David Copperfield. Charles Dickens

Читать онлайн книгу.

David Copperfield - Charles Dickens


Скачать книгу
genoß, und dem Glück, das er einst erwartete, »der unbestimmte unglückliche Verlust oder Mangel an Etwas«, worüber er so oft klagte (vgl. die Haupt-Einleitung), auch eine persönliche Erfahrung abspiegelten, die in der Wirklichkeit nicht so erfolgreich ersetzt würde als in der Dichtung des Romanes. Schließlich sei noch erwähnt, daß der Einfluß Copperfields auf den deutschen Roman besonders klar zu spüren ist: Hammer und Amboß von Friedrich Spielhagen, und teilweise auch Soll und Haben von Gustav Freytag, sind dem Geiste und besonders in vielen Partien der Handlung nach mehr mit dem Dickensschen Werke verwandt, als sich die beiden Autoren dessen vielleicht selber bewußt waren.

      Ob ich schließlich der Held meines eigenen Lebens werde, oder ob jemand anders diese Stelle einnehmen wird, das sollen diese Blätter zeigen. Um mit dem Anfang meines Lebens zu beginnen, berichte ich, daß ich (wie man mir später erzählt hat und wie ich auch glaube) an einem Freitag um zwölf Uhr mitternachts geboren bin. Wie man sagt, fing zu gleicher Zeit die Uhr zu schlagen und ich zu schreien an.

      In Anbetracht von Tag und Stunde meiner Geburt erklärten die Wärterin und einige weise Frauen, die sich schon seit Monaten lebhaft für mich interessiert hatten, noch bevor die Möglichkeit einer persönlichen Bekanntschaft vorhanden war, erstens, daß ich im Leben kein Glück haben, und zweitens, daß mir die Fähigkeit beschieden sein würde, Geister und Gespenster zu sehen, denn beide Gaben würden unabänderlich allen unglücklichen Kindern beiderlei Geschlechts verliehen, die um Freitag Mitternacht zur Welt kämen.

      Über ersteres brauche ich nichts zu sagen, denn meine Lebensgeschichte beweist besser als alles andere, ob sich diese Prophezeiung erfüllt hat oder nicht. Was die zweite Fähigkeit betrifft, so muß ich dies Erbteil entweder als bewußtloser Säugling verscherzt haben oder es ist mir noch nicht zugefallen. Aber ich beklage mich durchaus nicht, daß mir dieser Besitz bisher vorenthalten worden ist, und sollte sich jetzt ein anderer seiner erfreuen, so gönne ich ihm den herzlich gern.

      Ich wurde mit einer Glückshaube geboren, und man bot sie in der Zeitung zu dem niedrigen Preise von fünfzehn Guineen aus. Ob damals die seefahrende Bevölkerung sehr arm an Geld oder arm an Glauben war und daher Korkjacken vorzog, weiß ich nicht, aber jedenfalls erfolgte nur ein einziges Angebot. Es kam von einem Notar her, einem Wechselmakler, der zwei Pfund Sterling bar anbot und das übrige in Sherry geben wollte, aber die Sicherheit gegen das Ertrinken zu keinem höheren Preise erkaufen mochte.

      Ich erblickte in Blunderstone in Suffolk das Licht der Welt oder dort herum, wie sie in Schottland sagen. Ich bin ein nachgebornes Kind. Die Augen meines Vaters schlossen sich sechs Monate eher, als sich die meinigen öffneten. Noch jetzt kommt mir der Gedanke seltsam vor, daß er mich niemals gesehen habe, und noch seltsamer erscheint mir aus meiner ersten Kindheit die dunkle Erinnerung an den weißen Grabstein auf dem Kirchhofe, und meine innige Trauer bei dem Gedanken, daß er dort draußen allein liege in der dunklen Nacht, während unser kleines Wohnzimmer warm und hell war von Feuer und Licht; und daß die Haustür vor ihm verschlossen und verriegelt war, kam mir manchmal fast grausam vor.

      Eine Tante meines Vaters, also eine Großtante von mir, über die ich noch viel zu erzählen haben werde, war die angesehenste Person in unsrer Familie. Miß Trotwood oder Miß Betsey, wie meine arme Mutter sie stets nannte, wenn sie die Scheu vor dieser gefürchteten Dame hinlänglich überwand, was nur selten geschah, war mit einem Gatten verheiratet gewesen, jünger als sie und sehr schön, nur nicht im Sinne des biedern Sprichworts: »Schön ist, wer schön handelt« – denn er stand im starken Verdachte, Miß Betsey geprügelt zu haben, und einmal sogar soll er einer Summe Geldes wegen in der Hitze nur zu deutliche Anstalten gemacht haben, sie zum Fenster im zweiten Stocke hinauszuwerfen. Diese Unerträglichkeit der Gemütsart veranlaßte Miß Betsey, sich von ihm loszukaufen und in eine Trennung durch gegenseitige Übereinkunft zu willigen. Er ging mit seinem Kapital nach Ostindien, und dort will man ihn nach einer abenteuerlichen Familiensage einmal mit einem Affen auf einem Elefanten haben reiten sehen; aber ich glaube, es wird wohl eine indische Äffin gewesen sein. Soviel ist sicher, daß zehn Jahre später aus Indien die Nachricht von seinem Tode eintraf. Was meine Tante dabei fühlte, weiß niemand, denn sie hatte unmittelbar nach der Trennung ihren Mädchennamen wieder angenommen und sich ein Landhäuschen in einem weit entlegenen Flecken an der Seeküste gekauft; dort lebte sie mit einer einzigen Dienerin in äußerster Zurückgezogenheit.

      Mein Vater war früher einmal ihr Liebling gewesen, aber sie fühlte sich tödlich beleidigt durch seine Heirat, weil meine Mutter ein »Wachspüppchen« war. Sie hatte meine Mutter zwar nie gesehen, wußte aber, daß sie noch nicht zwanzig Jahre alt war. Mein Vater und Miß Betsey sahen sich seitdem nie wieder. Er war doppelt so alt wie meine Mutter, als er sie heiratete, und von zarter Gesundheit. Ein Jahr darauf starb er, wie gesagt, sechs Monate vor meiner Geburt.

      Dies war der Stand der Dinge am Nachmittag jenes, wie ich mir wohl erlauben darf zu sagen, wichtigen und ereignisvollen Freitags. Ich kann natürlich keinen Anspruch darauf erheben, zu wissen, wie die Sachen damals standen; oder das, was hier folgt, aus eigener Anschauung zu berichten.

      Meine Mutter saß am Kamin, sehr leidend und niedergedrückt, schaute durch ihre Tränen in das Feuer und sann trübe über ihr und des vor der Geburt Verwaisten Schicksal nach, zu dessen Empfang schon oben in einem Schubkasten einige Gros Nadelklammern bereit lagen, während sonst die Welt seinem Erscheinen mit ziemlichem Gleichmut entgegensah. Es war also ein heller, windiger Märznachmittag, und sie saß betrübt, niedergeschlagen und von bangen Zweifeln erfüllt, ob sie glücklich die zu erwartende schwere Prüfung durchmachen werde, am Kaminfeuer, als sie, ihre Augen trocknend, aufblickte, und durch das gegenüberliegende Fenster eine fremde Dame zum Garten hereintreten sah. Beim ersten Blick schon hatte meine Mutter die sichere Ahnung, daß es Miß Betsey sei. Die untergehende Sonne warf ihre Strahlen über die Garteneinzäunung auf die fremde Dame, und diese näherte sich der Tür mit einer so unbeugsamen Strenge in Gesicht und Haltung, wie sie nur ihr angehören konnte.

      Als sie das Haus erreicht hatte, gab sie noch einen andern Beweis ihrer Identität. Mein Vater hatte nämlich oft erwähnt, daß sie sich selten wie ein gewöhnlicher Christenmensch benehme, und dies tat sie auch diesmal; denn anstatt die Glocke zu ziehen, trat sie ans Fenster und drückte ihre Nase mit solcher Heftigkeit gegen das Glas, daß meine arme gute Mutter nachher immer erzählte, die Nase sei urplötzlich ganz platt und weiß geworden.

      So sehr erschrak meine Mutter über sie, daß ich immer überzeugt gewesen bin, ich verdanke es der Miß Betsey, an einem Freitag geboren worden zu sein.

      In ihrem Schreck war die Mutter aufgestanden und hinter den Stuhl in eine Ecke getreten. Miß Betsey sah sich indes langsam und forschend im Zimmer um, wobei sie am andern Ende der Stube anfing, und wendete maschinenmäßig, wie ein Türkenkopf auf einer holländischen Wanduhr, ihren Kopf, bis ihre Blicke endlich auf meiner Mutter haften blieben. Dann zog sie die Stirne kraus und winkte meiner Mutter wie eine, die das Befehlen gewohnt ist, die Tür aufzumachen. Meine Mutter gehorchte.

      »Mrs. David Copperfield, wie ich vermute«, sagte Miß Betsey. Der Nachsatz galt wohl der Trauerkleidung und dem Zustande meiner Mutter.

      »Ja«, sagte meine Mutter schüchtern.

      »Miß Trotwood«, sagte der Besuch. »Sie haben von ihr gehört, hoffe ich.«

      Meine Mutter entgegnete, sie habe das Vergnügen gehabt, und hatte dabei das unangenehme Bewußtsein, nicht danach auszusehen, als ob es ein überwältigendes Vergnügen gewesen sei. »Jetzt steht sie vor Ihnen«, erklärte Miß Betsey. Meine Mutter verbeugte sich und bat sie einzutreten.

      Sie trat in die Wohnstube, wo meine Mutter gesessen hatte, denn das Besuchszimmer auf der andern Seite des Flures war dunkel und war nicht erleuchtet gewesen seit meines Vaters Leichenbegängnis; und als sie beide Platz genommen hatten und Miß Betsey nichts sagte, fing meine Mutter, nach vergeblichem Bemühen sich zu fassen, zu weinen an.

      »O


Скачать книгу