David Copperfield. Charles Dickens
Читать онлайн книгу.ja geradezu angeschwärmt. Diese Anerkennung tat ihm umso wohler, als sie sich in viel gebildeteren Formen kundtat als beispielsweise bei den Amerikanern. In Deutschland hielt er sich nicht lange auf und mochte es wohl auch darum nicht, weil ihm die Sprache zeitlebens fremd geblieben war. Infolgedessen nahm er auch von der deutschen Literatur wenig Notiz, und das wenige rührte nur aus Übersetzungen her.
Zu allen seinen zahlreichen sonstigen Arbeiten übernahm er nun noch die Herausgabe der »Household-Words« (Hausworte) und damit journalistische Verpflichtungen gegen das Publikum, wahrend er gleichzeitig seinen »Copperfield« in Monatsheften erscheinen ließ. Vor dem Beginne dieses Romanes besuchte er zum ersten Male Yarmouth, seinen Geburtsort, aus dem er aber schon seit seinem zweiten Jahre entfernt gewesen war; die prächtigen Seebilder im Copperfield sind also aus der unmittelbarsten Anschauung geschöpft. Daß auch die Charaktere in diesem wie in fast allen anderen Romanen auf Porträts beruhen, ist leicht herauszukennen, wenn man dichterisches Schaffen einigermaßen versteht. Forster zählte alle seine Bekannten auf, die ihm Modell gesessen haben. Oft hat dies zu Unzuträglichkeiten Anlaß gegeben: das Modell zu Harald Skimpoln war z. B. sein Freund und Kollege, der bekannte Schriftsteller und Byronbiograph Leigh Hunt. Daß dieser nun mit völliger Anschaulichkeit porträtiert wurde, aber in einem Charakter, der schließlich auf einen vollkommenen Lumpen hinauslief, mußte die Freunde doch verletzen. Dickens beruhigte sie damit, daß er seinen eigenen Vater ja in ähnlicher Weise nach dem Leben abgezeichnet habe. Jedenfalls war dieser Zug für die Dickenssche Art zu sehen charakteristisch, ob es auch als kein Milderungsgrund für dies Freundschaftsstück anzusehen war, daß eine Natur wie die Skimpoles eben als Lump endigen mußte. Erfreulich war es da immer für mich, zu sehen, daß Dickens in Dora nicht seine Frau Käthe, sondern eine frühere Jugendliebe geschildert hat: aber Jip, der Mops, und Grip, der Rabe, haben wirklich existiert. Aus der Virtuosität in der Schilderung dieser Haustiere kann man jedenfalls noch mehr als aus seinen menschlichen Porträts die sympathische Beobachtung alles wirklichen Lebens erkennen, die nicht auf bloßem Verständnis, sondern auf einem völligen Mitleben und Mitfühlen beruhte.
Dickens hatte sich aber in dieser Zeit mit der Übernahme so vieler Arbeiten, der Herausgabe von Wochenschriften und Zeitungen neben der gleichzeitigen Abfassung verschiedener Romane entschieden zuviel zugemutet. Aber der Wechsel in seinem Schicksal vom armen Jungen zum reichen Manne war zu schnell gekommen, und er lebte nun in einer Art von ungezähmtem Drange zum Erwerb, er häufte seine Arbeiten auf unnatürliche Weise und sann unaufhörlich auf Mittel, sein Vermögen zu vergrößern. Schon im dreiundzwanzigsten Jahre hatte er durch seine Skizzen allein eine feste Einnahme von ungefähr 8000 Mark gehabt, ein Jahr darauf, nachdem die ersten Pickwickhefte in 400 Exemplaren gedruckt waren, stieg mit dem vierten Hefte die Zahl der Abonnenten auf 40 000, und so ging es immer weiter und weiter.
Julian Schmidt, der ein prächtiges Porträt von Dickens entworfen hat, zieht hier einen sehr anschaulichen Vergleich zwischen ihm und Walter Scott. Er sagt: Dieser sonst durch und durch geistig wie körperlich gesunde Mensch hatte die Marotte, ein gotisches Schloß mit Park besitzen zu wollen; zu diesem Zweck spannte er seine ohnehin riesige Arbeitskraft über die Maßen an und gab sich zu einer Spekulation her, die schließlich seinen Ruin nach sich zog. Aber es ist in beider Verhalten ein großer Unterschied. W. Scott betrieb die Spekulation als etwas, das zu seinem eigentlichen Leben gar nicht gehörte, und er schloß seinen Vertrag mit dem Buchhändler und ließ diesen dann gewähren. In seinem eigentlichen Leben war weder von seinen Romanen noch von seinen Spekulationen die Rede: er war der immer lustige Gentleman, der seine Bäume pflanzte, Antiquitäten aufkaufte und jedes gesellige Vergnügen unbefangen mitmachte. Seine Spekulation war aller Welt ein Geheimnis. Daraus ergab sich freilich, daß er selber nicht wußte, wie es um ihn stand, daß ihn der tödliche Schlag völlig unvorbereitet traf.
Dickens dagegen nahm die Spekulation ganz ernsthaft in sein eigentliches Leben auf; er grübelte und verhandelte darüber gerade so ausführlich wie über die Konzeption seiner Romane. Es war nicht allein die Gewinnsucht, die ihn bestimmte; es kam etwas anderes ins Spiel. Dickens hatte von der Natur einen großen Überschuß an Kräften erhalten, er hatte Nerven von Stahl. Unablässige Anstrengung war ihm Bedürfnis: als Fußgänger und Reiter machte er alle seine Freunde zu schanden; so kolossal sein poetisches Schaffen war, es genügte ihm nicht, er bedurfte Anstrengungen anderer Art!
Ein weiterer Unterschied: Scott fehlte das, was man bei Dichtern Eitelkeit zu nennen pflegt, in einem Maß, wie es in der Weltgeschichte noch nicht vorgekommen ist. Er war seinerzeit ohne Zweifel der gefeiertste Autor in Europa, aber keiner durfte ihm davon reden. Es hatte ihm Vergnügen gemacht, seine Romane zu schreiben, und er gewann durch sie ein großes Vermögen; weiter wollte er nichts davon wissen. Dickens dagegen bedurfte einer starken Resonanz: der Jubel, der ihm von allen Seiten entgegenscholl, die Festreden, mit denen man ihn in einer Weise überschüttete wie keinen anderen Sterblichen, reichten ihm nicht aus; er hatte das Bedürfnis, die Wirkung seines Schaffens unmittelbar vor Augen zu sehen. Er las seine Werke gern vor, er unternahm große theatralische Aufführungen, in denen er eigentlich alles war, Held, Direktor, Regisseur, Maschinist usw. Das war alles zunächst reiner Tätigkeitsdrang und Bedürfnis auch unmittelbar sinnlicher Anerkennung: erst allmählich kam er dahinter, daß es auch eine wichtige Erwerbsquelle werden könne, und nun verfolgte, er es mit fieberhafter Hast. Es wäre (besonders in seinen späteren Lebensjahren) besser für ihn gewesen, wenn er wie Hume gesagt hatte: Ich bin reich, fett, faul; daher mag ich nicht mehr schreiben!
In den letzten Jahren seines Lebens unternahm er die zweite Reise nach Amerika (1867-68) gegen den Rat aller seiner Freunde. Forster spricht sich mißbilligend darüber aus, weil er seinen Kräften zuviel zumutete und dadurch sein Ende beschleunigte. Mir ist ein anderer Grund, den Forster nur leise andeutet, wichtiger. Bei solchen mit Hetzjagd betriebenen Vorlesungen gibt man doch eigentlich dem Publikum eine Schaustellung seiner Person; diese wird bezahlt, nicht der Vortrag selbst, den man ja zu Hause bequemer haben kann: man will den berühmten Mann sehen und hören und zahlt dafür ein Honorar. Es ist eine Unterschiebung niedrigerer für höhere Ziele, ein Hinabsteigen von einem edleren Beruf zum gewöhnlichen, und es trägt so sehr den Charakter einer öffentlichen Bloßstellung für Geld, um mit der Frage der Achtung vor seinem Beruf als Schriftsteller auch die Frage der Achtung vor sich als Gentleman in Anregung zu bringen. Meinem Gefühl widerstrebt diese Schaustellung durchaus, aber doppelt in diesem Fall, da Dickens vorher den Amerikanern die blutigsten Insulten ins Gesicht geschleudert hatte. Auch hier war das Bedürfnis der Aufregung wieder ein ebenso starkes Motiv als die Absicht des Gewinnes. In dieser Beziehung liegt im Leben von Dickens etwas Ungestümes, Hastiges, Friedloses, was den Idealen seiner Dichtung widerspricht: denn hier scheint eine ruhige, behagliche, durch keine Stürme angefochtene Existenz das höchste Ziel der Wünsche. Die Ideale des Dichters und des Menschen deckten sich nicht.
Vielleicht war er sich selbst nicht im vollen Maße bewußt, wie sehr sein Verlangen, ein öffentlicher Vorleser zu werden, nur das Resultat der ruhelosen häuslichen Unzufriedenheit der letzten vier Jahre war, von denen weiter unten des Näheren die Rede sein wird, und daß er, indem er diesem Verlangen und den davon unzertrennlichen wandernden Gewohnheiten nachgab, jeder Hoffnung entsagte, sein gestörtes häusliches Glück wiederherzustellen. – Dies behaupten auch Schmidt und Forster.
Im Copperfield, um nun wieder auf diesen Roman zu sprechen zu kommen, hat Dickens die Natur seines Talentes dargelegt. Schon als Kind ein scharfer Beobachter, bewahrte sein Gedächtnis alle empfangenen Bilder treu und unverwischbar. Da er an den Spielen seiner Kameraden nicht teilnehmen konnte, sah er ihnen aufmerksam zu und prägte sich jeden Zug ihrer Gesichter ein. Im Schuldgefängnis seines Vaters beobachtete er jeden Gefangenen, fragte nach seiner Geschichte und ergänzte sie aus eigenen Mitteln. Dann las er eifrig, las immer und immer wieder, und sah so die Welt nicht nur mit seinen eigenen hellen Augen an, sondern auch mit den Augen seiner Romanverfasser, deren Figuren ihn veranlassen, ähnliche Erscheinungen zu suchen und zu finden. Von gleicher Wichtigkeit waren die Werke Hogarths für ihn, dessen Bilder noch bis in die letzte Zeit hinein stets aufgeschlagen auf seinem Tische lagen: diesem großen Zeichner hat er die Effekte abgelernt, Tugenden zu empfehlen und Laster zu geißeln.
Wenn er aber dieselben Wirkungen, die Hogarth durch seine Stiche erreichte, durch Worte erzielte, so beweist