Carl Maria von Weber in seiner Zeit. Christoph Schwandt
Читать онлайн книгу.Wien beschießen lassen, bevor er am Folgetag zum zweiten Mal dort einmarschierte. Die Hoftheater spielten diesmal nicht. Ein Hauptmotiv für Österreich war die Lage im nun zu Bayern gehörenden Tirol gewesen, wo die Kirche den Widerstand gegen die »Franzosenfreunde« unterstützte. Als die Tiroler sich 1796 zum ersten Mal gegen Bonapartes Expansion zu wehren gehabt hatten, war Webers Freund Johann Gänsbacher als 18-jähriger Freiwilliger dabeigewesen; jetzt wurde Andreas Hofer dort zum Volkshelden. Die jungen Männer in Württemberg, die einflussreiche oder auch nur wohlhabende Eltern hatten, fanden natürlich einen Weg, sich dem gefährlichen Militärdienst zu entziehen.
Webers Dienstherr hielt seine rein privaten Geldgeschäfte nicht von seinen hof-dienstlichen getrennt, noch weniger war sein komponierender Finanzsekretär dazu in der Lage. Wo ohnehin alles durcheinander ging, konnte er nur mit Mühe abgrenzen, welches Geld er als Salär oder Erstattung von Auslagen aus der Kasse entnahm, und wo er anfing, zu unterschlagen. Schon im Sommer 1808 hatte Carl Maria, der im Auftrag des Herzogs 255 Friedrich d’or zum Bruder in Carlsruhe überweisen sollte, etwas davon einbehalten. Man konnte nämlich die preußischen Münzen in Stuttgart nicht in vollem Betrag zu einem günstigem Kurs auftreiben, sodass Weber nur 200 Friedrich d’or nach Oberschlesien transferieren ließ. Den Gegenwert des Rests behielt er, was nicht gleich auffiel. Irgendwann kam es aber doch heraus. Weber versuchte »umzuschulden« und brachte dazu seinen senilen Vater ins Spiel, was misslingen musste. Um Schlimmerem zu entgehen, gestand er schließlich am 10. Februar 1810 in polizeilichem Verhör. Es wurde protokolliert, dass Weber einsehe »daß nichts, als das treue Bekentniß der Wahrheit seine Königl Majestät bewegen könne, Gnade für Recht ergehen zu lassen, und nicht die strengsten Wege gegen ihn einzuschlagen.« Er habe das Geld »unter seine Privatgelder gebracht, und davon sowohl ihn als seinen Vater, und Seine Hoheit den Herzog betreffende Zahlungen geleistet«.108 Louis hing also in der Sache mit drin. Ganz nebenbei kam so ein Skandal ans Tageslicht, den das königliche Haus nicht an die große Glocke zu hängen gedachte. Die Verklärung der durchaus aufgeklärten Tatbestände hielt bis zum Ende des 20. Jahrhunderts, als Joachim Veit die entsprechenden Archivalien durchsah.
Bereits Anfang Oktober 1808 hatte Webers Diener Huber von Johann Michael Hönes aus Schwieberdingen, südwestlich von Ludwigsburg, tausend Gulden bekommen – als Darlehen an Weber, gegen entsprechenden Schuldschein von diesem selbst. Es hatte sich herumgesprochen, dass man durch solche Gefälligkeiten gegenüber Leuten aus dem Umkreis des Herzogs Louis wehrpflichtige junge Männer in eine Anstellung beim Herzog bringen konnte und damit in Sicherheit vor auswärtigem Einsatz. Das wollte Hönes, der Wirt vom Schwieberdinger »Löwen« für seinen eingezogenen Sohn Jakob Friedrich bewirken. Ein Jahr später trug der junge Hönes den königlich-württembergischen Waffenrock immer noch. Vater Hönes reklamierte die ausgebliebene Gegenleistung und bekam auch tatsächlich einige Gulden von Weber zurück, woran sich dieser im polizeilichen Verhör aber ebenso wenig erinnern wollte, wie an irgendwelche, mit dem Darlehen verbundenen Gegenleistungen. Er musste dann zwar einräumen, zumindest von den Geldbeträgen gehört zu haben, über die sein Diener Huber ein »Cautionenbuch« führte, blieb aber dabei, keine Ahnung zu haben, worum es ging. Das glaubte ihm natürlich niemand. Denn unter den Papieren, die man bei Weber sicherstellte, war ein Gesuch seines Dienstherrn, des Herzogs Louis, an dessen Bruder, den König, vom März 1809, in dem Louis darum bat, ihm den Soldaten »Henes«, der im Regiment des Kronprinzen diene, als Arbeiter für einen Gutshof abzustellen. Und er verkneift sich dabei auch nicht eine süffisante Anspielung auf die königlichen Vorlieben: der junge Soldat sei nämlich nicht nur ziemlich klein von Wuchs »et que d’ailleurs Son exterieur n’est rien moins que beau«109, er sehe auch nicht gut aus. Friedrich I. hatte dieses Gesuch abgelehnt, und Carl Maria von Weber das Dokument an sich genommen, bewies es doch, dass er der kleinere Übeltäter und Handlanger eines größeren war.
So kam es, dass der geheime Sekretär des Königsbruders nicht strafrechtlich verfolgt wurde, sondern nur für seine Schulden geradestehen sollte. Die waren mit mehr als zweieinhalbtausend Gulden nicht unbeträchtlich. Da waren nicht nur unbezahlte Rechungen vom Schneider, Buchbinder und Hutmacher, sondern auch vom Instrumentenmacher, dem Verleger Gombart in Augsburg und dem Doktor in Ems. Den höchsten Betrag schuldete Weber Vater Hönes, der noch 745 Gulden zu bekommen hatte, und im Kaffeehaus von Ludwig Jakob Schwaderer waren noch 321 Gulden zu begleichen. Die Gläubiger verlangten, dass »Weber als Ausländer … biß zu deren Berichtigung in Arrest zu behalten«110 sei. Dorthin kam er auch, aber nur für fünf Tage. Dann war eine Vereinbarung mit den Gläubigern getroffen, und der König beeilte sich, den Mitwisser derart unschöner Begebenheiten samt seines alten Vaters aus dem Land zu befördern. Die beiden wurden am 26. Februar 1810 bei Fürfeld, heute zu Bad Rappenau gehörend, ins Großherzogtum Baden abgeschoben. Das noch nicht lange württembergische Örtchen war durch die politischen Umschwünge der letzten Jahre zur Zoll- und Poststation avanciert, nachdem es zuvor unter bischöflich Wormser und zeitweise Hessen-Darmstädter Herrschaft am Rande jeglichen wichtigen Geschehens gelegen hatte.
Franz Anton und Carl Maria von Weber mussten auf der anderen Seite der Grenze aufgenommen werden, denn durch das väterliche Heimatrecht in Zell im Wiesental waren sie ja mittlerweile Badener. Auf der Straße in Richtung Pforzheim wären sie schneller in Baden gewesen, der Grenzübergang war wohl mit Rücksicht auf das Ziel der beiden Ausgewiesenen gewählt worden, die von Franz Danzi mit Empfehlungsschreiben für Mannheim ausgestattet worden waren. Die Auflage, nie wieder ins württembergische Königreich zurückzukommen, werden Vater und Sohn gelassen hingenommen haben. Carl Maria sollte Stuttgart nie wiedersehen. Auch Herzog Louis duldete der König nicht mehr lange in seiner Nähe, er wurde auf das Schlösschen in Kirchheim unter Teck umgesiedelt. Louis und Carl Maria waren aber nicht im Unfrieden auseinandergegangen und sahen sich bald darauf in Frankfurt noch einmal wieder.
Der junge Jakob Friedrich Hönes oder Henes musste eines Tages für seinen König in einen fernen Krieg ziehen und kam nicht wieder zurück. Das war der wirklich tragische Aspekt dieser unschönen Episode in Webers Leben und nicht sein in vielen späteren Darstellungen auf mehrere Wochen ausgedehnter Gefängnisaufenthalt, dem dramatische Verhaftungsszenen vorausgegangen sein sollten, was insgesamt zur läuternden Phase eines romantischen Künstlerlebens stilisiert wurde. Im Reisegepäck hatte der Abgeschobene zudem ein Kapital, die Partitur einer Oper, die er in der kurzen und für ihn durchaus erträglich gestalteten Haft sogar noch ganz hatte fertigstellen können, nachdem er anderthalb Jahre daran gearbeitet hatte. Ihre Uraufführung war ziemlich voreilig schon im vergangenen Juni im Morgenblatt angekündigt worden, als man auch Abeilles Peter und Ännchen avisiert hatte: »Beyde Kompositionen werden von Kennern, welche sie ganz oder theilweise gehört haben, als ausgezeichnet gepriesen.« Die »Operette« des »Hrn Baron Weber« firmiert so ausdrücklich wie unrichtig als »ein erster Versuch, der sehr viel versprechen soll.«111 Vielleicht war es aber auch neue Bescheidenheit, dass er sich als Operndebütant gab.
»Gebürgigte Waldgegend. Dem Zuschauer links eine mit Gebüschen bewachsene Felsenhöhle. Rechts Buschwerk mit wilden Beeren.« So stellte sich Hiemer das Bühnenbild für den ersten Akt der Silvana vor. Der Name des stummen Waldmädchens von damals war nun in der Tat Titel der neuen Weber-Oper. Sie erscheint »in ein Leibchen aus Tierfellen mit Blättern besetzt, gekleidet. Sie tritt mit einem Körbchen in der Hand schüchtern aus der Felsenhöhle hervor uns sieht sich überall um … Silvana fängt an … zu tanzen; durch ein entferntes Rascheln erschreckt, bleibt sie plötzlich lauschend stehen. Oben auf dem Felsen erscheint ein großer Bär, von Jägern verfolgt. Kaum erblickt Silvana die Menschen, so flieht sie erschrocken in die Höhle.«112 Mit dem Auftritt dieser Jäger schafft Weber sofort Lokalkolorit mit vier Hörnern, die hier als Bühnenmusik eingesetzt sind. Die Waidmänner werden von Rudolph Graf von Helfenstein angeführt, wie nun die Tenorpartie heißt, die im alten Waldmädchen noch der Prinz aus dem phantastischen »Mathusien« und im ursprünglichen Ballett von Trafieri als »pohlnischer Fürst« dahergekommen war. Jetzt sind wir eindeutig in deutschen Landen, und die Namenswahl ist eine Reverenz an die vorübergehende württembergische Wahlheimat und die auch 1809 schon legendären Helfensteiner aus Geislingen an der Steige. Seinen Namen behalten hat
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Zit. nach Joachim Veit:
109
Ebd.
110
Ebd., S. 12.
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Zit. nach »Alte Gesamtausgabe« II/2.