Carl Maria von Weber in seiner Zeit. Christoph Schwandt
Читать онлайн книгу.der Zeitung angekündigt und damit den Großherzog verstimmt hatte. In der zweiten Maiwoche ging es deshalb noch einmal auf Tour nach Amorbach über Aschaffenburg, wo er immerhin vor Karl Theodor von Dalberg persönlich spielen durfte – aber nicht lange. Der hohe Herr war unpässlich und die Darbietung wurde bereits nach einem Satz eines Eberl-Klavierkonzerts abgebrochen. 16 Taler Gage, die er am nächsten Morgen vom Grafen Maximilian Hatzfeld, einem ehemaligen Mainzer Domherren, erhielt, waren ein willkommener Trost und die Einladung zum häuslichen Musizieren bei Hatzfeld eine kleine Anerkennung dazu. Abends schaute Weber sich eine Theateraufführung in einem Wirtshaussaal an, denn das Theater, das Dalberg in Aschaffenburg zu errichten plante, war noch Architektenentwurf.
In Amorbach besuchte er zunächst Alexander Uber, einen Cellisten, den er aus Breslau kannte. Fürst Emich war sehr freundlich zu dem jungen reisenden Musiker, wollte aber auf die Schnelle kein Konzert anordnen. Weber sollte stattdessen ein exklusives Vorspiel bei der jungen Fürstin absolvieren; Emich hatte in zweiter Ehe die Nichte seiner ersten Frau geheiratet. Victoire von Sachsen-Coburg-Saalfeld war, wie Weber, 23 Jahre alt und genauso viele Jahre jünger als ihr Gatte. Mit Uber spielte er dann aber auch noch einmal beim Fürsten selbst, nach der abendlichen Tafel im Amorbacher Palais, das nur noch der prachtvolle Wohnsitz eines reichen bayerischen Generals mit großem, nunmehr im Großherzogtum Baden liegendem Grundbesitz war, der Weber dann auch ein paar Taler mehr spendierte als der mächtige Aschaffenburger Großherzog. Bei dieser Gelegenheit sang Carl Maria von Weber mit der jungen Fürstin. Am Ende seines Lebens, als Weber schon vom Tod gezeichnet war, sollten sie dies das noch einmal tun – in London.
Im nächsten Konzert, das einigermaßen unter Bedingungen stattfand, wie Weber sie sich vorstellte, spielte er am 26. Mai im Mannheimer Museum über dem Achenbachischen Kaffeehaus zwei gerade fertiggestellte Sätze – Adagio und Rondo – aus seinem ersten Klavierkonzert, die dem Auditorium gut gefielen und sogleich wiederholt wurden. Dass er, wie schon beim Klavierquartett, den »romantischen« langsamen As-Dur-Satz zuerst schrieb, ist bezeichnend. Anfangs ist das Soloinstrument violinenlos-stimmungvoll nur von tiefen Streichern begleitet. Zweifelsohne ist er der charakteristischste des Konzerts, dessen beide Ecksätze in C-Dur stehen. Das Rondo, das kein schulmäßiges ist, überschrieb er später auch »Finale. Presto«. Es ist zuallererst virtuose Konzertmusik für den Eigenbedarf. Der Allegro-Kopfsatz klingt vom klaren pianistischen Anspruch und der typischen eleganten Skalenmotorik her ein wenig »wie Mozart«, und nur im letzten Viertel läuft er ein wenig zu heroischem Tonfall »fast wie Beethoven« auf. Ansonsten scheint es aber, als hätte Weber – wie bald auch Franz Schubert – den berühmten Zeitgenossen, der nach dem Tode Joseph Haydns als größter Komponist der Gegenwart galt, aus seiner eigenen Entwicklung ausblenden wollen.
Weber fasst sich ein Herz und nutzt die Gelegenheit, sich in eigener Sache an Rochlitz zu wenden. Er schreibt mit devoter Rhetorik von seiner Komposition des Ersten Tons, und dass es eine seiner »angenehmsten Pflichten«121 sein werde, dem Chef der AMZ ein Exemplar der demnächst bei Simrock erscheinenden Partitur nach Leipzig zu schicken – und von einer bevorstehenden Reise könne er Notizen für das Blatt einsenden. Er hatte Rochlitz gerade erst einen Städtereport zugesandt, in dem er das respektable Niveau der Konzerte in Mannheim lobt, namentlich des Museums natürlich, und auch das Konzert vom 26. Mai erwähnt. Nicht aber sein Werk, sondern eine Sinfonie Gänsbachers und dessen Messe, die zum Jubiläum der katholischen Stadtkirche am ersten Juni-Sonntag aufgeführt wurde. Er schreibt auch, dass ein Namensvetter »als denkender, gründlicher Komponist (obwohl es nicht sein Haupt-Geschäft ist) Ansprüche zu machen berechtigt ist.«122 Bei diesem Gottfried Weber wohnte er nun auch, wenn er in Mannheim war. Er war im »Hauptgeschäft« Richter, spielte Flöte und Cello und organisierte Konzerte. Ein »denkender Komponist« war er in dem Sinne, dass er auch wortgewandt über Musik schreiben konnte.
Gottfried Webers Schwager, der 21-jährige Alexander von Dusch, war ebenfalls Cellist, aber auch nicht im »Hauptgeschäft«. Er schloss gerade in Heidelberg seine juristischen Studien ab, um in den badischen Staatsdienst zu treten, wo er es, aus einer einflussreichen Familie stammend, bis zum Außenminister des Großherzogtums bringen sollte. Durch Dusch und den anderen Weber kam es dann doch zu einem Konzert Carl Marias in Heidelberg, bei dem Dusch, der kein so virtuoser Cellist war wie der Stuttgarter Hofmusikus Graff, leichtere orchesterbegleitete Cello-Variationen spielte, die Weber unter Verwendung von thematischem Material aus dem Grand Pot-Pourri für ihn geschrieben hatte. Luise Frank war aus Mannheim mitgekommen und trug eine für sie komponierte italienische Gesangsszene, ein Rezitativ mit Rondo-Allegretto, vor. Von wem der genretypische Text »Il momento s’avvicina … La dolce speranza …« stammt, hat man bis heute nicht herausgefunden. Die Stadt mit der eindrucksvollen Schlossruine, die immer mehr zu einer romantischen Projektionsfläche auch nationaler Sehnsüchte wurde, bildete in den nächsten Monaten mit Mannheim und Darmstadt Carl Maria von Webers Aktionsdreieck. Einmal lieh er sich Geld von Vogler, um nach Karlsruhe zu reisen, konnte dort aber nichts zu seinem Vorteil ausrichten. Ein paar Tage verbrachte er auch in Baden-Baden, wo er seinen Vater traf, der dort bei Bruder Fridolin-Fritz zu Besuch war. Von dieser Reise verfasste er einen Bericht für das Morgenblatt123, der im Gegensatz zu Webers bisherigen publizistischen Arbeiten eher schriftstellerisch als musikjournalistisch ist, denn es geht in diesem Feuilleton nicht um Künstler und Werke, sondern um das gesellschaftliche Leben und die Landschaft. Nur am Rande erwähnt er die in dem vornehmlich von Franzosen frequentierten Mode-Kurort gastierende Denglersche Truppe, bei der Fridolin als Musikdirektor wirkte und womöglich auch die Vorstellungen von Paers Camilla und Don Giovanni leitete, die sein Halbbruder miterlebte. Ein prominenter Kurgast, dem Weber seine Aufwartung machen durfte, war Bernhard Erasmus von Deroy, der bei Hohenlinden Napoleon unterlegen und dessen Gefangener geworden war, danach aber als Mitglied der Legion d’honneur französische Siege in Preußen und Schlesien miterrungen hatte. Er war Mannheimer und mit der Familie Hertling verschwägert, die Weber wohl mit einer Empfehlung an den königlich-bayerischen General ausgestattet hatte. Dem Münchner Kronprinzen hatte er einen Brief von Vogler zu übergeben, und es ergab sich, dass er bei einem Ständchen für Prinzessin Stéphanie einen geselligen Abend mit dem Gleichaltrigen verbrachte, der später als König Ludwig I. den Thron besteigen sollte.
An der Seite Voglers sollte Weber wenig später auch andernorts erleben, wie Bonaparte die deutsche Staatenwelt verändert hatte. In Kirchheimbolanden konzertierte Vogler auf der Orgel, auf der Mozart einst für die hier residierende Nassau-Weilburgische Schwiegermutter von Herzog Louis gespielt hatte. Ihr Schloss gehörte jetzt einem Textilfabrikanten aus Mülheim bei Köln, und der Ort war tiefe pfälzische Provinz im Département du Mont-Tonnerre. In Mainz ließ der Lehrer die Domorgel bei einem Requiem für den Bonaparte-Freund Jean Lannes Duc de Montebello erklingen, der im Vorjahr bei der Einnahme Wiens zu Tode gekommen war und im Pariser Pantheon bestattet wurde.
Meyer Beer hatte noch nicht viel komponiert, aber immerhin schon die Musik zu einer Ballett-Pantomime Der Fischer und das Milchmädchen schreiben dürfen, die man im März in Berlin gespielt hatte. Sicherlich wusste er vom Berliner Weber schon, dass Vogler kein Mann des akademischen Einzelunterrichts war, sondern gern mehrere Schüler zusammen und eher kollegial als ex cathedra unterwies. Für Beer war es gewiss kein Nachteil, dass nicht nur Gänsbacher in Darmstadt war, sondern auch Carl Maria von Weber seine Zeit am Ort nutzte, um sich bei Vogler weiterzubilden. Trotz aller Gegensätze verstanden sich die drei, und nannten sich bald eine »Trias«. Der bereits 32 Jahre alte Gänsbacher war in einem verlässlichen Koordinatensystem von Kirche – als Sängerknabe – und Militär – als Tiroler Freiheitskämpfer – großgeworden. In Wien hatte er die bürgerlich-urbane Lebensweise des gegen anständige Bezahlung dem Adel dienenden Akademikers zu schätzen gelernt, weshalb er sich in Darmstadt ziemlich langweilte, wo es jenseits des Hofs wenig Abwechslung und Unterhaltung gab. Der junge Beer war tatsächlich das gewesen, was der Vater in Carl Maria gern gefunden hätte: ein Wunderkind, das unter Applaus eines kundigen Publikums mit erst zehn Jahren das d-Moll-Klavierkonzert von Mozart spielte. Da konnten weder Gänsbacher noch Weber mithalten, und sie kannten auch beide nicht das Gefühl, dass Geld genug vorhanden war und man es auch für die Kunst ausgeben durfte. Meyer Beers jüdischer Glaube spielte in Rheinbund-Darmstadt keine Rolle. Und ein Grund für die Ablehnung Voglers durch viele
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11. Juni 1810.
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