Carl Maria von Weber in seiner Zeit. Christoph Schwandt

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Carl Maria von Weber in seiner Zeit - Christoph  Schwandt


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Carl Maria spielte, wandte ihm der Alte sehr sorgfältig die Notenblätter um. Aber die Kunst des jungen Virtuosen war entweder nicht so groß, oder man verstand ihn nicht zu würdigen; genug, er gefiel fast gar nicht, und folglich mußte der gute Weber mit fehlgeschlagenen Hoffnungen Hamburg verlassen.«40 Franz Anton war ein erhebliches finanzielles Risiko eingegangen. Er hatte für die Akademie das Theaterorchester, einen Violinsolisten und drei renommierte Mitglieder des Opernensembles engagiert, die eine Nummer aus Peter Schmoll darboten. Für die Webers wird von den Einnahmen nicht viel übrig geblieben sein. Carl Maria spielte ein Mozart-Klavierkonzert und ein eigenes, bei dem es sich um eine verschollenes Jugendwerk gehandelt haben könnte, das allerdings nirgendwo sonst Erwähnung fand. »Oder war die Ankündigung lediglich ein Werbetrick«, was Frank Ziegler für möglich hält, »und die Komposition nicht von ihm?«41

      In Hamburg komponierte Carl Maria von Weber sein erstes erhaltenes Klavierlied und vertonte damit zum ersten Mal einen Text außerhalb eines theatralischen oder liturgischen Zusammenhangs, wenn er denn von der Messe überhaupt etwas komponiert hatte. »Ungern flieht das süße Leben/Auch aus dir …«, so beginnt das Gedicht Die Kerze von Gerhard Anton Hermann Gramberg, einem Juristen in oldenburgischen Diensten, das er mit einem zweiten aus Grambergs Feder wohl aus Eutin mitgebracht hatte. Auch das zweite mit dem Titel Umsonst setzte er in Hamburg in Musik und widmete es einer Madame Scharf, einer Unbekannten, die seinen weiteren Lebensweg nicht mehr kreuzte. Beide Lieder sind schlicht gesetzt mit der Singstimme in der rechten Hand der Begleitung. Dem »schönen Geschlecht in Hamburg« widmete er auch sechs mal 16 Takte pianistische Tanzmusik, Sechs Ecossaisen, »schottische«, also polkaartig geradtaktige »Country-Dances«/Kontretänze mit kontrastierenden Affekten nach dem aktuellen Geschmack. Sie wurden sogar bei Johann August Böhme in Hamburg verlegt. Der Jüngling Carl Maria gefiel, auch wenn er weder groß noch kräftig und auch nicht das war, was man einen schönen jungen Mann hätte nennen können. Ein markanter Kopf mit hohen ausgeprägten Wangenknochen auf einem schlanken langen Hals, ausdrucksvolle dunkle Augen, eine deutliche Nase und seine angenehme dunkle Stimme weckten die Aufmerksamkeit. Das wegen der rechtsseitigen Hüftgelenksluxation nachgezogene Bein ließ ihn vielleicht interessanter erscheinen als manch anderen Pubertierenden, der sich auf dem gesellschaftlichen Parkett um Fräuleins oder Demoiselles bemühte.

      Auf dem Hin- und Rückweg machte man an früheren Wirkungsstätten Halt, in Sachsen-Meiningen und Sachsen-Hildburghausen. Diese beiden relativ großen deutschen Kleinstaaten sollte es auch noch ein Jahr später geben, als nach dem Reichsdeputationshauptschluss, der gerade in Regensburg erarbeitet wurde, deutsche Kleinstterritorien in größeren aufgingen und die Reichsstädte ihre Reichsunmittelbarkeit verloren, um damit linksrheinische Gebietsverluste auszugleichen. Geistliche Fürstentümer gab es nun außer den Gebieten, die Karl Theodor von Dalberg als Bischof von Regensburg regierte, keine mehr; überhaupt war das Gewicht der protestantischen Kurfürsten im Reich gegenüber dem römisch-katholischen Kaiser entschieden größer geworden. Erstmals kamen die Webers auch nach Sondershausen, wo der residierende Schwarzburgische Fürst zwar den Künsten zugeneigt war, mehr aber noch der Jagd. Viel wichtiger als das Vorsprechen bei Hofe war daher der Besuch bei Ernst Ludwig Gerber, dessen zweibändiges Historisch-biographisches Lexikon der Tonkünstler ein wichtiges Nachschlagewerk war, das ständig aktualisiert wurde. Mit ihm bekannt zu sein, war für das Fortkommen eines jungen Musikers durchaus von Bedeutung.

      In der älteren Weber-Literatur liest man, dass Edmund von Weber den Ausschlag dafür gab, sich nach der norddeutschen Exkursion in Augsburg niederzulassen. Es gibt aber keinen belastbaren Hinweis darauf, dass dieser um 1802 in der Fuggerstadt gewirkt haben könnte. Ende 1802 war er in Coburg, wo ihn Vater und Bruder, die dort nachweisbar Station machten, vielleicht getroffen haben. Carl Maria und der Vater besuchten Musikdirektor Georg Laurenz Schneider, der auf Geheiß von Herzog Franz Friedrich Anton von Sachsen-Coburg-Saalfeld das Musikleben an dessen Residenz in diesen Jahren großzügig ausbaute. Schneider hatte wohl Interesse an Peter Schmoll bekundet, er kaufte sogar Stimmen, führte ihn dann aber doch nicht auf. »Er componirt vortrefflich, mit unendlichem Feuer, Gefühl, Kunst und Originalität. Er spielte mir Einiges aus seinen Opern …«42, schrieb Carl Maria von Weber seinem Salzburger Freund Thaddäus Susan. Die Schneiderschen Werke hießen Algol oder das versöhnte Schicksal und Die Hochzeit im Bade, beide im Jahre 1800 geschrieben auf Texte des Hofbeamten Carl August Freiherr von Wangenheim, den Weber bei dieser Gelegenheit ebenfalls kennenlernte.

      Die Entscheidung für Augsburg hing wohl eher mit Franz Antons Einschätzung der dortigen Möglichkeiten zusammen. In der Nürnberger Zeit waren die Webers schon einmal in die schwäbische Stadt gereist, und Carl Maria hatte vor Fürstbischof Clemens Wenzeslaus gespielt. Der war noch nicht lange in Augsburg. Er war vor den Franzosen aus dem Trierer Bistum, dem er gleichzeitig vorgestanden hatte, geflohen und hatte die renommierte Hofkapelle aus seiner Residenz in Koblenz mitgebracht. Dass er nach dem Frieden von Luneville auch des vergleichsweise winzigen Territoriums des Augsburger Hochstifts – mit einer Sommerresidenz in Oberdorf, der Heimat der verstorbenen Genovefa, die er dort vielleicht sogar gefirmt hatte – verlustig gehen würde, war bereits abzusehen. Die Kathedrale seines Bistums stand aber, wie diejenige in Lübeck, in einer freien Reichsstadt. Die Augsburger Bürger hatten ein Stadttheater, und es gab dort etliche Instrumentenbauer und Verlage, wie den von Johann Carl Gombart, der auch mit den Senefelders lithografische Versuche unternahm.

      Clemens Wenzeslaus war ein Enkel von August dem Starken, der sächsische Kurfürst Friedrich August III. war sein Neffe. Vielleicht erleichtert das dessen Frau zugeeignete Waldmädchen Carl Maria und dem Vater das neuerliche Entrée in Augsburg, aber auf die aristokratische Widmungskarte allein wird nicht mehr gesetzt. Bei Gombart erschienen noch 1802 Douze allemandes pour le piano forte composés et dediés a Madlle. Lisette d’Arnhard, die zwölf Deutschen Tänze, die André nicht genommen hatte, nunmehr französisch betitelt. Das war auch früher schon Mode in deutschen Landen gewesen, inzwischen war aber Französisch nicht mehr nur vornehm, sondern auch fortschrittlich. Die Demoiselle d’Arnhard, ein Fräulein, das wahrscheinlich Elisabeth getauft war, war die Tochter eines wohlhabenden Münchner Unternehmers und Ratsherrn. Wann und wie nahe Weber sie, der er sein opus 4 zugeeignete, kennengelernt hatte, weiß man nicht; aber einmal sollten sie sich auf jeden Fall noch wiedersehen. Opus 3 erschien nun auch bei Gombart, aber erst nach der Jahreswende: Die Six Petites Pièces faciles aus Salzburger Tagen wurden Johann Paul Schulthesius gewidmet, einem prominenten Klaviervirtuosen aus Sachsen-Coburg-Saalfeld, der im Hauptberuf Pastor der evangelischen Gemeinde deutscher und niederländischer Seefahrer in Livorno war. Weber kannte ihn nur par renommée, weil Schulthesius auch bei Gombart drucken und verlegen ließ.

      In dieser Zeit muss es auch zur Augsburger Uraufführung des Peter Schmoll gekommen sein, der mutmaßlich einzigen Einstudierung des Werks zu Webers Lebzeiten – »ohne sonderlichen Erfolg, wie natürlich.« Diese fünf Worte aus Webers Autobiographischer Skizze sind die einzige Information über das Bühnenschicksal seiner Oper. Ein Datum ist nicht bekannt, auch nicht welche Truppe – vielleicht die »Büchnersche« oder »Buchnersche« – die Aufführung bestritt, die im noch bis 1877 bespielten alten städtischen Augsburger Theater am Lauterlech stattfand. Peter Schmoll und seine Nachbarn fiel der Vergessenheit anheim. Manches, was es dem Komponisten wert erschien, wurde in andere Werke übernommen. Die handschriftliche Partitur und ein gedrucktes Büchlein mit den Gesangstexten blieben erhalten, nicht aber die stücktragenden Dialoge, weshalb man im 20. Jahrhundert, als man sich des Werks wieder besann und sogar eine CD produzierte, das Singspiel mehrfach grundlegend bearbeitete, wobei des Guten entschieden zu viel getan wurde, sodass Webers Musik letztlich eine ganz andere Geschichte illustrierte.

      Am letzten Junitag des Jahres 1803 war Carl Maria von Weber noch in Augsburg, das belegt ein Brief an Susan in Salzburg, der Jurist und zugleich Flötist im Theaterorchester und in der fürstbischöflichen Kapelle war. Weber hat vor, selbst ein Musiklexikon zusammenzustellen, und Susan arbeitet ihm zu. Dies ist das erste Projekt, das von seinem Sinn für ordnende Systematik zeugt, den er trotz des unsteten, wechselvollen, um nicht zu sagen chaotischen Lebens, das er mit seinem Vater führt, ausbildet. Dann fuhr Carl Maria im Juli – ohne seinen Vater! –


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<p>40</p>

Carl Ludwig Costenoble: Tagebücher von seiner Jugend bis zur Übersiedlung nach Wien, Berlin 1912, Band 1, S. 173.

<p>41</p>

Frank Ziegler: Die Webers und Hamburg, in: Weberiana 23 (2013), S. 62.

<p>42</p>

23. Dezember 1802.