Sprachkunst. Dietmar Wolfgang Pritzlaff

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Sprachkunst - Dietmar Wolfgang Pritzlaff


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war dermaßen von London überwältigt, dass ich ein episches Werk aus dem Bericht machte. Mit fantastischen Gefühlsüberwältigungsbeschreibungen und natürlich Metaphern, weil die Beschreibung eines Bildes mir nie reichte. Ich brauchte mehr und schrieb mehr.

      Big Ben der Uhrenturm am Parlamentsgebäude hatte mich gefangen genommen. Sein dröhnender Klang ließ sogar den Straßenbelag vibrieren, so kam es mir vor und das schrieb ich auch voller Enthusiasmus. Wolken, die auf Big Ben zusteuern, reißen auseinander vor Ehrfurcht vor dem Turm und seiner spitzen Spitze. Das Glockenspiel klang fast wie ein Schluchzen aus tiefster Seele. Wie ein Hilferuf: „Ich bin so einsam.“

      Ich war von meinen eigenen Gefühlsbeschreibungen überwältigt und gab gerne meine Arbeit bei dem Lehrer ab, wusste ich doch, welch großartigen Bilder und Gefühle ich beschrieben hatte. Jetzt konnte die Eins kommen.

      Nichts war es mit einer guten Note. Ich bekam eine meiner schlechtesten Note meiner gesamten Schulzeit. Eine Fünf. Thema verfehlt! Ein Zustandsbericht ist sachlich, klar. Erzählt nicht, sondern beschreibt konkrete Beobachtungen. Punkt!

      London sachlich beschreiben? Wie das denn? Für mich war der Lehrer ein ungehobelter unsensibler, nicht zu beeindruckender Korinthenkacker, dem gute Literatur wohl völlig fremd war. Ich war zutiefst geschockt, verärgert und beleidigt.

      Der Lehrer hörte aber nicht auf in der Wunde herumzustochern. Vor der gesamten Klasse las er Textzeilen vor. Der Lehrer hatte seinen Spaß und die Schüler lachten mit über einen „so großen Blödsinn“. Es wurde mir heiß, ich lief rot an. Mir war es plötzlich peinlich meinen Gefühlen voller Fantasie freien Lauf gelassen zu haben und wollte keinen Zustandsbericht. Ich wollte den großen Roman. Das dieser Lehrer es gewagt hatte meine Geschichte in den Schmutz zu treten. Ungeheuerlich! Ich begann diesen Lehrer wirklich abgrundtief zu hassen. Noch heute kann ich mich über diesen Lehrer mächtig ereifern. Ich kann ihm diese Tat nicht verzeihen.

      Er hätte mir ja „nur“ die Arbeit mit der schlechten Note zurückgeben können, aber nein. Er musste sich ja noch in meiner Verschämtheit, in meiner Peinlichkeit wälzen.

      Konkretes wurde mir immer unbeliebter. Lieber malte ich Bilder wie... oder als ob... oder weil... Es musste immer mehr herhalten, als das Objekt hergab. Fand ich einfach spannender.

      Ich lernte aus dem Sachverhalt eine Menge. Zuerst kommen das Thema und dann der Inhalt. Wenn es denn so sein muss. Das lehrte mich für spätere Zeiten genauer hinzusehen. Als ich über die japanische Gedichtform HAIKU stolperte, las ich erst drei Monate Lektüre zum Thema, dann die dazugehörenden Haiku und dann ging es erst an meine eigenen Werke. Hat der Berichtsvorfall doch noch was bewirkt und ich wurde wirklich konkret, was aber nicht allen Lesern und Kritikern gefiel.

      In der Schulzeit gab es auch immer mal wieder Texte die mich völlig beeindruckten. Von denen ich mehr lesen wollte. Die ich sogar bis heute fast vollständig auswendig aufsagen kann. Da ist zum einen der Liedtext DER MOND IST AUFGEGANGEN von Matthias Claudius. Von 1779. Ein uraltes Lied, welches meine Mutter mir immer vorsingen musste, weil ich es mir wünschte. Unheimlich schön und tief traurig. Deutsche Romantik und Melancholie verquickt zu wunderschönen Versen. Das dieser Liedtext dann auch in der Schule Thema wurde, freute mich sehr. Wie ich dieses Lied doch liebe. Aber immer wieder eine Qual. Ja, Qual! Wenn ich nur die ersten Zeilen lese, kommen mir schon die Tränen. Vorsingen könnte ich es niemals, dann würden Bäche laufen. Unglaublich diese Anrufung Gottes, dem man sein ganzes Leben in die Hände legt und das Flehen einer solchen Macht uns sanft in den Himmel mitzunehmen. Als Kind schon fand ich es schrecklich, jemanden den man nicht sieht anzuflehen und dann kann er uns noch mit Tod und Sünde strafen. Für eine Kinderseele viel zu viel.

      Dann gab es noch das Gedicht IN DIESER MINUTE von Eva Rechlin. Ein Gedicht zum Zustand „jetzt – auf dieser Welt“. Das faszinierte mich und brachte mich dazu, über die Welt nachzudenken. Vorher war die Welt so klein und winzig. Ich kannte die elterliche Wohnung, Kindergarten und den Wald zum Spielen. Meine kleine Welt. Wieso sollte ich mir Gedanken machen über die Antarktis? Warum über ein Kamel in der Wüste nachdenken? Dieses Gedicht lies mich über die Grenzen schauen und ich machte mir Gedanken über fremde Länder, Menschen und Kontinente. Eine echte Bereicherung. Später schrieb ich ein Theaterstück gleichen Namens und gleichen Themas.

      Und auch das nächste Gedicht ist von schlagkräftiger Traurigkeit: HERR VON RIBBECK AUF RIBBECK IM HAVELLAND von Theodor Fontane. Ich war zutiefst traurig über den jungen Herrn von Ribbeck. Er ließ keine Kinder mehr an die Früchte des Birnbaums. Der gestorbene Alte traute seinem eigenen Sohn nicht und ließ sich eine Birne ins Grab legen, damit, wenn der Baum groß genug wachsen würde, wieder Kinder von seinen Früchten essen konnte. Herrlich. Ich war geschockt von der Bosheit des Jungen von Ribbeck und erleichtert über die Großherzigkeit des Alten.

      Kapitel 3: Literaturspielchen

      Ich war und bin ein Gesellschaftsspiele-Fan. In der Familie waren wir immer sehr verspielt. Wenn Freunde und Bekannte sich trafen, gab es immer wieder gesellige Spiele. Mensch-ärgere-Dich-nicht, Tabu oder Nobody’s perfekt gehören ebenso dazu, wie Kartenspiele. Ich fand auch Literatur-Spiele einfach nur genial.

      Zum Beispiel: Jeder denkt sich ein Wort aus und aus allen gesammelten Wörtern muss man in drei oder fünf Minuten eine kurze Geschichte schreiben, in der alle genannten Wörter vorkommen müssen.

      Oder auch das alte Schreibspiel „Onkel Otto sitzt in der Badewanne…“: Jemand beginnt einen ganzen und einen halben Satz auf ein Blatt Papier zu schreiben. Jetzt wird das Blatt geknickt, sodass der erste Satz nicht mehr zu lesen ist, nur der halbe Satz ist zu lesen und muss vervollständigt werden. Man muss Bezug auf die schon geschriebenen Wörter nehmen und weiter dichten.

      Bei einem solchen Literaturspiel entstand folgender Blödsinn:

      Man nehme ein Pferd und ein Pony

      Weil es so schön ist und obszön anturnt

      Wenn man den Nösel in die Pfanne steckt

      Und damit in die Röhre guckt

      Was auch immer das bedeuten soll. Ganz bestimmt keine hohe Literatur. Niveau gleich Null, aber herrlich erquickend und einfach nur spaßiger Unsinn.

      Leider habe ich diese literarischen Ausflüsse nicht verwahrt. Da waren noch ganz andere dumme Geschichten gesponnen worden. Schade eigentlich!

      Kapitel 4: Mein erstes Gedicht

      War es Heinz Erhardt, Loriot, Otto Waalkes oder Hape Kerkeling, der mich am meisten lachen ließ? Ich weiß es nicht genau. Eins weiß ich sicher, mit diesen Herren und natürlich weiteren, und ihrem herrlichen Humor, Blödsinn und Ulk wuchs ich auf.

      Das Fernsehen gab damals nur drei Programme her. Und die ganze Familie versammelte sich gerne zu Unterhaltungsshows. Die wurden zusammen geschaut und es wurde schallend gelacht.

      Eine Art Erhardt-Gedicht schwebte mir vor, als ich mit 13 Jahren im Jahr 1976 mein erstes eigenes Gedicht AUF DEM EISE formulierte. Zwischen Schulaufgaben hin gekritzelt und meiner Familie vorgetragen. Ich dachte, es müsste die Familienmitglieder einfach vom Hocker hauen. Bis auf ein müdes Lachen und „das ist ja schön“ war es das dann auch schon mit Lobhudelei.

      AUF DEM EISE

      Zwei Jungen rutschen auf dem Eise

      Der eine hat ne kleine Meise

      Rutscht auf dem Hosenboden lang

      Da ruft der Andere bang

      „Den Abhang fällst du gleich hinunter

      dort fangen dich die Mädchen auf

      und ziehen dir die Hosen runter.

      Dann stehst Du da mit nacktem Popo

      Da schreien die Mädchen O-ho!“

      Nicht gerade


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