Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.nenne und meines gleichen. Nichts hab' ich vor Dir voraus, Jüngling, als hinfällige Kenntnisse, die die Vergangenheit für Dich erworben hat, wie für mich, als einige Wahrnehmungen und Erfahrungen, die der Welt nichts Neues bringen, wohl aber lehren, wie man das Alte lebensfähig und wirksam zu erhalten habe. Dasselbe, was Du vor wenigen Wochen gelobtest, das habe ich vor vielen Jahren im Angesichte des Allerheiligen beschworen. Das Wissen zu hüten als der Eingeweihten ausschließliches Eigenthum. Denn es gleicht einem Feuer, das den Vorbereiteten zu edlen Zwecken dient, das aber in den Händen eines Kindes, – und das Volk, die Menge, kann niemals zum Manne reifen, – zum vernichtenden Brande werden, wüthend und unauslöschbar um sich fressen und Alles vernichten würde, was die Vergangenheit erbaut und geschmückt hat. Wie aber können wir die Wissenden bleiben und die Erkenntniß, ohne die Schwachen zu gefährden und zu ihrem Frommen, unter dem Schutze und im Frieden unserer Tempel vertiefen und fortentwickeln? Du weißt es und hast nach diesem Wissen zu handeln geschworen! Die Menge festzuhalten an dem Glauben und den Satzungen der Väter ist Deine, ist jedes Priesters Pflicht. Die Zeiten haben sich geändert, mein Sohn. Unter den alten Königen war das Feuer, von dem ich zu Dir, dem Richter, im Bilde sprach, von ehernen Mauern umgeben, an denen die Menge stumpf vorüberging. Jetzt sehe ich Risse in den alten Schranken, und die Augen der ungeweihten Sinnenmenschen haben sich verschärft, und der Eine erzählt dem Andern, was er, halb geblendet durch die glühenden Spalten, erspäht zu haben meint.«
Ein leise Bewegung hatte sich der Stimme des Redners bemächtigt und indem er mit seinen gewaltigen Augen den Dichter gebannt hielt, fuhr er fort: »Wir fluchen und wir stoßen aus einen jeden Geweihten, der diese Risse erweitert, wir strafen auch den Freund, der es lässig versäumt, sie mit Erz und Hammerschlägen zu verschließen.«
»Mein Vater!« rief Pentaur und warf betroffen den Kopf zurück, während ihm das Blut in die Wangen stieg.
Der Oberpriester trat ihm näher und legte beide Hände auf seine Schultern.
Beide waren von gleicher Größe und von gleich vollendetem Ebenmaße der Gestalt, und selbst die äußere Form der Züge ihres Antlitzes glich einander. Dennoch würde sie Niemand auch nur für entfernte Verwandte gehalten haben, denn der Ausdruck ihrer Gesichter war unendlich verschieden. In den Zügen des Einen spiegelte sich der Wille und die Kraft, das Leben und sich selbst kühl und ernst zu beherrschen, in denen des Andern das liebenswürdige Verlangen, die Mängel und Noth der Welt zu übersehen und das Leben so zu betrachten, wie es sich in dem Alles verschönernden Zauberspiegel seiner Dichterseele malte. Frische und Freudigkeit sprachen aus seinen glänzenden Augen, aber das feine Lächeln an seinem Mund beim Austausche von Gedanken, oder wenn sein Gemüth erregt war, lehrte, daß Pentaur, weit entfernt von naiver Sorglosigkeit, manchen schweren Seelenkampf bestanden und den Trank des Zweifels gekostet habe.
In diesem Augenblicke regten sich wechselnde Empfindungen in seiner Seele. Es war ihm, als müsse er dem Gehörten widersprechen, und doch übte des Andern gewaltige Persönlichkeit einen so tiefen Einfluß auf seine zum Gehorsam erzogene Seele, daß er schwieg und ein frommer Schauer ihn durchzuckte, als Ameni's Hände seine Schultern berührten.
»Ich tadle Dich,« sagte der Oberpriester, indem er den Jüngling noch immer festhielt, »ja ich muß Dich strafen zu meinem Schmerze; und doch –« und nun erst trat er von ihm zurück und ergriff seine Rechte, »und doch freue ich mich dieser Notwendigkeit, denn ich liebe Dich und ehre Dich als Einen, den der Unaussprechliche mit hohen Gaben gesegnet und zu großen Dingen bestimmt hat. Das Unkraut läßt man wachsen oder jätet es aus, aber Du bist ein edler Baum und ich gleiche dem Gärtner, der ihn mit dem Stabe zu versehen vergaß und der nun dankbar ist, daß er eine Krümmung an ihm wahrnimmt, die ihn an seine Versäumniß mahnt. Du siehst mich fragend an und ich lese in Deinen Zügen, daß Du mich für einen überstrengen Richter hältst. Was ist Dir vorzuwerfen? Du hast geduldet, daß an einer Satzung der Vorzeit gerührt worden ist. – Das will, so denkt der kurzsichtige und leichte Sinn, nicht viel heißen; ich aber sage Dir: Du hast Dich doppelt vergangen, denn die Uebertreterin war die Tochter des Königs, auf welche Jedermann sieht, die Großen wie die Kleinen, und deren Thaten dem Volke zum Vorbilde dienen sollen. Wenn die Berührung des von der alten Satzung mit dem schwersten Makel Behafteten die Höchste nicht verunreinigt, wen dann? In wenigen Tagen wird es heißen: die Paraschiten sind Menschen wie wir und das alte Gesetz, sie zu meiden, war Thorheit. Und sollten die Erwägungen des Volkes hiebei stehen bleiben, da es ihm doch so nahe liegt, sich zu sagen, daß wer in einem Punkte irrte, auch in anderen fehlbar sei? Bei Fragen des Glaubens, mein Sohn, gibt es nichts Kleines. Ueberläßt Du dem Feinde einen Thurm, so ist die ganze Festung in seiner Hand! In dieser unruhigen Zeit steht unsere Lehre wie ein Wagen, unter dessen Rädern ein Stein liegt, auf dem Abhange eines Berges. Ein Kind nimmt das Hinderniß fort und das Fuhrwerk rollt zu Thale und zerschmettert. Stelle Dir vor, die Prinzessin sei dieses Kind und der Stein unter dem Rade ein Brod, und sie wollte es einem Bettler reichen, um ihn zu speisen. Würdest Du sie gewähren lassen, wenn Dein Vater und Deine Mutter und Alles, was Dir lieb ist und werth, auf dem Wagen stünde? Keine Entgegnung. Die Prinzessin wird morgen den Paraschiten von Neuem besuchen. Du erwartest sie in der Hütte des Mannes und wirst ihr dort verkünden, daß sie sich vergangen habe und unserer Reinigung bedürfe. Für dießmal sei Dir jede weitere Strafe geschenkt. Der Himmel gab Dir einen reichen Geist. Erwirb Dir, was Dir fehlte: die Kraft für Eines – und Du kennst dieses Eine – alles Andere zu unterdrücken, selbst die verführerische Stimme des Herzens und die betrügliche Deiner Einsicht. – Noch Eins! Sende Aerzte in das Hans des Paraschiten und befiehl ihnen, die Verwundete so zu behandeln, als wäre sie die Königin selbst. Wer kennt die Wohnung des Mannes?«
»Die Prinzessin,« antwortete Pentaur, »hat den Wegeführer des Königs, Paaker, im Tempel zurückgelassen, um die Aerzte in das Haus des Pinem zu führen.«
Der ernste Oberpriester lächelte und sagte. »Paaker, der für ein Paraschitenmädchen wacht!«
Da erhob Pentaur halb zaghaft bittend, halb schalkhaft die Augen, welche er bis dahin niederschlagen hatte, und seufzte: »Und Pentaur, der Gärtnerssohn, welcher der Tochter des Königs die Reinheit abspricht!«
»Pentaur der Diener der Gottheit und Pentaur der Priester wird es nicht mit der Tochter des Königs, sondern mit der Uebertreterin des Gesetzes zu thun haben,« erwiederte Ameni ernst. »Laßt Paaker sagen, ich wünschte ihn zu sprechen.«
Der Dichter verneigte sich tief und verließ das Zimmer; der Oberpriester aber murmelte vor sich hin. »Er ist noch nicht wie er sein soll und meine Rede blieb ohne Wirkung auf ihn.«
Dann verstummte er, ging nachdenkend auf und nieder und sagte halblaut denkend: »Und doch ist dieser Jüngling zu großen Dingen bestimmt. Welche Gabe des Geistes fehlte ihm wohl? Er versteht zu lernen, zu denken, zu empfinden und Herzen zu gewinnen, – auch das meine. Rein und bescheiden hat er sich erhalten . . .«
Bei diesen Worten blieb der Oberpriester stehen, schlug mit der Hand auf die Lehne des vor ihm stehenden Stuhls und sagte; »Das ist's, was ihm fehlt! Er kennt noch nicht die Flamme des Ehrgeizes. Entzünden wir sie zu seinem und zu unserem Besten!«
Drittes Kapitel
Pentaur beeilte sich, die Aufträge des Oberpriesters zu erfüllen.
Durch einen Diener ließ er den im Vorhof des Tempels harrenden Wegeführer Paaker zu Ameni geleiten, während er sich in eigener Person zu den Aerzten begab, um ihnen die sorgfältige Pflege der Verunglückten recht warm an's Herz zu legen.
Viele Heilkünstler 11 wurden in dem Setihause gebildet, doch pflegten nur wenige von ihnen nach bestandenem Schreiberexamen hier zu verbleiben. Die Begabtesten wurden nach Heliopolis gesandt, in dessen großen Hallen von Alters her die berühmteste medizinische Fakultät des Landes blühte und von wo aus sie dann, durchgebildet und als Meister, entweder in der Chirurgie, oder der Augenheilkunde, oder irgend einem anderen Zweige ihrer Wissenschaft, geschmückt mit den höchsten Würden ihres Standes, nach Theben zurückkehrten, um als Leibärzte in der Nähe des Königs zu verbleiben oder als Lehrer ihre Kenntnisse