David Copperfield. Charles Dickens

Читать онлайн книгу.

David Copperfield - Charles Dickens


Скачать книгу
auf die kleinste Münze tributpflichtig; für jeden Begriff, jede Stimmung hatte er den bezeichnendsten Ausdruck in der passendsten Nüance zur Hand. Darin kann er nicht genug bewundert werden, denn jede Skizze, jeder Roman zeigt seine Meisterschaft, in Worten zu malen.

      Mit Copperfield erreichte er die Höhe seines Ruhmes und er hat diesen Roman nie wieder überboten. Die Popularität, die dieses Werk von Anfang an errang, wuchs in einem Maße, wie bei keinem vorhergehenden Buche, mit Ausnahme Pickwicks. »Sie erfreuen mich mehr, als ich sagen kann«, schrieb er im Juli 1850 an Bulwer Lytton, »durch das, was Sie über Copperfield sagen, weil ich selbst hoffe, daß einige bisher fehlende Eigenschaften darin zum Vorschein gekommen sind.« Zwar kann Bleak House, was die Kunst und Kraft der Darstellung betrifft, mit Copperfield wetteifern, aber es liegt eine gewisse Mißstimmung darüber, die nicht allein vom Gegenstande ausgeht, und ihren Schatten auch auf die Seele des Dichters wirft. Besonders deutlich wird dies an jener Stelle, die wie ein Blitzlicht einen Vorgang erleuchtet, ich meine die Stelle, wo die kleine Miß Flite, die als eines der Opfer in dem großen Prozeß »Jarndyce und Jarndyee« halb blödsinnig geworden ist, in einem Gespräche gelegentlich die Frage tut: Ich denke, in England nehmen ausgezeichnete und verdiente Leute eine angesehene Stellung ein? – und Dickens hinzusetzt: »Bisweilen war die gute Dame wirklich völlig verrückt.«

      Was muß da nicht alles in einer Seele vorgegangen sein, die solcher Empfindung fähig sein konnte! Was berechtigte den Dichter zu einem solchen Ausruf, ihn, der so unerhört glänzende Erfolge zu verzeichnen gehabt hat, wie kaum jemals ein Dichter? Seine Lebensgeschichte gibt auch hierüber wieder einige Winke. Forster macht auf die bekannte Stelle im Copperfield aufmerksam, wo Dickens schreibt, daß bei aller wirklichen Liebe zu Dora doch auf Copperfields Seele das unbestimmte Gefühl eines unglücklichen Verlustes gelastet habe oder von irgend etwas anderem, das ihm fehle. Dora ist, wie gesagt, nicht das Porträt von der Gattin des Dichters, aber die hier geschilderte Empfindung ist eine Dickenssche Empfindung.

      Aber dies allein mag es nicht gewesen sein. »Denken Sie einmal an das«, schreibt er noch im Jahre 1862 an seinen Freund, »was ich Ihnen von meiner Kindheit erzählt hatte, und fragen Sie sich selbst, ob es nicht natürlich ist, daß etwas an dem Charakter, der sich damals bildete und in glücklicheren Tagen zu verschwinden schien, in den letzten fünf Jahren wieder auftauchte. Das nimmer zu vergessende Elend jener früheren Tage rief, verknüpft mit dem Bilde eines schlecht gekleideten und schlecht genährten Kindes, eine ängstliche Empfindung hervor, die in dem nimmer zu vergessenden Elend dieser letzten Tage wiederkehrt.« Vier Jahre vor diesem Briefe (1858) hatte sich Dickens von seiner Frau getrennt. Forster macht über diese Erklärung einige sehr eingehende Bemerkungen. Von den Eindrücken, die in ihm die Demütigung seiner Kindheit zurückließ, war am stärksten die Furcht vor einem möglichen neuen Elend, das ihm aufgespart sein könnte, verbunden mit dem leidenschaftlichen Entschluß, mit den Umständen und Zufällen des Lebens einen Krieg bis aufs Messer zu führen. Dieser Entschluß hatte ihn stark gemacht, aber die beständige Anspannung all seiner Kräfte, diese ruhelose Energie, die keinen Widerstand litt, hatte auch manchen Übelstand im Gefolge. Oft war er in Gesellschaft unbehaglich, scheu, von übertriebener Empfindlichkeit, und dann hatte er das wieder zu bekämpfen. Ein zu hochgesteigertes Selbstgefühl, der Glaube an eine Kraft in ihm, der alles möglich sei, reizte ihn, sich Lasten aufzubürden, denen auf die Dauer auch die stärksten Schultern nicht gewachsen waren. In solchen Entschlüssen konnte er zuweilen hart, strenge und heftig sein; solche Augenblicke waren nicht häufig, aber sie kehrten doch von Zeit zu Zeit immer wieder. Eine finstere und kalte Isolierung, die nur auf sich selbst vertraute, seltsam verbunden mit einer fast weiblichen Empfänglichkeit und einem leidenschaftsvollen Bedürfnis nach Sympathie. In solchen Momenten schien es, als seien seine angeborenen Impulse für alles Edle und Freundliche vorübergehend unterdrückt durch den harten und unerbittlichen Nachklang seines Jugendschicksals.

      Für diese gemischten Empfindungen fand der Dichter eben in seinem Hause nicht die ersehnte Befriedigung, und von Jahr zu Jahr wurde ihm solch Mangel fühlbarer, zumal es ihm nicht gelang, in dem Ersatz zu finden, was man Gesellschaft nennt. Niemand war geeigneter als er, jedem Zirkel Ehre zu machen, in den er hätte eintreten wollen, aber er vermied es vielmehr, er gab sich fast ebensoviel Mühe, den Häusern der Großen fernzubleiben, als sich andere bemühten, dort Zugang zu finden. »Zum Teil bestimmte ihn dazu die Verachtung gegen das in England so häufige Laster der Kriecherei gegen Vornehme. Aber außer diesem Motiv spielte noch ein anderes mit, das er sich nicht so vollständig eingestand: er war sehr empfindlich gegen die sozialen Ungleichheiten, aus denen jenes Laster hervorgegangen ist. Immer stand das Gespenst seiner Kindheit hinter ihm. Er war von einer starken Empfindlichkeit für Lob und Tadel, aber es war sein Stolz, diese Empfindung zu verhehlen und gleichgültig zu scheinen; er hatte eine ungeheure Höhe erstiegen, aber diese Erinnerung war ihm eher bitter als süß, denn vor ihm stand eine Schranke, hinter der ihm die vornehme Welt zwar Beifall rief, aber doch von oben herunter: er verachtete die Schranke und wußte doch, daß er sie nicht übersteigen konnte. In Augenblicken, wo dies Gefühl mächtig über ihn wurde, konnte er im Ausdruck hart und intolerant erscheinen. Seine schlimme Kindheit hatte ihm den unermeßlichen Wert eines eisernen Kampfes gegen Schwierigkeiten gelehrt, aber die Fähigkeit, der Entsagung und des Opfers hatte sie ihm nicht gegeben. In dem Sprung aus einer dunkeln Existenz in eine weltberühmte war er Meister von allen Gaben, durch die man etwas erreicht, aber nicht Meister über sich selbst. Trotz der Ordnung und Regelmäßigkeit in seinem Tun, trotz seinem Sinn für Häuslichkeit, hatte er etwas von dem Ungestüm überkräftiger Naturen, die nach aller Existenz greifen, ohne die Kosten zu erwägen, und denen es ebenso unmöglich ist, sich in das einmal Fertige, zu finden, als einer Schwierigkeit zu weichen.«

      Hatte sich früher, etwa bis zur Beendigung des Copperfield, seine innere Unruhe mehr darin gezeigt, daß er mit Vorliebe seinen Aufenthaltsort wechselte, so trat jetzt auch darin eine Veränderung ein. Die Erfindung sprudelte nicht mehr so leicht als früher hervor, was er schon bei der Beendigung von Bleak House gemerkt hatte, wo er diesem Mangel durch allerhand bis dahin verschmähte Mittel, wie Notizen und ähnliches, abzuhelfen suchte. Oft hatte er das beängstigende Gefühl, daß es ihm nicht gelingen werde, den weitausgespannten Rahmen seiner neuen Entwürfe genügend mit lebendigen Gestalten auszufüllen; dann wurde er ungeduldig, warf seine Arbeiten beiseite und stürzte sich mit Gier in Beschäftigungen, die außerhalb seines Talentes lagen, in Journalistik oder politische Agitationen. In dieser Stimmung wurde es ihm immer schwerer, zu entbehren; er sprach in Andeutungen von einer »so glücklichen und doch so unglücklichen Existenz«, und brach in die herzbewegliche Klage aus: »Wie seltsam es auch sein mag, niemals Ruhe, niemals Befriedigung zu finden, immer nach etwas zu suchen, was nie erreicht wird, sich immer mit Plänen, Entwürfen und Sorgen zu beladen, so ist es mir doch klar, daß es so sein muß, daß ich von einer unwiderstehlichen Macht getrieben werde, bis mein Tagewerk zu Ende ist. Für manche Menschen gibt es keine Ruhe.«

      Später, im Frühherbst 1857, erwiderte er auf ernste Hinwendungen seines Freundes Forster folgendes: »Es ist zu spät zu sagen: Lege den Zaum an und stürme nicht die Berge hinauf! Du sagst es dem unrechten Manne. Meine einzige Befreiung liegt jetzt im Handeln. Ruhe ist mir unmöglich geworden. Ich bin vollkommen überzeugt, daß ich rosten, brechen und sterben würde, wenn ich mich schonte. Viel besser, tätig zu sterben. Zu dem, was ich auf diese Weise bin, schuf mich erst die Natur, und meine jüngste Lebensweise hat es leider bekräftigt. Ich muß den Nachteil – da es doch einmal einer ist – mit den Talenten, die ich habe, hinnehmen, und ich muß leben nach den mir vorgeschriebenen Bedingungen.«

      Hierbei ist zu bemerken, sagt Forster, daß etwas von demselben traurigen Gefühl, auch im Zusammenhange mit dem Mangel an häuslicher Befriedigung und mit der Besorgnis, von Zeit zu Zeit während der vorhergegangenen drei Jahre (1853–56) Ausdruck gefunden hatte; aber ich schrieb dies anderen Ursachen zu und beachtete es wenig. Während seiner Abwesenheit auf dem Festlande in den Jahren 1854, 1855 und 1856, als seine älteren Kinder aus der Kindheit heranwuchsen und seine Bücher ihm weniger leicht wurden als im früheren Mannesalter, kamen in seinen Briefen schon Spuren jenes »unglücklichen Verlustes und Entbehrens eines gewissen Etwas« zum Vorschein, dem er im Copperfield eine durchdringende Bedeutung gegeben hatte.

      In dem ersten jener Jahre machte er eine ausdrückliche


Скачать книгу