Im gleißenden Licht der Sonne. Clare Clark

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Im gleißenden Licht der Sonne - Clare  Clark


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angekommen ließ eine schläfrige Frau Lang, die ein Gähnen unterdrücken musste, Julius herein. Eine einzige schwache Lampe erleuchtete die Eingangshalle. Niemand spielte Musik in voller Lautstärke, johlte auf der Treppe oder schüttete Champagner über die Balustrade der Galerie. Luisa und ihre Freunde hatten ihre Spuren im Haus hinterlassen wie Puppen, aus deren Löchern die Füllung rieselte, ihre Wege waren markiert mit achtlos abgelegten Pelzen, leeren Gläsern und leichten Schuhen, die umgekippt wie Betrunkene herumlagen. Ohne Luisa, ohne ihre kreischenden Kumpane war die Villa zu sich selbst zurückgekehrt, dezent und makellos.

      Frau Lang hatte im Arbeitszimmer das Kaminfeuer angezündet. Sie kannte seine Gewohnheiten, man musste es ihr nicht eigens auftragen. Im Schein der Flammen tanzte die Wand in orangefarbenen Tönen, und der blanke Nagel grinste Julius an wie der Kopf eines Wasserspeiers mit herausgestreckter Zunge. Als Julius die Lampe anschaltete, schrumpfte das Trugbild zusammen und sank in die Wand zurück. Böhm hatte wie versprochen die sofortige Rückgabe des van Gogh verlangt und zur Antwort von Luisas Anwälten nur höfliche Ausflüchte erhalten. Seither waren mehrere weitere Schreiben ausgetauscht worden. Eines, das Julius Böhm diktiert hatte, enthielt akribische Anweisungen zur Behandlung des Bildes, den dringlichen Hinweis, dass es in einer angemessenen Umgebung aufbewahrt werden müsse, keinem direkten Sonnenlicht und weder Trockenheit noch Feuchtigkeit ausgesetzt werden dürfe, da dies alles der empfindlichen Farboberfläche Schaden zufügen würde.

      Die Antwort von Luisas Anwalt war kurz. Seien Sie versichert, schrieb er, dass meine Klientin sich des Werts ihres Eigentums vollkommen bewusst ist.

      Der Glaser hatte endlich die Fensterscheibe im Arbeitszimmer ersetzt. Der Widerschein der Lampe schimmerte auf dem schwarzen Glas, ein van Gogh’scher Wirbel aus gelblichem Gold. Julius starrte auf die leere weiße Wand, und die Wut, die ihn packte, war ihm wie ein tröstlicher Gefährte.

      Es war Ende April, als Rachmann ihm schrieb und fragte, ob Julius bereit sei, sich noch einmal mit ihm zu treffen. In der Meierstraße standen die Kirschbäume in voller Blüte, Wolken aus Rosa und Weiß, und ein ehemals drei Mark teurer Laib Brot war nicht mehr unter eintausendfünfhundert Mark zu bekommen. Im Ton erlesen höflich, verhehlte der Brief nicht, wie aufgewühlt der junge Kunsthändler war. Ein mit seinem Vater befreundeter Buchhändler habe sich das Leben genommen, seiner Witwe bleibe nichts übrig, als alle Bestände zu verkaufen. Unter den Bücherstapeln habe Rachmann ein Konvolut Zeichnungen entdeckt. Ob Julius vielleicht einmal einen Blick darauf werfen wolle? Er habe der Familie versprochen zu helfen, so gut er könne.

      Bitte entschuldigen Sie meine Unverschämtheit, schrieb er, aber hätten Sie vielleicht morgen Nachmittag Zeit?

      Julius’ Terminkalender war bereits unerfreulich voll, eine Sitzung der Preisjury, der er vorstand, danach ein Treffen mit Geisheim, Redakteur bei der Tribüne, für die er regelmäßig eine Kunstkolumne verfasste. Er bat Fräulein Grüber, diese Verabredung um einen Tag zu verschieben. Zeitungsleute waren die Launen der Umstände gewohnt. Er würde sich mit Rachmann um fünf Uhr treffen.

      »Im Adlon?«, fragte die Stenotypistin, aber Julius schüttelte den Kopf. Seit auch noch die Japaner dem Kaufrausch verfallen waren, war das Adlon unerträglich geworden.

      »Nein, hier«, sagte er, und der Gedanke daran hob seine Stimmung.

      Rachmann wartete bereits, als Julius von der Sitzung nach Hause kam.

      »Eine halbe Stunde zu früh«, sagte Frau Lang missbilligend. »Ich habe ihn zum Warten in den Morgensalon geschickt. Hoffentlich hat er nicht Fräulein Grüber von ihrer Arbeit abgelenkt.«

      Sie führte Rachmann ins Arbeitszimmer. Julius beobachtete den jungen Mann dabei, wie er sich umsah, den Pissaro mit seinen schimmernden Silberbirken betrachtete, die Munch-Zeichnungen in ihrem schwarzen Rahmen, die kleine Figur von Claudel, die er als Ersatz für die Rosso-Büste auf dem Kaminsims aus seinem Schlafzimmer geholt hatte.

      »Was für schöne Dinge«, sagte Rachmann.

      Deshalb hast du mich doch ausgesucht, als weiteres Ausstellungsstück für dein verdammtes Museum! Luisas Stimme dröhnte ihm so schrill in den Ohren, als habe sich in der Zeit ein Riss aufgetan. Ein wenig unbehaglich zumute, bedeutete er dem jungen Mann, die Zeichnungen auf den Schreibtisch zu legen, aber Rachmann hatte sich zur nackten Wand gedreht und bemerkte Julius’ Geste nicht.

      »Sagen Sie mir, dass Sie es immer noch sehen«, murmelte Rachmann, und Julius hatte das Gefühl, durch den Schock wie ins Weltall geraten zu sein, in ein Nichts, wo eigentlich fester Boden sein sollte. Julius starrte den jungen Mann an, der lächelte, als sei nichts dabei, jemandem den Schädel zu öffnen und hineinzublicken. »Sagen Sie mir, dass Sie das Sehen nicht vergessen und dieses Zimmer Sie nach wie vor jeden Tag anrührt.«

      Julius zuckte die Achseln. Er hätte wissen müssen, dass der junge Mann nur die Werke meinte, die er hier vor Augen hatte. Er fühlte sich töricht und war zugleich ein wenig enttäuscht. »Aber ja, ich sehe sie noch«, erwiderte er, und Rachmann nickte mit einem Ausdruck amüsierter Skepsis. Erneut hatte Julius das verstörende Gefühl, der junge Mann könnte seine Gedanken lesen. »Allerdings vielleicht nicht so oft, wie ich es sollte«, räumte er ein.

      Rachmanns Lächeln wurde sanfter. »Da bin ich aber froh, dass Sie manchmal nicht hinsehen. Denn andernfalls kämen Sie nie zum Schreiben.«

      Julius ließ Rachmann die mitgebrachten Zeichnungen auf dem Schreibtisch ausbreiten. Die meisten waren unbedeutend. Doch eine unsignierte Rötelzeichnung ließ sein Herz schneller schlagen. Ein männlicher Akt in klassischer Pose, der Körperschwerpunkt auf der rechten Hüfte, die Rundung des muskulösen Bauchs als Gegenstück zur Ausbuchtung der rechten Gesäßbacke, der Inbegriff unbekümmerter Männlichkeit. Julius hätte den Zeichner ebenso wenig verwechseln können wie sein eigenes Spiegelbild.

      »Ein Marées«, sagte er, unfähig, seine Freude zu verbergen. »Ohne jeden Zweifel. Eine Vorstudie zu den Hesperiden. Ein wenig mangelhaft, da ist es überzeichnet, haben Sie gesehen? Er schien sich des Winkels nicht sicher zu sein. Aber ansonsten sehr schön, wirklich sehr schön.«

      Rachmann atmete tief aus, die Fingerknöchel an die Lippen gepresst. »Gott sei Dank.«

      »Hatten Sie es vermutet?«

      »Ich habe es gehofft. Frau Schmidt musste so viel durchmachen.«

      Julius betrachtete die Zeichnung, die vorzügliche, sparsame Linienführung, und dachte an die Witwe in Düsseldorf, an ihren Mann, ihren Laden und dass alles jetzt mit einem Schlag verloren war. Die Inflation verhöhnte geradezu das beharrliche Vorsorgeverhalten der deutschen Mittelschicht, verwandelte ihr lebenslang gewissenhaft in die Rentenkasse eingezahltes Geld in eine Handvoll Staub. Es hieß, in Berlin würde jeden Tag ein Mensch Selbstmord begehen.

      »Sie sollten sogar jetzt noch einen anständigen Preis dafür bekommen«, sagte er. »Dass die Zeichnung eine Vorstudie zu einer höchst geschätzten Arbeit ist, wird ihren Wert beträchtlich steigern.«

      »Ein wunderbares Bild, nicht? Ich wünschte, ich könnte es mir leisten, es selbst zu kaufen. Der Gedanke, es wegzugeben …« Rachmann schüttelte betrübt den Kopf. »Ich fürchte, für einen Händler habe ich die ganz falsche Begabung.«

      »Im Gegenteil. Wenn es Ihnen nicht das Herz brechen würde, eine Arbeit wegzugeben, hätten Sie gar nicht erst das Gespür, es anzukaufen.«

      Automatisch blickte Julius von der Zeichnung auf die Stelle an der weißen Wand, auf die die Nachmittagssonne fiel, und einen Augenblick lang sah er es, Vincents gequältes, quälendes Gesicht, das ihn unverwandt anstarrte. Dann wechselte das Licht, und das Bild war verschwunden. Julius wandte sich wieder der Zeichnung zu. Die nackte Figur stand breitbeinig, die Füße im rechten Winkel, den nackten Körper mit all der unbekümmerten Zuversicht der Jugend den Blicken darbietend, doch das Gesicht war abgewandt, die Augen geschlossen und die Arme angewinkelt, als wäre das Gefühl, das sie ergriffen hatte, einfach zu stark, um es zu bändigen. Im Garten sang ein Vogel, ein hastiges Trällern.

      »Sind Sie mit Charles Blanc vertraut?«, fragte er. »Nach der Februarrevolution war er Direktor der École des Beaux-Arts in Paris.


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