Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.gestillt hatte, floß der Wein reichlicher, und jedem Gaste wurden wohlriechende Blumen dargeboten, deren Duft sie bei den nunmehr lebhafter werdenden Gesprächen erfreuen sollte.
Sämmtliche Teilnehmer an diesem Mahle trugen lange, schneeweiße Gewänder und gehörten zu den in die Mysterien Eingeweihten, und also zu den Führern der Priesterordnungen des Setihauses.
Der zweite Prophet, Gagabu, dem heute die Leitung des Festes von dem Oberpriester, der sich bei solchen Gelegenheiten immer nur auf wenige Minuten zeigte, übertragen worden war, war ein kleiner, starker Mann mit einem kahlen, fast kugelrunden Schädel. Seine alternden Züge waren gut geformt und die glattrasirten, fleischigen Wangen wohl gerundet. Seine grauen Augen schauten munter und aufmerksam in den Tag hinein, funkelten aber lebhaft, wenn er sich erregt fühlte und seine starken sinnlichen Lippen zu zucken begannen.
Neben ihm stand der prachtvolle, unbesetzte Lehnsessel des Oberpriesters Ameni und an seiner Seite saßen die aus Chennu berufenen Priester, zwei stattliche, ältere Männer von dunklerer Hautfarbe.
Die übrigen Gäste waren genau nach der Höhe der Stellung geordnet, die sie in dem Priesterkollegium des Tempels einnahmen, und die sich keineswegs allein nach ihrem Alter richtete.
So streng auch die Plätze nach der Rangordnung der Tischgenossen vertheilt waren, so zwanglos mischte sich jeder Einzelne in das Gespräch.
»Unsere Berufung nach Theben,« sagte der ältere der aus Chennu in das Setihaus versetzten Priester, Tuauf, dessen Lehrbriefe in den Schulen häufig benützt wurden, 23 »wissen wir zu schätzen, denn einerseits bringt sie uns in die Nähe des Pharao, dem Leben, Heil und Gesundheit blühe, andererseits gewährt sie uns die Ehre, uns zu den Euren rechnen zu dürfen, denn wenn auch das Kollegium von Chennu in früheren Zeiten manchen großen Mann zu den Seinen rechnete und in seinen Schulen auszubilden das Glück hatte, so vermag es sich doch nicht mehr mit dem Setihause zu messen. Selbst Heliopolis und Memphis stehen hinter euch zurück, und wenn ich Kleinerer mich dennoch guten Muthes neben so viele Größere zu stellen wage, so geschieht es, weil ich euere Erfolge eben so wohl der in eurem Tempel wirksamen göttlichen Kraft, die auch mein Können und Vollbringen steigern wird, als euerer hohen Begabung und euerem Fleiße, an dem es auch bei mir nicht fehlen soll, zuschreibe. Schon hab' ich den Oberpriester Ameni gesehen; welch' ein Mann. Wer kennt nicht Deinen Namen, Gagabu, wer nicht den Deinen, Meriapu!«
»Und wen von euch,« fragte der andere Neuangekommene, »dürfen wir als den Dichter des schönsten Hymnus an Amon begrüßen, welcher jemals im Sykomorenlande gesungen ward? Wer von euch ist Pentaur?«
»Der leere Stuhl dort hinten,« sagte Gagabu, indem er auf einen Sessel am untersten Theile der Tafel deutete, »wartet seiner. Er ist der Jüngste von uns Allen; aber ihm wird eine große Zukunft blühen.«
»Und seinen Gesängen nicht minder,« fügte der ältere der aus Chennu angelangten Gelehrten hinzu.
»Ohne Zweifel,« entgegnete der erste Vorsteher der Horoskopen 24, ein älterer Mann mit einem gewaltigen, grauen Krauskopfe, der zu schwer zu sein schien für seinen dünnen, vielleicht durch die Gewohnheit des steten nach Zeichen Ausschauens weit vorgestreckten Hals, indem seine stark gewölbten Augen fanatisch glühten, »ohne Zweifel haben die Götter unserem jungen Freunde reiche Gaben verliehen; aber es muß dahingestellt bleiben, wie er sie gebrauchen wird. Ich finde eine gewisse Ungebundenheit des Geistes bei diesem Jüngling, welche mich ängstigt. Wenn er dichtet, so fügt sich zwar seine geschmeidige Rede den vorgeschriebenen Formen, aber seine Gedanken fliegen über das Hergebrachte hinaus, und in dem auch für die Ohren des Volks bestimmten Hymnus finde ich Wendungen, die man einen Verrath an den Mysterien, die er doch erst vor wenigen Monden geheim zu halten beschworen hat, nennen könnte. Da sagt er, und wir singen's ihm nach und Laien hören's:
›Einzig bist Du, Du Schöpfer der Wesen,
Und allein, der Du Alles machst, was geschaffen‹
und weiter:
›Er ist einzig, allein und sondergleichen,
Wohnend im Allerheiligen.‹ 25
»Stellen wie diese sollten nicht öffentlich gesungen werden dürfen, am wenigsten in einer Zeit wie der unseren, in der Neuerungen aus der Fremde eindringen wie die von Osten kommenden Heuschreckenschaaren.«
»Mir aus der Seele gesprochen!« rief der Schatzmeister des Tempels. »Ameni hat diesen Jüngling zu früh in das Mysterium eingeführt.«
»Auf meinen, seines Lehrers Vorschlag,« sagte Gagabu. »Unsere Genossenschaft kann stolz sein auf ein Mitglied, das den Ruhm unseres Tempels glänzend erhöht. Das Volk hört seinen Hymnus und dringt nicht ein in den tieferen Sinn seiner Worte. Ich sah die Laien niemals andächtiger, als da das tief empfundene und schöne Loblied beim Feste der Treppe 26 gesungen ward.«
»Pentaur war von je Dein Liebling,« rief der Vorsteher der Horoskopen. »Einem Anderen würdest Du Mancherlei nicht gestatten, das Du von ihm hinnimmst. Sein Hymnus bleibt für mich und Andere ein gefährliches Machwerk; oder leugnest Du, daß wir Grund zu ernsten Besorgnissen haben und Dinge geschehen und Zustände erwachsen, die uns hemmen und endlich vielleicht erdrücken werden, wenn wir ihnen nicht, so lang es noch Zeit ist, unerbittlich entgegentreten?«
»Du bringst Sand in die Wüste und gießt Honig auf die Dattel,« rief Gagabu und seine Lippen begannen zu zucken. »Nichts ist jetzt wie es sein sollte und es wird hart zu kämpfen geben, aber nicht mit Schwertern, sondern hiemit und damit –« und der lebhafte Mann schlug sich auf die Stirn und die Lippen. »Wer aber ist da und hier besser bestellt als mein Schüler? Der wird ein Vorkämpfer werden für unsere Sache, ein zweiter Hor Hut, der als geflügelte Sonnenscheibe den Bösen niederwarf. Da kommt ihr und wollt ihm die Schwingen stutzen und die Krallen beschneiden! Ach, ach und weh, ihr Herren, werdet ihr denn niemals begreifen, daß ein Löwe lauter brüllt als ein Kater und die Sonne heller leuchtet als eine Thranlampe? Laßt mir den Pentaur ungeschoren, sag' ich euch, sonst handelt ihr wie jener Mann, der sich aus Furcht vor Zahnschmerzen die gesunden Zähne ausreißen ließ. Ach, ach und weh', wir werden zu beißen bekommen in den nächsten Jahren, daß die Fleischstücke fliegen und das Blut strömt, wenn wir nicht erleben wollen, daß man uns selbst auffrißt.«
»Auch uns ist der Feind nicht unbekannt geblieben,« sagte der ältere Chennupriester, »obgleich wir an der entlegenen Südgrenze des Reichs Manches von uns fern zu halten wußten, das im Norden wie ein Krebsschaden an unserem gesunden Leibe frißt. Das Fremde wird hier kaum mehr für unrein und typhonischgehalten.«
»Kaum mehr?« rief der Vorsteher der Horoskopen. »Herbeigelockt wird es, geliebkost und verehrt. Wie Staub, wenn die Glutwinde wehen durch die Fugen eines Holzhauses, so dringt es in Sitte und Sprache, 27 in die Häuser und selbst in die Tempel ein und auf dem Throne der Nachfolger des Ra sitzt ein Abkömmling . . .«
»Vermessener,« rief in diesem Augenblicke die Stimme des den Saal betretenden Oberpriesters, »hüte Deine Zunge und unterstehe Dich nicht, sie gegen denjenigen zu brauchen, der unser König ist und als Stellvertreter des Ra das Szepter in diesen Landen führt.«
Der Vorsteher der Horoskopen neigte sich schweigend. Dann erhoben sich mit ihm alle Festgenossen, um Ameni zu begrüßen, der ihnen freundlich und würdevoll zuwinkte, seinen Sitz einnahm und, sich an Gagabu wendend, gelassen fragte:
»Ich sehe euch in unpriesterlicher Erregung. Was störte das Gleichgewicht euerer Seelen?«
»Wir gedachten des übermächtig in Aegypten eindringenden Fremden und der Notwendigkeit, ihm Widerstand entgegenzusetzen.«
»Ihr werdet mich unter den Vorkämpfern finden,« sagte Ameni. »Vieles haben wir ertragen und neue Nachrichten aus dem Norden sind angelangt, die mich schwer bekümmern.«
»Haben unsere Truppen eine Niederlage erfahren?«
»Sie blieben siegreich, aber neue Tausende unserer Landsleute sind in den Schlachten und auf den Märschen ein Opfer des Todes geworden. Ramses begehrt neue Hülfsvölker. Der Wegeführer Paaker hat mir einen Brief von unseren, den König umgebenden Genossen und dem Statthalter ein Schreiben