Carl Maria von Weber in seiner Zeit. Christoph Schwandt

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Carl Maria von Weber in seiner Zeit - Christoph  Schwandt


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»das in seiner französischen Prägnanz und Beweglichkeit und seiner deutschen Tonfülle eine neue Gefühlswelt zu erschließen schien«, wie John Warrack es so treffend beschreibt, »und sowohl die dunkle romantische Melancholie wie auch die äußerliche Brillanz seines Wesens auszudrücken verstand.«151 Das »Concertino per il clarinetto principale. composto per uso dell Signore Enrico Baermann. ed eseguitato la prima volta al mio Concerto alla Sala dell Teatro a Monaco. di Carlo Maria de Weber«, wie er die Partitur in nicht ganz einwandfreiem Italienisch überschrieb, machte Publikum und Musiker noch neugieriger auf den begabten Neuankömmling. Das kleine Konzert hat eine getragene c-Moll-Einleitung, der ein bewegtes Es-Dur-Variationen-Allegro folgt. Baermann konnte seine Kunst ohne dehnende Zurschaustellung elegant auf den Punkt bringen, und die Kompetenz der Münchner Hofkapelle nutzte Weber für einen Orchesterpart, der deutlich über das hinausgeht, was er in vorangegangenen Partituren verlangte. Aber auch das mit Augenmaß, denn es blieb nicht viel Zeit für die Einstudierung: Er war erst am 2. April fertig – und dann musste ja noch handschriftlich kopiert werden.

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      König Maximilian I. Joseph von Bayern (1756-1825), Gemälde von Moritz Kellerhoven

      Bei dem Konzert am 5. April war das Herrscherpaar zugegen: Königin Karoline, die Karlsruherin, und der 20 Jahre ältere Maximilian I. Joseph, dem in dieser zweiten Ehe weitere sieben Nachkommen geboren worden waren. Die zweitälteste Tochter aus erster Ehe war schon mit dem württembergischen Kronprinzen verheiratet; die älteste, ebenso strategisch, mit einem Stiefsohn Napoleons, der sich »Vizekönig von Italien« nennen durfte. Weber dirigierte sein Concertino nicht selbst, das tat Hofkapellmeister Ferdinand Fränzl – zur gar nicht selbstverständlichen Zufriedenheit des anspruchsvollen Komponisten. Neben einem Fränzl-Violinkonzert gab es von Weber noch das Klavierkonzert und den Ersten Ton, den er mit Vogler in Darmstadt etwas revidiert hatte. Der Erfolg brachte Weber den Auftrag für zwei weitere Klarinettenkonzerte und zwei Arien für Sänger des Hofs ein. Natürlich hoffte er auf eine Anstellung, aber Fränzl machte seine Sache ja gut. Außerdem war Winter gegen ihn, beides keine günstigen Voraussetzungen. Ein Cellokonzert, das bestellt wurde, komponierte er nicht, wohl aber eines für Fagott und Orchester.

      Auch das Schreiben wird in München nicht vergessen. Den Harmonischen Verein koordiniert er per Korrespondenz. Der Münchner Komponist Franz Beutler wird als »Surveillist«, also als beobachtender Vereinsagent, angeworben; im Gegenzug werden Beutlersche Kompositionen nach Mannheim in die »Zentrale« gesandt, damit sie günstig besprochen werden. Weber selbst macht in der AMZ vom 29. Mai 1811 Werbung für eine »Neue Erfindung zur Vervollkommnung der Flöte« des Münchner Hofmusikers Johann Nepomuk Capeller, die beim »hiesigen Kunst-Drechsler Fiegel« erworben werden könne. Er muss sich allerdings gefallen lassen, dass die Redaktion in einer ausführlichen Fußnote nicht unerwähnt lassen möchte, dass »ebenfalls von einem achtbaren Kunstfreunde« mitgeteilt worden sei, dass auch der Instrumentenmacher Schneider in Wesel ein entsprechend verbessertes Instrument anbiete. Kurz zuvor war im Morgenblatt sozusagen die Gegenleistung Webers für die Gunst Ludewigs I. erschienen: »Es gibt gewiß wenige Fürsten,« schreibt er in einem Darmstadt-Report, »die mit so vieler Wärme die Kunst pflegen als Se. Hoheit der Großherzog. Besonders in musikalischer Hinsicht, wo ihm als Kenner ein kompetentes Urteil zusteht …«152

      Der vom Darmstädter Ludewig vorfinanzierte Abu Hassan kam nun bei dessen Schwager auf die Bühne. König Max I. war in erster Ehe mit einer Schwester der Darmstädter Großherzogin verheiratet gewesen, die, wie Ludewigs Gattin, auch gleichzeitig dessen Cousine war. Das Weber-Singspiel diente freilich nur als musikalisches Divertissement, als es am 4. Juni im Anschluss an Leichtsinn und gutes Herz von Gustav Hagemann gegeben wurde. (Später wurde Webers Werk in München auch öfter zusammen mit der altbewährten Brandschatzung von Alois Friedrich Graf von Brühl gespielt.) Während des Hagemann-Einakters gab es im Theater der Münchner Residenz, das von François de Cuvilliès d. J. gebaut und 1753 eingeweiht worden war, Feueralarm. Wie sich herausstellte, von Gaunern ausgelöst, die das anschließende Durcheinander zum Diebstahl nutzen wollten. Trotzdem war das Publikum nach der Pause willens und in der Lage, sich auf Abu Hassan zu konzentrieren, den Fränzl dirigierte, und die Reize und Qualitäten der Novität zu genießen. Der Erfolg war groß. So groß, dass »Winter und sein ganzer Anhang« schimpften, denn »sie fürchten, ich möchte hier bleiben«153.

      Abu Hassan ging bald über viele deutsche Bühnen und wurde noch zu Webers Lebzeiten auch in Kopenhagen, Riga und London aufgeführt. Die beiden unmittelbar auf die Münchner Uraufführung folgenden Premieren waren in Stuttgart und Frankfurt und standen somit, ohne dass er dabei war, in besonderer Beziehung zur Biografie Webers. Da er in Württemberg persona non grata war, wurde sein Name bei der Aufführung am Hoftheater Friedrichs I. nicht genannt. Nicht nur von Hiemer mag jeder erfahren haben, wer der Komponist war, denn die Fatime übernahm Victorine Weyrauch! In Frankfurt konnte das »stumme Waldmädchen« vom vergangenen September nun auch seine Gesangskunst mit einer Weberschen Komposition zeigen: Caroline Brandt war die Fatime am Nationaltheater am Main. Die Brandt war Weber zwar aus den Augen, aber nicht aus dem Sinn. Als er in Bamberg etwas über ihre Beziehung zu einem gewissen Bothe aufschnappte, schrieb er ins Tagebuch: »neuen Beweis erhalten, daß die Weiber nichts taugen, alle«154, und das »alle« unterstrich er dreimal.

      »Ich hoffe bald wieder ein kleines Opernsujet zu erhalten, an das ich frisch gehen werde«155, heißt es in einem Brief an Gottfried, und auch von Heimweh nach diesem und den anderen Freunden ist die Rede. Denn so gut die Dinge für ihn in München stehen, so sehr fehlen ihm musischer Dialog und Geselligkeit mit Liedern zur Gitarre, wie um »Alt-Heidelberg« herum. Ende Juni schreibt Weber an den Verleger Simrock, er habe vor, Schillers Ode an die Freude zu vertonen, doch es kommt nicht dazu. Auch nicht zu einer Kantate auf einen Text von Cäsar Maximilian Heigel, die von der »Erfindung der Instrumente« handeln soll, also einer Fortspinnung der Idee des Ersten Tons. C. M. Heigel, der Autor des Perückenstocks, der bei Webers Breslauer Debut gegeben worden war, war vom französischen Militär zurück, dem er sich aus Überzeugung angeschlossen hatte, und in München künstlerisch tätig. Er hatte Weber um eine Trauermusik gebeten, als sein Vater, der Hofschauspieler Franz Xaver Heigel, am 12. Juni gestorben war. Weber machte sich die Mühe und war entsprechend verstimmt, dass seine Komposition bei der Trauerfeier dann doch nicht gespielt wurde. Er hatte zwar auch alte Musik wiederverwendet, was ihm aber an Neuem eingefallen war, sollte ein paar Jahre später in der ersten seiner »echten« Messen zu hören sein.

      Statt eine neue Oper zu beginnen, hatte er während der Proben zu Abu Hassan vier Lieder mit Gitarrenbegleitung für eine Bühnenmusik geschrieben, allerdings keine verzierenden Einlagen, sondern stücktragend. Es ging um den Armen Minnesinger von Kotzebue. Die einaktige Pièce spielt im 5. Jahrhundert, als die Hunnen und ihr König Attila, der im Stück auftritt, in Thüringen waren. Die Gesänge, die Weber für die Rolle des thüringischen Minnesängers Goswin schrieb, wurden vom Münchner Publikum am 9. Juni 1811 günstig aufgenommen; besonders der letzte,

      »Umringt vom mutherfüllten Heere«, dessen Text allerdings nicht von Kotzebue, sondern von Heigel stammte. Der Münchner Goswin war Friedrich Augusti, ein Sänger-Schauspieler, der auch in Bariton-Opernpartien auftrat.

      Das Schauspiel der Münchner Fronleichnamsprozession verfolgte Weber vom Haus der Familie Lang aus. Martin Lang, Hornist der Hofkapelle, ist nicht nur der Vater von Gretel, der ersten Silvana-Mechthilde. Seine jüngste Tochter Josephine, verheiratete Flerx, war nun Webers erste Fatime gewesen. Am Abend präsentierte Baermann im Redoutenhaus, in der Nähe des neu gestalteten Maximiliansplatzes, ein richtiges dreisätziges Klarinettenkonzert seines Freundes. Das »Gran Concerto in Fa b« beginnt tatsächlich in geheimnisvollem f-Moll. Der letzte brillant-virtuose Rondo-Satz steht in F-Dur. Mit seinem originell auftaktigem quasi-Polka-Thema spielte Baermann sich schnell in die Gunst des Publikums. Der langsame Mittelsatz in C-Dur ist aber wohl der reizvollste: In seinem Zentrum stehen 24 Takte, in denen die melancholische Solo-Klarinette nur von drei Hörnern leise begleitet wird,


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<p>151</p>

John Warrack: C. M. von Weber (dt. von Horst Leuchtmann), Leipzig 1986, S. 155.

<p>152</p>

Morgenblatt für gebildete Stände, Jg. 5, Nr. 118 (17. Mai 1811), S. 472.

<p>153</p>

Brief an Gottfried Weber, 6. Juni 1811.

<p>154</p>

3. März 1811.

<p>155</p>

6. Juni 1811.