Sinfonie musizieren.

      Bei einer Audienz kam er nicht mehr zum Zuge. Immerhin gelang es ihm, durch Vermittlung des Würzburger Konzertmeisters eine Kopie seiner beiden Opernpartituren an den Hof zu verkaufen, wofür er allerdings erst einmal selbst in die Tasche greifen musste, um den Kopisten zu honorieren. Es ergaben sich ein paar Hauskonzerte. Die Karnevalsredoute fand Weber langweilig. Am Aschermittwoch schreibt er Gottfried Weber, dass auch die Würzburger Hofmusiker nur widerwillig Konzerte bestreiten und die Routine des Theaterdiensts vorziehen: »cèst partout comme chez nous«148, so ist es eben überall. Als er am Rosenmontag ankam, hatten sie Wenzel Müllers Der dreißigjährige ABC-Schütz gespielt.

      In einem Brief vom selben Tag an Gänsbacher in Prag kommt er auf dessen Bericht über Spontinis Vestalin zu sprechen, die dort seit Ende 1810 in einer deutschen Fassung von Seyfried hoch in der Publikumsgunst stand. Zu Beginn des neuen Jahres war an der Berliner Hofoper eine weitere deutsche Version dieser französischen Grand opéra von 1807 herausgekommen. Der Italiener Spontini, der seinen Taufnamen gegen die französische Variante »Gaspare« tauschte, war in Paris unter der Protektion von Napoleons erster Frau Kaiserin Josephine zum gefeierten Komponisten aufgestiegen.

      Nachdem ihm tags zuvor an einem »Rendezvous Platz« auch ein erotisches Abenteuer misslungen ist, reist Weber am 2. März, weiter und trifft abends in Bamberg ein. Zuvor hat er bei Ebrach für fast neun Gulden einen Mautpass für Bayern erworben. Im Theater sieht er Peter Winters Das unterbrochene Opferfest, das auch wegen seines exotischen Schauplatzes Peru hochbeliebt war; der Text stammte vom Samori-Librettisten F. X. Huber. Der junge Tenor Karl Adam Bader fällt ihm angenehm auf. Mit Konzertmeister Anton Dittmayer und einigen anderen geht er danach ins Gasthaus »Zur Rose«. Zu den anderen gehört auch E. T. A. Hoffmann, wie wir durch dessen Tagebuch wissen, nicht durch Webers. Der Jurist war preußischer Beamter in Warschau gewesen. Nach dem Einmarsch der Franzosen hatte er keinen Eid auf Napoleon leisten wollen und den Staatsdienst quittiert, um seine Liebe zum Theater zum Beruf zu machen, war jedoch an der Bamberger Bühne praktisch gescheitert. Er arbeitete dort zwar noch, aber nicht mehr als Dirigent eigener Opern, sondern als eine Art gehobenes Faktotum. Außerdem war er, der – verheiratete – 35-jährige, gerade verzweifelt in eine 15-jährige Schülerin verliebt. Es ist also erst einmal eine Nicht-Begegnung: Hier der immer pragmatische Komponist und Interpret, dort der risikofreudige Idealist mit bürgerlichem Beruf im Hintergrund – viel spontanes Interesse für einander gibt es nicht. Gerade war in der AMZ Hoffmanns überschwängliche Rezension von Beethovens Fünfter erschienen. Weber lässt die Freunde vom Harmonischen Verein in seinem Rundschreiben wissen, dass dieser Herr Hoffmann »sich wohl schwerlich eignen« würde, dort mitzumachen149.

      Auch in Erlangen ist keine Aussicht auf ein Konzert. Weber bleibt nicht einmal über Nacht, sondern fährt gleich weiter nach Nürnberg und logiert dort im »Roten Ross«. Kein Konzert auch hier, dafür viele alte Bekannte. Das für seine Versandkataloge weithin bekannte Kaufhaus von Georg Hieronimus Bestelmeyer besucht er eigentlich nur aus Neugier, doch dann soll es am Abend eine »maskierte Akademie« geben. Weber braucht eine Verkleidung, um sich dort einer Dame zu nähern, die er erspäht hat und deren Wiedersehensfreude er noch etwas hinauszögern möchte. Weber ersteht bei Bestelmeyer eine Maske und schlüpft in eine Kardinalsrobe. Die bekannte Schöne erkennt ihn tatsächlich nicht, denn das Gewand kaschiert auch seinen schleppenden Gang. Schließlich identifiziert sie den Purpurträger aber doch, man unterhält sich angeregt und er muss versprechen, wiederzukommen. Nach seinem Tagebuch ist sie eine »Bekanntschaft von St: und L:«, also aus Stuttgart und Ludwigsburg, nun aber leider die Gattin des reichen Nürnberger Kaufmanns Georg Zacharias Platner.

      Augsburg, inzwischen auch nur noch eine bürgerliche Stadt in Bayern, in der niemand mehr Hof hält, schon gar nicht mit dem Krummstab, erreicht Weber zwei Tage später. Die katholische Fuggerstadt wie das protestantische Nürnberg mussten inzwischen die Angehörigen der jeweils anderen Konfessionen nicht nur dulden, sondern ihnen gleiche Rechte einräumen. Die Gleichberechtigung der jüdischen Mitbürger reichte allerdings in keinem anderen Rheinbundstaat so weit wie in Frankfurt. Napoleon hatte nämlich mit dem »schändlichen Dekret« vom März 1808 ihnen zuvor eingeräumte Rechte wieder zurückgenommen.

      Mit Gombart war Weber immer in Verbindung geblieben. Inzwischen war auch dessen Sohn Carl, fast auf den Tag genauso alt wie Weber, ins väterliche Verlagsgeschäft eingestiegen. Ohne Honorar für den Komponisten, weil Weber noch Schulden bei ihnen hat, sind sie bereit, das effektvolle Momento capriccioso per il pianoforte aus der Stuttgarter Zeit zu drucken. So italienisch wie der Titel ist auch die hochtrabende Widmung: »al suo amico Meyer-Beer, Compositore e Professore di Cembalo«! Ein Konzert kommt nicht zustande, Weber reist trotzdem nicht gleich weiter, denn Jeanette und ihre inzwischen 20-jährige Tochter Victorine spielen am Theater am Lauterlech.

      Über seine ersten Tage in München schreibt er an »Géofroi«: »Die ungeheure Menge Briefe die ich hieher brachte, machten mich sehr schnell bekannt, und ich kann sagen, daß ich auch eine gute Portion guten Ruf schon vorfand … Den 18t hatte ich dann das Glük lhrer M: der Königin vorgestellt zu werden, die mich sehr huldvoll empfieng, aber bis jezt noch nicht bestimmt hat, ob, und wann ich bey ihr spielen soll, denn obgleich ich die Erlaubniß zu einem Concert in der Stadt von dem König bekommen habe, so kann ich doch nicht eher etwas arrangiren, ja selbst in keiner Gesellschaft spielen, bis die Königin mich gehört hat, das frißt primo, Zeit, und Secundo viel Geld, und beydes gebe ich nicht gerne weg und habe es nicht übrig.«150 Am Hoftheater erlebt er eine Don Giovanni-Aufführung und ist vom Münchner Orchester begeistert. Erstaunlicherweise wird am Ende der Oper statt des Mozartschen Schlussgesangs »Questo è il fin di chi fa mal« der Furienchor aus Voglers Castor und Pollux gespielt! Auch der als unangenehm bekannte Peter Winter ist Weber gegenüber anfangs entgegenkommend, er hält ihn wohl für einen durchreisenden und zweitrangigen Musiker. Aber Webers Talent ist bald Gesprächsthema, und Winter reagiert eingeschnappt und abweisend. Am 30. März schreibt Weber an Fröhlich in Würzburg: »Ein Reisender braucht sein Geld, und da ich mich immer weiter entferne, ist es immer schwerer mir Geld nachzuschikken. man kann mir es hieher senden«. Der Würzburger Hof hat die Opernpartituren noch immer nicht honoriert. Als Beleg wird der Brief des Konzertmeisters mitgesandt, den Fröhlich per Einschreiben wieder zurückschicken soll. Weber berichtet auch, dass er in acht Tagen ein Konzert geben werde und zu diesem Anlass etwas für den Klarinettisten Baermann komponiere. Er ahnt nicht, dass ihm dies viel mehr bringen wird als das Würzburger Geld, das ihm jetzt das wichtigste erscheint.

      Heinrich Joseph Baermann hatte Weber zehn Tage zuvor kennengelernt. Er war 27 Jahre alt und im preußischen Militärmusiker-Milieu in Potsdam großgeworden, wo er Schüler des böhmischen Klarinetten-Virtuosen Joseph Beer gewesen war. Krieg und Gefangenschaft hatten seine Musikerlaufbahn unterbrochen, und da er in Berlin nicht wieder Fuß fassen konnte, war er schließlich durch die Empfehlung des Kronprinzen Ludwig an den bayrischen Hof gelangt. Er war bereits ein angesehener Hofmusiker und Solist, der Konzertreisen unternahm. Was ihm aber fehlte, waren neue qualitäts- und


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<p>148</p>

Ebd.

<p>149</p>

Brief an Gottfried Weber u. a., 10. März 1811 (»Circulare«).

<p>150</p>

22. März 1811.