David Copperfield. Charles Dickens

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David Copperfield - Charles Dickens


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»Nie so glückliche und doch so unglückliche Existenz, die ihre Wirklichkeiten in Unwirklichkeiten sucht und ihren gefährlichen Trost findet in einem beständigen Entrinnen aus den sie umgebenden Täuschungen des Herzens.« Und später schrieb er aus Boulogne: »Ich habe schreckliche Gedanken, ganz allein für mich irgend wohin fortzugehen – auf sechs Monate. Rastlosigkeit, wirst Du sagen! Was es auch sein mag, es treibt mich unaufhörlich und ich kann nichts dagegen tun ... Ich befinde mich in einem aufgelösten Zustande!... Wie kommt es, daß, wenn ich jetzt in trübe Stimmung verfalle, immer ein Gefühl über mich kommt wie bei dem armen David Copperfield, von einem Glück, das ich im Leben verfehlt, und von einem Freunde und Genossen, den ich nie gefunden habe?«

      Immer wieder ist er bemüht, in einem bestimmten Verhältnis den Grund für seine Unbehaglichkeit zu suchen, bis er endlich gegen Forster mit der Sprache herausrückt: »Die arme Käthe und ich, wir sind nicht füreinander gemacht. Dem läßt sich nicht abhelfen. Es ist nicht nur, daß sie mich unbehaglich und unglücklich macht, ich mache sie ebenso und noch weit mehr. Was Freundlichkeit und Gefälligkeit betrifft, so ist sie noch ganz die alte, aber wir stimmen einmal nicht zusammen; Gott weiß, sie würde tausendmal glücklicher geworden sein, wenn sie einen anderen Mann geheiratet hätte. Es schneidet mir oft ins Herz, wenn ich daran denke, wie traurig es ist um ihrer selbst willen, daß ich ihr in den Weg kam. Würde ich heute krank, sie würde das größte Mitgefühl mit mir haben, aber der Augenblick, daß ich gesund wäre, würde das alte Elend wieder hervorrufen. Nichts in der Welt kann sie dahinbringen, mich wirklich zu verstehen. Auch ihr Temperament stimmt nicht zu dem meinigen. Ich habe es lange kommen sehen, niemand kann mir helfen. Warum ich das schreibe, weiß ich kaum, aber es ist immer eine Art erbärmlicher Trost, mich einmal aussprechen zu können.« Darauf hat ihm Forster anscheinend ernstliche Vorstellungen gemacht, denn Dickens antwortet ihm: »Ich weiß sehr gut, daß ein großer Teil meiner Rastlosigkeit mit dem imaginativen Leben zusammenhängt, das ich führe. Für die Freuden dieses Lebens, das mich mit den höchsten Empfindungen beglückt, bin ich nicht undankbar; ich habe mir wiederholt gesagt, man müsse davon auch die Schattenseite hinnehmen. Ich will in keiner Weise behaupten, daß ich keinen Tadel verdiene. Ich kenne meine tausend Ungewißheiten, Launen und Gemütsschwierigkeiten. Aber damit wird die Sache nicht besser. Für uns beide wird mit den Jahren das Mißverständnis immer schwieriger zu ertragen, und ich sehe kein Ende ab. Aber nur eines wird all dies ändern und das ist das Ende, das alles ändert.«

      Es wird den meisten nicht scheinen, daß hier etwas vorlag, was nicht unter glücklicheren Umständen einer umsichtigen Erledigung fähig gewesen wäre. Aber alle Umstände waren ungünstig, und der mäßige Mittelweg, auf den die Eingeständnisse in jenem Briefe hinwiesen und den sie vollständig gerechtfertigt haben würden, wurde unglücklicherweise nicht eingeschlagen. Alle Einflüsse, die dem einen Gedanken, der ihn jetzt beherrschte, hätten entgegenwirken können, waren so geschwächt, daß sie beinahe machtlos waren. Seine älteren Kinder waren keine Kinder mehr; seine Bücher hatten damals die Bedeutung verloren, die sie früher vor allen Dingen in seinem Leben gehabt hatten, und in sich selbst besaß er nicht die Hilfsquellen, die man bei einem Manne wie ihn hätte erwarten mögen, wenn man ihn von der Oberfläche aus beurteilte. Nicht nur sein Genie, sondern seine ganze Natur war allzu ausschließlich aus der Sympathie für das Wirkliche in seiner intensivsten Gestalt zusammengesetzt, um gegen die Mängel der ihn umgebenden Wirklichkeiten hinreichend gerüstet zu sein. Es gab für ihn keine »Stadt des Geistes« zu innerem Schutz und Trost gegen alle äußeren Übel.

      Von da an verbohrte er sich immer tiefer in den Gedanken, daß etwas geschehen müsse! Immer lautere Aufregungen suchte er und fand doch keine Befriedigung darin, immer wieder suchte er in und aus dem Wirklichen noch die Freiheit und Befriedigung eines Ideals, und eben durch seine Versuche, der Welt zu entrinnen, sah er sich immer nur wieder in ihr Gedränge zurückgetrieben. Aber was er dort hätte suchen mögen, gewährt sie niemandem, und das Bemühen, das Unendliche aus etwas so endlichem zu gewinnen, hat schon manches stärkere Herz gebrochen.

      Zuletzt erfaßte ihn ein glühender Haß gegen den Gedanken an Haus und Heim. Nach 22jähriger Ehe, die ihn mit neun Kindern beschenkte, kam es im April 1858 zur Trennung. Der älteste Sohn blieb bei der Mutter, die anderen Kinder blieben beim Vater, dem von jetzt an seine Schwägerin Georgine den Haushalt führte. Im übrigen war es den Kindern unbenommen, mit der getrennten Mutter in jeder gewünschten Weise zu verkehren.

      Forster fügt dieser »Anordnung streng privater Natur« mit Recht die Bemerkung hinzu, das das Weitere das Publikum nichts anginge. Er beklagt auch lebhaft, daß sich Dickens einmal, durch allerhand böswilliges Geschwätz verleitet sah, in seiner Zeitschrift, den Household Words, etwas darüber zu sagen. Indessen war das Los, das die beiden Ehegatten traf, kein ganz gleiches; denn während Dickens selbst nach wie vor im öffentlichen Leben stand und glänzte, führte seine Frau ein dunkles, einsames Leben. In seinem Testamente fordert er die Kinder dringend auf, ihrer Tante die größte Verehrung und Liebe zu bewahren, während von ihrer Mutter nur insofern die Rede ist, als daß sich Dickens gegen den etwaigen Verdacht zu rechtfertigen sucht, daß er sie in pekuniärer Hinsicht nicht reichlich genug bedacht habe. Auf seiner zweiten amerikanischen Reise (1867) ließ er sich durch wiederholte Anklagen abermals verleiten, einen Brief über seine Frau in die Öffentlichkeit zu schicken, der im Ton nicht nur im höchsten Grade unedelmütig ist, sondern überhaupt auf das gröblichste aller Würde eines Gentleman widerspricht.

      Der trotz alledem bedauernswerte Dichter mußte übrigens sehr bald einsehen, daß er von der durch ihn selbst heraufbeschworenen Neuregelung der Dinge dennoch keinen inneren Frieden gewann. Die alte Unrast und Unbehaglichkeit, für deren einzigen oder doch hauptsächlichen Grund er die häuslichen Zustände gehalten hatte, kehrten nach der Trennung von seiner Gattin nicht nur wieder, sondern erhöhten sich in gesteigertem Maße, und zwar um so heftiger, je mehr er sich gegen die Einsicht sträubte, einen schweren Irrtum begangen zu haben. Dazu kam noch seit dem Jahre 1865 eine Kränklichkeit, der er durch das falsche Mittel zu trotzen versuchte, sich immer gesteigerte Anstrengungen zuzumuten. Von seinen jetzt noch erscheinenden Werken ist die Geschichte der zwei Städte das einzige, das noch das Gemüt innerlich beschäftigt; er hatte, wie er selbst berichtet, als Urstudie dazu seines Freundes Carlyle Revolutionsgeschichte einige fünfzig Male durchgelesen. Die anderen Romane zeigen in Aufbau und Handlung zwar noch immer die ursprüngliche Meisterschaft, doch es strömt einem aus ihnen nicht die Freude entgegen, die man aus seinen früheren Werken mit den herzerwärmenden Gestalten herausfühlte, weil das Leben, das der Dichter zeigt, sich ihm nicht mehr in der früheren Ungezwungenheit offenbart, sondern daß er es mit einiger Mühe suchen muß, um es zu zeigen.

      Die erwähnte zweite amerikanische Reise, die ihm ungefähr eine halbe Million Mark einbrachte, hatte bei den unerhörten physischen und geistigen Anstrengungen seine Gesundheit stark angegriffen. Aber er wurde es kaum gewahr im Taumel der Begeisterung, die ihm von Stadt zu Stadt folgte. Bei einem großen, ihm zu Ehren gegebenen Festmahl in Neuyork sagte er den Amerikanern, daß sich in den letzten 25 Jahren dort alles auf das vorteilhafteste verändert habe und er darum nicht vergessen werde, dies bei einer neuen Ausgabe der Noten und des Chuzzlewit zu betonen.

      Dickens starb plötzlich, durch einen Schlaganfall, inmitten der Abfassung eines neuen Romans »Das Geheimnis Edwin Droods«, der auf zwölf Monatshefte berechnet war, aber mit dem sechsten Hefte im Juni 1870 seinen vorzeitigen Abschluß fand. Aus seinen letzten Stunden erzählt Forster folgendes: »Er verließ das Schweizerhäuschen spät; aber vor dem Diner, das auf sechs Uhr bestellt war, da er nachher noch einen Spaziergang aufs Land machen wollte, schrieb er einige Briefe, darunter einen an seinen Freund Charles Kent, worin er eine Zusammenkunft mit ihm in London für den folgenden Tag verabredete, und das Diner hatte bereits angefangen, als Miß Hogarth mit Bestürzung einen eigentümlichen Ausdruck von Unruhe und Schmerz auf seinem Gesicht bemerkte.

      »Seit einer Stunde«, sagte er ihr dann, »sei er sehr krank gewesen«, aber er wünschte, daß das Diner seinen Verlauf nehme. Dies waren die einzigen wirklich zusammenhängenden Worte, die er sprach. Es folgten ihnen einige Worte über ganz andere Dinge, die ihm unzusammenhängend entfielen: über eine bevorstehende Auktion im Hause eines Nachbars, darüber, ob Macreadys Sohn bei seinem Vater in Cheltenham sei und über seine eigene Absicht,


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