Carl Maria von Weber in seiner Zeit. Christoph Schwandt

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Carl Maria von Weber in seiner Zeit - Christoph  Schwandt


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ihrer Zeit in die Geschichte eingehen, ist eine Binsenweisheit. Wenn aber ein rechtschaffener Künstler seine Umwelt dadurch provoziert, dass er sich und sein Werk besonders geschickt zu präsentieren versteht, ist die Gefahr, von der Nachwelt schief angesehen zu werden besonders groß: wenn nämlich ein zu Lebzeiten eifersüchtiger Kollege später als genial anerkannt wird und dessen abfällige Äußerungen für alle Ewigkeit festgehalten werden. Mozart hielt nicht viel von »Abt Vogler«, der freilich kein Klostervorsteher war, sondern wegen seines Priesterstandes modisch-französisch »Abbé« genannt wurde. Georg Joseph Vogler war nur sieben Jahre älter als er und ein erfolgreicher Mitbewerber um den Applaus des Publikums und die Gunst bei Hofe. Als Mozart ihm Ende 1777 beim Mannheimer Kurfürsten begegnete, schrieb er in einem Brief an den Vater: »ein öder musikalischer Spaßmacher, ein Mensch, der sich recht viel einbildet und nicht viel kann«43. Bei Christian F. D. Schubart dagegen heißt es, Vogler sei »einer der ersten Orgel- und Flügelspieler in Europa … Er spielt meisterhaft vom Blatt.«44 Als Vogler in Mozarts Gegenwart eines von dessen Klavierkonzerten spielte, meinte Mozart aber: »den Baß spielte er meistens anderst als es stund, und bisweilen machte er eine ganz andere Harmonie und auch Melodie … – so ein Prima vista spiellen, und scheissen ist bey mir einerley.«45 Weber-Biograf John Warrack sah sich also in ernstzunehmender Gesellschaft, als er Vogler zur »grotesken Fußnote«46 in den Karrieren anderer Musiker degradierte und ihn einen »gerissenen alten Schaumschläger« nannte47. In der Biografie von Karl Laux wird er immerhin als »faszinierende Persönlichkeit, halb Genie, halb Scharlatan, dem Vater Carl Marias nicht unverwandt«48 charakterisiert. Charismatischer als Michael Haydn wird er wohl gewesen sein und künstlerisch bedeutender als Kalcher allemal. Da man mit einem Abstand von mehr als zwei Jahrhunderten auch Antonio Salieri nicht mehr für einen schlechten Komponisten hält, nur weil Mozart besser war, muss man auch Georg Joseph Vogler endlich Gerechtigkeit widerfahren lassen – gerade im Hinblick auf den jungen Weber.

      Georg Joseph Vogler (1749-1814)

      Vogler, bei Würzburg geboren, war vom Mannheimer Hof gefördert und zum Studium nach Italien geschickt worden und ging anschließend nach Paris und London. Neben seinem künstlerischen Tun war er auch als Publizist tätig. Er trat für mehrere Jahre in die Dienste des Schwedenkönigs Gustav III. und bereiste Skandinavien, Polen, das Baltikum und Russland. Über Spanien kam er sogar bis nach Nordafrika. 1799 ging er von Stockholm fort und war nach Stationen in Kopenhagen, Berlin und Prag seit der Jahreswende 1802/03 in Wien, wo er unterrichtete, seine Orgelbau-Projekte vorantrieb und einen Kompositionsauftrag für eine Oper am Theater an der Wien erfüllte. Die moderne Vorstadtbühne war von Emanuel Schikaneder geleitet worden, der sie ganz nahe des Theaters im Freihaus auf der Wieden hatte errichten lassen, wo er mit der Zauberflöte als Theaterdirektor und Papageno-Interpret auch wirtschaftlich höchst erfolgreich gewesen war. Jetzt hatte der Eigentümer der Immobilie, der Kaufmann Bartholomäus Zitterbart, Schikaneder das Theaterprivileg abgekauft und war damit zumindest nominell ihr Leiter.

      Bei aller Exzentrik und Eitelkeit des Tastenvirtuosen, Dirigenten und Komponisten – Eigenarten eines im Zölibat lebenden höfischen Geistlichen mögen hinzugekommen sein – war Georg Joseph Vogler kein planloser Kreativer, sondern ein systematischer Intellektueller der Musik, der die Welt gesehen hatte. Als Carl Maria von Weber ihn kennenlernte, konnte Vogler auf über 20 zum Teil mehrbändige theoretische Publikationen verweisen, nicht nur in deutscher, sondern auch in französischer und schwedischer Sprache. Zuletzt war sein Handbuch zur Harmonielehre und für den Generalbaß …: zum Behuf der öffentlichen Vorlesungen im Orchestrions-Saale auf der K. K. Karl-Ferdinandischen Universität zu Prag49 erschienen. Das besagte Orchestrion war Voglers transportable Konzertorgel mit mehreren Manualen und Pedal, die Klang und Dynamik eines ganzen Orchesters zu imitieren versuchte. Vogler war auch ein Techniker und Tüftler. Als Kompositionslehrer konnte er den Mannheimer Stil noch aus eigenem Erleben an Ort und Stelle weitergeben, nachdem 1801 auch Carl Stamitz verstorben war, der Sohn von Johann Stamitz, dem Begründer der Mannheimer Schule. In der Vorrede zu seiner Kurpfälzischen Tonschule hatte Vogler 1778 seinen wichtigsten pädagogischen Grundsatz formuliert: »Also: Lehrsäz ohne Beispiel sind dunkel; Beispiel ohne Lehrsäz sind unnüz. Das ist: Theorie ohne Praktik ist verwirrt; Praktik ohne Theorie unzulänglich.«

      In Wien eingetroffen, hatte Carl Maria zunächst damit zu tun, seine Briefe abzugeben. Es waren die üblichen Empfehlungsschreiben, wie sie jeder ambitionierte Neuankömmling im Gepäck hatte. Er wurde nicht nur von Salieri und Wranitzky empfangen, sondern auch bei dem erfolgreichen und weitgereisten böhmischen Komponisten Adalbert Gyrowetz und bei Franz Teyber, Musikdirektor des Theaters an der Wien, der den Kontakt zu Georg Joseph Vogler hergestellt haben mag. In Salzburg hatten die Webers Teybers Singspiel Karl von Eichenhorst gespielt. Er traf den Violinisten Ignaz Schuppanzigh und den Cellisten, Dirigenten und Veranstalter Vinzenz Hauschka, der mit Beethoven befreundet war, sowie die ehedem Mozart verbundene Pianistin Josepha Barbara Auernhammer. Durch einen Bruder von Thaddäus Susan kam er ins Haus des gebürtigen Salzburger Musikers und späteren Diplomaten Sigismund Ritter von Neukomm, der mit beiden Haydns auf gutem Fuß stand.

      Am 8. Oktober 1803 schrieb Weber an Susan in Salzburg: »Ja frei bin ich, ganz mein Herr, lebe ganz der Kunst. Ich habe das Glück gehabt, den Abt Vogler kennen zu lernen, der nun mein bester Freund ist und bei dem ich nun sein vortreffliches System studiere.«50 Voglers Lehre war berührend gegenwärtiger als die von Michael Haydn, der sich noch sehr an den Regeln von Johann Joseph Fux (1660-1741) orientierte. Durch seinen »praxisbezogenen« Unterricht half Vogler Weber, sich eigenständig auf dem Fundament der aktuellen Wiener Klassik zu entwickeln. Der Vater war glücklicherweise weit genug weg, in Augsburg, und konnte nicht drängeln, hier und da ein Stück für diesen und jenen Zweck zu schreiben. Denn Vogler empfahl ihm nachdrücklich, jetzt nicht selbst zu komponieren, sondern die Werke anderer, nicht zuletzt seine eignen, zu studieren. Später verklärte Carl Maria von Weber seinen Gehorsam gegenüber dem neuen Lehrer allerdings erheblich und schreibt in der Autobiographischen Skizze von »beinahe zwei« Jahren, die er auf Voglers Geheiß dem Komponieren entsagt habe. Es war dann doch nicht einmal eines. – Der Vater kam auch bald nach.

      Weber lernt in Wien den Opernbetrieb seiner Zeit im Großformat kennen, mit allem was dazugehört, auch im Unguten: Direktorenwechsel, Umbesetzungen und Premierenverschiebungen. Das Theater an der Wien war etwas anderes als die Bühnen am Freiberger Buttermarkt oder dem Augsburger Lauterlech. Der Zuschauerraum bot fast zweitausend Menschen Platz, ganz Eutin hätte da hineingepasst, und bühnentechnisch war alles auf dem neuesten Stand. Auf dem Spielplan stand Peter Winters Der Zauberflöte zweyter Theil, Das Labyrinth. Am Kärntnertor-Theater, sozusagen dem Vorläufer der Staatsoper, lief während Webers Aufenthalt mindestens zehnmal Marie von Montalban vom selben Komponisten. Weber war von diesem Werk beeindruckt.

      Das Theater an der Wien

      Vogler arbeitete an seiner Oper Samori oder Der verdrängte Prinz, einer indisch-orientalistischen Liebesgeschichte, wie sie die Leute schätzten. Das Textbuch hatte Franz Xaver Huber verfasst, von dem auch die Verse von Beethovens Oratorium Christus am Ölberge stammten, das in der Karwoche im Theater an der Wien uraufgeführt worden war. »Es ist ganz göttliche Musik,« schreibt Weber an Thaddäus Susan, »und dann, – was meinst Du? – giebt er mir sogar seine eigenhändige Partitur der Ouvertüre mit, um so nach und nach die Oper in Clavierauszug zu setzen.«51 Das war übliche Eleven-Assistenzarbeit, und nur im Falle arrivierter Schüler wurde diese Form von Mitarbeit bei Drucklegung auch dokumentiert. Webers Name wurde nicht genannt, aber Vogler erwies sich als dankbar, auch wenn er den Klavierauszug als eigene Arbeit dem Mäzen Franz Joseph Maximilian Fürst von Lobkowitz widmete (dem Beethoven seine dritte Sinfonie zueignete, an der er arbeitete und dabei dieser


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<p>43</p>

4. November 1777, zit. nach Wolfgang Amadeus Mozart. Briefe und Aufzeichnungen, hg. von der Internationalen Stiftung Mozarteum, Kassel 2005, Band 2, S. 102.

<p>44</p>

Christian Friedrich Daniel Schubart: Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst, Leipzig 1977, S. 124f.

<p>45</p>

17. Januar 1778, zit. nach Wolfgang Amadeus Mozart. Briefe und Aufzeichnungen, hg. von der Internationalen Stiftung Mozarteum, Kassel 2005, Band 2, S. 228.

<p>46</p>

John Warrack: C. M. von Weber (dt. von Horst Leuchtmann), Leipzig 1986, S. 54.

<p>47</p>

Ebd., S. 58.

<p>48</p>

Karl Laux: Carl Maria von Weber, Leipzig 1966, S. 29.

<p>49</p>

Prag (Barth) 1802

<p>50</p>

8. Oktober 1803.

<p>51</p>

Ebd.