Carl Maria von Weber in seiner Zeit. Christoph Schwandt

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Carl Maria von Weber in seiner Zeit - Christoph  Schwandt


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Frank nun wieder – und es kamen mit der Zeit noch etliche kleinere Stücke hinzu – etwas »Italienisches« schrieb, lag zum einen an Voglers Hinweisen auf die »Nazional-Charkateristik«. Zum anderen konnte man sich damit als Komponist bei Interpreten und Publikum beliebt machen. In »einem so verflucht italienischen Styl, daß man glauben sollte es wäre von Cimadora, oder Farinelli p p«144, habe er das Duett für die beiden Damen geschrieben, berichtete er Gottfried, »es gefällt aber höllisch«. Mit Farinelli war der Komponist Giuseppe Finco gemeint, der den Namen des berühmten Sängers aus dem 18. Jahrhundert angenommen hatte. Der andere Genannte war Giovanni Battista Cimador, damals sehr bekannt, weil ihm gelungen war, was Franz Anton von Weber für seinen Sohn immer angestrebt hatte: Er vertrieb seine gedruckten Werke von London aus über einen eigenen Verlag (Monzani & Cimador). Aktuell war dies durch die napoleonische Kontinentalsperre, die den britischen Handel mit dem Festland blockierte, allerdings kaum möglich.

      Ein besonderer Reiz des Duetts für die beiden Altistinnen, das Weber später für zwei Soprane umarbeitete, war die obligate Klarinette neben den begleitenden Streichern und zwei Hörnern. Dieses Blasinstrument, das bis Mitte des 18. Jahrhunderts bloß Nebeninstrument von Oboisten und Flötisten gewesen war, hatte sich seit Mozarts Konzert KV 622 endgültig »emanzipiert«. Der fast vokale Gestus der Klarinette bot sich besonders dazu an, die »heilige Natur aus Tönen sprechen« zu lassen, wie Weber beim Nürnberger Konzert mit Backofen erlebt hatte. Das Konzert brachte ihm die erfreuliche Nettoeinnahme von 200 Gulden! Dem Darmstädter Großherzog wollte er nun auch seine neue Oper »dedicieren vielleicht speyt er da etwas ordentliches«145. Ludewig ließ sich tatsächlich nicht lumpen und Weber 440 Gulden für das Widmungsexemplar des Abu Hassan und den Admiral-Klavierauszug überreichen. Dass er Anfang Februar drei – leider verschollene – Variationen über ein Thema der ebenso schönen wie klugen Großherzogin komponiert hatte, mag da nicht geschadet haben.

      Diese glückliche Wendung in Webers Finanzsituation passte genauso gut zu seiner neuen Oper, wie die zurückliegende Stuttgarter Not und Blamage, die ihn und Hiemer vielleicht sogar auf die gemeinsam bearbeitete Episode aus Tausendundeine Nacht gebracht hatten: Am Schluss des einaktigen Singspiels Abu Hassan schwimmen der Titelheld und seine Frau Fatime im Geld. Und dazu kommt es so: »Durch Trinken, Singen, Tanzen löst man die Dissonanzen des Lebens wieder auf«, das ist das Lebensmotto von Abu Hassan, der so verschuldet ist, dass nur noch Wasser und Brot auf den Tisch kommen. Darum will er zum Kalifen Harun al Raschid gehen und behaupten, dass Fatime gestorben sei. Er rechnet mit dessen Mitleid und einem ansehnlichen Geldbetrag für die Beerdigungskosten. Fatime will ihrerseits zur Frau Haruns gehen und vorgeben, dass Abu Hassan dahingeschieden sei, um auf gleiche Weise abzukassieren. Als sie fort ist, kommen die Gläubiger mit dem Geldwechsler Omar, der das Schlimmste verhindert, da er ein Auge auf Fatime hat. Fatime kehrt erfolgreich verrichteter Dinge zurück und Abu Hassan macht sich auf den Weg zum Kalifen. Omar, der nun alle Schuldscheine hat, taucht wieder auf und will – ein wenig wie Osmin in der Entführung – Fatimes Zuwendung erzwingen. Bei Abu Hassans Rückkehr wird er – wie Cherubino im zweiten Akt des Mozartschen Figaro – in ein Kabinett gesperrt, aus dem er in zwei Terzetten mitzusingen hat. Unterdessen haben der Kalif und seine Frau miteinander geredet und Boten ins Hause der »Toten« geschickt, die von den Simulanten erfolgreich getäuscht werden. Da erscheint der Kalif selbst mit großem Gefolge und bietet demjenigen tausend Goldstücke, der sagen kann, wer von den beiden zuerst tot war. Da hebt Abu Hassan die Hand und bittet um Vergebung, die er nebst dem Geld auch bekommt. Fatime bekommt noch einmal tausend Goldstücke, und ihr Mann resümiert: »Bin ich nicht der klügste von allen Todten? Die einfältigen Leute lassen sich auf die Bahre legen, ohne irgend einen vernünftigen Zweck; aber ich wußte wohl, was ich that … und starb einzig und allein, um zu leben.« Alle singen: »Heil ist dem Haus beschieden, dem der Kalif sich naht«. Dieser knappe Schlusschor wiederholt wirkungsvoll Motive aus der Ouvertüre, die Weber nun noch einen Schritt weiter zeigt als bei Turandot. Das typische fein-motorische Presto der einleitenden Violinen, das zuerst von der Oboe vorgetragene Grazioso-Thema und das federndanapästische Tutti-Motiv machen sie, zusammen mit dem ersten Duett »Liebes Weibchen, reiche Wein«, nicht nur wegen der Verwendung von Triangel und Piccoloflöte zu einer Reverenz an den »türkischen« Mozart. Das erste Duett ist formal ganz konzentriert und knapp, Abu Hassans nachfolgende Arie aber fern der Konvention eine Gesangsszene mit rhetorischer Großzügigkeit, die durch den Einsatz von zwei Gitarren und einem solistischen Fagott besonderen Reiz gewinnt, wie später Fatimes ursprünglich einzige Arie, der sich ein Solo-Cello hinzugesellt. Die gesprochenen Dialoge sind an einer Stelle mit im wahrsten Sinne des Wortes melodramatischen Streichertremolo unterlegt und lassen in ihrer dramaturgischen Faktur und Proportion dem musikalisch temperamentvollen Werk, mit einer Spieldauer von gerade mal einer dreiviertel Stunde in dieser ersten Fassung, sein flottes Tempo.

      Für ihre Version von der Geschichte vom »Erwachten Schläfer« hatten Hiemer und Weber den reizvoll-exotischen, aber für den deutschen Bühnengebrauch arg unbequemen Namen von Abu el-Hasans Frau Nuzhatu-Auadat geändert. Keine der damals verfügbaren deutschen Übertragungen von Tausendundeine Nacht beruhte übrigens auf einem arabischen Originaltext. Alle wurden sie auf Grundlage der – sehr freien – französischen Fassung von Antoine Galland vom Beginn des 18. Jahrhunderts verfasst. Auch die von Johann Heinrich Voß, die während dessen Eutiner Zeit erschienen war, und die Weber vielleicht kannte. Bei Voß heißt es über den Titelhelden und seine Frau: »so oft sie tranken, ermunterten sie einander durch neue Lieder … Auch begleiteten sie manchmal ihren Gesang mit der Laute oder einem anderem Instrumente, denn beide waren sehr geübt in der Tonkunst.«146 Ein wahrer Opernstoff also, auch ohne den biografischen Bezug.

      Weber hatte vom Großherzog zwar Geld und sicherlich auch gute Worte mit auf den Weg bekommen, aber keine Aufführungsmöglichkeit für das neue Werk. Dabei war das Textbuch, das Hiemer ihm geschrieben hatte, bei weitem das Beste, mit dem er bisher hatte arbeiten dürfen. Die Entscheidung, nur Abu Hassan (lyrischer Tenor), Fatime (hoher Sopran) und den dramaturgisch-sinnvoll hinzuerfundenen Omar (tiefer Baß) als Gesangspartien anzulegen, sprechen ebenso für einen sicheren und intellektuell kontrollierten Bühneninstinkt, wie die beiden pointiert gesetzten, kurzen, aber effektvollen und handlungsdienlichen Chorszenen: das chromatisch-fordernd komponierte »Geld! Geld! Geld!« der Gläubiger und der veaudevillehafte Schlussgesang, der von geschickter Aneignung der Charakteristika der französischen Opéra comique zeugt. In Darmstadt ging es für Weber also nicht mehr weiter. Den Vater wusste er im Umfeld der Familie Gottfried Webers in Mannheim einigermaßen gut aufgehoben, sodass er sich am 14. Februar 1811 erneut auf den Weg machte, um Konzerte zu geben, Kontakte zu knüpfen und zu pflegen, die eigenen Werke anzupreisen und zu verkaufen – und vor allem, den Abu Hassan auf die Bühne zu bringen.

      Grobes Ziel der Reise war München. Weber machte Station in Frankfurt, wo er von den kunstliebenden Bankiers Christian Benjamin Metzler und Simon Moritz von Bethmann empfangen wurde. Vor allem letzterer war durch seine Kreditvermittlungen an Fürsten ein sehr einflussreicher Mann, und in seinem Hause waren Napoleon und der Zar zu Gast gewesen. Ein Konzert in Frankfurt, wie es Weber schon lange erhoffte, war aber auch jetzt nicht in Aussicht. Die wirtschaftliche Lage in der Stadt war kritisch, denn auch in Frankfurt hatten im Zuge der Handelsblockade englische Waren vernichtet werden müssen und der Export in Feindesgebiet wurde streng kontrolliert. (Das finanziell ohnehin angeschlagene, durch die Kriegskontributionen an Frankreich nun aber in die Knie gezwungene Kaisertum Österreich meldete in diesen Tagen sogar den Staatsbankrott an.)

      Webers Auftritt in Gießen, der Universitätsstadt von Hessen-Darmstadt, fand heftigen Applaus, er spielte ein Eberl-Konzert, sang Canzonetten zur Gitarre und fantasierte auf dem Klavier. Nach Abzug der Unkosten blieb ein ansehnlicher Betrag übrig: »2 Schreiner nahmen nichts, weil sie mich spielen gehört hatten. das nenn ich Kunst Sinn.«147

      Dann ging es zum dritten Mal nach Aschaffenburg, um endlich Sterkel zu treffen. Der war mittlerweile 60 Jahre alt und sah in seiner Tätigkeit auf dem Aschaffenburger Schloss eine Art Austragsposten. Große Hofmusik, wie ehedem in Mainz, gab es hier nicht mehr. Dass Weber, dem das »Pfaffen Pathos« Sterkels, der geistlichen Standes war, auffiel, ausführliche


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<p>144</p>

Ebd.

<p>145</p>

Brief an Gottfried Weber, 8. Januar 1811.

<p>146</p>

Ali Baba und vierzig Räuber – Erzählungen aus Tausend und eine Nacht (dt. von J. H. Voß), hg. von Ernst-Peter Wieckenberg, München 2012, S. 216.

<p>147</p>

27. Februar 1811.