Carl Maria von Weber in seiner Zeit. Christoph Schwandt

Читать онлайн книгу.

Carl Maria von Weber in seiner Zeit - Christoph  Schwandt


Скачать книгу
der Taufe des Töchterchens wurde auch wieder geflunkert: Der Vater ließ sich als »kurfürstlich pfälzischer Major« und die Patin Tante Adelheid, also Frau Krebs, als »verwitwete Frau Baronin von Webern«16 eintragen. Wovon die Familie in dieser Zeit lebte, ist unklar. Carl Maria aber bekam neben dem Klavierunterricht Gelegenheit, sich durch Schulbesuch zu bilden. Er soll auch Französisch-Lektionen bekommen haben, was notwendig war, um bei Hofe eine gute Figur zu machen. Körperlich war er womöglich noch immer der labile Junge, den Costenoble schilderte, aber sehr hell im Kopf und auch nicht zimperlich bei Bubenstreichen. Einer seiner Hildburghäuser Kameraden namens Radefeld hielt später fest, der kleine Weber sei »ein kecker Junge« gewesen, der sich auf dem Markt an allen Ständen mit Kirschen satt zu essen traute, ohne auch nur eine zu kaufen, und »seine jungen Kumpane, gefangene Maikäfer zu verzehren«17 lehrte. Der Vater war alt, die Mutter nach der Geburt der Schwester nicht gesund – der Sohn mag seine Freiheiten genutzt haben.

      Als Genovefa von Weber Mitte 1797 zumindest zur Reisefähigkeit genesen war, ging es zurück nach Salzburg, was mit der Postkutsche eine knappe Woche gedauert haben wird. Die Hoffnung, mit einer fünften Schauspielertruppe Fuß zu fassen, erfüllte sich aber nicht. Carl Maria ausgerechnet dort als einen zweiten Wolfgang Amadé präsentieren zu wollen, war ein gewagtes Unterfangen. Mozart hatte dort als Elfjähriger Die Schuldigkeit des ersten Gebots (KV 35) aufgeführt, was ihm der Erzbischof mit einer Goldmedaille honoriert hatte. Den zweiten Teil dieses Oratoriums hatte damals Michael Haydn komponiert. Genau den wollte Vater Weber nun als Lehrer für seinen Sohn gewinnen, was ihm sogar gelang. Stolz schreibt das am Jahresende der Knabe – oder der federführende Vater – an Heuschkel. Gleich im neuen Jahr sollte der Unterricht im Kontrapunkt beginnen, ein bezahlbarer Klavierlehrer war noch nicht gefunden. Der jüngere Bruder von Joseph Haydn war Hof- und Domorganist und ein auch in weltlichen Gattungen angesehener Komponist, 60 Jahre alt und eine ehrfurchtgebietende Autorität. Bei ihrer ersten Begegnung führte ihm Carl Maria sein mittlerweile beeindruckendes pianistisches Können mit einem Konzert von Leopold Koželuh vor, mit Liedern von Vincenzo Righini, Genovefas ehemaligem Lehrer und Trauzeugen, der nun am Berliner Hof tätig war, und mit einem Stück aus dem Tod Jesu von Heinrich Graun. Der Vater legte dem Brief an Heuschkel eigene Zeilen bei, lobt darin den früheren Lehrer und Hildburghausen und macht Salzburg schlecht: »Es fehlt hier nicht an großen Leuten, aber es sind lauter liederliche versoffene Kerls, denn der Wein ist zu wohlfeil, die halbe Bouteille 6 Kreuzer.« Er beneidet Haydn um dessen schönes, für ihn selbst unerschwingliches Fortpiano, um erst dann darauf zu sprechen zu kommen, dass seine Frau »dem Tode so nahe … schon gegen drei Monate zu Bette«18 liege, weshalb er auch noch kein Oboenkonzert geschickt habe, was er aber auf jeden Fall tun werde. Carl Maria sollte allerdings weder jetzt noch später je ein solches schreiben, und der Vater hätte es kaum gekonnt. Michael Haydn ließ Carl Maria auch bei seinen Kapellknaben mitsingen, der dadurch wohl zum ersten Mal und relativ spät mit katholischer Kirchenmusik in Berührung kam.

      Genovefa von Webers Erkrankung war eine tuberkulöse Infektion, der die Ärzte damals noch vollkommen ratlos gegenüberstanden. An eine wesentliche Linderung der Symptome oder gar Aufschub des tödlichen Verlaufs durch günstige Lebensbedingungen und Pflege war unter den Weberschen Lebensumständen nicht zu denken. Sie starb am 13. März 1798. Ihre letzte Ruhestätte fand sie auf dem Sebastiansfriedhof, wo sich auch das Grab von Leopold Mozart befand und wo viel später auch Constanze Nissen, verwitwete Mozart, geborene Weber aus Zell im Wiesental, beerdigt wurde. Tante Adelheid, schon fast siebzig, musste die Mutterrolle übernehmen, wohl weniger für Carl Maria als für seine noch kein ganzes Jahr alte Schwester Maria Adelheid, wie sie gerufen wurde. Sie hätte eher einer jungen Amme bedurft, die man sich aber nicht leisten konnte.

      Michael Haydn (1737-1806)

      Selbstbewusst, aber vergeblich, bietet der noch nicht Zwölfjährige, den der Vater meist als ein Jahr jünger ausgibt, was bei Carl Marias schmächtiger Gestalt niemand anzweifelt, dem Leipziger Verleger Gottfried Christoph Härtel von Breitkopf & Härtel Anfang September sechs kleine Fugen an, die er in Salzburg bei der Mayrischen Buchhandlung hatte drucken und in Kommission nehmen lassen. Sein erstes gedrucktes Werk, kurze Kompositionsetüden bestenfalls, die nicht auf einen Wunderknaben schließen ließen. Vater und Sohn fuhren wohl auch einmal nach Wien, um zu sondieren, ob Joseph Haydn, der gerade seine Schöpfung vollendet und in privatem Kreis uraufgeführt hatte, nach seinem Bruder der nächste Lehrer Carl Marias werden könnte. Michael Haydn fand, anders als der junge Heuschkel, wohl nicht den rechten pädagogischen Zugang zu seinem Schüler, der später meinte: »Der ernste Mann stand dem Kinde noch zu fern, ich lernte wenig bei ihm und mit großer Anstrengung.«19 Aber weder Joseph Haydn noch Joseph Grätz in München, früher selbst Schüler des Salzburger Haydns, nahmen ihn an, zumindest nicht zu Konditionen, die man sich leisten konnte. Grätz war in der Welt herumgekommen, ehe er sich in München als »Hofclaviermeister« niederließ, und als Pädagoge und Theoretiker sehr angesehen. Die vier Webers übersiedelten dennoch noch im Herbst 1798 in die Hauptstadt des bayerischen Kurfürstentums. Grätz hatte sie an seinen Schüler Kalcher verwiesen, mit 34 Jahren nur vier Jahre jünger als er selbst und mittlerweile Hoforganist.

      Die Fahrt von Salzburg nach München dauerte nur zwei Tage mit der Kutsche und war bei weitem nicht die anstrengendste in den letzten Monaten. Aber nur für wandernde Gesellen ohne Plan und Ziel und für vornehme Herrschaften mit eigenem Wagen und Personal hatte das Reisen in jenen Jahren vielleicht auch eine beschauliche Seite. Für einfache Leute, die womöglich noch mit Gepäck – man denke nur an die vielen Noten – unterwegs waren, bedeutete es Mühsal und Gefahr. Nicht nur wegen der Witterung, sondern auch der Un- und Überfälle wegen, mit denen man rechnen musste. Das Reisegepäck der Webers war glücklicherweise inzwischen etwas reduziert. Die Theaterkostüme, die er nun nicht mehr brauchte, hatte Franz Anton nach Weimar geschickt, in der Hoffnung, dafür etwas Geld von Goethes Theater-»Geschäftsführer« Franz Kirms zu erhalten. Das kam aber nicht, sodass er darum bat, die Sachen an Fridolin nach Nürnberg zu schicken. Überdies reiste man mit einer alten Dame, der Tante, und dem Kleinkind Maria Adelheid. Das Kind, dem es an Fürsorge gemangelt haben muss, starb am 29. Dezember 1798, anderthalb Jahre alt, in München.

      Franz Anton von Weber soll sich in München mit einer gewissen Laura von Beer, geborener Münster, verlobt haben, was seinen Grund in der Sorge um Maria Adelheid gehabt haben mag. Von dieser Beziehung weiß man nur durch Ferdinand von Lütgendorff, zu dessen weiterer Verwandtschaft Frau von Beer zählte. Er war ein Münchner Kamerad Carl Marias und erzählte seinen Nachfahren später auch eine schwärmerische Begebenheit aus gemeinsamen Jugendtagen, als die beiden Freunde befürchteten, durch die Pläne ihrer Väter auseinandergerissen zu werden: »In einer mondhellen Nacht schlichen sie sich aus den elterlichen Wohnungen in den damals noch sehr jungen ›Englischen Garten‹ … In der Nähe eines künstlich angelegten Wasserfalls hielten sie an, nahmen feierlich Abschied von der Welt, umschlangen sich zärtlich und stürzten sich ins Wasser. Glücklicherweise waren sie aber bemerkt worden und konnten ziemlich leicht gerettet werden, da das Wasser nicht sonderlich tief war.«20

      Johann Nepomuk Kalcher war eine eher akademische Natur, und Weber erinnerte sich später dankbar an einen »klaren, stufenweise fortschreitenden, sorgfältigen«21 Unterricht. Das bühnenhaft impulsive Talent des jungen Musikers förderte parallel ein schon über 60 Jahre alter ehemaliger Opernsänger und Gesangspädagoge: Johann Evangelist Wallishauser stammte aus dem oberbayerischen Unterhattenhofen und war schon mit 21 Jahren kurfürstlicher Hof- und Kammersänger geworden. 1775 hatte er als Belfiore bei der Uraufführung von Mozarts La finta giardiniera mitgewirkt, dann war er nach Italien gegangen, von wo er als Giovanni Valesi zurückkam und sich fortan auch zuhause so nannte. Bei ihm nahm Carl Maria »Singunterricht«, denn wer für Sänger komponieren wollte, so Franz Antons Überzeugung, der sollte selbst singen können.

      Anders als er hatte der Mannheimer und später Münchner Hofschauspieler Franz Peter Senefelder seine Kinder vom Theater fern halten wollen. Sein Sohn Aloys, 1771 in Prag


Скачать книгу

<p>16</p>

Frank Ziegler: Carl Maria von Webers Familie und ihr »Adel« – zur Entstehung einer Legende, in: Jahrbuch für Heimatkunde, Eutin 2012, S. 58.

<p>17</p>

Gerard Steiner: Geschichte des Theaters zu Hildburghausen, Rodach 1990, S. 79.

<p>18</p>

Hans Christoph Worbs (Hg.): Carl Maria von Weber – Briefe, Frankfurt 1982, S. 14.

<p>19</p>

Carl Maria von Weber: Autobiographische Skizze.

<p>20</p>

Willibald Leo Freiherr von Lütgendorff: Der Maler und Radierer Ferdinand von Lütgendorff – Sein Leben und seine Werke, Frankfurt a. M., 1906, S. 12ff.

<p>21</p>

Carl Maria von Weber: Autobiographische Skizze.