Carl Maria von Weber in seiner Zeit. Christoph Schwandt

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Carl Maria von Weber in seiner Zeit - Christoph  Schwandt


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den Tenorpart des Prinzen Sigmund von Mathusien übernahm, und seine Truppe spielten das Waldmädchen am 5. Dezember auch in Chemnitz. Eine interessante Novität war die Oper eines Jungtalents allemal, wenngleich die Resonanz beim Publikum nur zurückhaltend-wohlwollend war.

      Politisches Hauptgesprächsthema um den Neujahrstag 1801 herum war das Vorrücken der Franzosen nach der Schlacht von Hohenlinden nahe München, wo diese am 3. Dezember die österreichischen Truppen besiegt hatten, an deren Seite auch Soldaten des bayerischen Kurfürsten Maximilian IV. kämpften. Napoleon Bonaparte, seit gut einem Jahr »erster Konsul«, konnte nun ohne weiteres auf Salzburg zu und dann nach Österreich und Wien marschieren lassen. Die Waldmädchen-Widmungsträgerin Kurfürstin Maria Amalie Auguste aus dem Hause Zweibrücken-Birkenfeld-Bischweiler war Maximilians Schwester. In Freiberg und Chemnitz diskutierte man aber auch heftig über das Waldmädchen. Franz Antons großsprecherische Präsentation seines Sohnes und dessen Opus’ war nicht gut angekommen. Nach der Chemnitzer Aufführung leistete Franz Anton dem Filius einen weiteren Bärendienst, indem er ihm die Feder führte und Entgegnungen an Kritiker und Briefeschreiber verbreitete, die den Jungen als präpotenten, eingebildeten Bengel erscheinen ließen. Da wird wegen des angezweifelten Alters von einem Taufschein gelogen, der die Geburt am 18. Dezember 1787 belegen soll, der Freiberger Stadtmusikus Christian Gottlob Siegert schlechtgemacht und Kantor Johann Gottfried Fischer, der gerade die Schöpfung einstudiert und dirigiert hatte, angegriffen, weil ihm das Werk nicht gefallen hatte. Da klopft der junge Komponist Sprüche wie »Ich achte meine Hasser gleich wie das Regenwasser«30 und versteigt sich zu einem Zitat des Humanisten Friedrich Taubmann: »Debet adhuc nasci coquus, qui noverit omnes/Sic condire cibos, sapidi ut sint omnibus aeque«31 ! Es mag richtig sein, dass der Koch, bei dem neue Gerichte allen schmecken, erst noch geboren werden muss, aber solche Altklugheit eines Heranwachsenden tut selten gut. Zudem fand der »Freiberger Federkrieg« coram publico in den Freyberger gemeinnützigen Nachrichten statt und ließ es schließlich angeraten erscheinen, recht bald wieder aus der Stadt wegzugehen. Die aufgeblasene Art, mit der Franz Anton in den Duodez-Residenzen, im biederen Nürnberg und im katholischen Salzburg gut gefahren war, unterfing bei den gebildeten und selbstsicheren Bürgern in Freiberg nicht. Er überwarf sich auch mit der Freimaurerloge, deren Schatzmeister Kollege Siegert war, und die ihn daraufhin wegen unmaurerischen Betragens ausschloss32.

      Dass das Waldmädchen nicht sogleich in Vergessenheit geriet, war das Verdienst des Librettisten und Impresarios Steinsberg. Ende 1804 wurde es ein paar Mal in Wien gespielt, allerdings als Das Mädchen im Spessarterwalde, um eine Verwechslung mit dem gleichnamigen Werk zu vermeiden, von dem Steinsberg den Plot übernommen hatte: einem Ballett von Giuseppe Trafieri mit Musik von Wranitzky. Steinsberg war da aber schon in Russland tätig, sodass wohl er eine Aufführung Anfang 1804 in St. Petersburg bewirkt hatte. Später galt sämtliches Notenmaterial der Oper als verschollen, denn Carl Maria von Weber selbst hatte außer drei wohl eher zufällig erhalten gebliebenen Entwürfen nichts vom Waldmädchen aufbewahrt. Erst im Jahre 2000 entdeckte eine russische Musikwissenschaftlerin im St. Petersburger Mariinsky-Theater die Partitur nebst Orchesterstimmen, die man 1804 verwendet hatte, wieder. Im Sommer 2010 boten Petersburger Konservatoriumsstudierende Auszüge konzertant dar, dann wurden die Noten wieder weggeschlossen und auch weiterhin der Weber-Forschung vorenthalten. Allerdings erhofft sich die Freiberger Bergakademie für 2015 zur Feier ihres 250jährigen Bestehens eine neuerliche Darbietung am sächsischen Ort der Uraufführung. Die Dialogtexte des Singspiels, das die »Romantisch Komische Oper« eigentlich ist, sind wohl definitiv verschollen und somit auch alle näheren Informationen zur Titelheldin mit dem Namen Silvana, was bei einem Mädchen aus dem Wald nicht weiter überrascht, und von der man aus der Partitur nur weiß, dass sie tanzt und nicht singt.

      Nicht wirklich überraschend hatte sich auch die Freiberger lithografische Werkstatt des alten Weber nicht etablieren können. Er war nun 66 Jahre alt, zu einer Zeit, da die durchschnittliche Lebenserwartung eines Mannes in Deutschland etwa bei der Hälfte dieser Jahre lag. Da es außer Weiterziehen und sich weiter produzieren kaum eine andere Möglichkeit gab, zu überleben, wurde die Hoffnung, die auf Carl Maria ruhte, immer größer. Auch Freiberg, wo man markante sächsische Mundart sprach, sollte nur eine Episode für den heimatlosen, aber begabten und ganz offenbar auch belastbaren jungen Musiker gewesen sein. Ob Carl Maria von Weber einen definierbaren Dialekt sprach? Vermutlich nicht. Eutiner Norddeutsch hatte er noch nicht annehmen können, und als das milde Sächsisch in Hildburghausen oder Weimar an seine Ohren drang, war seine eigene Ausdrucksweise wahrscheinlich schon geprägt vom süddeutschen Tonfall von Vater, Mutter und Tante, der in Nürnberg, Ansbach und Bayreuth mit fränkischen Komponenten angereichert worden sein mag. Zur gleichen Zeit begann in Wien der kleine Franz Schubert, bewusst Musik und Worte wahrzunehmen. Während sich seine Musik untrennbar von der Sprache und den Melodien seiner Heimatstadt entwickelte, hatte Carl Maria von Weber keine solche Bindung. Er war wieder unterwegs. Für eine Weile ist im Frühjahr 1801 Chemnitz Aufenthaltsort der drei Webers, von wo aus Franz Anton sich nachweislich darum bemühte, das Waldmädchen in Weimar zu lancieren. Man kommt noch ein Mal nach Hildburghausen und Nürnberg, wo Fridolin noch immer lebt, und bleibt schließlich eine Zeitlang in München. Überall kennt man jemanden, arrangiert kleine Konzerte und versucht, Noten zu verkaufen. Im Herbst nehmen sie, ein 14-jähriger und zwei Senioren, aufs Neue Quartier in Salzburg, das aber nicht mehr die Stadt ist, die sie kannten.

      Er nannte sich Primas Germaniae, hatte sich aber doch erst einmal nach Mähren in Sicherheit gebracht: Der Salzburger Fürsterzbischof Hieronymus Franz de Paula Josef Graf Colloredo von Waldsee und Mels war am 10. Dezember 1800 mit einem Kammerdiener in eine einfache Postkutsche gestiegen und nicht wieder an der Salzach gesehen worden. Die Franzosen kamen. Von Brünn ging Colloredo nach Wien und von dort aus regierte er seitdem. Nach dem Vertrag von Luneville war zwar seit Februar 1801 Frieden zwischen dem Heiligen Römischen Reich und Frankreich, die Zeit der Besatzung mit Tausenden von französischen Soldaten und kriegsgefangenen Österreichern und die enormen Reparationszahlungen hatten Salzburg allerdings ruiniert. Im Juni war sogar das Brot knapp geworden und die Bäcker gezwungen, auch nachts und feiertags zu arbeiten, was zu einem regelrechten Handwerkerstreik geführt hatte. Colloredo hatte seinerzeit den jungen Mozart gefördert, natürlich auch aus erzbischöflich-repräsentativem Eigennutz. Doch das war nun spätbarocke Vergangenheit. Man wusste noch nicht, was mit Salzburg werden würde, aber ein Fürstbischof würde ganz gewiss nicht mehr von hier ein eigenes Territorium beherrschen. Michael Haydn kümmerte sich nach wie vor um die Dommusik, großer Aufwand wurde aber nicht getrieben. Carl Maria von Weber begegnete dem ehemaligen Lehrer wieder, Unterricht nahm er jedoch keinen, vielleicht auch, weil das Geld fehlte.

      An André in Offenbach schreiben Vater und Sohn aus Salzburg am 25. November 1801, dass man für die beiliegenden Kompositionen kein Geld haben wolle sondern nur »von jedem Stücke einige auszubedingende Anzahl von Exemplaren«. Es sind drei Klaviersonaten darunter, drei Streichtrios und ein Waldmädchen-Klavierauszug, der gedruckt natürlich leichter unter die Leute gebracht werden könnte. Außer zwölf Deutschen Tänzen für Klavier sind alle diese Noten später verschollen. »Ich bin ein Zögling von Michael Haydn dahier und noch mehrern großen Meistern in München, Dresden, Prag und Wien«, wird keck behauptet, was André wohl genauso wenig beeindruckte wie die Stücke. Dem Bonner Verleger Simrock versuchte Franz Anton am gleichen Tag zu den Noten auch noch die eigene Lithografie-Methode anzudienen, was er bei André wohlweislich unterließ, denn der hätte solches durch seine Zusammenarbeit mit Senefelder schnell als üble Aufschneiderei entlarvt.

      Die Romane des Meininger Forstrats Carl Gottlob Cramer waren beliebte Lektüre; er würzte sie mit antifeudalen und antiklerikalen Spitzen und schrieb bis zu vier pro Jahr davon. Die beiden jüngsten Titel waren Rasereien der Liebe und Leben und Thaten des edlen Herrn Kix von Kaxburg. Peter Schmoll und seine Nachbarn war schon 1798 erschienen, und auch die beiden Teile dieses Romans hatten rasch weitere Auflagen erlebt. Warum nicht aus einem solchen Cramer-Titel eine »Oper zum Buch« machen? Vielleicht hatte Joseph Türk in Salzburg diese Idee schon vor längerer Zeit gehabt und sein Libretto lag schon fertig da, als der ehrgeizige Vater und der begabte Sohn ankamen. Denkbar natürlich auch, dass Türk und die beiden Webers das Projekt gemeinsam entwickelten.


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<p>30</p>

Gnädigst bewilligte Freyberger gemeinnützige Nachrichten für das Chursächsische Erzgebirge, Jg. 2, Nr. 7 (12. Februar 1801, Beilage), S. 69f.

<p>31</p>

Ebd., Nr. 10 (5. März 1801, Beilage), S. 95.

<p>32</p>

Heinz Schuler: Franz Anton Weber als Freimaurer, in: Acta mozartiana, Band 40, Heft 1 (1993), S. 21.