Im gleißenden Licht der Sonne. Clare Clark

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Im gleißenden Licht der Sonne - Clare  Clark


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die Geheimnisse des Herzens offenbart. Ich hätte ihm nur diese eine Arbeit hier präsentieren müssen, und seine These hätte sich in Luft aufgelöst.«

      »Du fühlst es also auch.«

      Im plötzlichen Wechsel zum vertraulichen Du lag nichts Anmaßendes. Er sprach ruhig, arglos, wie vielleicht ein Sohn mit seinem Vater spricht. Julius lächelte.

      »Wie könnte ich nicht?«, sagte er.

      Julius kaufte den Marées. Er zahlte das Fünffache dessen, was er tatsächlich wert war. Als er Rachmann den Scheck überreichte, sah er ihn nicht an, so wie er auch die Bettler in ihren grauen Armeemänteln nie ansah, wenn er ihnen einen gefalteten Geldschein in ihre ausgestreckte Hand steckte. Er wollte die finanzielle Transaktion nicht in den Augen des jungen Mannes widergespiegelt sehen, die Unverhältnismäßigkeit der Summe und gleichzeitig ihr Ungenügen. Er dachte an die Witwe in Düsseldorf und wusste, es würde nichts bewirken. Ein rasender Strudel hatte sich in Deutschland aufgetan, und er würde alle in sich hineinsaugen. Ein Mensch konnte bis auf den letzten Pfennig alles, was er hatte, in ein Loch wie dieses werfen, und nicht das Geringste würde sich dadurch ändern.

      So hatte sich das niemand vorgestellt. Den Kriegsausbruch hatten sie begeistert begrüßt, die Künstler und Schriftsteller, die Dichter und Musiker. Sie hatten sich eine große Läuterung versprochen, die rückhaltlose Säuberung einer verdorbenen, philisterhaften Welt, aus deren Asche sich ein neues, reineres Deutschland erheben würde. Ein natürliches Kunstwerk, wie Karl Scheffler es genannt hatte. Da Julius für den Einsatz an der Front zu alt war, hatte er sich freiwillig als Sanitätsfahrer verpflichtet, als Soldat in einem heiligen Kampf, durch den die Welt – wie er glaubte – einen neuen Stand der Gnade erlangen würde. Die Schrecken des Krieges hatten seine Ansichten grundlegend verändert, aber nicht völlig jene Hoffnung ausgelöscht. Krank vor Angst und Erschöpfung, die Kleidung steif vom geronnenen Blut anderer Männer, hatte Julius in endlos langen Monaten oft an Dostojewski gedacht, diesen widerwilligen Soldaten, der begriffen hatte, was alle Soldaten einmal begreifen: dass Menschen keine Götter sind und für jeden die einzige Hoffnung auf Erlösung darin besteht, den eigenen Anteil an Schuld, Scham und dem Schrecken des Lebens auf sich zu nehmen und gemeinsam zu ertragen, als eine Geistesgemeinschaft, geeint durch das Bewusstsein der eigenen Schwäche und der Nachsicht verpflichtet. Auf den Schlachtfeldern Flanderns glaubte man, die blinde Verdorbenheit des alten Deutschland sei für alle Zeiten überwunden.

      Ein fataler Irrtum. Fünf Jahre später war das neue Deutschland verdorbener denn je, eine gespaltene Nation von Schmarotzern und Blutsaugern: Ladenbesitzer, die ihre Waren unter der Theke gegen ausländische Währung verkauften; Schwarzhändler, die mit der einen Hand Polizisten schmierten und sich mit der anderen ihren Profit in die Tasche stopften; pelzbehangene Bauersfrauen, die sich in den Cafés am Kurfürstendamm die Sahne von den Fingern leckten, während draußen halb verhungerte Kinder die Abfalleimer nach Essbarem durchwühlten.

      Und Julius war einer von ihnen.

      III

      Drei Monate sollten vergehen, bis Julius Rachmann wiedersehen würde, drei schwindelerregende Monate mit einer Inflation, die immer schneller galoppierte und die Preise derart rasant in die Höhe trieb, dass man von einer Woche auf die nächste nicht mehr vorhersagen konnte, was bis dahin eine Tasse Kaffee, eine Taxifahrt oder eine Eintrittskarte für die Philharmonie kosten würde. Niemand wusste, wohin das alles führen würde. Vor dem Krieg konnte jemand, der mit einem Tausender herumwedelte, sicher damit rechnen, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Mitte Juni, als Rachmann brieflich anfragte, ob er Julius eine Landschaft von Trübner zur Echtheitsprüfung vorlegen dürfe, benutzten Hausfrauen Tausendmarkscheine zum Anfeuern ihrer Wasserboiler. Mit einem Hunderttausendmarkschein, im Februar eilig eingeführt, konnte man gerade einmal ein halbes Dutzend Eier kaufen, falls es überhaupt welche gab. Um dem immensen Bedarf an Banknoten nachzukommen, ließen die Geldinstitute dreißig Papierfabriken und fast zweitausend Druckerpressen rund um die Uhr laufen. Die Herstellung von Papiergeld war eine der wenigen profitablen Unternehmungen, die es in Deutschland noch gab.

      Julius beantwortete Rachmanns Brief umgehend und schlug ein Treffen am folgenden Montag vor. Er war gespannt und voller Vorfreude. Ein Trübner gehörte in eine ganz andere Kategorie als Arbeiten auf Papier, selbst wenn sie von Marées stammten, allerdings war in den letzten Monaten der Handel selbst mit derartigen Schätzen alltäglich geworden. In diesen Zeiten trennten sich die Leute von allem Möglichen – und zu unvorhersehbaren Preisen.

      Julius schrieb auch an Luisa, wobei seine Wut von Weinbrand und anwaltlicher Tatsachenverdrehung befeuert wurde. Anschließend wusste er nicht mehr, was genau er ihr eigentlich vorgeworfen hatte. Als er am nächsten Morgen mit schweren Gliedern und Kopfschmerzen zum Frühstück herunterkam, hatte Fräulein Grüber die Post bereits auf den Weg gebracht.

      Böhms Kanzlei war umgezogen. Sie befand sich jetzt nicht mehr in dem eleganten Gebäude aus dem neunzehnten Jahrhundert mit seiner großen Empfangshalle und dem livrierten Fahrstuhlführer, sondern in einem gesichtslosen Betonbau mit einem trostlosen, gemeinschaftlich genutzten Innenhof unweit des Kriminalgerichts. Böhms Kanzlei lag im ersten Stock. Ein ehemals großer Raum war ungeschickt in zwei enge Büros und einen winzigen Wartebereich unterteilt worden. Erst als Julius die Aufschrift URSCHEL & BÖHM ANWÄLTE an der Glastür las, wusste er, dass er hier richtig war.

      Böhm sah gealtert aus, sein kluges Gesicht wirkte grau und hatte tiefe Falten bekommen. Auf Julius’ Frage nach seinem Befinden zuckte der Anwalt die Achseln. »Wir müssen uns den veränderten Zeiten anpassen, nicht?«, erwiderte er. »Luisa hat Ihnen ein Angebot gemacht.«

      »Was für ein Angebot?«

      »Wenn Sie in die Scheidung einwilligen, die Schuld am Scheitern der Ehe auf sich nehmen und ihr eine finanzielle Unterstützung garantieren, wird sie den van Gogh aushändigen. Die Modalitäten der Unterhaltsleistung sind hier dargelegt.«

      Julius starrte auf das Schreiben. Unter der exorbitanten Summe stand in Großbuchstaben eine Anmerkung. AUFGRUND DER WÄHRUNGSSCHWANKUNGEN HABEN SÄMTLICHE ZAHLUNGEN IN FRANZÖSISCHEN FRANCS ZU ERFOLGEN.

      »Das ist Erpressung«, zischte er.

      »Verhandlungssache. Die Frage ist, welche Kompromisse Sie eingehen wollen.«

      »Keine«, sagte Julius. Seine Hände zitterten, aber er behielt einen klaren Kopf. Wenn Luisa Krieg haben wollte, sollte sie ihn bekommen. »Keine Kompromisse. Wir reichen die Scheidungsklage ein. Aufgrund des Ehebruchs meiner Frau. Keine Alimente, nicht einen Sou, bis ich mein Gemälde wiederhabe. Und meinen Sohn.«

      Böhm schwieg. Dann griff er zu seinem Füllfederhalter. »Sie haben Beweise für den Ehebruch Ihrer Frau, nehme ich an?«, fragte er. In den zwanzig Jahren, seit Böhm Julius’ Anwalt war, hatte er ihn nie angelogen. Das wollte er auch diesmal nicht. Auf die Frage, ob er Luisa in flagranti erwischt habe, schüttelte Julius den Kopf.

      »Aber es gab klare Hinweise auf Geschlechtsverkehr?«, setzte Böhm nach. Er fragte nicht, zwischen wem. Julius lachte grimmig.

      »Im Bett meiner Frau lag ein nackter Mann«, sagte er. »Haben Sie dafür etwa eine andere Erklärung?«

      »Kennen Sie den Namen des Mannes?«

      »Es war nicht gerade der Moment, sich einander förmlich vorzustellen. Aber es war einer aus ihrer Clique. Wird nicht schwer herauszufinden sein.«

      »Vielleicht. Allerdings neigen die Leute in solchen Situationen zu Verschwiegenheit.«

      »Nicht Luisas Freunde. Sie würden die eigene Großmutter verkaufen, wenn es sich für sie lohnte.«

      Böhm runzelte die Stirn und lehnte sich zurück. »Also gut, vielleicht sollten Sie ein paar Erkundigungen einholen. Wir haben Zeit. Wir können einen vorläufigen Scheidungsantrag stellen, ohne Angabe eines Namens. Bei der derzeitigen Arbeitsüberlastung der Gerichte besteht ohnehin keine Chance auf eine Verhandlung vor den Gerichtsferien im Sommer. Vielleicht im Herbst, falls wir dann mehr wissen …?« Er zuckte müde die Achseln. »Könnte


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