Carl Maria von Weber in seiner Zeit. Christoph Schwandt

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Carl Maria von Weber in seiner Zeit - Christoph  Schwandt


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alle Schmerzen;/er macht die Dummen oft gelehrt/und bessert böse Herzen.« Der Text war von Johann Jakob Ihlée, der die Bühne zusammen mit dem Musikdirektor Carl J. Schmitt leitete, und dem Weber sich schon vorgestellt hatte.

      Die Premiere der Oper des von Georg Joseph Vogler hochgelobten jungen Komponisten Carl Maria von Weber war geschickt terminiert worden: auf den 16. September 1810. Es war Messe, und das nicht nur auf einem Messegelände wie in späteren Zeiten, sondern in der ganzen Stadt an mehreren Orten. Allerdings war an diesem Sonntag auch das Wetter schön, und einen ganz besonderen Konkurrenz-Event hatte man nicht einkalkuliert. Sophie Blanchard, die das auch schon bei Napoleons Hochzeit mit Marie Louise getan hatte, führte in der von Fremden zahlreich besuchten Stadt am Main ihren Wasserstoff-Ballon-Flug vor. So begann die erste Silvana vor vielen leeren Theatersitzen und Logen. Diese füllten sich dann zwar allmählich, nachdem Madame Blanchard gelandet war, doch die zu spät Gekommenen sorgten für Unruhe und hatten zunächst Mühe, sich im romantischen Bühnengeschehen zu orientieren. Am Schluss war das Publikum aber doch so angetan, dass es besonders den jungen Komponisten und die noch jüngere Interpretin der Titelrolle feierte.

      Carolina Elisabeth Antonetta, genannt Caroline, Brandt war wohl 17 Jahre alt. Gewiss ist auch bei ihr nur das Taufdatum, der 19. November 1793, zumindest laut einer im August 1810 ausgestellten Bescheinigung130, nicht aber das ihrer Geburt. (Dass sie, wie Weber später annahm und wie es auf ihrem Dresdner Grabstein steht, 1796 zur Welt kam, ist kaum möglich. In diesem Fall wäre sie bei ihrer ersten Begegnung erst 13 gewesen.) Wie Weber stammte sie aus einer reisenden Theaterfamilie mit allem, was dazugehörte, oder eben unter solchen Bedingungen fehlte. Ihre Eltern waren höchstwahrscheinlich 1783 bei der Bonner Uraufführung von Schillers Fiesco in kleineren Rollen dabei gewesen. Immerhin soll Caroline Brandt eine gewisse Zeit in Ballenstedt am Harz die Schule besucht haben. 1803 stand sie jedoch bereits an der Seite ihrer Mutter in einer Kinderrolle in Altenburg131 auf der Bühne. Jetzt war sie die erste Silvana und hatte Carl Maria von Weber gefallen. Mehr gefallen wohl als Gretel Lang aus Stuttgart, die als Mechtilde besetzt war, und deren mutmaßlicher »Liebesverkehr« mit Carl Maria inzwischen ein Ende gefunden haben dürfte. Die Brandt war, wie Genovefa oder Jeanette von Weber, Schauspielerin und Sängerin zugleich. Sie sang mädchenhafte Soubretten-Partien, keine Primadonnen-Rollen. Tanzen konnte sie auch, und sie war hübsch und attraktiv. Das Frankfurter Publikum brachte Weber und die Brandt durch »jauchzendes Hervorrufen«132 dazu, sich noch einmal vor dem Vorhang zu zeigen. Den letzten Applaus überließ Weber seiner Silvana allein.

      Zusammen mit Meyer Beer, der ihn von Darmstadt aus begleitet hatte, vergnügte sich Weber bei einem leichten Mädchen, wie sie namentlich zu Messezeiten in Frankfurt leicht zu finden waren. In einem Brief an Gänsbacher in Böhmen berichtet Erster freimütig, »endlich wieder einmal gefölgelt« zu haben »(Ein L ist zu viel das können Sie ausstreichen)«, Carl Maria setzt hinzu, dass man sie »aber nur abgegriffen« habe, »das thut nichts, wenn man nur gesund ist«.133 Die »französische Krankheit« war noch unheilbar.

      Meyer Beers erster Text im Auftrag des Harmonischen Vereins war eine Kritik von Webers Oper für das Morgenblatt. Die Oper sei »ein Meisterwerk …, deren die deutsche Bühne wenige besitzt. – Originalität der Gedanken und Formen, ohne jedoch im mindesten bizarr zu werden; höchst frappante Wirkungen durch Blaseinstrumente«. Weber verbinde »eine bedeutende Kentniß der Scene mit einer rein ästhetischen Ansicht derselben« und: »Die Philosophen und Aesthetiker unter den Musikern werden leider immer seltener. Gewöhnlich sind diese nur von einer musikalischen Ansicht geleitet, und daher erliegt auch meistentheils die poetische Idee unter der musikalischen Form.« Bei Weber seien Text und Musik nicht nur Vorwand füreinander, sondern legitimierten einander gegenseitig. Er erwähnt auch den Textdichter, der »eine Menge der schönsten musikalischen Situationen und Charaktere aufstellte«134, nennt Hiemers Namen allerdings nicht.

      Mit Freund Meyer fuhr Weber auch nach Offenbach zu André, dessen Verlag sich gut entwickelte. Die Stadt lag nicht im Frankfurter Großherzogtum, sondern im Isenburgischen Fürstentum, das auch dem Rheinbund angehörte. André wollte die erste Sinfonie Webers herausbringen. Das Carlsruher Orchesterwerk, inzwischen durch weitere Aufführungen bewährt, war Namensvetter Gottfried gewidmet: »A son ami Géofroi Weber de Mannheim«; die zweite Sinfonie blieb zu Webers Lebzeiten ungedruckt. Meyer und Carl Maria sahen bei André mit großem Respekt Mozartsche Handschriften. Zurück in Frankfurt, besuchten sie am 26. September die zweite Silvana. Dann hat das beständige Hin- und Herfahren ein Ende. Weber muss einen Kompositionsauftrag erledigen, was ihm mit dem Frankfurter Erfolg im Rücken unter großem Zeitdruck erstaunlich souverän gelingt: »Eine Hundsföttsche Arbeit habe ich jezt vor, 6 kleine Sonaten mit 1 Violin für André, kostet mich mehr Schweiß als so viel Simphonien«135 . Die 6 Sonates progressives für Klavier und Violine werden allerdings, in zwei Hefte aufgeteilt, bei Simrock in Bonn erscheinen. Sie bekamen wieder einmal eine Opus-Nummer, und zwar die 10, die Weber schon für die vierhändigen Prinzessinnen-Stücke in Stuttgart vergeben hatte. Vielleicht war das aber auch ein Irrtum des Verlags. Gedrucktes opus 11 war das Klavierkonzert, das erst 1812 – bei André – erschien. Die Sonaten lehnte der mit der Begründung ab, Weber habe die Violinstimme nicht »obligat« genug angelegt, zu anspruchsvoll. Bei dem Adjektiv »progressiv« hatte André wohl ein pädagogisches Fortschreiten im Sinn gehabt. Einzelne Sätze aus den kleinen Werken, denen zu Simrocks Freude ordentliche Nachfrage beschieden war, wurden später von großen Geigerinnen und Geigern gern als virtuose Zugabestücke gespielt und noch virtuoser bearbeitet. Weber hatte bei Vogler noch dazugelernt. Die zweite und dritte Sonate haben zudem einen »nazional-karakteristischen« Gestus: »Carattere espagnuolo« zeigt sich in einem mehrmals auftauchenden Bolero-artigen Ritornell, während einem die darauf folgende »Air polonais« nicht besonders typisch vorkommt. Eine melancholische »Air russe« mit reizvollen Violin-Pizzicati bedient ein auch später noch vitales, tönendes Russland-Klischee. Selbstverständlich kommt das Klavier dann und wann brillant zum Zuge.

      Auch das Klavierkonzert wurde nun, dreisätzig, vollendet und in einem Mannheimer Museumskonzert zum ersten Mal am 19. November 1810 gespielt; von Meyer Beer gab es an diesem Abend eine der von Vogler initiierten Psalm-Vertonungen. Prinzessin Stéphanie war zugegen und sehr angetan. Sie bat Weber, auch etwas zur Gitarre zu singen, und der schlug den Wunsch der schönen jungen Frau des badischen Thronfolgers, die im Revolutionsjahr 1789 in Versailles das Licht der Welt erblickt hatte, nicht aus. Vielleicht sang er das hübsche, schlichte Wiegenlied, das er kurz vor der Frankfurter Premiere auf Verse Hiemers geschrieben hatte: »Schlaf, Herzenssöhnchen, mein Liebling bist du!«

      Gern hätte Carl Maria von Weber auch mit dem Orchester des Nationaltheaters, dem Hoftheaterorchester, wie viele auch jetzt noch sagten, konzertiert, und nicht immer nur mit dem Ensemble des Museums. Er war aber diesbezüglich auf die Gunst des Hofkapellmeisters Peter Ritter angewiesen, einem Cellisten, der von seinem Instrument aus auch Opernaufführungen leitete. Ritters Singspiel Der Zitherschläger war am 1. April 1810 in Mannheim uraufgeführt worden, und der Kollege war vielleicht eifersüchtig auf den Neuankömmling mit soviel Talent, Ambition und auch schon vielen Förderern in der Stadt und der Umgebung. Jedenfalls kam es nicht zu einem gemeinsamen Auftritt – obwohl Gottfried »Giusto« Weber den Zitherschläger in der Mannheimer Schreibtafel, einem kurzlebigen Lokalblatt, lobend besprochen hatte.

      Kurz bevor Johann Gänsbacher Darmstadt verlassen hatte, ließ er die arglose Leserschaft der Zeitung für die elegante Welt glauben, dass er gerade »die Bekanntschaft des genialen Claviervirtuosen und Componisten, Carl Marie Freiherrn von Weber zu machen« Gelegenheit gehabt hätte. Getreu der Abmachung im Harmonischen Verein, um keinen Argwohn zu erregen, in den Rezensionen die Werke der Mitstreiter auch gelegentlich zu kritisieren, gab Gänsbacher vor, die von »Herrn von Dusch mit vieler Kraft und Präzision und richtigem Geschmack« in Heidelberg gespielten Weberschen Cello-Variationen »unbedeutend« zu finden. Das Wesentliche an seinem Text war aber ein überschwängliches Bekenntnis zum Genius loci, neckaraufwärts wandernd: »Als wir nun um Wiblingen, dem letzten Dorfe unserer Fahrt,


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<p>130</p>

Vgl. Eveline Bartlitz: »Wie liebt ich dich! – Du warst mein höchstes Gut«. In memoriam Caroline von Weber, geb. Brandt, zum 150. Todestag am 23. Februar 2002, in: Weberiana 12 (2002), S. 5-51.

<p>131</p>

Vgl. Frank Ziegler: Vom Theaterkind zur »Hochwohlangeheiratheten«. Neue Funde zu Caroline Brandt und ihrer Familie, in: Weberiana 22 (2012), S. 61-102.

<p>132</p>

Morgenblatt für gebildete Stände, Jg. 4, Nr. 237 (3. Oktober 1810), S. 948.

<p>133</p>

Giacomo Meyerbeer: Briefwechsel und Tagebücher, Band 1, Berlin 1960, S. 75.

<p>134</p>

Ebd.

<p>135</p>

Brief an Gottfried Weber, 23. September 1810.