David Copperfield. Charles Dickens

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David Copperfield - Charles Dickens


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wurden, hatten einen guten Erfolg.

      Das Aussehen von Dickens war in jenen Tagen sehr verschieden von dem Antlitz, wie es die Photographien der späteren Generation bekanntgemacht haben. »Zuerst wurde man (so schreibt sein Biograph John Forster) durch ein Aussehen von kindlicher Jugend angezogen und dann durch einen Freimut und eine Offenheit des Ausdrucks, die ein sicheres Zeugnis ablegten für die inneren guten Eigenschaften. Die Züge waren sehr edel. Er hatte eine prächtige Stirn, eine feste Nase mit vollen weiten Flügeln, Augen, die wunderbar glänzten von Geist, und die überströmten von Humor und Heiterkeit, und einen ziemlich hervortretenden, von lebhafter Erregbarkeit zeugenden Mund. *)Diese Darstellung liegt dem Bilde zugrunde, das unsern Band als erstes ziert. Thackeray sagte von dem Originalgemälde Maclises: »Die Ähnlichkeit ist wahrhaft staunenerregend. Ein Spiegel könnte kein besseres Faksimile geben. Wir haben hier den wirklichen identischen Menschen Dickens, den inneren sowohl als den äußeren.«Der ganze Kopf war gut geformt und symmetrisch und von äußerst kühner Miene und Haltung. Das in späteren Jahren so spärliche und ergraute Haar war damals von reichem Braun und üppigster Fülle, und das bärtige Gesicht seiner letzten zwei Jahrzehnte zeigte kaum eine Spur mehr davon; aber es war etwas in dem Gesichte, wie ich mich dessen zuerst erinnere, das keine Zeit verändern konnte und was ihm bis zuletzt unverwandelt aufgeprägt blieb. Das war die Schnelligkeit, die Schärfe, die praktische Macht, der eifrige, ruhelose, energische Ausdruck aller Züge, der so wenig von einem Gelehrten oder Schreiber von Büchern und soviel von einem Manne der Tat und der Welterfahrung kundtat. Licht und Bewegung glänzte aus allen Teilen dieses Angesichtes. Es war wie aus Stahl gemacht, bemerkte vier oder fünf Jahre nach der Zeit, von der ich rede, eine höchst selbständige und feine Beobachterin, die verstorbene Mrs. Carlyle. ›Was für ein Gesicht in einem Gesellschaftszimmer!‹ schrieb mir Leigh Hunt am Morgen, nachdem ich sie miteinander bekanntgemacht hatte. ›Es hat Leben und Seele für fünfzig menschliche Geschöpfe.‹ In solchen Ausdrücken erkennt man nicht allein die ruhelose und unwiderstehliche Lebhaftigkeit und Kraft, von der ich gesprochen habe, sondern auch das, was von Beständigkeit und fester Ausdauer darunterlag.«

      Wenn die Erfindung den wesentlichsten Bestandteil eines Dichters ausmacht, so war Dickens ein sehr großer Dichter. Er hat gleich Shakespeare gewiß reichlich hundert von Gestalten geschaffen, die von Wahrheit und Lebenskraft strotzen. Die Neigung zur Karikatur, zur »Charge« ist allerdings ein nicht zu entkräftender Vorwurf, den man gegen die Künstlerschaft dieses großen Humoristen erheben kann, aber diese Neigung ist doch mehr eine Äußerlichkeit, die der Lebenswahrheit seiner Gestalten keinen großen Abbruch tut, um so mehr sich seit den Pickwickiern bis zu seinem letzten Werke eine fortwährende Abnahme dieser Untugend feststellen läßt. Schwerlich hat die englische Literatur einen zweiten Schriftsteller aufzuweisen, der so wie er mit der Hauptstadt verwachsen und mit ihren Verhältnissen vertraut gewesen wäre, der sie gleichzeitig so fest und unlöslich mit seinen Dichtwerken verflochten hätte. Zwar verstand er vornehmlich nur das Leben der mittleren und unteren Volksschichten zu schildern – die Darstellung des Highlife war seinem Zeitgenossen Thackeray vorbehalten – aber es gab dafür auch innerhalb dieses beschränkten Gebietes keine Pforte, die sich vor ihm und seiner Kunst nicht erschlossen hätte. Unterstützt wird er hierin durch seine alles durchdringende Beobachtungsgabe und seine staunenswerte Gewandtheit und Sicherheit in der Handhabung der Sprache.

      Was die peinliche Treue seiner Schilderung anbetrifft, so wird Dickens nur von Defoe, was das Malerische und Anschauliche betrifft, nur von Balzac erreicht, mit dem er noch die Eigenschaft teilt, daß seine kühne und kräftiggestaltende Phantasie alle leblosen Dinge zu beseelen vermag. Bei Dickens wird ein messingener Türklopfer zu einer menschlichen Gestalt, ein alter Stuhl zu einem neuen Märchen und ein prosaischer Bettpfosten zu einer poetischen Traumerscheinung. So lebendig und kraftvoll ist die Entfaltung der Phantasie, daß alles von ihr mit fortgerissen wird. Erdichtete Gegenstände nehmen die Genauigkeit wirklicher Gegenstände an. Lebendige Gedanken werden durch leblose Dinge beeinflußt. Die Glocken trösten den armen alten Zettelausträger, das Heimchen bringt die Zweifel des rauhen Kärrners zur Ruhe, die Meereswogen besänftigen den sterbenden Knaben, Wolken, Blumen, Blätter, alle spielen ihre Rolle, kaum eine Form der Materie ist ohne eine lebendige Eigenschaft, kein schweigendes Ding ohne seine Stimme. Dazu kommt die lebensfrohe Überzeugung, daß es in der Welt nicht mit allem so schlimm bestellt sei, wie es oft den Anschein habe, und aus diesem Optimismus erwächst ihm der gesunde Humor, mit dem er in seinen Romanen die schroffsten Gegensätze wohltuend zu versöhnen weiß. Sein Humor hat nicht den bloßen spaßhaften Charakter, seine Komik ist stets drastisch, sein Spott verletzt nicht, und selbst da, wo seine Satire ätzend wirkt, fühlt man noch sicher heraus, daß der Dichter kein eifernder Sittenprediger ist, sondern ein Herz hat voll von warmer Menschenliebe. Als Anwalt der Schutzlosen und Mißhandelten, namentlich der Kinder, wandte er sich an die Herzen seiner Leser, die von solchen Existenzen zuvor kaum eine Ahnung hatten und für die sich damit in den Dickensschen Romanen eine ganz neue Welt auftat, die Welt des Alltags, der Darbenden und Hungernden. Sein Freund Forster erzählt, wie der Schöpfer des modernen Londoner Romans bei Tag und Nacht die Straßen der Metropole zu durchstreifen liebte, wie er sich in die Höhlen des Lasters und Verbrechens begab und so an der Quelle studierte. Daher die Echtheit der Schilderung, die selbst der Ausländer fühlt, z. B. in den Landschaftsbildern an den Themseufern bei Nacht, oder in den Straßen im flackernden Schimmer der Laternen, die der braune Nebel mit seinen flutenden Bändern umflort. Freilich geht ihm eine Gabe bis zum gewissen Grade ab: das ist die konsequente Charakterzeichnung.

      Ein feiner Kenner der Dickensschen Romane hat gesagt, sie gleichen fast ohne Ausnahme Märchen, die glaubhaft gemacht seien durch den meisterhaften Realismus, mit dem der Dichter die ganze Umgebung, das äußere Beiwerk zu schildern weiß. Und Johann Proescholdt bestätigt es, wenn er sagt: Jeder aufmerksame Leser wird bemerken, daß sich in den einzelnen Dickensschen Romanen eine Reihe von Charaktertypen wiederholt, die sich weniger durch immanente Eigenschaften, als vielmehr durch zufällige Äußerlichkeiten, sei es durch sprachliche Eigentümlichkeiten, sei es durch seltsame Gewohnheiten, voneinander abheben. – Gerade hierauf sei noch einmal als auf eine Eigenschaft hingewiesen, durch die sich Dickens wesentlich von seinem Rivalen Thackeray unterscheidet: Thackeray ergreift nur die inneren Vorgänge und läßt das äußere Akzidens lediglich aus sich selbst heraus erwachsen, Dickens legt das Hauptgewicht auf die Schilderung der umgebenden Außenwelt, und geht von dieser aus erst in zweiter Linie auf das Seelische ein. Diese Eigenheit ist zur Achillesferse der Dickensschen Muse geworden; denn als sich der Dichter in der Beobachtung und Schilderung der realen Welt erschöpft hatte (und selbst eine Dickenssche Beobachtung mußte sich endlich einmal erschöpfen), da war er gezwungen, seine Zuflucht zu Phantasiegebilden zu nehmen, die in seinen späteren Werken um so weniger lebenswahr oder auch nur lebensfähig ausfielen, jemehr sich seine ungezügelte Phantasie der Kontrolle der Verstandestätigkeit zu entziehen wußte.

      Das in vorstehendem kurz Dargelegte zeigt sich in allen Schöpfungen von Dickens, der schon 1837 das Fundament zu seinem Ruhme mit den Pickwickiern legte, die er im Verein mit dem Illustrator Hablot Browne herausgab und die in kürzester Zeit in 30 000 Exemplaren verkauft wurden und wodurch der Autor »the rage« wurde. Man könnte glauben, daß diese Geschichten aus fertigen Illustrationen hervorgegangen wären, doch ist dem nicht so; die Zeichnungen sind erst nach Angabe des Dichters entworfen. Obwohl ich den in den meisten dieser satirischen Zeichnungen obwaltenden glücklichen Humor durchaus nicht verkenne, muß ich die Bilder im Ganzen doch roh in der Erfindung und plump in der Ausführung nennen. Und ich muß mich, so oft ich sie betrachte, immer wieder wundern, daß Dickens mit all seinen verschiedenen Zeichnern im Wesentlichen stets zufrieden gewesen ist. Die Illustrationen müssen doch daher eine gewisse Ähnlichkeit mit den Personen gehabt haben, wie sich der Autor von ihnen in seiner Seele eine Vorstellung gemacht hatte: also charakteristisch, aber einseitig und etwas fratzenhaft. Der tollausgelassene Humor der Pickwickier kann auf allzu hohen künstlerischen Wert keinen Anspruch machen, weit mehr aber sein nächster Roman Nikolas Nickleby, während im Oliver Twist die geschilderten Vorgänge teilweis etwas an den Kolportage-Roman erinnern. Doch gerade in diesem letzten Roman hat Dickens im Sinne des praktischen Christentums gewirkt wie kein zweiter Romanschriftsteller.

      Schon früh öffnete ihm sein Ruf die beste Gesellschaft, und er wurde allgemach mit den berühmtesten Schriftstellern


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